Protocol of the Session on January 31, 2001

Wir selbst haben ein Schreiben über ein solches eingestelltes Verfahren bekommen. Hier wird nur der schwarze Peter an die Verwaltung weitergeschoben. Auch die Regierung von Niederbayern hat in diesem Fall keine besonders rühmliche Rolle gespielt. Natürlich weiß ich, dass auch der Sanktionskatalog ein gewisses Problem darstellt, weshalb die Staatsanwaltschaften manchmal ein Verfahren einstellen müssen. An diesem Fall aber wird sehr augenfällig, wie mit der Gesundheit Schindluder getrieben wird, ohne dass darauf reagiert wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Weiß, was hat denn Ihr Haus in dieser Angelegenheit gemacht, bevor es aufgescheucht wurde? Wo waren denn Ihre Ermittler, als der erste Verdacht über gravierende Gesetzesverstöße in der Landwirtschaft ans Tageslicht kam? Wo waren denn die Damen und Herren aus dem Gesundheitsministerium?

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beim Schweinsbratenessen!)

Herr Beckstein – – Jetzt schaue ich ins falsche Eck, er sitzt ja hier.

(Hoderlein (SPD): Richtig! Er ist jetzt der linke Flügel der Staatsregierung!)

Herr Beckstein, wo waren denn Ihre Polizeibeamten? Hier hätten Sie endlich einmal einen echten Fall von organisierter Kriminalität gehabt, den Sie frühzeitig hätten aufgreifen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Fall lag der erste massive Hinweis auf einen begründeten Anfangsverdacht bereits vor fünf Jahren vor. Sie haben schon bei viel weniger Verdachtsmomenten zum Halali geblasen. Heute sehen Sie plötzlich Handlungsbedarf. Herr Minister Beckstein entdeckt die Mafia – Hurra!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin schon erstaunt darüber, dass man aus ganz anderen Gründen nicht schon früher tätig geworden ist. Ich denke nur daran, wie aktiv man mit Schulschwänzern umgeht. Sie werden sofort im Polizeicomputer gespeichert, weil sie ja schon am Beginn einer kriminellen Karriere stehen könnten. Das selbe Engagement oder vielleicht Modellprojekte hätte ich mir bei dieser wirklich mafiösen Struktur gewünscht.

Fragen an Herrn Miller kann ich mir wohl ersparen. Unser Landwirtschaftsminister käme nach den vielen Antworten, die er geben müsste, vermutlich gar nicht mehr aus dem Beichtstuhl. Ich nehme auch an, dass er heute bei der Fragestunde deswegen gefehlt hat, weil es um seine Sünden ging.

Wenn Sie juristische Hilfe gebraucht hätten, um tätig werden zu können, hätten Sie nur § 2 Ziffer 1 des Tier

schutzgesetzes vom 25. Mai 1998 lesen müssen. Dort steht:

Wer ein Tier hält,... muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen,...

Diese Regelung gäbe angesichts der in unseren Schweineställen herrschenden Verhältnisse einiges her.

Wenn Ihnen das nicht genügt, können Sie sich aber auch bei der evangelischen Kirche Unterstützung holen. Das trifft gerade auf Herrn Beckstein als Synodalen zu. Bischof Kohlwage hat zum Welttierschutztag 1998 artgerechte Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft gefordert. Er unterstützt die Landwirte, die sich um artgerechte Haltung und um Alternativen zur Massenproduktion bemühen. Sie sehen also, jenseits von wissenschaftlichen Argumenten hätten Sie auch juristischen und theologischen Beistand für ein Vorgehen gegen die jetzt auch von Ihnen entdeckte Praxis der Tierhaltung haben können.

Die Bayerische Staatsregierung und die ihr nachgeordneten Behörden hören aber offensichtlich lieber auf die Eingebungen aus anderen Kanälen. Das hat über Jahre hinweg auch zum Schaden der Verbraucher funktioniert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach Zusammenbruch eines Schweine- und Schweigekartells will plötzlich niemand beteiligt sein. Alle überschlagen sich mit Aktivitäten, Erklärungen und Stellungnahmen. Aktivitäten – so konnte ich heute früh dem Radio entnehmen – sollen zukünftig Kronzeugenregelungen und Lauschangriffe sein. Ich hoffe nur, dass nicht Herr Vanino die Leitung dieser Aktivitäten übernimmt.

(Wahnschaffe (SPD): Immer die alte Masche! Viel fordern, nichts einhalten!)

