Protocol of the Session on May 9, 2001

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deswegen wollen wir das Informationsfreiheitsgesetz!)

Durch die Berücksichtigung der von mir von Anfang an vorgetragenen Darstellung hätten sich die zu Unrecht erhobenen Vorwürfe ohne Zweifel bereits im Vorfeld aufklären lassen.

Man denkt gelegentlich darüber nach, wie es weitergehen soll und ob man aus den Vorgängen etwas lernen kann. Ich habe mir auch Gedanken darüber gemacht, wie man die Rechte von betroffenen Landtagsabgeordneten und Regierungsmitgliedern in einem Ausschuss unter Zuhilfenahme unseres Untersuchungsausschussgesetzes und der Untersuchungsausschussgesetze anderer Länder stärken kann. Jeder weiß, dass man dann, wenn man in einem Untersuchungsausschuss politische Verantwortung zuweisen will, zunächst einmal sauber recherchieren muss. Es bedarf der Rationalität und der Transparenz. Wenn festgestellt werden soll, ob jemand eine persönliche Verfehlung begangen hat, bedarf es entsprechender Grundlagenmaterialien. Deshalb muss allen Betroffenen zunächst einmal rechtliches Gehör gewährt werden.

Sie müssen eine Stellungnahme abgeben können, die zu berücksichtigen ist. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht darum, diesen Personen ein Aussageverweigerungsrecht einzuräumen. Das sieht das Untersuchungsausschussgesetz schon vor. Es geht um

etwas anderes. Wir brauchen ein Untersuchungsausschussgesetz für die Leute, die nicht schweigen wollen, sondern die reden möchten. Wir müssen ihnen die Gelegenheit geben, zu einem frühen Zeitpunkt etwas sagen zu können, wenn sie dies wollen. Für mich geht es im Einzelnen darum, dass im Untersuchungsausschuss ein Betroffener – und in diesem Zusammenhang muss die Betroffenenstellung anders definiert werden, als es jetzt der Fall ist – das Recht auf eine zusammenhängende Sachdarstellung bekommen muss, und zwar zeitlich gesehen vor den Zeugen. Der Betroffene muss auch das Recht haben, bei der Beweiserhebung anwesend zu sein. Oder glauben Sie, dass es besonders lustig ist, wenn man nachher alle Zeitungen durchliest, um in etwa mitzubekommen, was im Untersuchungsausschuss los war, in den man nicht hinein darf? Die Zeitung aber darf man lesen, um herauszufinden, was sich dort abgespielt haben könnte.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das tut weh!)

Wir brauchen ein Beweisantragsrecht, ein Fragerecht und ein Recht auf Akteneinsicht. Diese Rechte finden sich in Gesetzen anderer Länder wieder. Ich erwähne in diesem Zusammenhang Baden-Württemberg, das Saarland und Sachsen. Darüber muss man nach meiner Ansicht reden.

Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung zum ORH. Auch vom ORH muss den Betroffenen rechtliches Gehör gewährt werden. Der ORH hat mir in diesen Tagen Akteneinsicht verweigert. Wenn der ORH für sich richterliche Unabhängigkeit in Anspruch nimmt, dann muss er auch richterliche Pflichten wahrnehmen. Dazu gehört der rechtsstaatliche Grundsatz auf rechtliches Gehör. Dieser rechtsstaatliche Grundsatz auf rechtliches Gehör ist mir in diesem Fall nicht zuteil geworden.

(Prof. Dr. Gantzer (SPD): Schon vom Ministerpräsidenten nicht!)

Das ist etwas anderes. Da unterstellen Sie richterliche Unabhängigkeit, da müssen Sie das Ganze etwas anders sehen.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist das Eine. Das Zweite ist, dass der Betroffene in einem solchen Fall Akteneinsicht bekommen muss. Es kann doch nicht im Interesse des Obersten Rechnungshofs sein, dass er sich hinter seinen Akten versteckt und damit Argwohn und Nachfragen aufkommen lässt. Wenn sich der ORH nicht öffnet, wird er als neutrale Institution nicht anerkannt bleiben. Transparenz muss auch für den ORH oberstes Gebot sein, gerade für den Obersten Rechnungshof. Da er es von allen verlangt, dann muss das Gebot der Transparenz, der Offenheit und der Offenlegung für ihn in besonderem Maße gelten.

(Beifall bei der CSU)

Was im Moment an Wagenburgmentalität an den Tag gelegt wird, führt innerhalb kürzester Zeit zu einem gravierenden Autoritätsverlust des Obersten Rechnungshofs.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Quatsch!)

