Protocol of the Session on July 8, 2003

Anderenfalls kommen Ergebnisse heraus, die keiner will. Wir werden dann vor Ort mit der Frage konfrontiert: Wie kommt ihr dazu, so etwas zu machen? Dann sagen die Vertreter der Ministerien: Das steht in der Verordnung sowieso und in der Verwaltungsvorschrift sowieso. Als Gesetzgeber müssen wir also wesentlich vorsichtiger sein. Ich rate dazu, keine Ermächtigungsnormen mehr zu geben oder dies nur noch im Ausnahmefall zu tun. Der Ausnahmefall aber muss heißen: „Die Verordnung wird mit... vorgelegt“. Nur so sieht man, was da zustande kommt.

Eine neue Vorschrift, zwei aufheben. Dabei bleibe ich. Da können manche sagen, das sei die Brechstangen

Methode, das sei nicht vernünftig. Ich aber halte das für sehr vernünftig, weil nur dies zu einer dauernden Aufgabenkritik in den Ministerien führt. Jeder, der sagt, wir müssen etwas regeln, wird dann gefragt: Was können wir aufheben, was ist verzichtbar? Das ist zielführend.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben den Vorschlag gemacht, alle Vorschriften auf den Prüfstand zu stellen. Wer Details wissen will, den verweise ich gerne auf den Bericht. Wir wollen auch alle Verwaltungsvorschriften auf den Prüfstand stellen. Das sind in Bayern über 3000. Ich denke, es wird Zeit, dass man sie systematisch reduziert.

Herr Huber, ich bleibe dabei, wir fangen bei der Prüfung im Jahre 1802 an und nicht beim Reinheitsgebot im Jahr 1516. Das Bayerische Reinheitsgebot gilt in dieser Form schließlich nicht mehr, es ist seit 1906 reichsrechtlich geregelt. Jetzt ist es im so genannten Vorläufigen Biergesetz, zuletzt geändert im Jahr 1993, geregelt. Ich empfehle hierzu eine kurze Frage im eigenen Haus zu stellen. Sie würden dann sicher Aufklärung erhalten.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die älteste Rechtsvorschrift ist ein königlicher Erlass aus dem Jahr 1802: „Das Stift Sankt Anna allhier betreffend“. Warum man die noch braucht, weiß ich nicht. Ob sie noch für das Konkordat wichtig ist, das müssen kluge Leute prüfen. Ich selbst aber meine, man könnte das wahrscheinlich aufheben, wie auch eine weitere große Zahl von Vorschriften, bei denen keiner so recht sicher ist, ob sie noch gelten oder nicht. Viel schlimmer aber sind die neuen Paragraphen, die wir jetzt machen.

Meine Damen und Herren, ich wollte zum Abschluss noch eines sagen: Deregulierung ist immer die Aufgabe des Gesetzgebers. Deshalb ist der Gesetzgeber bei dieser Aufgabe auch als erster gefragt. Der Gesetzgeber ist auch derjenige, der den Haushalt verabschiedet und über den Stellenplan entscheidet. Deshalb gehören die Fragen der Entbürokratisierung hierher, in diesen Landtag. Wir sollten diese Fragen ernst nehmen. Ich selbst werde nicht mehr die Chance haben, im nächsten Landtag die Einrichtung eines eigenen Ausschusses hierfür zu beantragen. Ich rate aber dringend dazu, so zu verfahren. Wir haben in Deutschland nämlich eine Entwicklung, die mir wirklich Sorge macht. Dabei bin ich nicht allein, dazu gehören auch Kolleginnen und Kollegen der Union. Wir leiden an unterschiedlichen Orten daran.

Wir haben diese Kommissionitis. Wir bringen es fertig, dass die Regierungen immer wieder Kommissionen einsetzen, die Vorschläge machen, wie Sachverhalte geregelt werden müssen. Diese Kommissionen tragen dann Ergebnisse vor und dann kommt insbesondere an die Regierungsfraktionen die Aufforderung: Das muss 1:1 umgesetzt werden. Dann müssen die Regierungsfraktionen strammstehen – Sie hier in Bayern, wir in Berlin – und ich frage mich: Wo bleibt der Parlamentarismus?

