Protocol of the Session on November 9, 2000

(Beifall bei der SPD)

Daran, dass es so sein könnte, mag ich aber nicht glauben.

Von den Menschen, die zu uns kommen, erwarten wir, dass sie die Verfassung, die Gesetze und die öffentliche Ordnung respektieren und einhalten. Natürlich sollen sie auch unsere Sprache erlernen, denn sonst können sie unsere Regeln nicht verstehen. Diese selbstverständlichen Voraussetzungen sind übrigens exakt im neuen Staatsangehörigkeitsrecht so festgeschrieben worden. Das ist das Maß an Gemeinsamkeit, das wir benötigen, um dann möglichst viel Vielfalt in unserem Land miteinander leben zu können. Was wollen Sie darüber hinaus verlangen? Im Übrigen leben Kulturen – auch die unsere – in hohem Maße gerade von Mitgebrachtem und Neuem.

Zur Frage der Zuwanderung gehört auch unser Umgang mit Flüchtlingen, die fleißig bei uns arbeiten, sich gesetzestreu verhalten und dringend als Arbeitskräfte gebraucht werden. Mit zahllosen Petitionen – meist von Arbeitgebern eingebracht – haben wir versucht, einige dieser Menschen zumindest vorübergehend bei uns im Land behalten zu dürfen. Alle diese Eingaben wurden von der CSU-Mehrheit abgelehnt. Dankenswerter Weise hat sich jüngst wieder Kollege Traublinger gegen die überzogene Abschiebepraxis des bayerischen Innenministeriums gewandt.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es kann doch keinen Sinn machen, Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien, die hier als hochgeschätzte und tüchtige Pflegekräfte arbeiten und zum Teil schon gute Sprachkenntnisse erworben haben, nach Hause zu schicken, und dann gleichzeitig ein neues Anwerbeabkommen mit Kroatien abschließen zu müssen. Das kann doch nicht wahr sein.

(Beifall bei der SPD)

Gestatten Sie mir einen kurzen Blick in die Klassenzimmer und auf das bayerische Schulwesen. Bayern hat die niedrigste Abiturientenquote in ganz Deutschland. Gerade für ein Bundesland, das auf neue Intelligenz und neue Technologien setzt, ist dies ein trauriges Ergebnis. Jedes Jahr verlassen fast 10% eines jeden Schülerjahrgangs die Schule ohne jeglichen Schulabschluss. Wir wollen unsere Kinder besser fördern und fordern. Dazu gehört insbesondere, dass wir den Unterrichtsausfall endlich beenden. Unsere Klassen sind zu groß. In den letzten Schuljahren sind sie sogar noch größer geworden. Klassen mit 32 oder 33 Schülern sind ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der SPD)

Dieses Problem – darauf haben wir bei den Haushaltsberatungen einen Schwerpunkt gelegt – kann man nur durch Einstellung zusätzlicher junger Lehrer bewältigen. Das ist auch deshalb notwendig, weil in vielen Lehrerzimmern inzwischen ein Plakat hängt, auf dem ironischerweise steht: „Unser Jüngster wird 50“. Wie soll man verlangen können, dass der Umgang mit neuen Medien tatsächlich bewältigt werden kann, wenn die Kinder auf diesem Gebiet heute mehr wissen als ihre Lehrer? Mittlerweile wird eingeräumt, dass es auf diesem Gebiet Nachholbedarf gibt. Es folgen aber keine Taten. Im Staatshaushalt werden ganze 60 Millionen DM für neue Technologien an den Schulen angesetzt. Das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Allein die Stadt München wendet hierfür 200 Millionen DM auf.

Die Kommunen sind zu Recht sauer. Die Staatsregierung lässt sich für symbolische Aktivitäten feiern, wie den „Bildungspakt Bayern“. Währenddessen bleiben die Kommunen auf den gestiegenen Ausgaben für den Bildungsbereich sitzen. Das gilt für die M-Klassen, für die Schülerbeförderung, für die Mehrkosten durch die R 6, für die Mittags- und Nachmittagsbetreuung, für die ebenfalls die Hauptlast der Finanzierung an den Kommunen hängen bleibt. Wir vergießen hier keine Krokodilstränen, wie Sie meinten, sondern wir beschreiben die Wirklichkeit. Das Land steht bei den Kommunen mit 6 Milliarden DM in der Kreide.

(Mehrlich (SPD): Mindestens!)

Sie sind ein säumiger Zahler, Herr Huber. Sie lassen die Kommunen mittlerweile bis zu zehn Jahren warten, ehe zugesagte Zuschüsse ausbezahlt werden. Wer sich entschulden will – das begrüßen wir –, muss erst einmal damit anfangen, Schulden, die er bei anderen hat, zurückzuzahlen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Immer wieder höre ich Kritik daran, dass Frau Hohlmeier als bayerische Kultusministerin ihre Kinder auf eine Privatschule schickt.

(Mehrlich (SPD): Die weiß, warum!)

Ich mache mir diese Kritik nicht zu eigen.

(Dr. Bernhard (CSU): Aber Sie äußern sie!)

Es ist das gute Recht aller Eltern in Bayern, die Schule für ihre Kinder nach deren individuellen Bedürfnissen frei zu wählen. Das steht selbstverständlich auch der Kultusministerin zu. Nun kommt aber der entscheidende Punkt, Herr Dr. Bernhard, und deshalb trage ich dies hier vor: Ich würde mir wünschen, dass die Vorzüge einer Schule, in der die Förderung der Kinder in den Mittelpunkt gerückt wird und es keinen Zeugnisdruck gibt, auch das öffentliche Schulsystem auszeichnen würden.

