Renate Schmidt

Appearances

14/35 14/37 14/43 14/60 14/61 14/83

Last Statements

Herr Präsident, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Zu Beginn möchte ich die Frage stellen: Woran muss sich Familienpolitik messen lassen, in Deutschland und im Freistaat Bayern?
Erstens, woran nicht? Nicht an ökonomischen Erfordernissen. Es stimmt zwar: Trotz nach wie vor leider noch zu hoher Arbeitslosigkeit beklagt die Wirtschaft zu Recht einen eklatanten Fachkräftemangel, der in dieser Größenordnung durch Zuwanderung nicht ausgeglichen werden kann und nicht ausgeglichen werden soll. Gleichzeitig haben wir heute in Deutschland die am besten ausgebildete Frauengeneration, die es jemals gegeben hat und die in einem hohen Maß, obwohl sie arbeiten will, wegen der Kinderbetreuung dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht. – Dies ist zwar ein wichtiger Aspekt, aber wirtschaftliche Interessen dürfen nicht ausschlaggebend für die Bewertung von Familienpolitik sein.
Zweitens: Familienpolitik ist auch nicht Bevölkerungspolitik. Dennoch muss festgestellt werden: Wir haben im EU-Vergleich einen der höchsten Prozentsätze der Kinderlosigkeit. 41% der Akademikerinnen in Deutschland sind kinderlos, 30% des Geburtsjahrgangs 1965. Wir haben mit sinkender Tendenz eine der niedrigsten Geburtenzahlen in Europa mit 1,3 Geburten pro Frau 1998. Unterboten werden wir nur noch von Italien, Spanien und Griechenland. Auch Bayern macht hier mit 9,9 Geburten pro 1000 Einwohnern keine Ausnahme. Das ist seit 1997 immerhin ein Rückgang um 0,9, Tendenz sinkend. Im Jahr 2001 – wir konnten es heute der Presse entnehmen – ist die Geburtenrate um 4,4% zurückgegangen, 4,4% weniger Geburten in Bayern.
Gleichzeitig haben wir eine der niedrigsten Erwerbsbeteiligungsquoten von Frauen und liegen auch da in der Europäischen Union an viertletzter Stelle. Es gibt nämlich, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Erwerbsbeteiligung von Frauen und ihrer Geburtenrate. Je höher – und das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – die Erwerbsbeteiligung der Frauen, desto höher die Geburtenrate! In Skandinavien und Frankreich liegt Erstere zwischen 75 und 80% und die Geburtenrate bei 1,7 bis 2 Kindern pro Frau. Die Kinderlosigkeit liegt in diesen Län
dern unter 10%, bei uns in der Zwischenzeit bei 25%, Tendenz steigend.
Familienpolitik ist weder Wirtschafts- noch Bevölkerungspolitik noch Gleichstellungspolitik. Sie ist mit all diesen Politikbereichen und mit vielen mehr vernetzt, hat aber ihre Eigenständigkeit zu bewahren. Familienpolitik hat sich deshalb an erster Stelle daran messen zu lassen, ob sie dazu dient, dass sich heutige junge Familien ihre vorhandenen Kinderwünsche erfüllen können. In ihrem Mittelpunkt müssen die Interessen von Kindern und ihren Eltern stehen.
Dies ist offensichtlich in ganz Deutschland nicht der Fall, und Bayern macht hier keine Ausnahme. In Deutschland sieht es finster aus und in Bayern kohlrabenschwarz. Das bedaure ich zutiefst.
Was wollen nämlich junge Menschen heute? Erstens ist bei ihnen das Bedürfnis nach Familie, also nach Geborgenheit, Stabilität und Verlässlichkeit, in unserer von Veränderung, Hektik und Globalisierung geprägten Zeit deutlich gewachsen. Über 80% der jungen Menschen wollen Partnerschaft und Kinder – mit der Betonung auf der Mehrzahl. Zweitens steht dieses Bedürfnis gleichberechtigt neben dem Wunsch nach einer erfolgreichen Berufstätigkeit, und zwar bei jungen Frauen und Männern gleichermaßen.
Nach einer Untersuchung von Professor Fthenakis, der auch bei Ihrer Klausurtagung war, unter der Überschrift „Die Falle Elternurlaub“ wollen 20% der jungen Mütter über einen langen Zeitraum ausschließlich Hausfrau und Mutter sein. Dieser Lebensentwurf – das sage ich ganz deutlich – verdient genauso viel Respekt und Anerkennung wie jeder andere. Auch wenn ich selbst eine ganz andere Biografie habe, werde ich diese Hausfrauen und Mütter nie mit dem abwertenden Wort „nur“ bezeichnen.
Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen: In der Zwischenzeit ist es eine Minderheit, die das will. 60% wollen nach dieser Untersuchung ihre Erwerbstätigkeit nur kurz unterbrechen und dann wieder voll- oder in größerem Umfang teilzeitbeschäftigt tätig sein. Weitere 20% möchten sogar trotz ihrer Kinder ununterbrochen vollerwerbstätig sein.
Diese beiden letzten Lebensmodelle lassen sich in Deutschland-West schlecht und im Freistaat Bayern nahezu nicht erfüllen. Denn welches Lebensmodell bieten wir den Frauen? Gute Ausbildung, dann ein paar Jahre Erwerbstätigkeit, dann tickt die biologische Uhr, und bei einer Entscheidung für Kinder Aussetzen der Berufstätigkeit mangels Krippenplätzen und Ganztagskindergartenplätzen, weil zum Beispiel offensichtlich das Mittagessen im Kindergarten so viel ungesünder ist als die selbst aufgemachte Dose Ravioli zu Hause oder die Fischstäbchen aus der Tiefkühltruhe. Die Frauen in anderen Ländern Europas fragen uns, ob wir noch alle
Tassen im Schrank haben, wenn sie hören, wie es bei uns zugeht.
In der Grundschule ist dann die Mutter die Nachhilfelehrerin ihrer Kinder und im ländlichen Bereich die Taxifahrerin, die ihre Kinder zum Gitarrenunterricht, zum Hockeyunterricht oder zur professionellen Nachhilfe bringt. Wir sind die Weltmeister in den Ausgaben für Nachhilfeunterricht und die Schlusslichter bei den Ganztagsschulen. Vielleicht hat das eine irgendetwas mit dem anderen zu tun, und vielleicht sollten wir das endlich ändern.
Wenn die Kinder 12 bis 14 Jahre alt sind, werden die Frauen „wieder eingegliedert“. Allein wenn ich das Wort höre, läuft es mir kalt den Rücken runter. Ich frage mich: Waren wir eigentlich auf einem anderen Planeten? Haben wir unsere Kompetenzen verloren? Sind wir blöd geworden, weil wir uns um unsere Familien gekümmert haben?
Was bedeutet denn „Wiedereingliederung“? Wiedereingliederung bedeutet, beruflich wieder ganz von vorne anzufangen, unterhalb der eigentlichen Qualifikation beschäftigt zu werden mit deutlich niedrigerem Einkommen. Es ist kein Wunder, dass die Frauen von solchen Lebensentwürfen die Schnauze voll haben.
Deutschland-West ist bei der Kinderbetreuung das Schlusslicht in Europa, und der Freistaat ist das Schlusslicht vom Schlusslicht. 1,4% Krippenplätze in Bayern! Liebe Frau Stewens, verschonen Sie uns bitte hier und anderswo mit Ihren statistischen Tricks.
Wir beziehen uns ausschließlich auf Ihre Antworten auf unsere Interpellation und sind nicht bereit, jede MutterKind-Gruppe und jede Krabbelgruppe als Betreuungseinrichtung für Kleinstkinder zu werten. Familien haben nämlich nichts von Statistiken, sondern nur von real existierenden Betreuungsplätzen, und daran fehlt es im Freistaat Bayern.
1,4% Krippenplätze – das ist meilenweit von europäischen Standards entfernt, zum Beispiel in Frankreich, zum Beispiel in Skandinavien mit 30 bis 55% Krippenplätzen. In diesen Ländern sind die Kinder weder verhaltensgestörter noch drogenabhängiger noch krimineller als bei uns – im Gegenteil. Zwischen 30 und 50% der Kleinstkinder und 97% der Kindergartenkinder gehen zum Beispiel in Frankreich in die kostenlose Ecole maternelle. Ein ebenso hoher Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler wird ganztätig betreut. Die Bildungsergebnisse sind besser, und die Armut von Kindern und ihren Eltern ist geringer, obwohl die direkte materielle
Förderung von Familien größtenteils geringer ist als bei uns.
Wir dagegen schicken Familien buchstäblich in die Armut. So werden die knapp 20% Alleinerziehenden im Freistaat Bayern bei 1,4% Krippenplätzen von vornherein auf die Kombination von Erziehungsgeld und Sozialhilfe verwiesen und sind damit in der Armutsfalle. Nicht besser als bei den Krippenplätzen sieht es mit den Ganztagskindergartenplätzen im Freistaat aus. Nur ein Bruchteil der Plätze verdient diesen Namen. Am beschämendsten ist die Situation bei den Ganztagsschulen: 24 sind vorhanden, und eine quälende Diskussion wird geführt über ganze 30 weitere in den nächsten vier Jahren, und dies in einem der reichsten Bundesländer und dem flächenmäßig größten Bundesland. Dies ist eine Schande und verdient den Namen Ganztagsbetreuung nicht.
