Protocol of the Session on July 8, 2003

Die Anzahl der Ministerien zu verkleinern, bedeutet nämlich noch lange keinen Abbau der damit verbundenen Aufgaben.

(Huber (CSU): So ist es!)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. Das von der SPD immer wieder gebetsmühlenhaft aufgelegte Märchen von der größten Landesregierung ist und bleibt ein Märchen. SchleswigHolstein hat zum Beispiel pro 160000 Einwohner einen Minister oder Staatssekretär, Bayern hat pro 650000 Einwohner ein Kabinettsmitglied. Überhaupt redet die SPD in Sachen Bürokratie anders als sie handelt. Wenn es um mehr staatliche Kontrolle, um mehr staatlichen Aufwand oder um mehr staatliche Zuständigkeiten geht, befindet sich die SPD stets an der Spitze der Bewegung. Wo sie Regierungsverantwortung trägt, entstehen wahre Bürokratiemonster, wie zum Beispiel die sehr komplizierte Riester-Rente zeigt. Ich darf auch daran erinnern, dass in Niedersachsen unter Gerhard Schröder als Ministerpräsident die Verwaltung um 6000 zusätzliche Mitarbeiter aufgebläht wurde. Die von der Staatsregierung einberufene Henzler-Kommission hat wichtige Akzente gesetzt.

Ich möchte heute für die CSU-Fraktion dieser Kommission und Herrn Prof. Dr. Henzler sehr herzlich für ihre Arbeit danken. Aber auch dem Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, Erwin Huber, möchte ich für die gute Zusammenarbeit in dieser Frage ein herzliches Dankeschön aussprechen.

(Beifall bei der CSU)

Der Vorschlag, ein „Wirtschaftsrecht light“ für Betriebe bis maximal 20 Beschäftigte zu schaffen, ist zu begrüßen. Flexibilisierungen, etwa im Bereich des Kündigungs- und Arbeitszeitrechts, sowie Entlastungen von Bürokratieaufwand bei der Buchführung und bei Steuern eröffnen Kleinunternehmen wieder attraktivere Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln. Wir müssen insbesondere unser Handwerk und unseren Mittelstand im Auge haben, gerade was den Verwaltungsaufwand bedeutet Hier müssen wir Verwaltungsvereinfachung vorantreiben.

Für wichtig und richtig halte ich auch das Konzept „alles aus einer Hand“. Von Existenzgründern werden immer wieder der hohe Kosten- und Zeitaufwand und die komplizierten Behördenzuständigkeiten bei Unternehmensgründungen beklagt. Hier besteht unzweifelhaft Handlungsbedarf. Eine Anlaufstelle muss ausreichen. Diese muss dann in einem überschaubaren Zeitraum auch über die Genehmigung entscheiden. So stelle ich mir schlanke, effiziente und vor allem bürgerfreundliche Strukturen vor.

Ein Hauptproblem sind sicher die vielen Statistikpflichten, die unseren Unternehmen auferlegt werden. Zu Recht schlägt die Henzler-Kommission vor, diese Belastungen deutlich zu reduzieren. Ihrem Vorschlag kann man nur zustimmen. Wir müssen an diese Sache herangehen. Hier abzubauen, ist eine Grundforderung, die wir in die bisherigen Diskussionen unserer Fraktion eingebracht haben. Auch diese Themen sind neben vielen anderen Themen, die die CSU-Fraktion vorschlug, im Abschlussbericht von Prof. Henzler enthalten.