(Beifall bei der SPD)

Das Gleiche gilt für die Ganztagsbetreuung. Ich verstehe sehr gut, dass eine Ministerin eine Schule braucht, in der sie ihre Kinder ganztags gut aufgehoben weiß.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Das gilt für alle!)

Aber in dieser Lage sind Hunderttausende von anderen Müttern auch. Das ist das Problem.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Ich meine, auch für diese Eltern sollte endlich der Wunsch, Kinder bekommen zu können, erfüllbar werden, ohne gleichzeitig auf Beruf und Karriere verzichten zu müssen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist der verstärkte Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen in Bayern dringend notwendig. Ein Versorgungsgrad mit Krippenplätzen von sage und schreibe 1,2% und mit Hortplätzen von 2,6% ist eine Schande für Ihre Politik.

(Beifall bei der SPD)

Mit diesen Zahlen bildet Bayern das absolute Schlusslicht, und das ist kein Zufall. Dafür sind nicht finanzielle Gründe die Hauptursache, sondern das Rollenbild, welches die CSU leider noch immer für die Frauen bereit hält. Den Innovationspreis für die moderne Familie werden Sie damit jedenfalls nicht erhalten.

(Beifall bei der SPD)

Machen wir die Familie zu einem Zukunftsmodell. Lassen Sie uns die Betreuungsmöglichkeiten endlich deutlich verbessern. Unterstützen Sie den Kurs der SPD auf Bundesebene, das Kindergeld, das wir bereits zweimal angehoben haben, weiter zu erhöhen. Spielen Sie bitte nicht den Anwalt der Familie, das ist lächerlich. Sie sind vom Bundesverfassungsgericht für Ihre familienfeindliche Politik verurteilt worden. Das war eine böse Klatsche.

(Beifall bei der SPD)

Unser Leitbild für Bayern ist das einer solidarischen Leistungsgesellschaft. Für uns misst sich der Wert einer Gesellschaft nicht daran, wie sie mit den stärksten, sondern wie sie mit den schwächsten Menschen umgeht, zum Beispiel mit den Alten und den Pflegebedürftigen. Deshalb brauchen wir mehr Zuwendung und mehr Personal in der Altenpflege. Wir haben deshalb für den neuen Doppelhaushalt erneut beantragt, dass pro Jahr zusätzliche 200 Millionen DM zur Verbesserung der personellen Situation in der Altenpflege bereitgestellt werden. Die ganze Gesellschaft besteht aus allen ihren Mitgliedern und nicht nur aus denjenigen, die stark sind und Leistung bringen. Die Gesellschaft besteht auch aus den Alten und den Schwachen. Es ist für ein modernes und reiches Land eine Schande, wenn diejenigen, die auf Hilfe angewiesen sind, vergessen werden und leiden müssen.

(Beifall bei der SPD – Ach (CSU): Die Frage ist: Wie finanzieren!)

Wir wollen das Leitbild einer solidarischen Leistungsgesellschaft auch auf die Rolle Bayerns in Deutschland und Europa übertragen. Hier möchte ich gerne an ein Wort meines Vornamens-Vetters Franz Josef Strauß anknüpfen.

(Heiterkeit bei der CSU)

Ja, auch mir ist erlaubt, ihn zu zitieren. Er hat viele Sätze, vor allem aber einen schönen Satz gesagt. Sein Motto war: Bayern meine Heimat, Deutschland mein Vaterland, Europa unsere Zukunft. Das gefällt mir. Was hat Herr Stoiber aber daraus gemacht? Bayern meine Alpenfestung, Berlin mein Feindbild, Brüssel mein Prügelknabe.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD)

Herr Huber, das gefällt mir nicht.

(Zuruf von der SPD: Literaturpreis!)

Föderalismus bedeutet für uns Kooperation, nicht Konfrontation. Wir wollen den solidarischen Wettbewerb der Länder. Wir wollen eine klare Trennung der Gesetzgebungskompetenzen und eine Rückverlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen vom Bund auf die Länder.

(Zuruf von der SPD: Ja, das wollen wir!)

Leitlinie soll sein, dass die Länder künftig für bestimmte Bereiche eigenständige Regelungen treffen können, die nur in begründeten Fällen durch den Bund verhindert oder zurückgenommen werden dürfen. Diese Vorranggesetzgebung der Länder wäre ein echter Beitrag zur Stärkung des Föderalismus. Dabei müssen wir allerdings darauf achten, Herr Kollege Glück, dass auch die Parlamente zu ihrem Recht kommen und nicht nur die Länderregierungen.

(Beifall bei der SPD)

Wer übrigens für Föderalismus und Subsidiarität einsteht, muss dies ebenso im eigenen Lande tun.

(Beifall bei der SPD)

Sie beklagen den angeblichen Zentralismus in Brüssel und in Berlin, den tatsächlichen Zentralismus in Bayern aber verschweigen Sie.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abgeordneten Ruth Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich bin gleich fertig, Ruth. Auch wir halten eine Reform des Länderfinanzausgleichs für geboten.

(Zuruf von der CSU: Hört, hört!)

Das Maß an Nivellierung, das heute über den vertikalen und horizontalen Ausgleich erfolgt, ist zu groß und bietet zu wenig Anreize zum Wettbewerb zwischen den Ländern.