Protocol of the Session on July 11, 2001

Das sind Fakten. Die Bundesanstalt für Arbeit wird Ihnen das bestätigen.

Seit zweieinhalb Jahren sinkt permanent und strukturell die Arbeitslosigkeit.

(Dinglreiter (CSU): Das sind statistische Tricks!)

Sie sinkt zu wenig. Als Sozialdemokrat hätte ich hier mehr gewünscht, und diese Volkswirtschaft hätte Besseres verdient. Aber einer ist kein Ratgeber und Kritikaster, der sagen darf, dass das zu wenig sei. Das sind CDU und CSU.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und schließlich hat der „Chor der Arbeitgeber“ zu Recht „gesungen“, dass die Lohnnebenkosten in Deutschland zu hoch seien. Was ist in Ihren 16 Jahren passiert? – Sie haben die höchste Dynamik des Zuwachses der Nebenkosten erreicht. Bei 17,3% lag die Rentenversicherung, als Kohl an die Regierung kam; mit 20,3% ist er gegangen. Es gibt Höchststand bei der Arbeitslosenversicherung und bei der Krankenversicherung. Bei Ihrem Regierungsantritt lag der Lohnnebenkostenanteil bei etwa 38%, und Sie sind mit 42% gegangen. Das ist der historisch höchste Wert, und er ist in zwei Jahren der Regierung Schröder um etwa 1 1ı/2Punkte gesunken. Das sind die Fakten. Diese müssen Sie zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin überzeugt, dass die Konjunktur im Herbst anspringen wird. Die Zinssignale aus den USA werden ihre Wirkung tun. Der Dollar-Raum wird sich erholen – davon bin ich überzeugt. Es wird an der Preisfront eine Beruhigung geben. Auch im Energiebereich zeigen sich erste Anzeichen. In fast allen Branchen beträgt auch in diesem Jahr das Wachstum 2,5 bis 3,5%. Wenn das gesamtwirtschaftliche Wachstum dennoch bei 2,1% enden wird, liegt das an einer Branche, nämlich der Baubranche. Sie macht wirklich Sorgen. Sie drückt das Gesamtergebnis auf den Wert, den wir alle bedauern.

(Fischer (CSU): Wer ist schuld?)

Auch hier muss man ein stückweit in die Vergangenheit gehen, Herr Minister Wiesheu. Welches strukturelle Pro

blem hat die Bauwirtschaft? – Das ist nicht so sehr die mangelnde Nachfrage im privaten Wohnungsbau. Sie geht zwar zurück, das hat demografische Gründe. Das alleine macht das aber nicht aus. Der Hauptgrund ist, dass wir in den Neunziger Jahren die Baubranche durch staatliche Maßnahmen künstlich hoch gezüchtet haben, sodass jetzt die Baukapazitäten um über 100% höher liegen als in den achtziger Jahren, namentlich im Osten.

(Pschierer (CSU): Sagen Sie das mal einem mittelständischen Bauunternehmer!)

Es geht auf Dauer aber nicht, 100% mehr Aufträge für die Bauindustrie zu beschaffen als in den achtziger Jahren. Das ist das Problem. Wir haben namentlich im Osten Überkapazitäten und außer der Schwäche im privaten Wohnungsbau einen dramatischen Rückgang bei den Tiefbaunachfragen in den Kommunen. Ich kann Ihnen sagen, warum die Tiefbaunachfrage in den Kommunen so schwach ist, nämlich weil Sie dafür gesorgt haben, dass unsere Kommunen bis über beide Ohren verschuldet sind.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abgeordneten Dr. Bernhard (CSU): Lächerlich, so ein Schmarrn! Das ist doch abwegig!)

