Protocol of the Session on October 18, 2000

Vor zwei Jahren, am 27. November 1998, tönte die Staatskanzlei noch: „Stoiber: Zusammenschluss Viag – Alusuisse Lonza schafft sechstgrößten Industriekonzern Deutschlands mit Sitz in München.“ Alle diese vor zwei Jahren gemachten Aussagen sind heute Schall und Rauch. Wie wurde die Verlegung des Viag-Firmensitzes von Bonn nach München bejubelt; jetzt wandert er zurück nach Düsseldorf. Die SKW Trostberg, das Spezialchemieunternehmen, fusioniert mit Degussa, der Name verschwindet, der Firmensitz ist künftig Düsseldorf. Die „Süddeutsche Zeitung“ vom 20. September brachte es auf den Punkt: „Aus dem Merger of Equals“ wurde eine Übernahme. Die erfolgreiche Viag Intercom wird eine britische Firma. Ich habe persönlich kein Vertrauen zu den verabreichten Beruhigungspillen aus der Staatskanzlei.

Was von Beteuerungen internationaler Telefonkonzerne zu halten ist, haben wir bei der Atecs, dem Maschinenbaubereich von Mannesmann, gesehen. Der versprochene Börsengang der Firma, mit 23000 Arbeitsplätzen in Bayern bei Rexroth, Sachs und Krauss Maffei unterblieb; stattdessen erfolgte ein von der Staatsregierung unterstützter Verkauf an das Konsortium Siemens/Bosch mit anschließender Zerlegung des Unternehmens. Herr Stoiber hat auch das Rover-Abenteuer von BMW wärmstens begrüßt. Der Ausgang ist bekannt: 10 Milliarden gingen den Bach runter.

Zur Privatisierungspolitik der Staatsregierung gibt es eine bemerkenswerte Presseerklärung des Finanzministeriums vom 12. Mai 2000. Ich zitiere:

Der Freistaat Bayern hat im Rahmen seiner Privatisierungspolitik substantielle Vermögenswerte abgegeben, das heißt sein sprichwörtliches Tafelsilber veräußert. Das sind über viele Jahre geschaffene Werte.

So das Finanzministerium.

Bayern verlor mit den lukrativen Unternehmensbeteiligungen auch die Chancen auf zukünftig mögliche Erträgnisse.

Meine Damen und Herren, jetzt, nachdem man eine Begründung für die Beteiligung an den UMTS-Erlösen sucht, bequemt man sich sogar zur Wahrheit. Wir stellen fest: Zuerst lautete das Motto der Staatsregierung: Nicht besitzen, sondern gestalten. Heute heißt es: Weder besitzen noch gestalten.

(Beifall bei der SPD)

Gestaltungskraft ist vor allem in der Regionalpolitik gefragt, die Herr Wiesheu angesprochen hat. Unser neuer Landesvorsitzender, Wolfgang Hoderlein, hat Recht, wenn er beklagt: „In keinem Flächenland der Bundesrepublik ist das wirtschaftliche Gefälle größer als im Freistaat.“ Das gilt für die Arbeitslosigkeit, die Wirtschaftskraft und die Einkommenslage gleichermaßen.

(Dr. Bernhard (CSU): Das alles ist auf hohem Niveau!)

Ja, Herr Kollege Bernhard. 23,56% des Bruttoinlandsprodukts in Bayern werden allein in der Landeshauptstadt München erwirtschaftet. Ich wundere mich immer wieder über die Unverfrorenheit der Staatsregierung, sich dies auf ihre Fahnen schreiben zu wollen. Das ist aber ein Verdienst der SPD-Oberbürgermeister von Thomas Wimmer bis Christian Ude.

(Beifall bei der SPD – Dr. Bernhard (CSU): Der Oberbürgermeister wollte doch alles verhindern: Neue Messe, Flughafen, alles!)

Besonders besorgniserregend für die Zukunftsentwicklung ist der „Technologieatlas“ der „Wirtschaftswoche„ vom 30. März dieses Jahres. In der technologischen Leistungsfähigkeit der 97 Raumordnungsregionen der Bundesrepublik liegen zwar München, Regensburg und Nürnberg-Erlangen an erster, dritter und siebter Stelle – das ist sehr erfreulich –, aber Main-Rhön, Westmittelfranken und Oberfranken-Ost liegen an 66., 73. und 92. Stelle der 97 Planungsregionen in der Bundesrepublik. „Stoiber spaltet Bayern“ – das ist das Motto unseres neuen Landesvorsitzenden Wolfgang Hoderlein.

(Beifall bei der SPD)

Wir als SPD-Fraktion fordern: Wir müssen die Regionen in Bayern zusammenführen. Wir müssen gleichwertige Lebensbedingungen in allen Teilen unseres Landes schaffen. Die viel gescholtene EU hat ihre regionalen Fördermittel in Bayern mehr als verdoppelt. Jetzt muss die Staatsregierung handeln. Wir haben einen Antrag zur Erhöhung der regionalen Fördermittel gestellt.