Nur ein Gegenbeispiel: In Rheinland-Pfalz werden in dieser Legislaturperiode zusätzlich 300 Ganztagsschulen geschaffen, die an vier Tagen in der Woche bis 16 Uhr verbindlich für die Schülerinnen und Schüler geöffnet haben. Nicht so bei uns! Ihr Handeln wird immer noch ideologisch bestimmt. Sie wollen den Menschen einen Lebensentwurf aufoktroyieren, der von der übergroßen Mehrheit nicht mehr gewünscht ist. Dies versuchen Sie mit untauglichen Modellen wie Ihrem Familiengeld zu verschleiern. Dabei gehen Sie von der Fiktion aus, dass erstens Mütter nur aus finanziellen Motiven erwerbstätig sein wollen und man ihnen nur Geld geben muss, damit sie von diesem Wunsch Abstand nehmen, und zweitens unterstellen Sie, dass familienergänzende institutionelle Betreuung für Kinder generell schlecht oder maximal die zweitbeste Lösung ist. Deshalb geht Ihr Familienkonzept auch an den wirklichen Bedürfnissen der Familien vorbei. Das sagen alle Familienorganisationen und die großen Wohlfahrtsverbände; das sagt Jürgen Borchert, der von einem Irrweg Familiengeld spricht. Deshalb rudert auch der Kandidat Edmund Stoiber zu Recht zurück und verschiebt dieses nicht finanzierbare und an den Bedürfnissen von Familien vorbeigehende Vorhaben auf den Sankt Nimmerleinstag.
Ich glaube, dass wir bessere Betreuungsmöglichkeiten brauchen, dass wir für die Zukunft des Freistaates Bayern, für die Bedürfnisse von Familien und Kindern, und zwar für ihre heutigen, etwas tun müssen; denn der gesamten Gesellschaft muss klar werden: Wenn wir so weitermachen, müssen wir einmal sagen: Ohne Kinder sehen wir in Bayern ganz schön alt aus.
Frau Staatsministerin, ich frage die Bayerische Staatsregierung, ob sie folgender Aussage zustimmt:
Im Zuge der „Emanzipation der Frau“ und ihrer Selbstverwirklichung in der außerhäuslichen Arbeitswelt wurden für Kinder „Erziehungseinrichtungen“ – Krippen, Kindertagesstätten und ähnliche Einrichtungen, meist sogar ganztätig – geschaffen. Diese Entwicklung der „Kollektivierung der Kindererziehung“ entspricht, ohne dass man sich dessen bewusst ist, den Zielvorstellungen von Lenin, der mit solchen Masseninstitutionen die Frau „von Herd und Kindern befreien“ wollte, damit sie ein vollwertiges Mitglied in der sozialistischen Gesellschaft werde“.
Sie kennen das schon von gestern.
Frau Staatsministerin, ich wollte nicht die gestrige Diskussion fortführen, sondern eine konkrete Antwort auf meine Frage. Deshalb stelle ich die Zusatzfrage: Teilen Sie die Aussage in diesem Zitat, das auf einem Kongress nicht etwa in der DDR oder in Bezug auf die ehemalige DDR, sondern an der TU München gefallen ist? Dieser Kongress stand unter der Schirmherrschaft des Bayerischen Ministerpräsidenten, und die Aussage wandte sich gegen die Kinderbetreuungseinrichtungen bei uns und nicht gegen die in einem nicht mehr existierenden sozialistischen Staat. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann teilen Sie diese Auffassung.
Haben Sie denn eine Erklärung dafür, dass der Bayerische Ministerpräsident die Schirmherrschaft
über ein internationales Symposium „Kindererziehung in Familie oder Kollektiv“ übernimmt, obwohl in der Einladung dazu zwar nicht auf die DDR Bezug genommen, aber doch gesagt wird, dass bei uns unbewusst in diese Richtung gearbeitet wird?
Sehr geehrter Herr Präsident, liege Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße die Bayerische Staatsregierung und die CSU-Fraktion in der familienpolitischen Gegenwart ganz herzlich.
Sie haben mindestens verbal den Anschluss an die Wirklichkeit gefunden.
Zwischen dieser Erkenntnis und dem notwendigen Handeln scheint aber noch ein weiter und für die Familien leider steiniger Weg zu liegen. Dies zeigen Ihre heute nicht verkündeten Kreuther Beschlüsse; dies musste ich in meinem Konzept korrigieren. In Kreuth scheint eine echte Nulllösung stattgefunden zu haben: null für die Kinder und null für die Familien.
Übrig geblieben sind Absichtserklärungen einiger Kabinettsmitglieder, die das Schaffen der richtigen Rahmenbedingungen für Familien in das nächste und übernächste Jahrzehnt verschieben. Das haben die jungen Menschen, die heute eine Familie gründen wollen, nicht verdient; denn die Familien sind herausragende Leistungsträger unserer Gesellschaft. Diese Leistungsfähigkeit besteht in ihrer an ihre Kinder weitergegebenen sozialen Kompetenz und darin, dass sie die meisten direkten und indirekten Steuern zahlen. Ihre Leistungsfähigkeit besteht auch darin, dass aus den Familien heraus die meiste ehrenamtliche Arbeit geleistet wird.
Keine Institution hatte in den letzten knapp 20 Jahren von 1980 bis 1998 eine solche Zunahme an Anerkennung zu verzeichnen wie die Familie; die Zustimmung zur Familie ist in diesem Zeitraum von 68% auf 80% angestiegen. Über 90% der jungen Menschen – Jungen und Mädchen gleichermaßen – wollen eine Familie haben. Die Jungen und Mädchen wollen gleichermaßen einen Beruf erlernen, in diesem Beruf Erfolg haben und Kinder bekommen. Die Betonung liegt dabei auf der Mehrzahl, nämlich mehrere Kinder. Wenn dann aus dem Kinderwunsch ein Kindwunsch wird und dieser Kindwunsch nicht einmal realisiert wird, liegt das daran, dass Deutschland in Europa bei allen Formen der Tagesbetreuung altmodisches Schlusslicht ist und Bayern innerhalb Deutschlands die rote Laterne hält.
2,8 Prozent Krippenplätze gibt es in Deutschland und innerhalb Deutschlands ist Bayern Schlusslicht. Bayern ist mit Spanien Schlusslicht in Europa. Schlusslicht auch bei den Ganztagskindergärten und Schlusslicht bei den Tagesschulen. In Bayern gibt es – konzentriert auf den Großraum München – gerade einmal 24 Tagesschulen. Davon sind 22 in privater Trägerschaft.
Kein anderes europäisches Land leistet sich den Luxus der bestausgebildeten Frauengeneration, die es in Europa, in Deutschland und Bayern je gab, folgendes Lebensmodell anzubieten: Nach der Ausbildung und ein paar Jahren Erwerbstätigkeit tickt die „biologische“ Uhr und folgt für durchschnittlich fünf Jahre die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit wegen Kinderbetreuung. Eventuell können dann die Mütter während der Kindergartenzeit unter ihrer erworbenen Qualifikation teilzeitbeschäftigt tätig sein, müssen aber während der Schulzeit aus dem Beruf wieder ausscheiden, da sie vor allen Dingen in Bayern für ihre Kinder die Nachhilfelehrerinnen und Taxifahrerinnen zum Gitarren- und Sportunterricht sind. Warum dieser Unterricht nicht in der Schule stattfindet, muss man erst erklären.
Dann kommt die „Wiedereingliederung“. Allein wenn ich dieses Wort höre, wird mir schon halb schlecht. Wo waren wir denn in der Zeit, als wir Kinder hatten? Es kommt also die Wiedereingliederung und eine Tätigkeit erst wieder einmal unterhalb der ehemals erworbenen Qualifikation. Wenig später geht es dann wieder raus aus dem Beruf, um die alten Eltern und Schwiegereltern zu pflegen.
Das machen die Frauen nicht mehr mit, und das hat nichts, aber auch gar nichts mit der von Ihnen vor gar nicht allzu langer Zeit gescholtenen Selbstverwirklichung zu tun,
die Männern übrigens immer zugestanden worden ist; sondern es hat mit Rationalität und dem Bedürfnis zu tun, eine Ausbildung, für die frau sich krummgelegt hat, auch zu nutzen. Die Folge: 41% der Akademikerinnen bleiben kinderlos – 41%! Bei den Hauptschulabgängerinnen sind es 21%. Von den heute 35jährigen Frauen sind 31% kinderlos.
Vereinbarkeit von Kindern und Beruf ist das Problem der Frauen. Ihre so genannte Wahlfreiheit besteht in Familie haben und Mutter sein und Verzicht auf Karriere oder Erfolg im Beruf und als Tante auf eigene Partnerschaft und Familie, damit – und das ist das Schlimmste – auf Liebe zu verzichten.
Sie, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen von der CSU, haben davor zehn, zwanzig Jahre die Augen verschlossen und die vermeintliche Familienidylle des vorletzten Jahrhunderts beschworen.
Sie haben zum Beispiel meinen Vorschlag, aus den Privatisierungserlösen zwei Milliarden DM für eine Zukunftsoffensive für Kinder und für ihre Tagesbetreuung zur Verfügung zu stellen, belächelt und heruntergebügelt.
Sie versuchen auch jetzt wieder, es auf möglichst preiswerte Art allen recht zu machen. Denen, die – wie offensichtlich einige von Ihnen – Erwerbstätigkeit von Mütter nach wie vor für Teufelszeug halten, wird Rechnung getragen, indem Herr Stoiber am 2. Dezember 2000 die Schirmherrschaft über einen Kongress übernommen hat, in dessen Einladung es heißt:
Im Zuge der Emanzipation der Frau und ihrer Selbstverwirklichung in der außerhäuslichen Arbeitswelt wurden für Kinder „Erziehungseinrichtungen“ – Krippen, Tagesstätten und ähnliche Einrichtungen, meist sogar ganztägig – geschaffen. Diese Entwicklung der Kollektivierung der Kindererziehung entspricht, ohne dass man sich dessen bewusst ist, den Zielvorstellungen von Lenin, der mit solchen Masseninstitutionen die Frau von Herd und Kindern befreien wollte, damit sie ein vollwerti
ges Mitglied in der sozialistischen Gesellschaft werde.