Herr Dr. Wiesheu, Sie wissen es genau: In den acht Jahren der Stoiber-Ära ist die Staatsverschuldung im Freistaat Bayern – Staatsminister Dr. Falthauser weist hier bei seinen Volkswirtschaftsvorlesungen stets darauf hin – in etwa so gestiegen wie die Inflation, also im Grunde gar nicht. Gleichzeitig ist in den letzten acht Jahren aber die Verschuldung der bayerischen Kommunen um zirka 35% gestiegen. Das ist ausschließlich landespolitisch verursacht. Dieses Investitionshemmnis ist wesentlich daran schuld, dass die Bauwirtschaft bei uns nicht auf die Beine kommt.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abgeordneten Mehrlich (SPD))

Im Gegensatz zu Herrn Wiesheu bin ich zu differenzierter Betrachtungsweise fähig und auch willens. Da die schlechte Baukonjunktur zu einem echten Problem werden kann, habe ich vor kurzem in einem Interview gesagt, dass der Staat, der insgesamt – Bund, Länder, Kommunen – zu zwei Dritteln die Nachfrage am Bau schafft – davon sind es zu zwei Dritteln wiederum die Kommunen – noch einmal nachlegen muss, wenn im Winter wider Erwarten die Konjunktur nicht anspringen sollte.

(Dr. Bernhard (CSU): Deshalb haben Sie die Mittel für den sozialen Wohnungsbau gekürzt!)

Wir haben Bedarf bei der Schiene, den Straßen und beim sozialen Wohnungsbau. Ich bin mit Ihnen, Herr Kollege Dr. Bernhard, der Auffassung – Sie würden so etwas nie sagen, das ist der Unterschied – dass die Mittel, die Berlin für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellt, vor dem Hintergrund der schwachen Kon

junktur und dem tatsächlichen hohen Wohnungsbedarf, nicht befriedigend sind.

(Jetz (CSU): Sie sind sauschlecht!)

Deshalb bin ich der Auffassung , dass wir noch einmal nachdenken müssen, was wir tun können, wenn die Baukonjunktur im Winter nicht anspringt.

Herr Minister Wiesheu, am Schluss komme ich zu Ihrer alten verkratzten Schellackplatte, der Bund würde Bayern benachteiligen.

(Staatsminister Dr. Wiesheu (Wirtschaftsministe- rium): Ja, systematisch!)

Ja, ja. Das kenne ich schon. Wahrscheinlich haben Sie einen Sprechautomaten eingebaut, der bei Knopfdruck loslegt.

(Beifall bei der SPD)

Herr Verkehrsminister Wiesheu, Sie und Ihre Berliner Freunde – damals Bonner Freunde – haben ein Märchenbuch geschrieben. Dieses Märchenbuch stammt nicht von den Gebrüdern Grimm, sondern von der Union, und es hat auch keinen kindhaften Titel, sondern es nennt sich Bundesverkehrswegeplan. Dort stehen Märchen drin. Dort steht, welche Straßen die Regierung in welcher Zeit zu bauen gedenkt. Sie haben aber vergessen, am Ende Bilanz zu ziehen und nachzusehen, inwieweit die Wirklichkeit mit dem Buch übereinstimmt. Als Sie gegangen sind, sah die Sache folgendermaßen aus: Der Bundesverkehrswegeplan hätte bis zum Sommer 1999 zu 100% vollzogen sein müssen. Sie haben 30% der Projekte tatsächlich gebaut und finanziert. In sieben Monaten konnte die neue Bundesregierung den Rest nun wirklich nicht zu schaffen. Sie haben leider vergessen, die anderen 70%, die Sie in den Plan geschrieben haben, zu bauen und zu finanzieren. Sie hätten dazu die „Kleinigkeit“ von 90 Milliarden DM gebraucht. Unseriöser geht es wirklich nicht.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und nun wollen Sie uns in die Schuhe schieben, dass in den letzten Jahren zu wenig Verkehrsinvestitionen getätigt wurden.

(Nadler (CSU): So ist es auch!)

Das ist lächerlich. Sie haben die Bürgermeister und Landräte scharf gemacht, und diese haben geglaubt, dass die Ortsumgehung mit der Aufnahme in den Plan schon da sein wird. Sie haben aber vergessen, 70% des Planes umzusetzen.

(Zurufe von der CSU)

In Deutschland gibt es einen Beweis dafür, dass Investitionen ohne finanzpolitische Not und an der Sache vorbei zurückgeführt werden. Ich will Ihnen das Land in Deutschland nennen, das das macht. Das Land heißt Freistaat Bayern.