Der Präsident der Landestierärztekammer erklärt, er habe einen Brief an das Sozialministerium geschrieben, von dort aber keine Antwort erhalten. Die in der renommierten Wissenschaftszeitung „Science“ publizierten Warnungen des renommierten Robert-Koch-Instituts wurden jahrelang in den Wind geschlagen. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Arbeitsgruppe Ernährung im Bundestag – hier wären wir jetzt bei Frau Künast, aber bitte wenden Sie sich auch an Ihre Kollegen – behauptete noch 1998, ohne rot zu werden, mit Unterstützung seiner Fraktionskollegen, „die Anwendung antibiotisch wirkender Leistungsförderer stelle bei Einhaltung der im Futtermittelrecht verankerten Anwendungsbedingungen kein gesundheitliches Risiko für den Verbraucher dar.“ Während Herr Miller etwa zum selben Zeitpunkt plötzlich von einem Verbot von Antibiotika in der Schweinemast sprach, haben seine Mitarbeiter noch für den Einsatz von Antibiotika in der Ferkelmast bei den Bauern geworben.

Jahrelang ist es Ihnen, meine Damen und Herren von der Staatsregierung, gelungen, die Gefahr zu leugnen. Auch unsere Warnungen haben Sie seit Jahren in den

Wind geschlagen. Zwar wurde 1997 auf Antrag der Opposition im Landwirtschaftsausschuss beschlossen, das Verbot von Antibiotika im Rahmen des QHB-Programms zu beantragen. Diese Initiative haben Sie zwar mitgetragen, aber was ist daraus geworden? Wir warten noch heute auf die Umsetzung dieses Beschlusses. Weshalb kam es zu dieser Verzögerung?

(Loscher-Frühwald (CSU): Das ist doch Bundesrecht!)

Dann frage ich mich, wieso Ihre Kollegen so einen Beschluss mittragen?

(Loscher-Frühwald (CSU): Sie haben doch auch nicht veranlasst, dass diese Bestimmung geändert wird!)

Es ist doch Augenwischerei, wenn alle Beteiligten so tun, als ginge es nur darum, die schwarzen Schafe aus einer ansonsten lammfrommen Herde zu entfernen.

(Willi Müller (CSU): Meinen Sie damit alle Bauern?)

Wenn Sie sich jetzt auf einen Tierarzt einschießen, dem Sie öffentlich den Prozess machen wollen, dann lenken Sie von den eigentlichen Problemen ab. Der Fehler liegt im System und nicht in einer einzelnen tierärztlichen Praxis.

(Willi Müller (CSU): Sie können doch nicht sagen, dass alle Tierärzte kriminell sind!)

Lieber Kollege, das habe ich nicht gesagt. Erzählen Sie doch keinen Unsinn. Ich habe von Strukturen geredet. Ein einzelner Tierarzt, der mehrere einhundert Betriebe zu betreuen hat und unter wirtschaftlichem Konkurrenzdruck steht, wird den Verlockungen illegaler aber gewinnsteigernder Praktiken leicht unterliegen. Das gilt insbesondere dann, wenn die staatlichen Kontrollen in diesem Bereich amateurhaft sind, wie es der Präsident der Landestierärztekammer, Pschorn, festgestellt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn die Staatsregierung bei der Kontrolle der Landwirtschaft nur einen Teil des Engagements aufgebracht hätte, das sie beim Sammeln von DNA-Proben in bayerischen Gefängnissen aufbringt, wäre es um die Sicherheit und Gesundheit der bayerischen Bürgerinnen und Bürger besser bestellt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei wurden Sie schon 1995 vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz aufgefordert, die fleischhygienischen und arzneimittelrechtlichen Maßnahmen zu verstärken. Die Bundesregierung hat schon 1996 festgestellt, dass die zuständigen Obersten Landesveterinärbehörden ihrer Kontrollpflicht nicht entsprechend nachgekommen sind. Alles das sind Hinweise, auf die man hätte reagieren können. Von allen Seiten sind Sie auf dieses Problem massiv hingewiesen worden, aber auf diesem einen Ohr waren Sie, meine

Damen und Herren von der Staatsregierung, offensichtlich taub.

Bezeichnend ist es, dass Sie einerseits jede Gelegenheit wahrnehmen, um von einer Bedrohung der inneren Sicherheit zu sprechen und dabei alle möglichen Maßnahmen der Kontrolle und Überwachung fordern. Wenn Sie es aber wirklich einmal mit einer massiven Bedrohung von Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu tun haben, ignorieren Sie alle Hinweise.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Fehler liegen nicht bei einzelnen Personen, sie liegen im System der industriellen Nahrungsmittelproduktion begründet. Sie liegen in einem System begründet, das diejenigen Produzenten begünstigt, die sich um eine artgerechte Tierhaltung nicht kümmern und stattdessen hemmungslos auf die Mittel der Veterinärmedizin zurückgreifen. Natürlich lässt sich bei den Schweinen das Wachstum durch Einsatz entsprechender Mittel fördern. Auch jede Krankheit lässt sich mit Antibiotika bekämpfen. Das aber hat Folgen. Auch wenn es den einen oder anderen hier langweilt, diese Folgen möchte ich noch einmal aufführen, damit deutlich wird, wieso es sich bei diesen Praktiken um solche massiven gesundheitlichen Bedrohungen handelt.

