Protocol of the Session on January 29, 2003

Wir dürfen jedoch nicht ignorieren, dass diese Sichtweise bei den Menschen in den arabischen Ländern vorherrscht und Wut erzeugt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die arabischen Massenmedien berichten über die Konflikte im Nahen Osten anders als die westlichen Massenmedien. Dies beeinflusst die Stimmung und die Meinung dieser Menschen. Niemand kann vorhersagen, ob es zu großen Aufständen in der arabischen Welt kommen wird.

Niemand weiß, ob der Palästinakonflikt weiter eskaliert, wie sich der Iran und Syrien verhalten werden und welche Auswirkungen der Krieg auf die Türkei haben wird. Es besteht die große Gefahr, dass es zu Kettenreaktionen und Eskalationen kommt, die nicht mehr steuerbar oder kontrollierbar sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb gibt es für mich nur eine Alternative, nämlich die politische Lösung des Problems. Die Entsendung der Waffeninspektoren war ein erster Schritt. Den Inspekto

ren muss jetzt Zeit gegeben werden, damit sie alle Untersuchungen gründlich durchführen können. Wenn Massenvernichtungswaffen gefunden werden, müssen sie vernichtet werden. Ich bin darüber hinaus für eine weitgehende Entwaffnung des Regimes unter Kontrolle der UNO.

Wenn ich die „Süddeutsche Zeitung“ von gestern richtig lese, sieht dies unser Ministerpräsident genauso. Dort steht nämlich – ich zitiere:

Nach Ansicht von CSU-Chef Edmund Stoiber müssen alle Möglichkeiten für eine friedliche Entwaffnung des Irak Vorrang haben. Wenn die Inspektoren mehr Zeit brauchen, müssen sie sie bekommen.

Und dann wird er zitiert:

Jetzt ist die Stunde der Diplomatie und nicht die Stunde der militärischen Auseinandersetzung.

Wenn das ernst gemeint ist, meine Damen und Herren, müssten Sie heute unserem Antrag zustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese politische Lösung, diese Maßnahmen, die da erforderlich sind, sind vielleicht langwierig und verlangen Geduld und Zähigkeit. Aber sie stellen eine Alternative zu diesem Krieg dar, der viele „unschuldige“ Menschen das Leben kosten wird und der Zerstörungen und Verwerfungen nach sich ziehen wird, die einfach niemand abschätzen kann, weil diese Region so instabil ist.

Meine Rede möchte ich schließen, indem ich Ihnen die Worte von Papst Johannes Paul II. vortrage, der die Politiker der Welt vor dem drohenden Abgrund warnte. Er sagt Nein zum Krieg und führt weiter aus:

Er ist niemals ein unabwendbares Schicksal, er ist immer eine Niederlage der Menschheit. Das internationale Recht, der ehrliche Dialog, die Solidarität zwischen Staaten, das noble Metier der Diplomatie, dies alles sind Methoden, die des Menschen und der Nationen zur Beilegung von Differenzen würdig sind. Ich sage das im Gedanken an jene, die immer noch ihr Vertrauen in Nuklearwaffen setzen, und an die viel zu zahlreichen Konflikte, die weiter unsere Menschenbrüder gefangen halten.

So weit das Papstwort, das an Deutlichkeit nichts übrig lässt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag und werde gleich ankündigen, dass wir dem CSU-Antrag nicht zustimmen werden, weil die Punkte 6 und 7 Ihres Antrags von uns nicht mitgetragen werden können. Sie sagen doch immer, in Wahlkämpfen dürfe man keine Fragen ausklammern, die die Menschen bewegen. In Punkt 7 Ihres Antrag aber werfen Sie der Bundesregierung vor, sie würde dieses Thema für Wahlkampfzwecke instrumentalisieren. Deshalb können

Sie von uns wirklich nicht erwarten, dass wir dieser Aussage zustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächster Redner: Herr Kollege Glück.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Köhler, Sie haben mit Ihren Schlussbemerkungen zu unserem Antrag deutlich gemacht, dass wir in weiten Bereichen übereinstimmen. Das gilt auch grundsätzlich für die SPD. Ich darf es noch einmal deutlich machen. In unserem Antrag wird dokumentiert, dass an erster Stelle alle möglichen Mittel und Wege auszuschöpfen sind, um den Konflikt auf friedlichem Wege zu lösen. Allerdings sehen wir mit Sorge das, was schon jetzt die Waffeninspektoren feststellen. Bis heute ist von Saddam Hussein kein Nachweis erbracht worden. In seinem Bericht an die UNO gibt es immer noch Lücken. Mittlerweile sind zusätzliche Giftpotentiale festgestellt worden. Wir sind sehr wohl der Meinung, dass die Inspektoren weitere Zeit bekommen sollen. Andererseits wird zu fragen sein, wie viel Zeit sie noch bekommen sollen, denn wenn der Irak nicht zur Zusammenarbeit bereit ist, wird vermutlich auch eine einjährige Inspektion zu keiner Klarheit führen. Bei der Größe des Landes ist es durchaus möglich, unter brutalstem Druck ein Kartell des Schweigens zu halten. Wehe, einer der Wissenschaftler würde jetzt etwas sagen, dann ist nicht nur er selbst, sondern sein ganzer Familienkreis morgen kaum mehr am Leben. Wir haben es hier nicht mit einem Partner zu tun, der unter zivilisatorischen Bedingungen arbeitet, sondern mit jemandem, der alles in seinem Land brutalst knechtet und knebelt und nicht zur Zusammenarbeit bereit ist. Frau Kollegin Köhler, Sie haben ja Zahlen genannt.