In der Stoiber-Ära haben Sie die Mittel im Haushalt für den Staatsstraßenbau – dafür sind Sie allein zuständig – um rund 50% reduziert. Sie haben keinen Grund, von anderen zu behaupten, sie vernachlässigten Infrastrukturinvestitionen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Dr. Wiesheu, Sie wissen, wir Bayern haben von den vier Sonderprogrammen, die aufgelegt wurden, von den westlichen Ländern – nur diese sind vergleichbar, weil der Osten einen großen Nachholbedarf hat – das meiste bekommen. In der Summe haben wir mehr erhalten als Nordrhein-Westfalen. Ich könnte Ihnen die Zahlen sagen, aber dazu reicht meine Redezeit nicht. Ich habe die Information auch der Presse übergeben; die Journalisten wissen das auch. Die Behauptung, Bayern werde benachteiligt, ist nachweislich unzutreffend.

Bei der Forschung belegt Bayern einen hervorragenden Platz. Wir liegen mithilfe des Geldes, das wir vom Bund bekommen, an zweiter oder dritter Stelle. Zum Beispiel gibt es das Programm für erneuerbare Energien der Bundesregierung, das ein wichtiger Impulsgeber für die neuen Technologien ist. Wissen Sie, wie hier die Lage bei den Anträgen ist? – Es geht hier um das Bundesprogramm, nicht das bayerische Programm, das auch nicht schlecht ist, aber das Bundesprogramm ist besser und unter Fachleuten anerkannt. Der letzte mir bekannte Stand ist: 43% aller Mittel aus dem Programm für erneuerbare Energien, die in Deutschland verteilt werden, gehen nach Bayern. Wer spricht denn da von Benachteiligung? – Jedenfalls nicht der, der nur einen Funken Ahnung hat.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Hoderlein, Sie wissen, dass Sie Ihre Redezeit bereits erheblich überzogen haben. Ich kann nicht ewig auf die Zeittaste drücken.

Herr Präsident, wenn Sie erlauben, sage ich nur noch einen Anstandssatz.

Herr Staatsminister Dr. Wiesheu, wir haben gerade mit den Eisenbahnern geredet. Wir haben auch echte Probleme in unserem Land. Vieles läuft nicht schlecht in Bayern, das wollen wir gern anerkennen, aber es gibt auch Probleme. Die Regionalpolitik ist ein Beispiel. Ich bitte Sie herzlich, dass wir morgen in der Debatte zu den DB-Ausbesserungswerken, die geschlossen werden sollen, ein Zeichen dafür setzen, dass es eine regionalpolitische Verantwortung gibt. Das ist das, was die Landespolitik in Bayern an erster Stelle zu leisten hat. Es wäre schön, wenn wir uns wenigstens darauf einigen könnten.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Kollege Müller.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich einige Bemerkungen zu den Ausführungen

von Herrn Kollegen Schläger zur Regionalpolitik machen will. Vorweg möchte ich aber eine Anmerkung zur Rede von Herrn Kollegen Hoderlein machen. Herr Hoderlein, wenn Sie sich hierher stellen und versuchen, die Rede des Wirtschaftsministers zu verunglimpfen, indem Sie sagen, hier hätte der Generalsekretär gesprochen, dann kann ich nur sagen, hier hat einer der besten Wirtschaftsminister gesprochen, die Bayern je hatte.

(Beifall bei der CSU)

Ich füge hinzu: Wenn die wirtschaftliche Entwicklung in Bayern wesentlich besser verläuft als auf Bundesebene, dann ist das auch in starkem Maße das Verdienst von Otto Wiesheu.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Hoderlein, wenn Sie immer wieder die Schuldenlast ansprechen, die Sie übernommen haben, dann nehmen Sie bitte einmal zur Kenntnis, dass in dieser Zeit die größte Herausforderung zu bewältigen war, die je eine Nation zu bewältigen hatte, nämlich die Wiedervereinigung Deutschlands. Nehmen Sie auch zur Kenntnis, was Herr Kollege Pschierer gesagt hat: Nicht wir haben die DDR platt gemacht, sondern die Altkommunisten, die Sie heute wieder in die Verantwortung holen wollen.

(Beifall bei der CSU)

Wenn Sie darüber jammern, dass die alte Bundesregierung keine Steuerreform auf den Weg gebracht hat, dann nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Sie im höchsten Maß Blockadepolitik betrieben und versucht haben, alles zu verhindern, was in Richtung einer Steuerreform ging.