Staatsminister Erwin Huber kündigte heute an, die Vorschläge der Henzler-Kommission rasch umzusetzen, soweit das in bayerischer Landeskompetenz möglich ist. Soweit Bundesrecht betroffen ist, sollen umgehend Bundesratsinitiativen eingebracht werden.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Hahnzog (SPD))

Ich darf hier der Staatsregierung die nachdrückliche Unterstützung der CSU-Fraktion zusagen; denn wir brauchen diese Reformen dringend. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Kollege Dr. Hahnzog, sicher sind Sie mit mir der Auffassung, dass wir diese Reformen brauchen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Hahnzog (SPD))

Weniger Staat – mehr Eigenverantwortung, das ist unabdingbare Voraussetzung gerade auch für den wirtschaftlichen Aufschwung und für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Entbürokratisierung ist aber keine einfache Angelegenheit, die von heute auf morgen im Handumdrehen zu bewältigen wäre. Sie ist vielmehr eine Daueraufgabe, für die wir einen langen Atem brauchen, wenn wir Strukturen wirklich grundlegend verändern wollen. Wir von der CSU sind hierzu bereit. Ich lade alle Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses ein – ich betone: alle Kolleginnen und Kollegen –, uns auf diesem Weg zu begleiten.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Kollege Dr. Runge, bitte.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sich mit der Thematik „Deregulierung und Entbürokratisierung“ zu befassen, ist an sich nichts Schlechtes – im Gegenteil. Angesagt ist, sich immer wieder Gedanken darüber zu machen, wo und wie überbordende Bürokratisierung abgebaut werden kann. Auf diesem Gebiet passiert relativ viel. Herr Kollege Dr. Ritzer hat die einzelnen Kom

missionen und Wirtschaftsberatungsunternehmen genannt, die gerade in Bayern auf diesem Gebiet schon tätig waren. Allerdings hapert es meistens an der Umsetzung der Vorschläge. Aber was hier seitens der Staatskanzlei produziert und mit welchem Getöse und Gedröhn die Vorschläge auf den Markt geworfen wurden, ist für sich schon lächerlich.

(Beifall beim BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hierfür scheint der Wahlkampf das Hauptmotiv zu sein. Herr Prof. Henzler hat es nur für nötig erachtet, Herrn Huber zu lauschen. Als Dr. Ritzer zu reden anfing, verschwand er. Herr Prof. Henzler hat sich halt schlicht und ergreifend missbrauchen lassen.

(Widerspruch bei der CSU)

Völlig lächerlich und daneben ist es, die Thematik zur Generalabrechnung mit Rot-Grün in Berlin nehmen und konstruieren zu wollen, Bayern sei der Musterknabe, Berlin der Sündenbock. Das ist lächerlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Denn gerade in Bayern gibt es übelste Auswüchse an Überregulierung und Überreglementierung, an überbordender und übermäßiger Bürokratie. Ich sage ganz bewusst: das gehört zum System „Bayern und CSU“, wie Sie es in den letzten 40 Jahren geschaffen haben. Kollege Ritzer drückte sich etwas höflicher und vornehmer aus. Die Durchdringung mit Filz auf der einen Seite und überbürokratischen Strukturen auf der anderen Seite ist das Markenzeichen hier in Bayern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es dient den Netzwerken und Seilschaften, es schafft und bewahrt Abhängigkeiten und Günstlingswirtschaft; Herr Dr. Ritzer sagte richtigerweise: Gefälligkeitsstaat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ein Beispiel für die Scheinheiligkeit – –

(Erster Vizepräsident Dr. Ritzer übernimmt den Vor- sitz – Heiterkeit)

es wird gewechselt, aber ich habe Sie im letzen Satz angesprochen – ein Beispiel für die Scheinheiligkeit der CSU im Plenum – Herr Sackmann, hören Sie genau zu, auch Sie sind immer einer der Oberbeteiligten –: Es ist ungefähr ein dreiviertel Jahr her, damals wurde von Seiten der CSU gegen die Bauabzugssteuer geätzt.

