Protocol of the Session on March 22, 2000

Hier stimmen wir überein. Wir möchten aber konstruktiv nach Wegen suchen, unsere legitimen Interessen mög

lichst weitgehend durchzusetzen und nicht destruktiv eine Anti-Europa-Stimmung erzeugen.

(Beifall bei der SPD – Dr. Bernhard CSU: Wenn dies ein anderer sagt, ist es destruktiv; wenn Sie es sagen, nicht!)

Sie stellen, wie wir auch, richtige und wichtige Forderungen, aber Sie versehen diese Forderungen dann sofort mit der Drohung an die Bundesregierung, die Ratifizierung der Beschlüsse der laufenden Regierungskonferenz zu verweigern, falls Ihre Forderungen nicht erfüllt werden.

(Dr. Bernhard CSU: Was ist denn daran schlimm?)

Henning Scherf hat in der Debatte am 4. Februar im Bundesrat gesagt, dass der Bundeskanzler leider vergeblich versucht hat, die Tagesordnung der Regierungskonferenz um die Frage der Kompetenzabgrenzung zu erweitern. Auch Sie müssen lernen zu begreifen, dass Föderalismus und Realismus nicht von vornherein Gegensätze sind und dass Deutschland einer von 15 Mitgliedstaaten ist und nicht das alleinige Sagen hat

Auch wir wollen, dass sich die Europäische Union nicht zunehmend Zuständigkeiten holt, die nationale, regionale und kommunale Zuständigkeiten sind und bleiben sollen. Ich habe einige davon genannt. Dennoch halte ich es für absolut unrealistisch, den zugegebenermaßen etwas schmalbrüstigen Katalog der laufenden Regierungskonferenz zu erweitern. Ich hielte es deshalb für einen substanziellen Erfolg, wenn am Schluss dieser Regierungskonferenz ein konkreter Auftrag zur Kompetenzabgrenzung und zur Daseinsvorsorge für die nächste Regierungskonferenz herauskäme. Dazu braucht man Verbündete. Verbündete braucht man auch, wenn es um die Inhalte der Kompetenzbegrenzung in Europa geht. Alleine schaffen wir in Europa gar nichts.

Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen, Herr Ministerpräsident, gerade dieses Thema Kompetenzbegrenzung ist ein ungeheuer schwieriges. Derzeit würde eine Diskussion darüber eher das genaue Gegenteil bewirken. Die meisten Mitgliedstaaten der Union wollen – ich sage: leider – eher eine Kompetenzerweiterung der Europäischen Union als eine Kompetenzbegrenzung, weil sie sich dadurch zusätzliche finanzielle Mittel erhoffen. Wer etwas erreichen will, muss also im deutschen und bayerischen Interesse in aller Behutsamkeit vorgehen, muss um Verbündete werben und darf nicht nach dem Motto „mir san mir“ oder „da muss sich die EU warm anziehen“ Porzellan zerdeppern, das dann nicht mehr zu kitten ist.

(Beifall bei der SPD)

Außerdem müssen Sie sich schon redlicherweise fragen lassen: Warum verlangen Sie von dieser Bundesregierung, in einem Jahr das nachzuholen, was jahrelang unter der konservativ-liberalen Koalition einfach liegen geblieben ist?

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum muss Bundeskanzler Gerhard Schröder, der Ihnen doch parteiübergreifend seine grundsätzliche Unterstützung zugesagt hat, hoppla hopp durchsetzen, was Kohl offensichtlich nicht erreichte und was Sie bei ihm nicht einmal zu erreichen versucht haben?

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wann haben Sie sich denn getraut, Herrn Kohls Bundesregierung zu drohen, und welchen Erfolg hatten Sie denn dabei?

(Dr. Bernhard (CSU): Ständig!)

Seit Dezember 1992 offensichtlich ohne Ergebnisse.

(Zuruf des Abgeordneten Kaul (CSU))

Im Dezember 1992 wurde der neue Artikel 23 in die Verfassung eingefügt. Seither haben die Länder die Möglichkeit, auf den europäischen Einigungsprozess Einfluss zu nehmen. Seither gab es auf europäischer Ebene x Gipfeltreffen und Regierungskonferenzen. Passiert ist hinsichtlich der beiden Themen, die uns berühren, wenig oder gar nichts.

Sie hatten jahrelang die Mehrheit im Bundestag. Sie haben dennoch bei keiner der Regierungskonferenzen auch nur den Versuch einer Begrenzung der Kompetenzen unternommen – im Gegenteil: Sie haben sogar Chancen, die es gegeben hat, nicht genutzt. So hat es im Jahre 1996 die Bereitschaft der EU-Kommission gegeben, den Artikel 3 des Europavertrags zu ändern. Die Daseinsvorsorge wäre dadurch in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten abgesichert und von der Beihilfekontrolle – darum geht es doch – ausgenommen worden. Frau Wulf-Mathies hatte dazu ein Weißbuch erstellt. Diese Änderung des Artikels 3 wurde von Ihrer, von der damaligen Bundesregierung abgelehnt.

