Protocol of the Session on July 11, 2000

Wir müssen Spielräume für Menschen schaffen, die uns nutzen, und Spielräume für die reduzieren, die uns nur ausnutzen. Die Gesamtzuwanderung wollen wir nicht erhöhen. Deshalb täuschen Sie sich in dem Glauben, wir hätten unsere Koordinaten verändert. Keine Spur. Vor massenhafter Zuwanderung können wir nur warnen. Es geht nicht an, wie die UNO jährlich 500000 als Minimum und etwa 1,5 Millionen DM als Optimum der Nettozuwanderung zu fordern. Denn damit würden wir Riesenintegrationsprobleme schaffen, die zwangsläufig entstünden, wenn in den Jahren 2010 bis 2012 die ersten deutschen Städte keine deutsche Bevölkerungsmehrheit mehr hätten.

Ich freue mich sehr darüber, dass sich die Redner der GRÜNEN heute mit großartiger Begeisterung für die Technik engagiert haben. Denn bislang haben die GRÜNEN Technik in allen Bereichen blockiert.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke dabei an Risikoanalysen, an die Kommunikationstechnologie, an die Biotechnik und an die Kerntechnik.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was verstehen Sie denn von Technik?)

Sie waren immer die großen Technikfeinde und wollen sich jetzt als Technikfreaks profilieren. Das wird Ihnen aber kaum jemand abnehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wahrscheinlich werden wir schon 2003 – vielleicht einige Jahre später – die Osterweiterung der EU bekommen. Das wird den Arbeitsmarkt in Ostbayern für eine Übergangszeit drastisch verändern. Es sei denn es kommt eine Übergangsregelung, das heißt, keine Freizügigkeit von Anfang an, die Herr Verheugen aber ablehnt.

(Hoderlein (SPD): Stimmt nicht!)

Die Vorlage der EU-Kommission, die Herr Verheugen mit unterschrieben hat, sieht keine Übergangsregelung vor. Und Herr Vitorino, mit dem ich ein langes Gespräch darüber geführt habe, sagt, eine solche Übergangsregelung wäre kaum durchzusetzen. Denn die Beitrittsländer wollen vor allem deswegen schnell beitreten, weil sie auf Freizügigkeit hoffen. Deshalb müssen wir parteiübergreifend dafür eintreten, dass Übergangsregelungen formuliert werden. Sonst kommt es zu massiven Verwerfungen auf unserem Arbeitsmarkt, die durch die unterschiedlichen Löhne in Nordbayern und der tschechischen Republik sozusagen vorprogrammiert sind.

(Hoderlein (SPD): Eine Übergangsregelung wird ausdrücklich begrüßt!)

Darüber hinaus wäre mit schweren sozialen Spannungen zu rechnen.

Ich halte nichts davon, wie die GRÜNEN Integrationsprobleme zu verschweigen. Die Staatsregierung hat im vergangenen Jahr den bundesweit umfassendsten Integrationsbericht vorgelegt. Alle anderen Bundesländer erkennen die führende Rolle Bayerns in der Integration an. Trotzdem gibt es Riesenprobleme. Ich freue mich sehr, dass Frau Schmidt ausdrücklich erklärt hat, sie unterstütze unsere Forderung nach einer Sprachprüfung. Die jetzt in Rede stehende Verschärfung besteht lediglich darin, dass null Punkte in der schriftlichen Sprachprüfung nicht durch mündliche Leistungen ausgeglichen werden können. Eine darüber hinausgehende Verschärfung wird es nicht geben.

Für Analphabeten haben wir eine Sonderregelung getroffen. Sie brauchen selbstverständlich keine schriftliche Prüfung zu machen. Es geht aber nicht an, dass jemand, der Türkisch schreiben kann, immer fremde Hilfe braucht, wenn er sich schriftlich in Deutsch ausdrücken soll. Die öffentliche Berichterstattung, die hierüber insbesondere in den beiden Nürnberger Zeitungen gelaufen ist, war aus meiner Sicht höchst missverständlich.

Ich halte es aber für durchaus interessant, auch im Zusammenhang mit dem Familiennachzug verstärkt auf Integration zu achten und beispielsweise anzustreben, dass Integrationskurse für diejenigen vorgeschrieben werden, die zuwandern. Eventuell könnten Anreize dafür geschaffen werden, entsprechende Sprach- und Integra

tionskurse zu besuchen. So habe ich vorgeschlagen, den nachreisenden Familienangehörigen, die bereits vor dem Zuzug deutsche Sprachkenntnisse erworben haben, früher eine Arbeitserlaubnis zu erteilen. Auf diese Weise könnte die Desintegration, wie wir sie in bestimmten Bevölkerungsschichten feststellen müssen, erheblich reduziert werden.

Nun noch eine kurze abschließende Bemerkung. Ich will die Diskussion nicht unnötig verlängern.

(Frau Renate Schmidt (SPD): Sie haben sie schon verlängert!)

Wenn Sie mich dazu auffordern, werde ich noch mehr sagen.

(Frau Renate Schmidt (SPD): Sie haben auf die Uhr geschaut, nicht wahr?)