Über einen solchen Kongress hat die Schirmherrschaft der bayerische Ministerpräsident nicht etwa im Jahr 1900, sondern im Jahr 2000 übernommen.
Diejenigen aber, die die Modernisierung Bayerns durch mehr Ganztagsbetreuung fordern, speist man mit unverbindlichen Absichtserklärungen zu Tagesschulen in den nächsten zehn Jahren ab. Dabei, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, gibt es signifikante Zusammenhänge zwischen der Geburtenhäufigkeit und der Erwerbsbeteiligung von Frauen. In Norwegen gibt es pro Frau 1,86 Geburten. Dann folgt Finnland, dann Dänemark usw. Deutschland ist an viertletzter Stelle mit 1,37 Geburten pro Frau, gefolgt nur noch von Spanien, Italien und Griechenland.
Die Erwerbsbeteiligung liegt in Norwegen bei 75,4% aller Frauen. Das geht dann runter bis nach Deutschland mit 62%. Das ist übrigens der einzige Zusammenhang, den es wirklich zwischen Geburtenhäufigkeit und anderen Faktoren gibt. Dahin geht der Weg, und deshalb sage ich: Wir müssen uns beeilen, um endlich den Anschluss zu finden.
Deshalb war Herr Stoiber auch auf dem Holzweg, als er im Januar dieses Jahres in einem Interview mit der „Welt“ behauptete, in Norwegen sei das 1999 eingeführte Erziehungsgehalt der Grund für die hohen Geburtenraten. Das ist ein Märchen, denn die Zahlen, die ich gerade zitiert habe, sind von 1997, und da gab es dieses Erziehungsgehalt noch nicht.
Deshalb, meine sehr geehrten Herren, meine Damen, fordern wir von der Staatsregierung, alsbald einen Stufenplan vorzulegen und in einem Fünfjahreszeitraum ausreichende Tagesbetreuung für Kinder aller Altersgruppen zu schaffen. Begonnen werden könnte ähnlich wie in Rheinland-Pfalz mit jeweils zwei Tagesschulen jeder Schulart pro Landkreis.
Ich möchte mich aber noch kurz mit der materiellen Situation von Familien auseinander setzen. Die hauptsächliche Ursache von Familienarmut besteht in den unzureichenden oder nicht vorhandenen Möglichkeiten für Mütter, erwerbstätig zu sein und ihre Kinder gleichzeitig gut betreut zu wissen. Doch auch bei einer deutlichen Verbesserung der Vereinbarungsmöglichkeiten bleibt die Notwendigkeit eines verbesserten Familienleistungsausgleiches bestehen. Die Bundesregierung hat erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik die Echternach’sche Springprozession – zwei Schritte vor, einer zurück – beim Familienleistungsausgleich beendet und das Kindergeld bereits zweimal erhöht. Ein dritter Schritt ist für
das Jahr 2002 verbindlich geplant. Dies darf aber nicht der Endpunkt sein, sondern muss fortgesetzt werden.
Es gibt übrigens, meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen, aus den letzten 25 Jahren keinen einzigen Beleg dafür, dass irgendwo höhere materielle Leistungen auch zu höheren Geburtenraten geführt hätten. Deshalb bleibt die wichtigste Säule der Familienpolitik, endlich die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erreichen. Das gilt auch für Bayern, weil das den größten Nachholbedarf hat.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, sehr geehrter Herr Staatsminister! Ich habe die Blue Card begrüßt und ich sage es hier nochmals: Ich begrüße, dass Sie von der Bayerischen Staatsregierung endlich Ihre bisherige Realitätsverweigerung aufgegeben haben und auf dem Boden der Tatsachen angekommen sind – ein großer Fortschritt für den Freistaat Bayern.
Der geistige Vater des Slogans „Kinder statt Inder“ – er heißt Edmund Stoiber und nicht Günther Beckstein – hat dank des Green-Card-Anstoßes von Bundeskanzler Gerhard Schröder vom strikten Nein zum Jein gefunden, um dann den Versuch zu machen, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, um dieses Nein und Ihre politische Isolation in dieser Frage vergessen zu machen.
Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen, ich stimme dem Geschäftsführer der IHK für München und Oberbayern, Herrn Dörfler, uneingeschränkt zu, der gesagt hat: „Wir brauchen beides im Interesse der Wirtschaft.
Wir brauchen beides, nämlich die Green Card genauso wie die Blue Card.“ Wir fordern Sie daher auf, nicht zu versuchen, das Green-Card-Konzept im Bundesrat zu blockieren, sondern ihm zuzustimmen. Herr Herrmann, alles das, was Sie hier an Kritik geäußert haben, läuft ins Leere. Der Betreffende kann sich nicht in die soziale Hängematte legen.
Natürlich ist der Aufenthalt daran gebunden, dass es eine Arbeitserlaubnis und einen Arbeitsvertrag gibt. Natürlich wollen wir, dass diese Menschen mit ihrer Qualifikation hier bei uns arbeiten. Deshalb holen wir sie doch in einem begrenzten Umfang. Auch die Mitarbeiter mit Blue Card werden eine Arbeitserlaubnis der Bundesanstalt für Arbeit brauchen. Deshalb ist ein Zusammenwirken von Landes- und Bundesebene unabdingbar.
Das Green-Card-Konzept hat im Übrigen einen großen Vorteil: Es enthält beides: Einwanderung von Fachkräf
ten und gleichzeitig die verbindliche Zusicherung von Ausbildung eben dieser Fachkräfte durch die Wirtschaft in unserem Land, und zwar sowohl von jungen neuen Kräften als auch von Arbeitslosen in diesem Bereich.
Eine kleine Anmerkung: Es wäre gut, wenn diesen Anstrengungen von Bundespolitik und Wirtschaft – die Anstrengungen der Wirtschaft waren überfällig, und sie hätten, wenn sie früher stattgefunden hätten, vielleicht beide Lösungen überflüssig gemacht – ebensolche Anstrengungen der Bildungspolitik auf Landesebene folgen würden. Ich halte es für nicht hinnehmbar, dass mehr Bewerber für ein Informatikstudium an Hochschulen und Fachhochschulen in Bayern abgelehnt als angenommen werden, und zwar nicht etwa deswegen, weil ihnen die notwendige Qualifikation fehlen würde, sondern aus Platzgründen, weil auch wir in Bayern zuwenig Informatikstudienplätze haben. Diesem Mangel muss abgeholfen werden, wenn wir nicht auf Dauer auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen sein wollen.
Ich halte es für richtig, dass wir über Blue- und GreenCard-Regelungen eine spezifizierte Zahl von Menschen nach Deutschland holen, Menschen, die nicht etwa anderen Arbeitsplätze wegnehmen, sondern ohne die neue Arbeitsplätze hier bei uns gar nicht erst entstehen können. Die begrenzte Zahl und die Voraussetzung der Qualifikation können unter anderem dazu dienen, Ängste in der Bevölkerung abzubauen. Dies ist notwendig, bevor wir ein umfassendes Einwanderungsgesetz auf den Weg bringen. Deshalb ist es auch richtig, dass die Bundesanstalt für Arbeit sowohl für die Blue Card als auch für die Green Card den Rahmen für die Arbeitserlaubnis setzt.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Beweglichkeit der CSU ist mehr als erstaunlich: Vom gebetsmühlenartigen Wiederholen des Slogans „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ bis zum jüngsten Beklagen, dass die Bundesregierung nicht längst – gleichzeitig mit der Green Card – ein umfassendes Zuwanderungsgesetz vorgelegt hat, war der Weg ein sehr, sehr kurzer, frei nach dem fränkischen Motto: „Was interessiert mich mein Gschmarre von gestern.“ Das verstehen Sie, Herr Herrmann.
Nicht von gestern, sondern von vorvorgestern waren Ihre Argumente, und deshalb ist es gut, dass Sie sich endlich ein Stück in die richtige Richtung bewegt haben. Für uns von der SPD ist es dabei vollkommen unstreitig, dass es für Zugewanderte einen Anspruch auf aktive Integrationsbemühungen des Staates gibt, aber ebenso eine Verpflichtung unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, sich aktiv an ihrer eigenen Integration zu beteiligen. Deshalb haben wir zum Beispiel keine Kritik an den Tests für in Bayern lebende Ausländer, die die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben wollen, geübt. Wir halten es aber für vollkommen verfehlt, dass Sie diese Tests jetzt verschärfen wollen und es damit selbst für deutsche Staatsbürger schwer machen, sie zu bestehen. Das dient der Integration nicht, sondern verhindert
sie. Wir wollen Integration und nicht das Gegenteil davon.
Liebe Kollegen und liebe Kolleginnen von der CSU, wir werden Sie mit Ihrer Blue Card buchstäblich beim Wort nehmen und all die Petitionen, die Sie für angeblich „erledigt“ erklärt haben, noch einmal bearbeiten. Es handelt sich um Petitionen von Arbeitgebern, die händeringend darum gebeten haben, ihre ausländischen Fachkräfte – auch Hightech-Fachkräfte –, die in einem hohen Ausmaß integriert sind, behalten zu dürfen. Jetzt haben Sie die Gelegenheit, Ihre damaligen Fehlentscheidungen zu korrigieren.
Wir brauchen ein nationales, ein europaverträgliches Migrationskonzept mit klaren Anforderungen für Einwanderungswillige, die sich dann nicht mehr länger durch Asylverfahren hindurchlügen oder illegale Wege beschreiten müssen. Wir müssen dieses Migrationskonzept verbinden mit einem verbindlichen Integrationskonzept. In diesem Zusammenhang erinnern wir an unsere zu einem nicht kleinen Teil einstimmig im Bayerischen Landtag verabschiedeten Anträge, von denen nahezu noch nichts umgesetzt ist.