Meine Damen und Herren, wir setzen große Hoffnung in den Regionalteil der Hightech-Offensive. Es ist in den Regionen und in den Regierungspräsidien gute Arbeit geleistet worden. Leider müssen wir aber feststellen, Herr Huber, dass Bürokratismus und Zentralismus fröhliche Urstände feiern. Freuen können sich die großen Beratungsgesellschaften über die schönen Aufträge. Der bombastischen Verkündigungsveranstaltung am 7. Juni 1998 – vor der Wahl – vor fast 2000 Gästen und der Regierungserklärung Stoibers am 12. Oktober 1998 – nach der Wahl – ging ein Millionenauftrag an Roland Berger und McKinsey voraus.

Die folgende Arbeit in den Regionen wurde durch ständige Änderungen in den Projektbedingungen sehr erschwert. Das Programm war nämlich nicht bei der EU notifiziert worden. So mussten alle gewerblichen Projekte in die bestehenden, dafür selbstverständlich nicht geschaffenen Förderprojekte gepresst werden. Die endgültige Auswahl der Projekte erfolgte durch Beratungsgesellschaften in den Regierungsbezirken, etwa Arthur D. Little für Niederbayern und Oberpfalz. Als Projektträger fungieren jetzt außerbayerische Institutionen, beispielsweise das Kernforschungszentrum in Jülich oder das VDI-Zentrum in Teltow bei Berlin. „Zentraler Oberrevisor“ bei allem ist wiederum für 5 Millionen DM die CSCPloenzke AG, ein großes Beratungsunternehmen.

Was für ein riesiger Planungs-, Kontroll- und Koordinierungsaufwand, zwischen Unternehmen, Kammern, Bezirksregierungen, Ministerien – bis zu sieben pro Pro

jekt –, Staatskanzlei, Gutachtern, Projektträgern und zentraler Aufsicht! Das Ganze muss für die Beteiligten und für jeden Bürokratieforscher eine große Freude sein. Die hoffnungsvollen regionalpolitischen Ansätze drohen dabei auf der Strecke zu bleiben. Wir sind trotzdem auch weiterhin bereit, Herr Huber, konstruktiv mitzuarbeiten.

Für den Wirtschaftsstandort Bayern ist eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur von existenzieller Bedeutung. Sie haben das betont. Staatsregierung und CSU sind voll der Klage über zu wenig Geld aus Berlin für Autobahnen, Bundesstraßen, vor allem aber für die Schienenwege. Ich wundere mich schon über die Unverfrorenheit, dass Sie, nach jahrzehntelanger Beteiligung an der Bundesregierung in der Sie die Bahn vernachlässigt haben, heute, nach zwei Jahren, verlangen, dass alles auf Vordermann gebracht werden sollte.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir von der bayerischen SPD handeln und wir haben gehandelt. Neben dem Investitions- und Anti-Stauprogramm kommen weitere 143,5 Millionen DM aus der Aufhebung der globalen Minderausgaben im Verkehrsetat nach Bayern, mit dem Vorschlag des Ausbaus der A 3 bei Aschaffenburg an erster Stelle. Ich hoffe, dass dies auch so bleibt.

Wir erwarten weitere Gelder für die Verkehrsinfrastruktur aus den Zinsersparnissen durch die Schuldentilgung aus den UMTS-Erlösen. Meine Damen und Herren, wer ständig die Bundesregierung kritisiert, muss zuerst seine eigenen Hausaufgaben machen. Tun Sie deshalb mehr für die jahrzehntelang vernachlässigten Staatsstraßen, denn die gehören auch zur Verkehrsinfrastruktur.

(Beifall bei der SPD)

Wir erinnern an mehrere massive Prüfberichte des Obersten Rechnungshofes. Der neue Ausbauplan ist ebenfalls unterfinanziert. Die Region Bayerischer Untermain, Aschaffenburg, hat den Ausbauplan als unzureichend abgelehnt und zur Überarbeitung an die Regierung zurückgegeben. Das ist ein Beispiel, das Schule machen sollte. Wir werden hier im Landtag bei der Beratung des Haushalts 03 B eine Erhöhung der Gelder für den Staatsstraßenbau beantragen.

(Zuruf eines Abgeordneten der CSU: Na so was!)

Ja. Ich hoffe, dass Sie den 50 Millionen, die wir beantragen werden, dann auch zustimmen.

Meine Damen und Herren, ein guter Wirtschaftsminister muss über den Tellerrand seines Ressorts blicken. Er sollte sich auch deutlich vernehmbar zu wichtigen politischen Themen mit Auswirkungen auf die Wirtschaft äußern und die Richtung der Regierung beeinflussen. Sonst degeneriert er zum reinen Gewerbeminister. Herr Staatsminister Wiesheu, Ihnen droht diese Gefahr.