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen hier sehr aufpassen. Ich sage Ihnen, da müssen wir alle zusammen aufpassen. Ich meine deswegen, die Formulierung, die in Ihrer Rede, Herr Minister Huber, am Anfang stand, wonach dies eine Aufgabe für alle ist, sollten wir durchaus aufgreifen. Wir sollten uns gründlich überlegen, wie wir dem Parlament in dieser Frage wieder zu seinem Recht verhelfen. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Bundespräsident unisono mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts davor warnt, dass wir zu einer Entparlamentisierung der Politik kommen. Das wirkt sich auf das Volk aus, weil das Volk dann seine Vertretung nicht mehr im Recht sieht. Das möchte ich beachtet wissen. Deshalb rate ich dazu, dass sich der Bayerische Landtag dieser Frage annimmt. Auch wenn der Ministerpräsident uns glauben machen will, das alles ließe sich ruckzuck erledigen, am 5. August und am 9. September, weil am 21. September dieses Jahres gewählt wird.

Die Verwaltungsreform ist ein zähes, langwieriges Geschäft. Sie erfordert das Bohren dicker Bretter. Das braucht seine Zeit, und deshalb sollte sich der Bayerische Landtag in der nächsten Legislaturperiode die Zeit nehmen, die bayerische Entbürokratisierung in die Hand zu nehmen, damit am Ende ein modernes, bürgernahes und bürgerfreundliches Bayern steht.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und beim BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Kollege Meyer.

Verehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bayern hat eine Vorreiterrolle bei der Verwaltungsreform in Deutschland.

(Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Dr. Ritzer, Ihre zum Teil polemischen Ausführungen gehen ins Leere. Ich hätte mir einen besseren Abgang für Sie aus diesem Parlament gewünscht.

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist ökonomisch und sozial in einer sehr ernsten Krise. Unter der Verantwortung von Rot-Grün sind wir das Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum in Europa. Dramatische Defizite in den öffentlichen Haushalten und Sozialkassen mit all ihren negativen Folgewirkungen für die Bürger und Unternehmen in unserem Land, die Flut und Unüberschaubarkeit von Regulierungen und Reglementierungen hemmen die Eigeninitiative der Bürger und vor allem aller Bereiche der Wirtschaft.

(Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb möchte ich deutlich sagen: Verwaltungsreform und Entbürokratisierung ist für die CSU-Landtagsfraktion eine zentrale politische Daueraufgabe.

(Zuruf von der SPD: Das sollte es sein!)

Vor zielführenden Reformvorschlägen muss eine Analyse der Ursache der Fehlentwicklungen stehen. Dies liegt einmal im Trend zu immer mehr Staat und immer weniger Eigenverantwortung. Überbordende Bürokratie ist schließlich auch Spiegelbild einer Volkskrankheit. Zwar ist jeder für Bürokratieabbau, aber jeder will nach dem Prinzip einer Vollkaskoversicherung auch jede erdenkliche Lebenslage klar geregelt und abgesichert haben. Und seien wir ehrlich zu uns selber: Wir erleben dies ja auch bei den vielen Bürgersprechstunden, die jeder Kollege und jede Kollegin vor Ort hält. Viele von uns wollen doppelte Sicherheit und setzen eben auf das gleichzeitige Tragen von Gürtel und Hosenträger. Weit verbreitet ist auch die Ansicht, dass all das, was der Staat macht, zwangsläufig besser, sozialer, gerechter und sicherer ist als bei der Leistungserbringung durch Private.

Vollkaskomentalität ist das eine, ein ausgeprägter Hang zum Perfektionismus auch in den Amtsstuben ist das andere. Eine Flut von Gesetzen und Verordnungen, vor allem aber auch von untergesetzlichen Vorschriften, insbesondere Ministerialschreiben, regeln heute nahezu jeden Lebenssachverhalt bis ins Detail. Gestaltungsspielräume für individuelle Lösungen vor Ort bleiben da oft auf der Strecke.

Es muss uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier gemeinsam im Hause gelingen, einengende Verordnungen und behördliche Durchführungserlasse auf das absolut notwendige Maß zu reduzieren. Soweit Ermessensspielräume bestehen, darf die Entscheidungsfreiheit der zuständigen Beamten – und viele sind dazu auch bereit – nicht durch zu große Regelungsdichte eingeschränkt werden.