Lassen Sie mich einen letzten wichtigen Punkt nennen, den wir nicht begrüßen, sondern den wir kritisieren, nämlich Ihre immer wieder gestarteten untauglichen Versuche, eine geregelte Zuwanderung aus ökonomischen Interessen – das muss man betonen – mit einer Zuwanderung aus humanitären Gründen zu verknüpfen. Die falsche Verknüpfung von Einwanderung und Asyl können wir nicht zulassen. Dabei machen wir nicht mit.
Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen von der CSU, wollen Sie wirklich Gesamtquoten für Zuwanderung aus beiden Gründen festlegen und Flüchtlinge aus einer schrecklichen Diktatur, gefolterte Menschen oder Bürgerkriegsflüchtlinge ablehnen, weil in dem betreffenden Jahr zum Beispiel schon mehr als 10000 Informatiker zu uns gekommen sind? Das geht nicht; das wäre unwürdig; das können wir nicht wollen. Oder wollen Sie umgekehrt dringend benötigte Fachkräfte nicht hereinlassen, weil es in diesem Jahr ein paar Asylbewerber zu viel gibt? Das wäre ein Schildbürgerstreich. Wenn ich das kritisiere, heißt das nicht, dass wir uns einer Diskussion über eine effektive Bekämpfung des auch von uns nicht bestrittenen Asylmissbrauchs, des Schlepper- und Schleuserunwesens verschließen würden.
Wir begrüßen, dass Sie endlich auch die Frage der Aussiedler und insbesondere der Russlanddeutschen auf die Tagesordnung setzen. Vielleicht hören Sie endlich damit auf, auch hier gebetsmühlenhaft zu wiederholen, dass die Türen weit offen stehen, obwohl Sie doch wissen, dass es auch in diesem Bereich eine Unmenge an Missbrauch gibt, den wir abstellen müssen. Wir reichen die Hand dazu, denn das kann selbstverständlich so nicht weitergehen.
Ich verstehe nicht, welcher Teufel Sie reitet, dass Sie laufend dieses untaugliche Konglomerat aus Zuwanderung und Asyl zur Diskussion stellen. Sie wissen so gut wie wir, dass wir auf europäischer Ebene in absehbarer Zeit einheitliche Regelungen haben werden. Führen wir also die Diskussion dort, wo sie hingehört, nicht immer hier im Landtag als Stimmungsmache gegen Asylbewerber und Ausländer. Das ist auch Ihrer nicht würdig, und es ist vor allem des „C“ in Ihrem Parteinamen nicht würdig.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wir sind froh darüber, dass wir aufgrund der Tätigkeit der Arbeitsgruppe des Innenministers unter Leitung von Rita Süßmuth und unter stellvertretender Leitung von Hans-Jochen Vogel noch rechtzeitig vor Ende dieser Legislaturperiode verwertbare Erkenntnisse für ein Einwanderungsgesetz in unserem auch ökonomischen Interesse – ich betone das noch einmal – haben werden. Hier wird es Quoten geben müssen. Im Asylrecht aber ist, wie es Klaus J. Bade ausgedrückt hat, nicht eine „Quotierung der Hilfsbereitschaft“ angesagt, sondern es sind Verteilungsquoten zwischen den europäischen Ländern notwendig. Wir fordern Sie auf, diesen Weg – den einzig erfolgversprechenden – mitzugehen und auf Ihrem Weg der zunehmenden Erkenntnis voranzuschreiten. Wir freuen uns darüber.
Herr Präsident, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Herr Ministerpräsident, ich halte es für bedauerlich, dass der Ministerpräsident eines großen Bundeslandes glaubt, es nötig zu haben, vom Pult des Parlaments das höchste Verfassungsorgan unseres Staates, den Bundespräsidenten, mit derart billiger Polemik anzugreifen.
Ich halte das für übelstes Schmierentheater.
Was die Vorwürfe betrifft, die gegen Herrn Rau erhoben werden, kann ich Sie nur auffordern, erst einmal vor Ihrer eigenen Tür zu kehren. Sie können versichert sein, dass wir nicht damit aufhören werden, das bei Ihnen aufzuklären.
Lassen Sie mich nun zum Thema der heutigen Sitzung kommen. Wir, die bayerische SPD, müssen weder vom hohen Wert des Föderalismus überzeugt noch von Ihnen oder sonst jemandem belehrt werden. Wir wissen, dass der föderale Staatsaufbau einer der wichtigsten Bausteine für die erfolgreiche Entwicklung unserer Demokratie war und ist.
Statt eines alles dominierenden zentralen Molochs hat Deutschland dank seiner Geschichte seit alters her viele Zentren. Das hat unser Land in der Vergangenheit ausgezeichnet. Das gilt für die Gegenwart und soll auch in der Zukunft so bleiben. Die Bayern-SPD war die historische Vorkämpferin. Sie ist heute Verfechterin eines kooperativen Föderalismus.
Schon unser Gründer und unser erster Landesvorsitzender Georg von Vollmar hat vor 100 Jahren, als es eine CSU noch lange nicht gab und Ihre Vorgänger noch dem Kaiser zugejubelt haben,
dezidiert gegen die zentralistischen Bestrebungen Berlins gekämpft.
Nach 1945 hat es ihm dann Wilhelm Hoegner, einer der wichtigsten Verfassungsväter des modernen Bayern, gleichgetan.
Schließlich und endlich hätte es ohne den SPD-Fraktionsvorsitzenden Hans-Jochen Vogel Anfang der Neunzigerjahre wahrscheinlich keinen neuen Grundgesetzartikel 23 gegeben – dabei will ich die Verdienste des Freistaates Bayern nicht schmälern –, der den Ländern die Möglichkeit gibt, ihre legitimen föderalen Interessen auch im Rahmen der weiteren Integration Europas zu vertreten.
Hier also immer Gegensätze zu konstruieren, wo tatsächlich keine sind, ist unseriös und unsinnig und zerstört Gemeinsamkeit, wo Sie Gemeinsamkeit brauchen, um etwas durchsetzen zu können.
Deshalb sage ich noch einmal: Wir sind – nicht erst seit heute und nicht erst seit dem Sie Ministerpräsident sind – erstens für ein Zurückholen von Kompetenzen von der europäischen und der Bundesebene auf die Länderebene und zweitens für eine Änderung des Länderfinanzausgleichs mit den zwei Zielsetzungen Solidarität und Wettbewerb. Dies dann als dünne Lippenbekenntnisse zu bezeichnen, nur weil wir diese Aussagen nicht mit täglichen Ausrufen „Hosianna, Stoiber!“ begleiten, ist schlicht und einfach böswillig.
Sie, Herr Stoiber, wollen missverstehen und wollen nicht begreifen, dass uns nicht das Ziel unterscheidet, sondern die Wege, die zu diesem Ziel führen sollen. Ebenso wie ich keine demokratische Partei in Deutschland kenne, die den Föderalismus oder seinen Wert infrage stellt, genauso waren nahezu alle Parteien daran beteiligt, den Föderalismus in seiner Substanz zu mindern. Es waren eben nicht irgendwelche undurchschaubaren Machenschaften oder nicht näher zu definierende Bundesregierungen, die begonnen haben, den Föderalismus auszuhöhlen. Es war z.B. das Schaffen einer Vielzahl von Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungen, deren Einführung allen voran der damalige Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß zu verantworten hatte und nicht jemand anderes.
Aber – das sage ich der guten Ordnung halber – er war es natürlich nicht allein. Die dafür notwendigen Grundgesetzänderungen setzten eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat voraus. Es waren also alle an der Aushöhlung föderaler Prinzipien beteiligt, Sie und wir. Niemand in diesem Parlament hat demnach einen Alleinvertretungsanspruch auf die reine Lehre des Föderalismus. Alle in diesem Parlament vertretenen Parteien haben gegen dessen Prinzipien schon irgendwann verstoßen.
Trotz dieser grundlegenden Gemeinsamkeiten gibt es aber einen wesentlichen Unterschied zwischen Ihrem und unserem Verständnis von Föderalismus. Denn für uns besteht Föderalismus nicht nur aus Regierungsföderalismus. Wir gehen weiter. Erlauben Sie deshalb die Retourkutsche: Ihre heutigen Lippen- und Pseudobekenntnisse zum Länderparlamentarismus nehme ich Ihnen genauso wenig ab wie Ihr Interesse an diesem Parlament.
Ihnen geht es um mehr Macht und mehr Einfluss der Landesregierungen und nicht etwa der Parlamente. Wir aber wollen transparente, demokratisch legitimierte Entscheidungen von der Kommune über die Länder und den Bund bis hin zu Europa. Uns reicht es nicht, dass sich der von den Länderregierungen beschickte Bundesrat Zuständigkeiten von Europa und vom Bund zurückholt. Kompetenzen, die wir als Landtag an den Bund und an Europa geben, schwächen den Einfluss des Landtags genauso wie weitere Kompetenzverlagerungen an den Bundesrat.
Anlässlich der Abstimmung über die Maastrichter Verträge und der Debatte zu Art. 23 des Grundgesetzes habe ich als Abgeordnete 1992 im Deutschen Bundestag eine persönliche Erklärung zu Protokoll gegeben. Ich zitiere daraus:
Der Vertrag von Maastricht baut das Demokratiedefizit in Europa nicht ab, sondern schafft noch einen größeren demokratiefreien Raum. Bundesregierung und Landesregierungen haben ihre Rechte gesichert. Kommission und Rat erfahren einen Machtzuwachs, während die Rechte des Europäischen Parlaments, der nationalen und der Länderparlamente nicht entsprechend ausgebaut werden. Es entsteht ein Europa der Regierungen und nicht der Parlamente. Ich erwarte, dass spätestens bei der vorgesehenen Vertragsrevision die Parlamentsrechte geschaffen werden.