Der ORH hat im Moment noch das Glück, dass sich die meisten nicht trauen, etwas gegen ihn zu sagen, weil sie besorgt sind, sie könnten irgendwann in sein Visier geraten. Aber im Moment, meine Damen und Herren, haben sie jemanden vor sich, der etwas leichter redet. Es gibt kein Unfehlbarkeitsdogma für den Obersten Rechnungshof. Auch dort sitzen Menschen, die sich irren können. Der LWS-Bericht ist dafür ein bedauerliches, aber leider nicht das erste Beispiel.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss kommen. Warum wollte ich mich nicht mit dem Rücktritt abfinden? Erstens, weil ich ihn schon angeboten hatte und er nicht angenommen wurde; zweitens, weil ich nicht für die Rolle des Sündenbocks tauge, schon gar nicht in dieser Sache; drittens, meine Damen und Herren, weil mich der Umgang von Mensch zu Mensch zutiefst verletzt hat; viertens, weil meine Selbstachtung und mein Sinn für Gerechtigkeit es nicht zugelassen haben, Schuld auf mich zu nehmen, die ich nicht zu tragen hatte.

Ich blicke aber nicht im Zorn zurück. Ich blicke nach vorne, zuversichtlich und gestärkt. Jeder, der meinem Blick nicht ausweicht, wird in mir weiter einen offenen Gesprächspartner finden. Jeder, der mir einen Ball zuspielt, wird mich als Mannschaftsspieler erleben. Nachdem ich gestern gelesen habe, dass ich in einer zerrütteten Ehe lebe, möchte ich festhalten: Ich habe keinen Scheidungsantrag gestellt. Ich habe den geschützten Bereich der ehelichen Wohnung unfreiwillig verlassen.

(Prof. Dr. Gantzer (SPD): Das war eine gleichgeschlechtliche Gemeinschaft! – Maget (SPD): Sie dürfen in Karlsruhe nicht klagen!)

Ich möchte mich jetzt zu den gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften nicht äußern. Das passt wirklich nicht in diesen Zusammenhang, meine Damen und Herren.

(Heiterkeit)

Ich möchte auch festhalten, dass bei nicht einvernehmlichen Scheidungen die Trennungszeit drei Jahre beträgt. Diese drei Jahre sind noch nicht abgelaufen. Während dieser Zeit kann der Scheidungsantrag zurückgenommen werden, logischerweise nur vom Antragsteller, und wenn es sein muss, unter Zuhilfenahme von Mediation.

(Beifall bei der CSU – Frau Christine Stahl (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Nehmen Sie wenigstens Trennungsunterhalt!)

Als nächster Redner hat Herr Kollege Maget das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir nun die sachlichen Berichte aus dem Untersuchungsausschuss gehört

haben, ist die Zeit für eine politische Bewertung dieses Ergebnisses gegeben.

Erstens. Das 500-Millionen-Debakel der LWS ist in der Tat die größte Pleite eines öffentlichen Unternehmens in Bayern seit dem Krieg. Zweitens. Dieses Debakel war vermeidbar und ist ausschließlich durch politische Einflussnahme verursacht worden. Drittens. Von denen, die diese katastrophalen Fehlentscheidungen getroffen haben, ist auch die Übernahme der politischen Verantwortung zu erwarten. Herr Kollege Sauter hat sich dazu bekannt, bedauerlicherweise bisher als Einziger. Das ehrt ihn, aber nicht alle anderen.

Dass nun der Berliner Steuerzahler den größten Teil der Summe, die durch die Versäumnisse entstanden ist, über Verlustabschreibungen bezahlen muss, mag manche erleichtern, und manche mögen das sogar witzig finden. Ich finde, dass es die Spitze der Peinlichkeit in dieser Situation ist.

(Beifall bei der SPD)

Auch wenn sich Herr Kollege Sauter durch den Obersten Rechnungshof – vielleicht das eine oder andere Mal zu Recht – schlecht behandelt fühlte, möchte ich trotzdem auch dem Obersten Rechnungshof danken; denn es war letztlich nur er, der unglaubliche Vorgänge an das Licht der Öffentlichkeit und in die parlamentarische Diskussion gebracht hat.