(Unruhe bei der CSU)

Der böse Bund, welchen Blödsinn hat er da wieder gemacht? Zwei Wochen früher gab es allerdings eine Jubel-Pressemitteilung aus dem Hause Beckstein, Bayerns Einsatz wäre es zu verdanken, dass es jetzt endlich die Bauabzugsteuer gebe. So scheinheilig und so inkompetent sind Sie bei diesem Thema.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Jetzt zur so genannten Henzler-Kommission und zur Umfrage. Zu fragen, wo die Unternehmer und die Unternehmen der Schuh drückt, ist an und für sich nicht dumm. Es gäbe allerdings bessere Wege, als mit einem relativ anonymen Fragebogen vorzugehen; denn auch dies wird von den Unternehmen als Bürokratie wahrgenommen. Es gäbe bessere Wege. Herr Sinner, der leider nicht mehr da ist, hat es mit dem Bürgergutachten vorgemacht. Man könnte auch so genannte UnternehmenGutachten machen. Immerhin hat aber ungefähr jeder zweihundertste Unternehmer geantwortet.

Die Antworten, die Verbesserungsvorschläge, die Begehrlichkeiten sind schon spannend. Stark im Vordergrund stehen politisch-inhaltliche Anliegen, die mit Bürokratieabbau im eigentlichen Sinne nichts, aber auch überhaupt nichts zu tun haben. Deswegen sollte man diese Punkte auch nicht in der Diskussion über Bürokratieabbau anführen – es geht nämlich um Punkte wie weniger Kündigungsschutz, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall mehr, mehr Lkw-Fahrten auf Autobahnen am Sonntag. Dies sind andere Themen, die in dieser Diskussion meines Erachtens nichts verloren haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann gibt es viele Beschwerden und Vorschläge, die eigentlich nur an die bayerische Verwaltung, an die bayerische Bürokratie gerichtet sind. Bei den Statistiken – das ist auch schon bemüht worden – liegt das Landesamt hinsichtlich der Nennungen sogar noch vor dem Statistischen Bundesamt. Zweidrittel der Teilnehmer beklagen sich über bürokratischen Aufwand bei Baugenehmigungen – auch hier ist Bayern allein angesprochen. Augenfällig ist die Fokussierung auf Schikanen bei Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen ausländischer Mitarbeiter. Dazu passt wunderbar eine Überschrift in der „Süddeutschen“ vom 2. Juli: „Gastronomen klagen über zuviel Bürokratie. Strenge Bestimmungen machen es schwer...“. Was kommt vom zuständigen Minister Beckstein, wenn wir hier Bürokratieabbau für unsere Wirtschaft fordern? – Es kommt der Verweis auf die Beschlüsse der Innenministerkonferenz, und dass gar nichts ginge. Dazu muss man ganz klar sagen: In anderen Bundesländern, auch Unionsgeführten, geht sehr wohl mehr; es gibt sehr wohl mehr Beweglichkeit. Hier würden wir uns Ansatzpunkte für Bürokratie- und Schikanenabbau wünschen. Dies fordern wir von der Bayerischen Staatsregierung massiv ein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Spannend sind auch die Aussagen zur Bürokratiebelastung in den so genannten Kernprozessen. Ganz oben bei den Nennungen – Herr Huber, Sie kennen es ja – steht die Beschaffung von Fördermitteln. Daneben wird immer wieder das Gründergeschehen genannt. Dazu müssen wir sagen: Reihenweise gab es Vorstöße von uns und von der SPD, zu Verbesserungen zu kommen, zum Teil auch zu Lockerungen zu kommen. Alles ist seitens der CSU und der Staatsregierung mit der Begründung abgebügelt worden, es wären keine Änderungen