Hier das erste Beispiel: Das Stiftungsgesetz zu Entschädigung der Zwangsarbeiter im Dritten Reich war nach 16 Jahren Untätigkeit der Regierung Kohl ein Akt morali

scher Wiedergutmachung und ein wichtiges Zeichen für das Ansehen unseres Landes.

(Beifall bei der SPD)

Bundeskanzler Schröder, Außenminister Fischer und Graf Lambsdorff verdienen dafür Anerkennung. Die Wirtschaft sieht sich nach den letzten Verlautbarungen „nicht so bald in der Lage“, ihren hälftigen Anteil von 5 Milliarden DM an den Entschädigungsleistungen zu erbringen. Erst 3,2 Milliarden DM seien von Unternehmen eingezahlt. Entgegen den Absprachen sollen die Zahlungen der ehemaligen staatlichen Unternehmungen Telecom, Post usw. nicht dem staatlichen Anteil zugerechnet werden. So äußerte sich BDI-Präsident Henkel. Die SPDFraktion fordert: Es muss Schluss sein mit diesem unwürdigen Gefeilsche um die Gelder.

(Beifall bei der SPD)

Die hartleibigen Krämerseelen in der Wirtschaft sollen sich endlich zur gemeinsamen geschichtlichen Verantwortung bekennen.

(Beifall bei der SPD)

Wir fordern auch, die Stiftungsinitiative soll endlich die Namen der säumigen Zahler veröffentlichen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es hätte dem bayerischen Ministerpräsidenten und dem Wirtschaftsminister auch in der heutigen Haushaltsrede gut angestanden, an die säumigen bayerischen Unternehmer zu appellieren und Druck auszuüben, damit diese endlich ihrer moralischen Verpflichtung nachkommen.

(Beifall bei der SPD)

Wir fragen auch: Wie steht es mit der Zahlungsmoral von Unternehmen mit staatlicher Beteiligung? Auch das wollen wir gerne wissen. Die unterfränkischen SPD-Abgeordneten waren jüngst sehr beeindruckt, als sie von der freiwilligen Zahlung eines jungen Würzburger Hoteliers erfuhren. Dank und Respekt vor einer solchen Geste, die Nachahmer finden sollte. Ein Fehlschlag der ganzen Aktion, wenn die Wirtschaft das Geld nicht zusammenbringt, ist nicht nur eine Schande für die Wirtschaft, sondern das wäre eine Schande für ganz Deutschland.

(Beifall bei der SPD)

Hier ein zweites Beispiel, bei dem Sie, Herr Wiesheu, die allgemeine politische Debatte beleben sollten: das Thema Zuwanderung ausländischer Fachkräfte. Dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt. Hier überlässt der Wirtschaftsminister das Feld vollkommen dem Innenminister.

Was sagt Herr Wiesheu zu den Forderungen des Deutschen Industrie- und Handelstages und vieler anderer nach einem modernen und umfassenden Einwanderungsgesetz, um den künftigen Bedarf an Fachkräften angesichts unserer demographischen Situation decken

zu können? Was sagt der Wirtschaftsminister zur Absicht des Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU im Bundestag und des CSU-Generalsekretärs Thomas Goppel, das Thema Zuwanderung in den Mittelpunkt künftiger Wahlkämpfe zu stellen? Heute Vormittag habe ich im Radio gehört, Herr Merz rudere zurück und sage, er sei für die Zuwanderung von 200000. Jetzt ist Herr Goppel allein. Was sagen Sie, Herr Wiesheu, zu diesem zentralen Thema auch der bayerischen Wirtschaft? Sie haben dazu heute geschwiegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es stünde dem Wirtschaftsminister Wiesheu auch gut an, auf die verheerenden Folgen rechtsradikaler Umtriebe hinzuweisen. München als Verlagsort der „Nationalzeitung“ und als DVU-Zentrale ist wahrlich kein Aushängeschild für unseren Wirtschaftsstandort.

Drittes Beispiel: Wir fordern, statt den Menschen Angst einzujagen, sollte die Staatsregierung mit uns um Vertrauen für den Euro werben.

Kollege Kaiser, ich bitte Sie, zum Ende zu kommen, weil die 30 Minuten schon seit einer Weile vorbei sind.

Ich komme zum Ende meiner Rede.

Vor diesem Hintergrund lautet die Grundbotschaft unserer Politik, alles zu tun, um die Zukunftsfähigkeit Bayerns zu sichern. Wir sind sehr dankbar für das Chancenpapier 2020, mit dem wir uns sehr eingehend beschäftigt haben und noch eingehender beschäftigen werden. Das Bemühen um ökonomische, ökologische, soziale und schließlich auch demokratische Zukunftsfähigkeit setzen wir gegen den Populismus der Regierung Stoiber, gegen eine Politik der Fundamentalopposition des Landes gegen Berlin, die in erster Linie parteipolitischen und persönlichen Machtinteressen dient. Deshalb lehnen wir den Haushalt des Wirtschaftsministers ab.