Verwaltungsreform nur vor dem Hintergrund ökonomischer Daten zu diskutieren würde zu kurz greifen. Wir brauchen eine neue Kultur vor allem der Verantwortung nach dem Konzept der aktiven Bürgergesellschaft. Die zentrale Grundsatzentscheidung ist, entweder immer mehr Staat und immer weniger Eigenverantwortung oder weniger Staat, mehr Eigenverantwortung, mehr gelebte Solidarität. Unser Weg ist klar die neu geordnete und gelebte Verantwortungsgemeinschaft von Bürgern und Staat nach dem Motto: So viel Staat wie nötig, so wenig Staat wie möglich. Wesentliche Grundsätze hierfür sind:

Erstens. Der Vorrang für die Eigenverantwortung. Was der Einzelne zumutbar selbst leisten kann, muss er auch selber leisten.

Zweitens. Prinzip des Helfens. Wenn er trotzdem Hilfe braucht, hat er Anspruch darauf.

Drittens. Prinzip Gegenseitigkeit. Wer von den anderen etwas bekommen hat, muss auch seinen möglichen Beitrag leisten.

Und viertens. Verantwortung übernehmen für die Zukunft nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit.

Unsere Zukunftsstrategie muss deshalb sein: Vorrang für die kleinere Einheit als inneres Gestaltungsprinzip unseres Zusammenlebens. Die konsequente Umsetzung auch dieses Prinzips ermöglicht nach unserer Auffassung mehr Verantwortungsbereitschaft, mehr Kreativität, mehr Wettbewerb der Ideen und Innovationen, mehr Bürgernähe und Transparenz und vor allem geringeres Risiko für das Ganze auch bei Fehlentwicklungen.

Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Entbürokratisierung und Abbau von Vorschriften ist das Gebot der Stunde. Das ist auch in den bisherigen Beiträgen hier im Hause zum Ausdruck gekommen. Wir brauchen Mut zur Lücke. Der Vorschriftendschungel muss gelichtet werden. Neue Vorschriften nur noch dann, wenn der Sachverhalt nicht ebenso gut durch die Bürger, den Markt oder auch durch die Wirtschaft selbst geregelt werden kann, oder zur Wahrung zwingender öffentlicher Interessen. Was nicht absolut und zwingend notwendig ist, darf nicht heraus. Hier ist ein grundlegender Mentalitätswechsel gefordert: weg vom Perfektionismus, hin zu mehr Freiraum und Eigenverantwortung. Nicht alles muss bis ins Detail in unserem Staate geregelt sein.

Wir brauchen eine Bürokratiefilter an der Spitze der Verwaltungen, um dem Hang zu immer noch detaillierteren Vorschriften Einhalt zu gebieten. Vor diesem Hintergrund ist die von der Staatsregierung im März dieses Jahres beschlossene Aufwertung des Normenprüfungsausschusses auch sehr zu begrüßen.

Es bleibt weiter unser ehrgeiziges Ziel, 30% aller Vorschriften abzubauen. Alle Normen müssen im Rahmen eines Bürokratie-TÜVs nach und nach auf den Prüfstand. Das zweite Aufhebungsgesetz, das vom Landtag erst im Juni dieses Jahres verabschiedet wurde, sowie das dritte Aufhebungsgesetz, über das noch in dieser Woche Beschluss gefasst wird, sind dabei ein erster Schritt.

(Dr. Hahnzog (SPD): Was darin steht, Herr Meyer, ist doch lauter Schrott!)

Damit gehören auf einen Streich immerhin annähernd 200 Gesetze und Verordnungen der Vergangenheit an. An dieser Stelle möchte ich an unseren Grundsatzbeschluss vom November letzten Jahres erinnern: Bürokratie abbauen, Freiräume für Kreativität und Innovation schaffen. Ich darf hieraus nochmals einige Punkte ansprechen.

Wir sind dafür, dass Normen, für die ein zwingendes Bedürfnis nicht mehr nachweisbar ist, ersatzlos aufgehoben werden.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Welche?)