Am Freitag wird der Bundesrat ausführlich über dieses Thema diskutieren. Ich werde, wie vom Kabinett heute beschlossen, gegen die Einführung der Green Card stimmen, weil die vorgesehene Regelung aus unserer Sicht schlecht und zudem missverständlich ist. Herr Kollege Herrmann hat schon darauf hingewiesen: Die USamerikanische Green Card ist ein Immigranten-, kein Arbeitsvisum. Ein Immigrantenvisum ist völlig unabhängig von einem eventuell bestehenden Arbeitsverhältnis.

Frau Kollegin Schmidt, übrigens schließt die vorgesehene Green-Card-Regelung nicht aus, dass jemand, der dieses Visum erhalten hat, dann aber beispielsweise keine Arbeitsstelle findet oder die Probezeit nicht besteht, auf Kosten der hiesigen Sozialsysteme im Land bleibt. Denn die in Rede stehende Vorschrift sieht weder eine Befristung noch eine Anknüpfung an ein bestehendes Arbeitsverhältnis vor. Das ist bei der Blue Card der Fall, nicht aber bei der Green Card.

Wir werden die Green-Card-Lösung ablehnen, weil wir meinen, dass die bereits eingeführte Blue Card, die übrigens in diesen Tagen auch in Hessen eingeführt werden wird, einen schnellen und flexiblen, ja, den richtigen Weg darstellt, wenn es darum geht, Personalengpässe in den Hightech-Branchen zu beseitigen.

Frau Schmidt, offensichtlich haben Sie es nicht bemerkt: Ein derartiges Visum führen wir jetzt nicht zum ersten Mal ein. Vielmehr praktizieren wir eine derartige Regelung bereits seit etwa zwei Jahren. Diese sieht eine Verschweigensfrist für Studenten vor sowie die schnelle, unbürokratische Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bei Wissenschaftlern, die in der Regel keine Arbeitsgenehmigung brauchen. Damit tragen wir der Internationalisierung und der Globalisierung der Wirtschaft Rechnung. Wir haben auch im Hinblick auf humanitäre Fragen keinen Nachhilfeunterricht nötig. Da wir über dieses Thema erst vor zwei Wochen diskutiert haben, will ich es jetzt nicht aufgreifen. Doch bin ich sicher, dass Kollegen dies noch tun werden.

(Beifall bei der CSU)

Als nächster Redner hat Herr Kollege Dr. Rabenstein das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich möchte zunächst Herrn Dr. Stoiber und Herrn Dr. Beckstein gratulieren. Denn es ist schon etwas Besonderes, wenn es jemandem gelingt, die eigenen Leute auf dem Zickzackkurs zu halten, den wir jetzt erleben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich gehöre diesem Landtag seit zwei Jahren an. In dieser Zeit habe ich nie eine derartige Kehrtwendung erlebt wie jetzt. Besonders stark zu spüren ist diese Entwicklung in den Diskussionen im Petitionsausschuss. Noch vor wenigen Monaten hat die CSU Einwanderung und jede Diskussion darüber gescheut wie der Teufel das Weihwasser. In diesem Zusammenhang wurde auch in diesem Hohen Hause die Green Card verdammt. Aber nun versucht man – ich muss sagen: versucht man –, dasselbe, lediglich mit einem neuen Namen versehen, in einer Nacht- und Nebelaktion einzuführen und dieses Plagiat – nichts anderes liegt vor – als einen Riesenerfolg zu verkaufen. Das kann man nicht machen. Ich wundere mich darüber, dass die Kolleginnen und Kollegen von der CSU-Fraktion die beschriebene Kehrtwendung so einfach mitmachen.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt müssen wir uns fragen: Warum dieser Gesinnungswandel? – Es wird mehrere Gründe dafür geben. Ich glaube, der Druck aus den betroffenen Betrieben, aus der Hightech-Industrie, aus den betreffenden Branchen war so stark, dass man trotz der praktizierten Fundamentalopposition gegen die Green Card nicht anders konnte, als nachzugeben. So kam man plötzlich auf die Idee mit der Blue Card. Dass die Blue Card nichts anderes ist als eine Green Card, sieht man an den Bezeichnungen. Ich frage mich: Warum hat man nicht einfach die Green Card übernommen, eventuell in etwas modifizierter Form? Herr Minister Dr. Beckstein hat es doch gerade gesagt: Im Bundesrat möchte er gegen die Green Card stimmen. Das ist aus meiner Sicht unlogisch. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, hier wird eines deutlich: Herrn Dr. Stoiber geht es nicht um die Sache, sondern schlicht darum, sinnvolle Lösungen zu boykottieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Genau das, was Herr Dr. Stoiber stets an Herrn Lafontaine kritisiert hat, nämlich das Boykottieren von allem, praktiziert er jetzt selbst, und zwar in potenzierter Form.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Dr. Stoiber – ich hoffe, Sie hören mich jetzt zumindest über den Lautsprecher in Ihrem Büro –, Herr Dr. Stoiber, für diese Haltung bekommen Sie von mir – von einer gelben Karte kann ich jetzt nicht sprechen – die „Yellow Card“. Ich hoffe, dass Sie von den Wählerinnen und Wählern dann die „Red Card“ erhalten.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CSU)