Und weiter:
In den Begleittexten zu den Verfassungsänderungen und in den Verfassungsänderungen selbst wird die Rolle der Gemeinden in der europäischen Integration nicht gebührend berücksichtigt. Es wird die Tendenz zu einem Regierungsföderalismus verstärkt, während den Gemeinden und den Landesparlamenten eine eigenständige Rolle im Prozess der europäischen Einigung verweigert wird.
Das war 1992, meine sehr geehrten Herren, meine Damen. Ein Beweis mehr dafür, dass Ihre albernen Vorwürfe eines Antiföderalismus der SPD schlicht und einfach absurd sind.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang übrigens nur daran, dass es unter anderem die Bayerische Staatsregierung war – ich glaube, damals hat Herr Goppel geredet –, die den Kommunen Sitz und Stimme im Aus
schuss der Regionen verweigern und sie wie unmündige Kinder behandeln wollte.
Meine Feststellung in der persönlichen Erklärung von 1992 gilt leider heute noch viel mehr. Die immer stärkere Entmachtung der Parlamente und die damit einhergehende stetige Aushöhlung föderaler Prinzipien wird noch verstärkt durch die Zunahme politischer Entscheidungsgremien, die weder demokratisch legitimiert sind noch irgendwo in der Verfassung stehen. Das ist nicht als Vorwurf gegen Sie gemünzt, sondern hier müssen sich alle miteinander an die Nase fassen.
Sie haben einige dieser Gremien genannt. Ich nenne weitere: Koalitionsrunden auf Bundesebene, Ministerpräsidentenkonferenzen oder auch Gremien der Landtagspräsidenten, die en passant beschließen, dass die Landtagspräsidenten in der Bund-Länder-Kommission zur Reform des Föderalismus vertreten sein sollen, ohne dass das jemals von irgendwem irgendwo parlamentarisch beraten oder beschlossen worden wäre usw. usw.
Diese Gremien mögen alle der Effizienz politischer Arbeit dienen. Manchmal bewirken sie auch das Gegenteil; denn sie degradieren zunehmend Parlamente und Verfassungsorgane zu Abnickgremien.
Es entspricht unserem Selbstverständnis als Landesparlament, wenn wir verlangen, dass wir als unterste Grenze des Notwendigen rechtzeitige Informationen bekommen, und zwar rechtzeitig vor den Entscheidungen, um das Gesetz des Handelns wieder bestimmen zu können.
Dazu brauchen wir übrigens keinen Bundesrat, keinen Bundestag, keine Europäische Kommission, sondern nur einen ordentlichen Umgang miteinander.
Sie, Herr Ministerpräsident, informieren uns hier heute zwar vor der am Wochenende anstehenden Ministerpräsidentenkonferenz, aber die Möglichkeit, auf das Einfluss zu nehmen, was Sie dort als Ihre Position einbringen, hat dieser Landtag nicht. Sie können zwar – leider – getrost davon ausgehen, dass die Mehrheit dieses Landtags auch in Unkenntnis dessen, was Sie in Ministerpräsidentenkonferenzen oder im Bundesrat durchsetzen wollen,
Ihnen in jedem Fall auch nachträglich zustimmt – dazu gibt es übrigens viele Beispiele –, jedoch hat dies mit demokratischen Prinzipien, mit Transparenz und Bürgernähe nicht mehr das Leiseste zu tun.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wenn wir dies weiter so dulden, wenn Handeln der Exekutive ohne ausreichende parlamentarische Mitsprache und Einflussnahme stattfindet, dann machen wir uns letztendlich als Landtag selber überflüssig.
Wir fordern deshalb in unserem Dringlichkeitsantrag erstens das, was in anderen Ländern wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen, dem Freistaat Sachsen und weiteren fünf Ländern sogar in den Verfassungen verankert ist, nämlich die rechtzeitige Information über geplantes Regierungshandeln auf Bundes- und Europaebene.
Rechtzeitig bedeutet für uns hierbei, dass Einflussnahme durch das Parlament noch möglich ist.
Darüber hinaus fordern wir zweitens, dass der Bayerische Landtag an der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Reform des Föderalismus beteiligt wird. Sie haben heute zu Recht die fortschreitende Deklassierung der Landesparlamente beklagt. Welche Initiativen haben Sie eigentlich unternommen, um den Landtag an dieser wichtigen Kommission zu beteiligen? Ihnen geht es gar nicht um die Stärkung des Parlamentarismus. Ihnen geht es um mehr Macht für Regierungen. Dies sollten Sie auch in aller Deutlichkeit sagen.
Drittens fordern wir, das Angebot des EU-Kommissars Barnier anzunehmen, dass die Europäische Kommission den Parlamenten und den Mitgliedstaaten Rede und Antwort im Rahmen der Institutionenveränderungen der EU stehen will. Wir schlagen daher vor, die beiden deutschen Kommissare Günter Verheugen und Michaele Schreyer sowie die glücklicherweise aus Bayern kommenden Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, also unseren Parteifreund Gerhard Schmid und Ihren Parteifreund Dr. Ingo Friedrich, in den Landtag einzuladen, und zwar vor dem Abschluss der laufenden Regierungskonferenz, um mit Ihnen über Kompetenzabgrenzung zur EU und Daseinsvorsorge als regionale Zuständigkeit zu diskutieren.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, damit bin ich beim Schwerpunkt, den ich heute in dieser Debatte über den Föderalismus setzen will: Wie können wir föderale Prinzipien in einem stärker integrierten Europa verwirklichen? Für uns gelten als Voraussetzungen:
Erstens. Die Europäische Union ist für die nationalen Mitgliedstaaten und für die Länder ein unverzichtbarer Akteur globaler Regulierung, bei der Durchsetzung gemeinsamer Interessen und bei der Beantwortung globaler Herausforderungen. Dazu braucht die Europäische Union ausreichende Möglichkeiten.
Zweitens. Im deutschen und auch im bayerischen Interesse liegt eine funktionsfähige, effiziente, erweiterungsfähige Union.
Drittens. Im deutschen Interesse und im Interesse der Regionen liegt es auch, durch föderale Elemente eine Machtverteilung und Begrenzung der Europäischen Union nach innen sicherzustellen. Unsere Europapolitik will Subsidiarität und Solidarität, Wettbewerb und Kooperation. Für Sie, Herr Stoiber, gilt in meinen Augen aber etwas ganz anderes: Sie benützen Europapolitik,
anders als Ihr Vorgänger im CSU-Parteivorsitz, ausschließlich als innenpolitische Waffe gegen Ihre politischen Gegner.
Die Europäische Union ist für Sie kein Wert an sich, nicht an erster Stelle eine Institution, die uns bei aller Unzulänglichkeit in West- und Südeuropa fünfzig Jahre Frieden gesichert und einen ungeheuren Wohlstand gebracht hat. Für Sie, Herr Ministerpräsident, ist die Europäische Union nach wie vor willkommener Buhmann. Jede kritisierenswerte Fehlentwicklung ist für Sie Munition in der innenpolitischen Auseinandersetzung.
Auch Ihre jüngsten Äußerungen beweisen dies. Sie haben in Interviews gesagt, Sie wollten den Bundeskanzler bei den Bundestagswahlen wegen seiner Europapolitik stellen. Sie wollen regelmäßige Unterschriftenaktionen zu einzelnen europäischen Fragen durchführen. Eine kleine Anmerkung hierzu: Gleichzeitig verweigern Sie aber inkonsequenterweise plebiszitäre Elemente in der Bundesverfassung. Deshalb ist für Sie auch die Debatte über mehr Föderalismus in der Europäischen Union eine Debatte, die nicht an erster Stelle nach Lösungen sucht, sondern die vor allem genutzt wird, um die Bürger und Bürgerinnen gegen die Europäische Union aufzubringen.
Wer solche Ressentiments schürt oder weckt, betreibt eine Haiderisierung der Europapolitik.
Sie werden damit einem wichtigen Zukunftsthema nicht gerecht.
Ich will nicht missverstanden werden.
Selbstverständlich gibt es zu kritisierende Fehlentwicklungen. Selbstverständlich kann es kein vernünftiger Mensch gutheißen, wenn die EU von Brüssel aus bestimmen will, wo bei uns Rettungshubschrauber landen dürfen und wo nicht. Selbstverständlich finden wir es falsch, wenn neoliberale Wettbewerbsajatollahs in Brüssel unseren Kommunen mit Transparenzrichtlinien das Leben schwer zu machen versuchen oder, was abgewendet scheint, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gefährden oder unsere Wohlfahrtsverbände, Sparkassen und Landesbanken infrage stellen wollen.
Hier stimmen wir überein. Wir möchten aber konstruktiv nach Wegen suchen, unsere legitimen Interessen mög
lichst weitgehend durchzusetzen und nicht destruktiv eine Anti-Europa-Stimmung erzeugen.
Sie stellen, wie wir auch, richtige und wichtige Forderungen, aber Sie versehen diese Forderungen dann sofort mit der Drohung an die Bundesregierung, die Ratifizierung der Beschlüsse der laufenden Regierungskonferenz zu verweigern, falls Ihre Forderungen nicht erfüllt werden.