Diese vertragliche Absicherung der Daseinsvorsorge wurde nach meinen Informationen auch von Bayern abgelehnt, weil die Staatsregierung glaubte, mit Einzelregelungen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder zum Sparkassenwesen weiterzukommen. Wir wären heute weiter, wenn Sie sich seinerzeit anders und richtig entschieden hätten.

(Beifall bei der SPD)

Es bleibt festzuhalten: Seit Ende 1992 ist in den zwei zentralen Fragen Kompetenzabgrenzung und Absicherung der Daseinsvorsorge nahezu nichts geschehen. Jetzt soll das Versäumte nach Ihrem Willen bis Ende 2000 nachgeholt werden.

Vor diesem Hintergrund mit der Nichtratifizierung der EU-Osterweiterung zu drohen, das halte ich allerdings für fahrlässig. Es gibt einen schönen Spruch: Was du auch tust, bedenke das Ende. Wie soll denn dieses Ende Ihrer Meinung nach aussehen? Soll Deutschland, soll

die Bundesregierung, wenn es die Erweiterung der Tagesordnung der Regierungskonferenz nicht erreichen sollte, vielleicht aus der EU austreten? Welche Auswirkungen hätte das auf unsere Wirtschaft? Wer auf solch unrealistische Weise versucht, legitime – ich betone das: legitime – Interessen durchzusetzen, der wird, wie es auf dem Nockherberg so schön heißt, „nicht einmal mehr ignoriert“, auch wenn dieser Satz vom Bayerischen Rundfunk aus der Rede gestrichen worden ist.

Soll die Bundesregierung die EU-Osterweiterung auf längere Zeit blockieren, während Sie in den osteuropäischen Staaten bei Ihren Besuchen jeweils den schnellen Beitritt versprechen? Oder beabsichtigen Sie auch in diesem Fall dasselbe Spiel wie beim Euro? Bis zum vorletzten Tag haben Sie ihn mannhaft verhindert, um dann noch ganz schnell in der letzten Sekunde in das Befürworterkonzert mit fadenscheinigen Begründungen einzustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Dies ist keine verantwortliche Politik und damit werden Sie den wichtigen und richtigen Anliegen, die wir gemeinsam vertreten, nicht gerecht. Wir wollen wie Sie Kompetenzen aus Europa in die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten und diese dann innerstaatlich in die Kompetenz der Länder zurückführen. Wir wollen die Daseinsvorsorge als regionale und kommunale Zuständigkeit vertraglich absichern und damit von der Beihilfenkontrolle ausnehmen. Dies erscheint erfolgversprechender zu sein. Aber auch hier gibt es bei den Mitgliedstaaten unterschiedliche Interessenlagen. Das müssen wir berücksichtigen und müssen uns davor hüten, Forderungen zu stellen, die uns letztlich schaden.

Während wir in Deutschland zu Recht alle miteinander ein hohes Interesse daran haben, unsere Sparkassen, unsere Landesbanken, den öffentlichen Rundfunk, den ÖPNV, die Arbeitsverwaltung und -vermittlung, den sozialen Wohnungsbau und unsere Wohlfahrtsverbände in ihren bisherigen Strukturen zu erhalten, haben wir ein ebenso großes Interesse, Tatbestände, die in anderen Mitgliedstaaten noch zur Daseinsvorsorge zählen, aber bei uns zwischenzeitlich nicht rückholbar privatisiert sind, wie zum Beispiel den Luftverkehr oder Post und Telekommunikation, der strikten Beihilfenkontrolle zu unterwerfen, weil wir sonst erhebliche Wettbewerbsnachteile hätten.

Gleichzeitig wollen wir aber ohne Wettbewerbskontrolle – wie ich meine, richtigerweise – in viel größerem Umfang Wirtschaftsförderung – wie Sie gesagt haben – mit unserem eigenen Geld betreiben.

Dies alles, diese hochkomplizierten, miteinander vernetzten Sachverhalte in der laufenden Regierungskonferenz noch klären zu wollen oder gar zu einem Abschluss zu bringen, scheint illusorisch zu sein.

Wir wollen zum Dritten den Ausschuss der Regionen durch Informations- und Klagerechte stärken.

Um all das zu erreichen, schlagen wir vor, zweigleisig zu fahren: zum einen zu versuchen, diese Punkte in der

nächsten Regierungskonferenz unterzubringen – dazu ist ein verbindlicher Auftrag der laufenden Regierungskonferenz nötig, in der Zwischenzeit müssen mit der Bundesregierung konkrete Inhalte und die einzuschlagende Strategie geklärt werden –, zum Zweiten die Diskussion über die Charta der Grundwerte zu nutzen, um unsere Anliegen zur Stärkung von Subsidiarität und Föderalismus dort einzubringen.