Zur Sache noch einige Anmerkungen. Die Vorteile der Green Card wurden schon genannt. Was in dem Zusammenhang gesagt wurde, unterstütze ich weitestgehend. Die rot-grüne Koalition wird den Wirtschaftsaufschwung durch Einführung der Green Card mit Sicherheit noch stärker fördern als bisher. Folgendes ist mir auch klar: Massenhafte Zuwanderung ist nicht möglich. Deutschland bzw. Bayern kann nicht sämtliche Migrationsprobleme lösen. Was mich an der Diskussion über dieses Thema stört, ist die Art, in der mit Menschen aus anderen Ländern umgegangen wird, übrigens auch sprachlich. Menschen, die wir ausnutzen können, die sind uns willkommen. Die anderen sollen gehen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, hier wird der Mensch nicht mehr als menschliche Kreatur angesehen, sondern als Ware. Der Warencharakter zwischenmenschlicher Beziehungen wird hier deutlich. Wir wollen Menschen bei uns haben, solange sie uns nutzen. Sobald sie uns in irgendeiner Art zur Last werden, wollen wir sie ohne Rücksicht auf Verluste abschieben.

(Zuruf des Abgeordneten Christ (CSU))

Das ist nichts anderes als Ex-und-hopp-Politik auf Kosten von Menschen. Ich möchte es noch einmal ganz deutlich sagen: Wir haben es hier nicht mit Maschinen zu tun, die man einschaltet, die gut sind, solange sie laufen, und die man auf den Schrott wirft, wenn sie nicht mehr laufen. Zu uns kommen Menschen. Sie verdienen es, als solche behandelt zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich halte – dieser Gesichtspunkt ist schon angesprochen worden – die Verknüpfung von Einwanderungs- und Asylrecht für äußerst gefährlich. Asyl und Einwanderung sind zwei Paar Stiefel. Wir dürfen nicht zulassen, dass es unter dem Deckmantel der Blue Card zu einer Einschränkung des Asylrechts kommt. Denn das würde de facto zur Abschaffung des Asyls führen.

Herr Kollege, ich bitte Sie darum, Ihren Redebeitrag zu beenden. Sie haben Ihre Redezeit schon erheblich überzogen.

Ein Letztes noch. – Ich glaube, wir müssen aufpassen, dass wir bei diesem sensiblen Thema nicht der Fremdenfeindlichkeit Vorschub leisten, die latent immer noch besteht. Wer mit dem Finger auf den Asylbewerber aus Afrika zeigt, braucht sich nicht zu wundern, wenn der IT-Spezialist aus Indien lieber nach Amerika geht als nach Deutschland bzw. Bayern. Wir sollten ein weltoffenes, ein für alle Menschen offenes Land sein.

(Beifall bei der SPD)

Der nächste Redner ist Herr Kollege Welnhofer.

Herr Präsident, Hohes Haus! Es ist leider wie so oft: Ideologische Scheuklappen verstellen den GRÜNEN den Blick für die wirklichen Probleme.

(Beifall bei der CSU)

Bayern braucht nicht Einwanderung, sondern es braucht Fachkräfte auf Zeit, die dem deutschen Arbeitsmarkt gegenwärtig nicht zur Verfügung stehen. Darüber hinaus – das haben wir immer anerkannt – ist es uns von der CSU vorrangig ein Anliegen, dass diejenigen, die ein Bleiberecht auf Dauer haben, bei uns integriert werden.

Der bayerische Innenminister hat völlig recht: Wir brauchen mehr Immigranten, die Deutschland nützen und weniger, die uns ausnützen. Deswegen ist die Blue Card auch genau die richtige Antwort auf die gegenwärtige Situation.

Ob jemand ein Aufenthaltsrecht erhält, soll sich vorrangig nach den Interessen der Bundesrepublik und nicht nach den Wünschen Immigrationswilliger richten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir darüber hinaus unseren Beitrag für in Not geratene Menschen leisten, zeigt sich daran, dass die Länder Bayern und Baden-Württemberg zusammen über die Hälfte der jugoslawischen Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen haben. Die tragenden Grundsätze unserer Ausländerpolitik haben sich überhaupt nicht geändert. Selbstverständlich bleiben wir dabei, dass Deutschland und Bayern keine Einwanderungsländer im klassischen Sinne sind. Wir laden vielmehr andere ein, uns bei dem, was wir auf dem Arbeitsmarkt zurzeit nicht leisten können, zu helfen.

Uns ist vorgehalten worden, dass wir in einer Kehrtwendung ein Einwanderungsgesetz forderten. Das ist nicht wahr. Wir haben immer gesagt, dass wir ein Zuwanderungsgesetz brauchen und hinzugefügt, dass dies in erster Linie ein Regulierungsgesetz – wenn Sie so wollen auch ein Begrenzungsgesetz – sein muss, aber kein Gesetz, mit dem Deutschland und Bayern zu Einwanderungsländern gemacht werden. Das sehen wir heute noch ganz genauso.