Henning Scherf hat in der Debatte am 4. Februar im Bundesrat gesagt, dass der Bundeskanzler leider vergeblich versucht hat, die Tagesordnung der Regierungskonferenz um die Frage der Kompetenzabgrenzung zu erweitern. Auch Sie müssen lernen zu begreifen, dass Föderalismus und Realismus nicht von vornherein Gegensätze sind und dass Deutschland einer von 15 Mitgliedstaaten ist und nicht das alleinige Sagen hat
Auch wir wollen, dass sich die Europäische Union nicht zunehmend Zuständigkeiten holt, die nationale, regionale und kommunale Zuständigkeiten sind und bleiben sollen. Ich habe einige davon genannt. Dennoch halte ich es für absolut unrealistisch, den zugegebenermaßen etwas schmalbrüstigen Katalog der laufenden Regierungskonferenz zu erweitern. Ich hielte es deshalb für einen substanziellen Erfolg, wenn am Schluss dieser Regierungskonferenz ein konkreter Auftrag zur Kompetenzabgrenzung und zur Daseinsvorsorge für die nächste Regierungskonferenz herauskäme. Dazu braucht man Verbündete. Verbündete braucht man auch, wenn es um die Inhalte der Kompetenzbegrenzung in Europa geht. Alleine schaffen wir in Europa gar nichts.
Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen, Herr Ministerpräsident, gerade dieses Thema Kompetenzbegrenzung ist ein ungeheuer schwieriges. Derzeit würde eine Diskussion darüber eher das genaue Gegenteil bewirken. Die meisten Mitgliedstaaten der Union wollen – ich sage: leider – eher eine Kompetenzerweiterung der Europäischen Union als eine Kompetenzbegrenzung, weil sie sich dadurch zusätzliche finanzielle Mittel erhoffen. Wer etwas erreichen will, muss also im deutschen und bayerischen Interesse in aller Behutsamkeit vorgehen, muss um Verbündete werben und darf nicht nach dem Motto „mir san mir“ oder „da muss sich die EU warm anziehen“ Porzellan zerdeppern, das dann nicht mehr zu kitten ist.
Außerdem müssen Sie sich schon redlicherweise fragen lassen: Warum verlangen Sie von dieser Bundesregierung, in einem Jahr das nachzuholen, was jahrelang unter der konservativ-liberalen Koalition einfach liegen geblieben ist?
Warum muss Bundeskanzler Gerhard Schröder, der Ihnen doch parteiübergreifend seine grundsätzliche Unterstützung zugesagt hat, hoppla hopp durchsetzen, was Kohl offensichtlich nicht erreichte und was Sie bei ihm nicht einmal zu erreichen versucht haben?
Wann haben Sie sich denn getraut, Herrn Kohls Bundesregierung zu drohen, und welchen Erfolg hatten Sie denn dabei?
Seit Dezember 1992 offensichtlich ohne Ergebnisse.
Im Dezember 1992 wurde der neue Artikel 23 in die Verfassung eingefügt. Seither haben die Länder die Möglichkeit, auf den europäischen Einigungsprozess Einfluss zu nehmen. Seither gab es auf europäischer Ebene x Gipfeltreffen und Regierungskonferenzen. Passiert ist hinsichtlich der beiden Themen, die uns berühren, wenig oder gar nichts.
Sie hatten jahrelang die Mehrheit im Bundestag. Sie haben dennoch bei keiner der Regierungskonferenzen auch nur den Versuch einer Begrenzung der Kompetenzen unternommen – im Gegenteil: Sie haben sogar Chancen, die es gegeben hat, nicht genutzt. So hat es im Jahre 1996 die Bereitschaft der EU-Kommission gegeben, den Artikel 3 des Europavertrags zu ändern. Die Daseinsvorsorge wäre dadurch in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten abgesichert und von der Beihilfekontrolle – darum geht es doch – ausgenommen worden. Frau Wulf-Mathies hatte dazu ein Weißbuch erstellt. Diese Änderung des Artikels 3 wurde von Ihrer, von der damaligen Bundesregierung abgelehnt.
Diese vertragliche Absicherung der Daseinsvorsorge wurde nach meinen Informationen auch von Bayern abgelehnt, weil die Staatsregierung glaubte, mit Einzelregelungen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder zum Sparkassenwesen weiterzukommen. Wir wären heute weiter, wenn Sie sich seinerzeit anders und richtig entschieden hätten.
Es bleibt festzuhalten: Seit Ende 1992 ist in den zwei zentralen Fragen Kompetenzabgrenzung und Absicherung der Daseinsvorsorge nahezu nichts geschehen. Jetzt soll das Versäumte nach Ihrem Willen bis Ende 2000 nachgeholt werden.
Vor diesem Hintergrund mit der Nichtratifizierung der EU-Osterweiterung zu drohen, das halte ich allerdings für fahrlässig. Es gibt einen schönen Spruch: Was du auch tust, bedenke das Ende. Wie soll denn dieses Ende Ihrer Meinung nach aussehen? Soll Deutschland, soll
die Bundesregierung, wenn es die Erweiterung der Tagesordnung der Regierungskonferenz nicht erreichen sollte, vielleicht aus der EU austreten? Welche Auswirkungen hätte das auf unsere Wirtschaft? Wer auf solch unrealistische Weise versucht, legitime – ich betone das: legitime – Interessen durchzusetzen, der wird, wie es auf dem Nockherberg so schön heißt, „nicht einmal mehr ignoriert“, auch wenn dieser Satz vom Bayerischen Rundfunk aus der Rede gestrichen worden ist.
Soll die Bundesregierung die EU-Osterweiterung auf längere Zeit blockieren, während Sie in den osteuropäischen Staaten bei Ihren Besuchen jeweils den schnellen Beitritt versprechen? Oder beabsichtigen Sie auch in diesem Fall dasselbe Spiel wie beim Euro? Bis zum vorletzten Tag haben Sie ihn mannhaft verhindert, um dann noch ganz schnell in der letzten Sekunde in das Befürworterkonzert mit fadenscheinigen Begründungen einzustimmen.
Dies ist keine verantwortliche Politik und damit werden Sie den wichtigen und richtigen Anliegen, die wir gemeinsam vertreten, nicht gerecht. Wir wollen wie Sie Kompetenzen aus Europa in die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten und diese dann innerstaatlich in die Kompetenz der Länder zurückführen. Wir wollen die Daseinsvorsorge als regionale und kommunale Zuständigkeit vertraglich absichern und damit von der Beihilfenkontrolle ausnehmen. Dies erscheint erfolgversprechender zu sein. Aber auch hier gibt es bei den Mitgliedstaaten unterschiedliche Interessenlagen. Das müssen wir berücksichtigen und müssen uns davor hüten, Forderungen zu stellen, die uns letztlich schaden.
Während wir in Deutschland zu Recht alle miteinander ein hohes Interesse daran haben, unsere Sparkassen, unsere Landesbanken, den öffentlichen Rundfunk, den ÖPNV, die Arbeitsverwaltung und -vermittlung, den sozialen Wohnungsbau und unsere Wohlfahrtsverbände in ihren bisherigen Strukturen zu erhalten, haben wir ein ebenso großes Interesse, Tatbestände, die in anderen Mitgliedstaaten noch zur Daseinsvorsorge zählen, aber bei uns zwischenzeitlich nicht rückholbar privatisiert sind, wie zum Beispiel den Luftverkehr oder Post und Telekommunikation, der strikten Beihilfenkontrolle zu unterwerfen, weil wir sonst erhebliche Wettbewerbsnachteile hätten.
Gleichzeitig wollen wir aber ohne Wettbewerbskontrolle – wie ich meine, richtigerweise – in viel größerem Umfang Wirtschaftsförderung – wie Sie gesagt haben – mit unserem eigenen Geld betreiben.
Dies alles, diese hochkomplizierten, miteinander vernetzten Sachverhalte in der laufenden Regierungskonferenz noch klären zu wollen oder gar zu einem Abschluss zu bringen, scheint illusorisch zu sein.
Wir wollen zum Dritten den Ausschuss der Regionen durch Informations- und Klagerechte stärken.
Um all das zu erreichen, schlagen wir vor, zweigleisig zu fahren: zum einen zu versuchen, diese Punkte in der
nächsten Regierungskonferenz unterzubringen – dazu ist ein verbindlicher Auftrag der laufenden Regierungskonferenz nötig, in der Zwischenzeit müssen mit der Bundesregierung konkrete Inhalte und die einzuschlagende Strategie geklärt werden –, zum Zweiten die Diskussion über die Charta der Grundwerte zu nutzen, um unsere Anliegen zur Stärkung von Subsidiarität und Föderalismus dort einzubringen.
Ich bin überzeugt, dass wir in dem Vorsitzenden des Konvents, Herrn Prof. Roman Herzog, einen wichtigen Verbündeten haben, der sich in Kapitel X der Charta bereits ausdrücklich für die Sicherung mitgliedstaatlicher Kompetenzen ausgesprochen hat. Ich halte ein solches Vorgehen für erfolgversprechender, als mit Konsequenzen zu drohen, die entweder nicht durchführbar sind oder uns selber schaden würden.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einige wenige Gedanken zur Osterweiterung der EU einfügen, weil das untrennbar miteinander zusammenhängt. Die Osterweiterung der Europäischen Union ist im deutschen und insbesondere im bayerischen Interesse. Sie haben auch darauf hingewiesen. Ebenso ist es im deutschen und vor allem im bayerischen Interesse, dass die Kriterien, die wir alle miteinander vereinbart haben, strikt eingehalten werden und die geforderten Voraussetzungen bei den Beitrittsländern erfüllt werden.
Wir haben in Deutschland wahrhaftig Erfahrungen, was es bedeutet, wenn wirtschaftlich völlig unterschiedlich entwickelte Gebiete zu schnell zusammengeführt werden. Gerade aus diesen Erfahrungen heraus wissen wir, dass es im Interesse aller Beteiligten ist, wenn wirtschaftliche, soziale und ökologische Standards nicht zu weit auseinander klaffen. Sonst entstehen nämlich statt blühender Landschaften leider Schuldenberge und Arbeitslosenzahlen, und das wollen wir in allen Ländern garantiert nicht.