Vorschriften sollen vermehrt zeitlich befristet werden, um sie dann auf ihre aktuelle Notwendigkeit und Richtigkeit hin zu überprüfen. Dies bedeutet, dass nach einem gewissen Zeitraum alle Vorschriften wieder auf den Prüfstand gestellt werden sollen. Eine Vorschrift, die im

Jahre 2003 erlassen werden muss, braucht man vielleicht nicht mehr im Jahre 2008. Hier brauchen wir den politischen Mut, auch den Willen dazu, dies entsprechend anzugehen.

(Beifall bei der CSU)

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, Generalklauseln ist grundsätzlich der Vorrang vor Detailregelungen einzuräumen. Einengende Verordnungen und behördliche Durchführungserlasse müssen auf das absolut notwendige Maß reduziert werden. Dokumentationspflicht und Statistiken in der Verwaltung müssen so weit als möglich reduziert werden. Mit allem Nachdruck – und hier sollten wir mit einer Sprache sprechen – ist darauf hinzuwirken, dass gerade auch vonseiten der Europäischen Union keine überflüssigen bürokratischen Hindernisse und Kontrollmechanismen vorgegeben werden.

Die Bayerische Staatsregierung und die CSU-Landtagsfraktion haben bereits erhebliche Schneisen in das Verwaltungsdickicht geschlagen. Viele Reformen sind bereits umgesetzt. Herr Kollege Dr. Ritzer, ich möchte einige Beispiele anführen: die drastische Reduzierung und Vereinfachung von Fördertatbeständen, die Einführung der Budgetierung und Kosten-Leistungs-Rechnung in der Verwaltung, Aufgabenabbau und Straffung von Verwaltungsabläufen bei Ministerien und Bezirksregierungen, Aufgaben- und Organisationsreform bei den Landratsämtern zum Beispiel durch die Eingliederung von Gesundheitsämtern und Veterinärämtern, die Modernisierung der Landwirtschaft und der Staatsforsten, der Wasserwirtschaftsverwaltung und vor allem auch der Schlösserverwaltung – darüber hatten wir auch im Haushaltsausschuss des Landtages mehrfach diskutiert –, die umfangreiche Genehmigungsfreistellung beim Bau von Wohn- und Gewerbebauten im Zuge der Baurechtsnovelle.

Herr Staatsminister Erwin Huber hat heute treffend dargestellt, dass seit 1994 104000 Wohngebäude im Freistaat Bayern auf der Grundlage der Baurechtsnovelle, die wir zu Beginn der Neunzigerjahre verabschiedet haben, genehmigungsfrei erbaut wurden.

Wir müssen diesen Weg weitergehen; das Bayernmodell wurde auch von SPD-regierten Bundesländern übernommen. Auf zahlreiche weitere Initiativen der Arbeitsgruppe „Verwaltungsreform“ der CSU-Fraktion, die wir in der letzten Zeit gerade im Bereich Landwirtschaft und Kommunales einbrachten und die in dieser Woche im Parlament verabschiedet werden, wird nachher noch Kollege Markus Sackmann eingehen. Ich möchte aber heute schon die Gelegenheit wahrnehmen, den Kolleginnen und Kollegen der CSU-Fraktion sehr herzlich dafür zu danken, dass sie in diese Arbeit viele Vorschläge aus der Praxis eingebracht haben, die wir auch in Antragsform gegossen haben. Ich freue mich, dass bereits eine Vielzahl unserer Anregungen umgesetzt wurde.

(Beifall bei der CSU)

Im Vergleich zur rot-grünen Bundesregierung und zu anderen Ländern kann sich Bayern beim Thema „Ver

waltungsreform“ sehr gut sehen lassen. Dagegen gibt es auf Seiten der SPD in Sachen Bürokratieabbau nicht viel Neues. Zwar hat die so genannten Ritzer-Kommission unlängst ihren Abschlussbericht vorgelegt. Kollege Dr. Ritzer hat heute daraus zitiert, aber mehr in die Vergangenheit geschaut. Dabei handelte es sich aber im Wesentlichen um Wahlkampfaktionismus, wie insbesondere der Blick auf die ständig wiederkehrenden Forderungen nach einer Verkleinerung der Staatsregierung deutlich macht. Die Vorschläge der SPD gehen am Kernproblem eigentlich vorbei.

(Beifall bei der CSU)

Die Anzahl der Ministerien zu verkleinern, bedeutet nämlich noch lange keinen Abbau der damit verbundenen Aufgaben.