Protocol of the Session on March 22, 2000

(Beifall bei der SPD)

Sie, Herr Stoiber, wollen missverstehen und wollen nicht begreifen, dass uns nicht das Ziel unterscheidet, sondern die Wege, die zu diesem Ziel führen sollen. Ebenso wie ich keine demokratische Partei in Deutschland kenne, die den Föderalismus oder seinen Wert infrage stellt, genauso waren nahezu alle Parteien daran beteiligt, den Föderalismus in seiner Substanz zu mindern. Es waren eben nicht irgendwelche undurchschaubaren Machenschaften oder nicht näher zu definierende Bundesregierungen, die begonnen haben, den Föderalismus auszuhöhlen. Es war z.B. das Schaffen einer Vielzahl von Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungen, deren Einführung allen voran der damalige Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß zu verantworten hatte und nicht jemand anderes.

(Beifall bei der SPD)

Aber – das sage ich der guten Ordnung halber – er war es natürlich nicht allein. Die dafür notwendigen Grundgesetzänderungen setzten eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat voraus. Es waren also alle an der Aushöhlung föderaler Prinzipien beteiligt, Sie und wir. Niemand in diesem Parlament hat demnach einen Alleinvertretungsanspruch auf die reine Lehre des Föderalismus. Alle in diesem Parlament vertretenen Parteien haben gegen dessen Prinzipien schon irgendwann verstoßen.

Trotz dieser grundlegenden Gemeinsamkeiten gibt es aber einen wesentlichen Unterschied zwischen Ihrem und unserem Verständnis von Föderalismus. Denn für uns besteht Föderalismus nicht nur aus Regierungsföderalismus. Wir gehen weiter. Erlauben Sie deshalb die Retourkutsche: Ihre heutigen Lippen- und Pseudobekenntnisse zum Länderparlamentarismus nehme ich Ihnen genauso wenig ab wie Ihr Interesse an diesem Parlament.

(Beifall bei der SPD)

Ihnen geht es um mehr Macht und mehr Einfluss der Landesregierungen und nicht etwa der Parlamente. Wir aber wollen transparente, demokratisch legitimierte Entscheidungen von der Kommune über die Länder und den Bund bis hin zu Europa. Uns reicht es nicht, dass sich der von den Länderregierungen beschickte Bundesrat Zuständigkeiten von Europa und vom Bund zurückholt. Kompetenzen, die wir als Landtag an den Bund und an Europa geben, schwächen den Einfluss des Landtags genauso wie weitere Kompetenzverlagerungen an den Bundesrat.

Anlässlich der Abstimmung über die Maastrichter Verträge und der Debatte zu Art. 23 des Grundgesetzes habe ich als Abgeordnete 1992 im Deutschen Bundestag eine persönliche Erklärung zu Protokoll gegeben. Ich zitiere daraus:

Der Vertrag von Maastricht baut das Demokratiedefizit in Europa nicht ab, sondern schafft noch einen größeren demokratiefreien Raum. Bundesregierung und Landesregierungen haben ihre Rechte gesichert. Kommission und Rat erfahren einen Machtzuwachs, während die Rechte des Europäischen Parlaments, der nationalen und der Länderparlamente nicht entsprechend ausgebaut werden. Es entsteht ein Europa der Regierungen und nicht der Parlamente. Ich erwarte, dass spätestens bei der vorgesehenen Vertragsrevision die Parlamentsrechte geschaffen werden.

Und weiter:

In den Begleittexten zu den Verfassungsänderungen und in den Verfassungsänderungen selbst wird die Rolle der Gemeinden in der europäischen Integration nicht gebührend berücksichtigt. Es wird die Tendenz zu einem Regierungsföderalismus verstärkt, während den Gemeinden und den Landesparlamenten eine eigenständige Rolle im Prozess der europäischen Einigung verweigert wird.

Das war 1992, meine sehr geehrten Herren, meine Damen. Ein Beweis mehr dafür, dass Ihre albernen Vorwürfe eines Antiföderalismus der SPD schlicht und einfach absurd sind.

(Beifall bei der SPD)

Ich erinnere in diesem Zusammenhang übrigens nur daran, dass es unter anderem die Bayerische Staatsregierung war – ich glaube, damals hat Herr Goppel geredet –, die den Kommunen Sitz und Stimme im Aus

schuss der Regionen verweigern und sie wie unmündige Kinder behandeln wollte.