Ich bin überzeugt, dass wir in dem Vorsitzenden des Konvents, Herrn Prof. Roman Herzog, einen wichtigen Verbündeten haben, der sich in Kapitel X der Charta bereits ausdrücklich für die Sicherung mitgliedstaatlicher Kompetenzen ausgesprochen hat. Ich halte ein solches Vorgehen für erfolgversprechender, als mit Konsequenzen zu drohen, die entweder nicht durchführbar sind oder uns selber schaden würden.

Lassen Sie mich an dieser Stelle einige wenige Gedanken zur Osterweiterung der EU einfügen, weil das untrennbar miteinander zusammenhängt. Die Osterweiterung der Europäischen Union ist im deutschen und insbesondere im bayerischen Interesse. Sie haben auch darauf hingewiesen. Ebenso ist es im deutschen und vor allem im bayerischen Interesse, dass die Kriterien, die wir alle miteinander vereinbart haben, strikt eingehalten werden und die geforderten Voraussetzungen bei den Beitrittsländern erfüllt werden.

Wir haben in Deutschland wahrhaftig Erfahrungen, was es bedeutet, wenn wirtschaftlich völlig unterschiedlich entwickelte Gebiete zu schnell zusammengeführt werden. Gerade aus diesen Erfahrungen heraus wissen wir, dass es im Interesse aller Beteiligten ist, wenn wirtschaftliche, soziale und ökologische Standards nicht zu weit auseinander klaffen. Sonst entstehen nämlich statt blühender Landschaften leider Schuldenberge und Arbeitslosenzahlen, und das wollen wir in allen Ländern garantiert nicht.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb, meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen, bin ich froh, dass vor wenigen Tagen der für die Osterweiterung zuständige EU-Kommissar Günter Verheugen vor dem Bundespräsidium der SPD ohne Wenn und Aber gesagt hat, dass für ihn die Einhaltung der vereinbarten Kriterien oberstes Gebot sei und daher derzeit kein Land reif für den Beitritt sei.

Ich bitte Sie deshalb, auch hier nicht wieder irgendeinen Popanz aufzubauen. Für uns gilt wie für Sie: Qualität geht vor Tempo, Einhaltung der Kriterien ist wichtiger als schnelle Erweiterung. Ich bitte Sie nur, diese innenpolitisch gemeinsame Position genauso bei Ihren Besuchen im Ausland zu vertreten und dort nicht unrealistische Hoffnungen zu erwecken, wie Sie es laufend tun.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Und auch das Thema Türkei eignet sich, wenn Sie bei der Wahrheit bleiben, nicht für populistische Anti-Europa-Stimmungsmache. Die Türkei ist derzeit kein Beitrittskandidat. Sie befindet sich in einem Vorvorvorstadium zum Kandidatenstatus. Für uns ist die Europäische

Union nicht nur ein Binnenmarkt, nicht eine Freihandelszone wie für Sie, sondern für uns ist sie eine Wertegemeinschaft. Deshalb ist für uns die Einhaltung der Menschenrechte für ein EU-Mitglied unverzichtbar. Sie werden sich irgendwann entscheiden müssen. Bei der Abschiebung von Kurden und christlicher Minderheiten ist die Türkei für Sie ein Hort der Menschenrechte, bei der EU-Erweiterung das genaue Gegenteil. So wird kein Schuh daraus.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Zur Einhaltung von Menschenrechten gehört für uns neben der Rechtsstaatlichkeit, der Einhaltung des Verbots der Folter, der Achtung der Rechte ethnischer Minderheiten auch die Religionsfreiheit. Genauso wie zu Recht Moslems bei uns eigene Gotteshäuser fordern, muss es die Türkei zulassen, dass ausreichend christliche Kirchen auch auf türkischem Boden entstehen können, auch katholische Kirchen, um das ganz deutlich zu sagen.

(Beifall bei der SPD)

Sie sollten sich deshalb davor hüten, auch im Falle der Türkei mit Halbwahrheiten Anti-Europa-Stimmungen zu schüren. Haider lässt grüßen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CSU: Ach!)

Selbstverständlich geht es in der Frage Stärkung des Föderalismus nicht nur um die Abgrenzung von Kompetenzen zur Europäischen Union, sondern auch um die Rückholung von Kompetenzen von der Bundes- auf die Länderebene. Auch dies ist kein neues Thema und kein Thema nur mit der heutigen Bundesregierung im Verhältnis zu den Ländern. Nicht zuletzt deshalb ist auf unseren Antrag hin – ich betone das: auf unseren Antrag hin – eine Enquete-Kommission des Landtags zur Stärkung des Föderalismus eingesetzt worden.

(Beifall bei der SPD)

Ich, Herr Ministerpräsident, weiß nicht, ob Sie das überhaupt schon zur Kenntnis genommen haben, erwähnt haben Sie es jedenfalls nicht. Sie, die Kollegen und Kolleginnen von der CSU, haben in der letzten Legislaturperiode den gleichen Antrag abgelehnt. Auch aus Gründen des Respekts vor dem Parlament sollten die Arbeitsergebnisse der Enquete-Kommission in Regierungshandeln einfließen.