Deshalb, meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen, bin ich froh, dass vor wenigen Tagen der für die Osterweiterung zuständige EU-Kommissar Günter Verheugen vor dem Bundespräsidium der SPD ohne Wenn und Aber gesagt hat, dass für ihn die Einhaltung der vereinbarten Kriterien oberstes Gebot sei und daher derzeit kein Land reif für den Beitritt sei.
Ich bitte Sie deshalb, auch hier nicht wieder irgendeinen Popanz aufzubauen. Für uns gilt wie für Sie: Qualität geht vor Tempo, Einhaltung der Kriterien ist wichtiger als schnelle Erweiterung. Ich bitte Sie nur, diese innenpolitisch gemeinsame Position genauso bei Ihren Besuchen im Ausland zu vertreten und dort nicht unrealistische Hoffnungen zu erwecken, wie Sie es laufend tun.
Und auch das Thema Türkei eignet sich, wenn Sie bei der Wahrheit bleiben, nicht für populistische Anti-Europa-Stimmungsmache. Die Türkei ist derzeit kein Beitrittskandidat. Sie befindet sich in einem Vorvorvorstadium zum Kandidatenstatus. Für uns ist die Europäische
Union nicht nur ein Binnenmarkt, nicht eine Freihandelszone wie für Sie, sondern für uns ist sie eine Wertegemeinschaft. Deshalb ist für uns die Einhaltung der Menschenrechte für ein EU-Mitglied unverzichtbar. Sie werden sich irgendwann entscheiden müssen. Bei der Abschiebung von Kurden und christlicher Minderheiten ist die Türkei für Sie ein Hort der Menschenrechte, bei der EU-Erweiterung das genaue Gegenteil. So wird kein Schuh daraus.
Zur Einhaltung von Menschenrechten gehört für uns neben der Rechtsstaatlichkeit, der Einhaltung des Verbots der Folter, der Achtung der Rechte ethnischer Minderheiten auch die Religionsfreiheit. Genauso wie zu Recht Moslems bei uns eigene Gotteshäuser fordern, muss es die Türkei zulassen, dass ausreichend christliche Kirchen auch auf türkischem Boden entstehen können, auch katholische Kirchen, um das ganz deutlich zu sagen.
Sie sollten sich deshalb davor hüten, auch im Falle der Türkei mit Halbwahrheiten Anti-Europa-Stimmungen zu schüren. Haider lässt grüßen.
Selbstverständlich geht es in der Frage Stärkung des Föderalismus nicht nur um die Abgrenzung von Kompetenzen zur Europäischen Union, sondern auch um die Rückholung von Kompetenzen von der Bundes- auf die Länderebene. Auch dies ist kein neues Thema und kein Thema nur mit der heutigen Bundesregierung im Verhältnis zu den Ländern. Nicht zuletzt deshalb ist auf unseren Antrag hin – ich betone das: auf unseren Antrag hin – eine Enquete-Kommission des Landtags zur Stärkung des Föderalismus eingesetzt worden.
Ich, Herr Ministerpräsident, weiß nicht, ob Sie das überhaupt schon zur Kenntnis genommen haben, erwähnt haben Sie es jedenfalls nicht. Sie, die Kollegen und Kolleginnen von der CSU, haben in der letzten Legislaturperiode den gleichen Antrag abgelehnt. Auch aus Gründen des Respekts vor dem Parlament sollten die Arbeitsergebnisse der Enquete-Kommission in Regierungshandeln einfließen.
Unser Kollege Harald Güller wird auf die Frage der Abgrenzung der Bund-Länder-Kompetenzen und vor allem auf den Länderfinanzausgleich noch näher eingehen. Lassen Sie mich nur einige Eckpunkte nennen.
Wir fordern wie Sie eine Überprüfung der konkurrierenden Gesetzgebung und der Gemeinschaftsaufgaben nach Artikel 91 des Grundgesetzes mit dem Ziel ihrer weitgehenden Abschaffung.
Ich bin der festen Überzeugung, dass es heute einer gemeinsamen Verantwortung von Bund und Ländern,
beispielsweise für den Hochschulbau oder das Krankenhauswesen, nicht mehr bedarf.
Sie sollten sich aber davor hüten, jede bundesweite Vereinbarung mit dem wohlfeilen Wort „Gleichmacherei“ zu bedenken. Wenn heute Eltern für ihre Kinder in allen Bundesländern vergleichbare Bildungsabschlüsse wollen, ist das keine Gleichmacherei, sondern eine absolute Notwendigkeit in einer mobilen Gesellschaft.
Einhergehen muss diese Neuverteilung von Kompetenzen zwischen Bund und Ländern natürlich auch mit einer Neuordnung der Finanzen. Wir wollen – wie Sie und nicht erst seit heute – einen fairen Finanzausgleich. Fairness heißt für uns, nicht zu vergessen, dass Bayern 38 Jahre von der Hilfe anderer Länder profitiert hat, aber auch, dass durch den Finanzausgleich nicht Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden dürfen und dadurch arme zu reicheren Ländern und reiche zu armen Ländern werden. Natürlich ist das im Vergleich zu ihrer ursprünglichen Position zu sehen. Natürlich sollen die ärmeren Länder reicher werden, aber doch nicht reicher als die Zahlerländer; dies wollten Sie bewusst missverstehen.
Auch beim Finanzausgleich gilt: Wir brauchen Wettbewerb und Kooperation, Subsidiarität und Solidarität. Ich habe manchmal den Eindruck, dass Kooperation und Solidarität für Sie im Zusammenhang mit Föderalismus Fremdworte sind, und das macht es so schwer, Verbündete für die Interessen Bayerns zu finden. Wir wollen – wie Sie heute nochmals betont haben – eben keinen reinen Wettbewerbsföderalismus wie Sie. Wir sind davon überzeugt, dass Föderalismus auf dem Boden von Kompromissbereitschaft und Kooperation am besten gedeiht.
Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich inhaltlich – und das ist nicht verwunderlich – zum Länderfinanzausgleich nicht sehr viel getan. Die Bundesländer arbeiten – oder besser verharren – in den zwei bekannten Gruppen: Zahler- und Empfängerländer. Jetzt soll eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden nach dem Motto – erlauben Sie mir diese despektierliche Anmerkung –: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründ’ ich einen Arbeitskreis. Diesen hätten Sie auch ohne Klage erreichen können.
Denn auch ohne Klage hätte der Länderfinanzausgleich bis 2005 neu geregelt werden müssen.
Damit bewahrheitet sich leider unsere zentrale Kritik von uns an Ihrer Klage beim Bundesverfassungsgericht. Die auch von uns als notwendig angesehene Reform des Länderfinanzausgleichs – und wir stimmen mit 60 bis 70% der von Ihnen heute genannten Forderungen über
ein – ist nur im Gespräch und Konsens der Länder erreichbar.
Ich weiß aus vielen Diskussionen auf Bundesebene, dass die Klage hier Gräben aufgerissen hat, die nur schwer zu schließen sind. Ergebnis könnte eine sehr kleine Lösung sein, welche Bayern am wenigsten dient.
Gleichzeitig ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinreichend unkonkret, sodass wiederum die Gefahr besteht, dass sich beide Ländergruppen in der Diskussion auf die ihr genehmen Passagen beziehen werden. Vielleicht kann die Lösung des Problems darein bestehen, durch eine Neuaufteilung von Kompetenzen von Bund und Ländern einen zusätzlichen Zwang zu einer neuen Finanzaufteilung zu erzeugen und dadurch aus der festgefahrenen Situation herauszukommen.
Viel hat sich beim Länderfinanzausgleich nicht bewegt. Eines hat sich jedoch verändert: Ihre Position zur Neugliederung der Länder hat sich um 180 Grad gedreht. Heute Nacht dachte ich, ich lese Ihre Rede nicht richtig: Das ist nahezu O-Ton Schmidt aus unserer ersten Debatte zum Länderfinanzausgleich; seit dem Regierungswechsel muss das Saarland plötzlich nicht mehr aufgelöst werden.
O tempora mutantur, wie ändern sich die Zeiten und Stoiber mit ihnen nach dem schönen Motto: Was geht mich mein Geschwätz von gestern an.
Für Sie beinhaltet die Diskussion über die Stärkung des Föderalismus die Forderungen an die Europäische Union und an den Bund. Für uns gehört auch der innerbayerische Föderalismus zu einer umfassenden Föderalismusdiskussion. Gegenüber dem Bund und gegenüber Europa sind Sie der größte Föderalist – innerbayerisch der größte Zentralist.
Heute haben Sie in diesem Zusammenhang wieder behauptet: alles in Bayern ist gut, besser, am besten – auch in der kommunalen Selbstverwaltung. Unsere erfolgreichen ersten Bürgermeister und Oberbürgermeister, von denen wir in Bayern mehr stellen als Sie, sehen das ein bisschen anders.
Wir trauen nämlich im Gegensatz zu Ihnen den kommunalen Gebietskörperschaften, den Gemeinden, Landkreisen, Städten und Bezirken zu, vieles, was derzeit von der Staatsregierung bis ins kleinste Detail geregelt wird, selbst zu regeln. Wir sind ebenso der Auffassung, das wir in Bayern nicht unzählige kommunale Fördertatbestände brauchen, sondern im Sinne der Subsidiarität das Geld in den Kommunen lassen und sie eigenständig
darüber verfügen lassen sollten. Wir sind weiterhin der Meinung, dass wir die Kompetenzen in den Regionen nutzen sollten – siehe regionale Hightech-Offensive – und nicht durch angeblich übergeordneten Staatskanzleisachverstand unterdrücken dürfen.