Meine Feststellung in der persönlichen Erklärung von 1992 gilt leider heute noch viel mehr. Die immer stärkere Entmachtung der Parlamente und die damit einhergehende stetige Aushöhlung föderaler Prinzipien wird noch verstärkt durch die Zunahme politischer Entscheidungsgremien, die weder demokratisch legitimiert sind noch irgendwo in der Verfassung stehen. Das ist nicht als Vorwurf gegen Sie gemünzt, sondern hier müssen sich alle miteinander an die Nase fassen.

Sie haben einige dieser Gremien genannt. Ich nenne weitere: Koalitionsrunden auf Bundesebene, Ministerpräsidentenkonferenzen oder auch Gremien der Landtagspräsidenten, die en passant beschließen, dass die Landtagspräsidenten in der Bund-Länder-Kommission zur Reform des Föderalismus vertreten sein sollen, ohne dass das jemals von irgendwem irgendwo parlamentarisch beraten oder beschlossen worden wäre usw. usw.

Diese Gremien mögen alle der Effizienz politischer Arbeit dienen. Manchmal bewirken sie auch das Gegenteil; denn sie degradieren zunehmend Parlamente und Verfassungsorgane zu Abnickgremien.

(Beifall bei der SPD)

Es entspricht unserem Selbstverständnis als Landesparlament, wenn wir verlangen, dass wir als unterste Grenze des Notwendigen rechtzeitige Informationen bekommen, und zwar rechtzeitig vor den Entscheidungen, um das Gesetz des Handelns wieder bestimmen zu können.

Dazu brauchen wir übrigens keinen Bundesrat, keinen Bundestag, keine Europäische Kommission, sondern nur einen ordentlichen Umgang miteinander.

Sie, Herr Ministerpräsident, informieren uns hier heute zwar vor der am Wochenende anstehenden Ministerpräsidentenkonferenz, aber die Möglichkeit, auf das Einfluss zu nehmen, was Sie dort als Ihre Position einbringen, hat dieser Landtag nicht. Sie können zwar – leider – getrost davon ausgehen, dass die Mehrheit dieses Landtags auch in Unkenntnis dessen, was Sie in Ministerpräsidentenkonferenzen oder im Bundesrat durchsetzen wollen,

(Hofmann (CSU): Keine Ahnung!)

Ihnen in jedem Fall auch nachträglich zustimmt – dazu gibt es übrigens viele Beispiele –, jedoch hat dies mit demokratischen Prinzipien, mit Transparenz und Bürgernähe nicht mehr das Leiseste zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wenn wir dies weiter so dulden, wenn Handeln der Exekutive ohne ausreichende parlamentarische Mitsprache und Einflussnahme stattfindet, dann machen wir uns letztendlich als Landtag selber überflüssig.

Wir fordern deshalb in unserem Dringlichkeitsantrag erstens das, was in anderen Ländern wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen, dem Freistaat Sachsen und weiteren fünf Ländern sogar in den Verfassungen verankert ist, nämlich die rechtzeitige Information über geplantes Regierungshandeln auf Bundes- und Europaebene.

Rechtzeitig bedeutet für uns hierbei, dass Einflussnahme durch das Parlament noch möglich ist.

Darüber hinaus fordern wir zweitens, dass der Bayerische Landtag an der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Reform des Föderalismus beteiligt wird. Sie haben heute zu Recht die fortschreitende Deklassierung der Landesparlamente beklagt. Welche Initiativen haben Sie eigentlich unternommen, um den Landtag an dieser wichtigen Kommission zu beteiligen? Ihnen geht es gar nicht um die Stärkung des Parlamentarismus. Ihnen geht es um mehr Macht für Regierungen. Dies sollten Sie auch in aller Deutlichkeit sagen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens fordern wir, das Angebot des EU-Kommissars Barnier anzunehmen, dass die Europäische Kommission den Parlamenten und den Mitgliedstaaten Rede und Antwort im Rahmen der Institutionenveränderungen der EU stehen will. Wir schlagen daher vor, die beiden deutschen Kommissare Günter Verheugen und Michaele Schreyer sowie die glücklicherweise aus Bayern kommenden Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, also unseren Parteifreund Gerhard Schmid und Ihren Parteifreund Dr. Ingo Friedrich, in den Landtag einzuladen, und zwar vor dem Abschluss der laufenden Regierungskonferenz, um mit Ihnen über Kompetenzabgrenzung zur EU und Daseinsvorsorge als regionale Zuständigkeit zu diskutieren.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, damit bin ich beim Schwerpunkt, den ich heute in dieser Debatte über den Föderalismus setzen will: Wie können wir föderale Prinzipien in einem stärker integrierten Europa verwirklichen? Für uns gelten als Voraussetzungen:

Erstens. Die Europäische Union ist für die nationalen Mitgliedstaaten und für die Länder ein unverzichtbarer Akteur globaler Regulierung, bei der Durchsetzung gemeinsamer Interessen und bei der Beantwortung globaler Herausforderungen. Dazu braucht die Europäische Union ausreichende Möglichkeiten.

Zweitens. Im deutschen und auch im bayerischen Interesse liegt eine funktionsfähige, effiziente, erweiterungsfähige Union.

Drittens. Im deutschen Interesse und im Interesse der Regionen liegt es auch, durch föderale Elemente eine Machtverteilung und Begrenzung der Europäischen Union nach innen sicherzustellen. Unsere Europapolitik will Subsidiarität und Solidarität, Wettbewerb und Kooperation. Für Sie, Herr Stoiber, gilt in meinen Augen aber etwas ganz anderes: Sie benützen Europapolitik,

anders als Ihr Vorgänger im CSU-Parteivorsitz, ausschließlich als innenpolitische Waffe gegen Ihre politischen Gegner.

(Beifall bei der SPD)

Die Europäische Union ist für Sie kein Wert an sich, nicht an erster Stelle eine Institution, die uns bei aller Unzulänglichkeit in West- und Südeuropa fünfzig Jahre Frieden gesichert und einen ungeheuren Wohlstand gebracht hat. Für Sie, Herr Ministerpräsident, ist die Europäische Union nach wie vor willkommener Buhmann. Jede kritisierenswerte Fehlentwicklung ist für Sie Munition in der innenpolitischen Auseinandersetzung.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CSU)

Auch Ihre jüngsten Äußerungen beweisen dies. Sie haben in Interviews gesagt, Sie wollten den Bundeskanzler bei den Bundestagswahlen wegen seiner Europapolitik stellen. Sie wollen regelmäßige Unterschriftenaktionen zu einzelnen europäischen Fragen durchführen. Eine kleine Anmerkung hierzu: Gleichzeitig verweigern Sie aber inkonsequenterweise plebiszitäre Elemente in der Bundesverfassung. Deshalb ist für Sie auch die Debatte über mehr Föderalismus in der Europäischen Union eine Debatte, die nicht an erster Stelle nach Lösungen sucht, sondern die vor allem genutzt wird, um die Bürger und Bürgerinnen gegen die Europäische Union aufzubringen.

(Beifall bei der SPD)

Wer solche Ressentiments schürt oder weckt, betreibt eine Haiderisierung der Europapolitik.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CSU)

Sie werden damit einem wichtigen Zukunftsthema nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD)

Ich will nicht missverstanden werden.

(Dr. Bernhard CSU: Wann kommen Sie eigentlich zur Sache?)

Selbstverständlich gibt es zu kritisierende Fehlentwicklungen. Selbstverständlich kann es kein vernünftiger Mensch gutheißen, wenn die EU von Brüssel aus bestimmen will, wo bei uns Rettungshubschrauber landen dürfen und wo nicht. Selbstverständlich finden wir es falsch, wenn neoliberale Wettbewerbsajatollahs in Brüssel unseren Kommunen mit Transparenzrichtlinien das Leben schwer zu machen versuchen oder, was abgewendet scheint, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gefährden oder unsere Wohlfahrtsverbände, Sparkassen und Landesbanken infrage stellen wollen.

(Dr. Bernhard CSU: Na also! Da ist doch etwas nicht in Ordnung!)

Hier stimmen wir überein. Wir möchten aber konstruktiv nach Wegen suchen, unsere legitimen Interessen mög