Kolibakterien, die bei Schweinen isoliert wurden, waren gegen verschiedene Wirkstoffe zum Teil bis zu 100% resistent. Gleichzeitig haben die Erkrankungen durch giftbildende Kolibakterien bei Schweinen in erschreckendem Maße zugenommen.

Verantwortungsvolle Veterinärmediziner warnen, dass Arzneimittel nicht dazu dienen, mangelhafte Haltungsbedingungen und ein schlampiges Management auszugleichen – so animal-health-online.de.

Das Fazit: Das Problem der Colienterotoxämie löst man nicht mit links. Der Betrieb muss von allen Seiten durchleuchtet werden. Die routinemäßige Anwendung von Antibiotika wird aufgrund der steigenden Anzahl resistenter Colibakterien immer fragwürdiger, auch wenn es bequem erscheint. Ich nehme an, dass Herr Landwirtschaftsminister Miller in der Fragestunde deswegen nicht anwesend war, weil er genau diese Sätze auswendig lernen musste, um in Zukunft eine andere Landwirtschaftspolitik machen zu können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist mehr als peinlich, meine Damen und Herren von der Staatsregierung, wenn Sie jetzt plötzlich den Verbraucherschutz entdecken. Ihre Sorge um die Gesundheit der Verbraucher kommt reichlich spät. Wir werden sehen, wie ernst es dem neuen Verbraucherschutzminister mit seiner Ankündigung ist, zukünftig verstärkt Kontrollen durchführen zu wollen. Wir fragen uns schon, mit welchem Personal? Das kostet natürlich auch etwas. Wir fragen uns auch, mit welcher Ausbildung dieses Personal die Kontrollen vornimmt. Ich glaube, da muss noch einiges getan werden.

Lassen Sie mich nun noch auf einige Fragen eingehen, die wir in unseren Dringlichkeitsanträgen gestellt haben. Vor allen Dingen möchten wir gern von Ihnen hören, warum bisher keine ausreichenden Kontrollen stattgefunden haben. Dies hat heute Morgen auch Minister Weiß nicht sagen können. Wir wollen wissen, warum entsprechende Ermittlungen trotz mehrfacher massiver und deutlicher Hinweise von mehreren Seiten nicht eingeleitet wurden – ich beziehe mich hier auf die anderen Ermittlungen, die noch laufen – und warum Sie die allseits bekannten Gefahren nicht ernst genommen haben. Wir verlangen von Ihnen, dass Sie Ihren Kenntnisstand detailliert offen legen. Wir vermuten, dass in den mit der Problematik befassten Ministerien schon seit langer Zeit genügend Informationen vorhanden sind, dass die dort eingegangenen Hinweise ausgereicht hätten, um aktiv zu werden. Selbst einfache Maßnahmen wurden jedoch nicht ergriffen. Wurde denn den Tierärzten, die in einschlägige Aktionen verwickelt waren, die Approbation entzogen? Sind Sie nicht dem Verdacht nachgegangen, ob Mitarbeiter des Sozialministeriums in Tierarztpraxen beschäftigt waren, die in den Skandal verwickelt sind? Uns ist ein Rätsel, warum Sie so lange gezögert haben. Bei allem Verständnis für Ihre Rücksichtnahme auf Interessen bestimmter Kreise – meine Damen und Herren von der Staatsregierung, selbst in Bayern gibt es Grenzen der Rücksichtnahme.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Um das Wort hat Herr Staatsminister Miller gebeten. Bitte.

Staatsminister Miller (Landwirtschaftsministerium) : Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Wer Tierarzneimittel illegal einsetzt, schadet Verbrauchern und Landwirten gleichermaßen. Wer das tut, verdient keine Nachsicht, sondern eine harte Strafe. Zuständig dafür sind die Justizbehörden.

(Zurufe von der SPD)

Wer Beweise hat und Namen kennt, der soll sie nennen und der soll sie zur Anzeige bringen. Ich sage dies auch an die Opposition gerichtet: Wenn sie Erkenntnisse über kriminelle Machenschaften gehabt hat, hätte sie das längst sagen müssen.