Letztendlich müssen wir im Freistaat endlich im Sinne von Subsidiarität und gelebtem Föderalismus das Konnexitätsprinzip erfüllen und den Kommunen die ihnen für ihre Aufgaben zustehenden finanziellen Mittel zur Verfügung stellen.
Wenn ich mir das Bündel von Problemen ansehe, die ich heute nur grob habe schildern können, die mit einer Stärkung des Föderalismus auf europäischer, Bundes- und kommunaler Ebene verbunden sind, sage ich: Wir stehen erst am Anfang einer höchst komplizierten, aber auch höchst notwendigen Debatte.
Aber die Debatte lohnt sich; denn Föderalismus ist nicht die „spinnerte, typisch deutsche oder gar typisch bayerische Idee einiger Hinterwäldler“. Föderalismus ist die politische Umsetzung eines Grundbedürfnisses von Menschen, nämlich das Bedürfnis nach Heimat und Zugehörigkeit. Föderalismus heißt auch Achtung der Unterschiedlichkeit der Menschen in unterschiedlichen Regionen. Dieses Bedürfnis ist in unserer grenzenlosen und „globalisierten Welt“ berechtigter und größer denn je. Deshalb wollen wir einen lebendigen, kooperativen Föderalismus als Erfolgskonzept für Bayern und ganz Deutschland stärken und ihn gegen alle Bestrebungen, ihn auszuhöhlen, verteidigen.
Herr Präsident, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Lieber Herr Glück, zuerst möchte ich sagen, worin ich Ihnen zustimme. Ich stimme Ihnen zu – wir haben gestern darüber am Telefon gesprochen –, dass ein solche Debatte, egal, ob sie wirklich zur Frage der Kompetenzerweiterung der EU oder zu dem Thema, das Sie tatsächlich gewählt haben, stattfindet, nicht in 5- oder 10-Minuten-Beiträgen geführt werden kann. Wir sollten uns im Hinblick auf die Geschäftsordnung überlegen, wie wir auf aktuelle Dinge mit vernünftigen Debattenbeiträgen des Parlaments, nicht unbedingt der Regierung, reagieren können.
Zum Zweiten stimme ich Ihnen eindeutig zu, was Ihre Beurteilung des Trauerspiels anbelangt, das ein Teil der Medien – ich betone: ein Teil der Medien – im Zusammenhang mit der neuen Koalition in Österreich geboten hat. Es ist genauso, wie Sie es geschildert haben: Man hat Herrn Haider auf diese Art und Weise die Massen auch noch zugetrieben. Wie man sich derartig fahrlässig auf solche Debatten vorbereiten kann, spottet jeder Beschreibung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, lassen Sie mich aber nach der Sinnhaftigkeit der heutigen Debatte fragen. Gestern wurde in Berlin im Rahmen einer Aktuellen Stunde, die zu einer normalen Debatte wurde, dasselbe Thema unter Beteiligung von Herrn Stoiber diskutiert, das heute in anderer Besetzung hier diskutiert wird. Ich habe mir das Protokoll der Debatte gestern Nacht noch beschafft. Ich sage – das ist keine Kritik –, wenn Sie die 200 Seiten lesen, werden Sie merken, es können heute hier gar keine grundsätzlichen neuen Gedanken geäußert werden. Ich frage mich, was wir mit einer Kompetenzverlagerung von Europa in die Länder überhaupt noch wollen. Wenn wir so weitermachen und immer nur „nachtarocken“, machen wir uns selbst überflüssig.
Eine wirklich seriöse Debatte zum Thema „Kompetenzerweiterung“ bzw. „Rückverlagerung von Kompetenzen in die Länder“ wird wohl erst im Zusammenhang mit der Regierungserklärung im September möglich sein.
Für heute führe ich von meiner Seite aus drei kurze Punkte auf:
Erstens. Wir sind uns einig: Eine föderale Europäische Union, wie wir sie alle wollen, muss Kompetenzen an Bund und Länder abgeben.
Zweitens. Wir sind uns wahrscheinlich außerdem einig, dass das Programm der derzeit beginnenden Regierungskonferenz im Vorfeld der Osterweiterung der Euro
päischen Union nur ein erster Schritt sein kann. Auch mir ist dieser Schritt deutlich zu zaghaft.
Drittens. Wir sehen – allerdings im Gegensatz zu Ihnen – in der Einführung von Mehrheitsentscheidungen – wohlgemerkt, nach einer Kompetenzbegrenzung der EU – eine wesentliche Verbesserung der Integration der Europäischen Union und ihrer Aufnahmefähigkeit im Zuge der Osterweiterung.
Allerdings spielen Sie, Herr Stoiber, bei der Kompetenzbegrenzung der Europäischen Union wie so oft ein doppeltes Spiel.
Immer wenn es Ihnen passt, prangern Sie die angebliche Allzuständigkeit der EU und die überbordende Bürokratie an, die doch überwiegend von ihren Mitgliedsstaaten und auch vom Freistaat Bayern verursacht ist. Wenn es Ihnen aber in den Kram passt, von der Mutti Europa den bösen Buben Bundesregierung verhauen zu lassen, dann schert Sie die Kompetenzbegrenzung der Europäischen Union einen feuchten Staub.
So jüngst geschehen, als Sie die EU zum Eingreifen gegen den in Ihren Augen falschen Atomkurs der Bundesregierung zwingen wollten, aber zur Kenntnis nehmen mussten, dass in Brüssel niemand im Traum daran denkt, den Mitgliedstaaten die Form ihrer Energieversorgung vorzuschreiben. Ich sage nur: Gott sei Dank. Sie haben sich da eine blutige Nase geholt.
Ich wünsche mir übrigens sehr, dass Sie Ihre populistische Verbalgegnerschaft zur EU endlich aufgeben, dass Sie endlich dazu beitragen, Europa bei den Bürgerinnen und Bürgern populär zu machen, natürlich nicht dadurch, dass Sie die Augen vor Fehlentscheidungen verschließen – diese müssen korrigiert werden –, sondern durch Herausstellen der positiven Leistungen Europas gerade auch für Bayern. Ich wünsche mir, dass Sie auch nur ein einziges Mal in diesem Landtag eine Europadebatte unter positiven Vorzeichen führen.
Sie sehen – das hat Herr Glück hier geäußert – eine unerträgliche Kompetenzüberschreitung der Europäischen Union in den Sanktionen gegen Österreich. Hier möchte ich eines ganz klarstellen.Es gibt keine Sanktionen der Europäischen Union, sondern es gibt solche der einzelnen Mitgliedsstaaten. Es gibt keine Sanktionen gegen Österreich, sondern es gibt sie gegen die rechtsrechtspopulistische, in Teilen sogar rechtsradikale neue Regierungskoalition.
Dies eindeutig klarzustellen, gebietet die Redlichkeit. Denn niemand beabsichtigt juristische Schritte gegen die neue Koalition. In keinem Gremium der EU wird ihr die Mitarbeit verweigert. Selbstverständlich, Herr Stoiber – das ist eine Ihrer größten Sorgen –, wird sogar die österreichische ÖVP-Außenministerin von Herrn Außenminister Fischer bei Verhandlungen mit Handschlag begrüßt. Wenn das unsere Sorgen sind, dann weiß ich nicht, welche Sie sonst noch haben.
Noch viel wichtiger, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dies: Niemand, keines der Mitgliedsländer, kein vernünftiger Mensch in Bayern oder Deutschland, hält sämtliche Österreicher für rechtsradikal oder undemokratisch. Dies zeigen uns schon die Hunderttausenden, die seit der Regierungsbildung gegen diese neue Koalition in Wien und anderswo in Österreich auf die Straße gegangen sind und an deren Seite wir sind.
Ein demokratisch-freiheitlicher Warnschuss der Mitgliedsländer musste sein. Aber, das gebe ich hier zu, dieser Warnschuss hätte mit einer Schreckschusspistole, nicht mit einem Gewehr abgegeben werden müssen.
Ich schließe mich Armin Thurnher, dem Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung „Falter“, an, der geschrieben hat:
Die öffentliche Aufregung Europas über die Regierungsbeteiligung der Haider-FPÖ und über deren christlich-soziale
ich betone das –
Steigbügelhalter ist berechtigt.
Die politischen Maßnahmen der EU sind jedoch überzogen
Wir als Bayern-SPD haben deshalb den Besuch des österreichischen Präsidenten hier in Bayern ausdrücklich begrüßt. Denn er ist für uns ein wichtiger Garant der österreichischen Demokratie.
Er hat wohl auch eine etwas andere Sicht der Dinge als Sie. Er sieht das Problem, wie er bei seinem Besuch in Bayern gesagt hat, nicht vorrangig im europäischen Ausland, sondern im österreichischen Inland. Er hat nämlich nicht wie Sie die ÖVP-FPÖ-Koalition gefordert und per Ratschlag gefördert.
Die Europäische Union ist längst nicht mehr nur ein Binnenmarkt, nur eine Wirtschaftsgemeinschaft. Sie verkör
pert viel mehr, nämlich gemeinsame kulturelle, demokratische und ethische Werte. Aber die FPÖ steht eben nicht auf dem Boden dieser gemeinsamen Werte.
Lesen Sie das Wahlprogramm nach. Da finden Sie nicht nur verquaste, als denklogisch bezeichnete Aussagen über österreichische Volksgruppen, sondern auch solch problematische Sätze wie den, dass Südtirol zum Spielball inneritalienischer Kräfte werden könne, dass Südtirol die Möglichkeit zum Beitritt zur Republik Österreich offen gehalten werden müsse, und es zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts Südtirols die historische Aufgabe Österreichs sei, den Bestand der deutschen Volksgruppen mit allen Mitteln zu sichern.