notwendig. Ich darf nicht zuletzt an unseren Entwurf für ein neues Mittelstandsförderungsgesetz erinnern. Darin waren viele dieser Punkte enthalten. Er ist aber einfach abgebügelt worden; er sei nicht notwendig gewesen. Es muss also erst wieder eine Kommission arbeiten und auf die Missstände hinweisen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zur Kommission selbst und zu deren ersten Verlautbarungen sind im Grunde die Zeitungskommentare und -überschriften selbstredend. Ich darf zitieren: „Viel Papier, magere Ergebnisse. Das Ergebnis ist – vorsichtig gesagt – enttäuschend.“, schreibt der „Münchner Merkur“. „Eine überflüssige Kommission“ steht in der „Süddeutschen Zeitung“ von heute. „Bayern nicht immun“ – ich verlese mich nicht – „Anti-EntbürokratieKommission weiß wenig Neues“ schreibt Henry Stern. Vielleicht war dies ein Freudscher Verschreiber des geschätzten Henry Stern, aber vielleicht hat er sich bei der Wahl dieses Begriffes auch etwas gedacht.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Wilhelm (CSU))

Ja, Journalisten können auch sehr, sehr weitsichtig sein, Herr Kollege Wilhelm, und sogar sehr ironisch.

Zusammengefasst beinhalten die Vorschläge im Grunde sehr, sehr viel Altbekanntes, daneben auch einiges Wirre. Zum Beispiel finden wir auf ein und derselben Seite die Forderung nach Entlastung von betrieblicher Mitbestimmung, während es zwei Sätze weiter heißt: Stärkung betrieblicher Bündnisse für Arbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Was wollen sie jetzt eigentlich. Wollen sie die betriebliche Mitbestimmung stärken oder schwächen? In der Kommission weiß man offensichtlich auch nicht so ganz, was Sache ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann gibt es jede Menge schöner Anglizismen: back to the basics, one stop agency, skilled service und small company act, der hier auch schon hinreichend bemüht worden ist. Das ist die Antwort auf Schröders und Hartzs small business act. Dazu sagen wir ganz klar: Die Staatsregierung muss aufpassen, aber auch Schröder und die Bundesregierung müssen aufpassen, dass auf der einen Seite nicht auf einmal lauter gehätschelte, bevorzugte Kleinstunternehmen vorhanden sind, auf der anderen Seite aber mittlere Unternehmen, die mit den Kleinstunternehmen im Wettbewerb stehen und die die regulären Arbeitsplätze und die Ausbildungsplätze haben, immer weniger werden. Ich bin einmal nicht mit Ihnen eins, Herr Präsident und Kommissionsvorsitzender Ritzer: Ich bin der Staatsregierung sehr dankbar dafür, dass sie das Kleinunternehmenförderungsgesetz des Bundes durch ihren Einsatz im Bundesrat erst einmal nicht so hat durchgehen lassen. Unseres Erachtens wäre da nämlich doch sehr viel Mist passiert. Ähnlicher Mist wird aber jetzt mit dem small company act propagiert. Ich bitte Sie, auch darauf aufmerksam zu blicken.

Interessant ist dann auf der anderen Seite, wie sich die Kommission um bestimmte spannende Fragen in der derzeitigen Deregulierungsdiskussion drückt. Ich nenne

die Beispiele Reformierung der Handwerksordnung, großer Befähigungsnachweis als zwingende Voraussetzung für den Gang in die Selbstständigkeit oder die Zwangsmitgliedschaft in den Kammern. Daran wird sehr elegant vorbeigegangen; in diesen Fällen stößt der Reformeifer von Staatsregierung, CSU und ihren Satelliten blitzschnell an seine Grenzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Dringlichkeitsantrag der CSU zur Handwerksordnung im vorletzten Plenum. Dort war von behutsamen Reformen zu lesen, herauszuhören war: gar keine Reformen. Dort wird wieder nichts vorgewiesen. Das ist dasselbe Spiel wie beim Subventionsabbau. Der Ministerpräsident führt ihn im Mund, die Minister führen ihn im Mund, die Abgeordneten führen ihn im Mund. Wenn es dann aber erste Vorschläge gibt, wenn zum Beispiel Steuervergünstigungen abgebaut werden sollen, dann ist dies Teufelszeug. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass, gilt für den Subventionsabbau genauso wie für Deregulierung und Entbürokratisierung. Dies ist nichts als Scheinheiligkeit.