(Beifall bei der SPD)

Ich frage mich: Muss es denn wirklich sein, dass es erst eines Berichts des ORH bedarf, damit solche Dinge, die sogar Sie von der CSU im Untersuchungsausschuss kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen haben, das Licht der Öffentlichkeit erblicken können? Ich erinnere an Mietgarantien in unermesslichen Dimensionen, die katastrophale Politik der Geschäftsführung und das Nichtvorhandensein von internen Controlling-Systemen. Das müssen auch ein Aufsichtsrat und die politische Führung in diesem Land, die verantwortlich für ein staatliches Unternehmen sind, merken, und nicht nur der Oberste Rechnungshof. Deswegen möchte ich dem ORH dafür danken, dass er mit seinem Bericht diese Diskussion in Gang gesetzt hat und vielleicht noch Schlimmeres, was Sie von der CSU noch länger hätten unter den Teppich kehren können, vermieden hat.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD hatte nicht nur mit der frühzeitigen Bezifferung des tatsächlich entstandenen Schadens Recht, der zunächst von der Staatsregierung stets beschönigt worden war, sondern auch mit ihrer Kritik an Schlamperei und Misswirtschaft beim Unternehmen LWS.

Als ich das zum ersten Mal im Sommer 1999 hier vorgetragen habe, haben Sie mir, Herr Kollege Bernhard, noch ausdrücklich widersprochen –

(Dr. Bernhard (CSU): Das tue ich auch heute!)

und mir zugerufen, ich solle nicht schwarz malen. Es sei alles gewiss nicht so schlimm, wie ich es darstelle.

Ich freue mich, dass Sie es jetzt waren, der selbst von einem „Desaster bei der LWS“ gesprochen hat. Das ist das Ergebnis der Arbeit des Untersuchungsausschusses. Seine Einsetzung war also mehr als gerechtfertigt.

Über die Rechte des Untersuchungsausschusses, die Abläufe der Arbeit und die Zusammensetzung des Ausschusses muss an anderer Stelle noch einmal gesprochen werden, ebenso über die Rolle der Vertreter der Staatsregierung in einem solchen Untersuchungsausschuss. Worüber man jetzt aber reden muss, ist die Rolle der Mehrheitsfraktion in diesem Untersuchungsausschuss.

Dass es zu keiner gemeinsamen Beurteilung der Vorgänge bei der LWS gekommen ist, hat keine objektiven Gründe, sondern geht zurück auf das Selbstverständnis der CSU-Mehrheit im Untersuchungsausschuss. Die CSU war nicht ganz frei von Erkenntnisinteresse. Das hat man an vielem Erstaunen und kopfschüttelnder Neugier immer wieder bemerkt, wie denn so etwas überhaupt passieren konnte, was man dort vorgefunden hat. Das Problem war aber von Anfang an, dass derjenige, der im Zentrum der gesamten Fehlentwicklungen stand, nicht belastet werden durfte. Denn das war und ist niemand anderer gewesen als der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber selbst.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Gantzer hat das sehr eindrucksvoll und nachvollziehbar dargestellt. Man muss es so deutlich sagen: Auf seinem Mist als damaliger Innenminister sowie damaliger wie heutiger Ministerpräsident sind die folgenschweren Fehler nämlich in der Tat gewachsen. Er aber musste um jeden Preis straffrei bleiben. Genau das und nur das war die selbstgestellte Aufgabe der Mehrheit im Untersuchungsausschuss. Priorität hatte nicht das Aufklärungsinteresse.

(Dr. Bernhard (CSU): Das ist eine Unterstellung!)

Ich möchte Ihnen eine Anekdote erzählen, die das vielleicht sichtbarer macht als alles andere. Als der bayerische Ministerpräsident in den Zeugenstand gerufen wurde, war es die vornehme Aufgabe des Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, erst einmal, ehe der Herr Ministerpräsident auf dem Zeugensitz Platz nahm, auch noch den letzten Pressefotografen, den letzten Fernsehmann aus dem Raum zu treiben.

(Dr. Bernhard (CSU): Das ist Vorschrift, Herr Kollege, das wissen Sie!)

Erst dann durfte die Sitzung beginnen, und erst dann durfte oder musste sich Herr Stoiber setzen. Die Tatsache, dass Sie diese vorschriftsmäßige Verhaltensweise nur bei ihm an den Tag gelegt haben,

(Dr. Bernhard (CSU): Nein, immer! – Weitere Zurufe von der CSU: Unterstellungen übelster Art!)

führte zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass es Fotos von allen politischen Persönlichkeiten gibt, die sich im Zeugenstand befanden, mit einer Ausnahme: Das war Edmund Stoiber. Dieses Foto durfte es auf keinen Fall geben. Er darf in keinem Fall – um Gottes willen – mit dem Thema LWS etwas zu tun haben. Warum äußert er sich denn heute nicht zu den Vorwürfen, die ihm gegenüber erhoben werden?

(Beifall bei der SPD und beim BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernhard (CSU): Es ist nicht seine Aufgabe, sich hier zu äußern!)

Warum ist er nicht in der Lage – –

(Dr. Bernhard (CSU): Es ist heute eine Veranstaltung des Parlaments, da haben wir zu diskutieren!)