Eine meiner großen Sorgen über die weitere Entwicklung besteht darin, dass die UNO ihre Autorität verliert, wenn es Saddam Hussein gelingen würde, über ein Jahr oder welche Zeit auch immer hinweg mit der UNO ein Katz- und Mausspiel zu veranstalten. Das wäre ein fatales Signal an alle Hasardeure dieser Erde. Davon gibt es auf dieser Welt mehrere, die ein Problem darstellen.

Wir werden hier im Bayerischen Landtag sicherlich nicht richtig abschätzen können, wieviel Zeit unbedingt notwendig ist und was im Einzelnen richtigerweise getan werden muss. Bei diesem Land handelt es sich weiß Gott nicht um eine Region, in der Menschenrechte hoch geachtet werden. Und das gilt nicht nur für den Irak. Seit dem 11. September 2001 muss insbesondere den Amerikanern, aber auch uns allen, bewusst sein, welch hoch problematische Situation in Saudi Arabien vorherrscht. Dort herrscht ein Klüngel von gut 20000 Prinzenfamilien, die zynisch im Wohlstand leben, während es dem Volk immer schlechter geht. Das Regime entfremdet sich dem eigenen Volk immer mehr, und Osama bin Laden hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass ihm – ich sage es mit meinen Worten – ein Regimewechsel in Saudi Arabien genauso wichtig wäre wie die Attacke auf die Amerikaner. Jetzt wird manchmal sehr leichtfertig – leichtfertig ist noch eine höfliche Formulierung – über einseitige Erdölinteressen der Amerikaner geredet.

Wenn es in Saudi Arabien aber zu einem solchen Regimewechsel käme, wenn dort Islamisten die politische Herrschaft hätten, können wir nur sagen: Gute Nacht, Weltwirtschaft! Eine solche Entwicklung hätte Konsequenzen für alle auf der Welt, egal ob arm oder reich. Das macht deutlich, in welch labiler Abhängigkeit wir uns befinden.

Verehrte Frau Köhler, natürlich ist die Weltpolitik voller Irrtümer, das gilt auch für die frühere Unterstützung von Saddam Hussein oder der Taliban. Das gilt aber auch für Saudi Arabien. Im Grunde arrangiert sich hier der Westen mit einer Regierung, mit der wir uns aufgrund unserer Wertvorstellungen nicht arrangieren dürften, von der wir aber auf höchst gefährliche Weise abhängig sind. Deswegen ist diese Situation moralisch höchst problematisch.

Sie haben eine interessante Aussage gemacht, Frau Kollegin Köhler. Ich weiß nicht, ob Sie diese Aussage auch vor zwölf Jahren gemacht und akzeptiert hätten. Damals hätten die Amerikaner doch den Regimewechsel herbeiführen können, wenn der damalige Präsident Bush gegen den Rat seiner Militärs den Feldzug nicht gestoppt hätte. Er wollte nicht bis Bagdad durchmarschieren.

(Frau Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie hätten dann die Kurden und die Schiiten unterstützt!)

Das ist ein weiteres Kapitel. Sie haben nach meiner Kenntnis zu Recht angesprochen, dass der Westen diese Stämme anschließend im Stich gelassen hat und dass sie von Saddam Husseins Leuten hingeschlachtet wurden.

Damals hat es die Proteste gegen den Krieg gegeben, die Friedensdemonstrationen, wie es sie jetzt auch gibt. Alle haben aufgeatmet, als der ehemalige Präsident Bush, der Vater des jetzigen Präsidenten, diesen Krieg gestoppt hat und die Militärs nicht bis Bagdad durchmarschiert sind. Aus späterer oder aus heutiger Sicht war das wahrscheinlich ein großer Fehler. Sie haben das auch so interpretiert. Vor zwölf Jahren hätten wahrscheinlich Sie und auch andere gesagt: völlig unmöglich, usw.

Allein daraus wird schon erkennbar und sichtbar, wie schwer einschätzbar solche Situationen sind. Gewiss weiß kein Mensch, welche Reaktionen ein Militärschlag auslöst. Ich glaube, auch die Amerikaner können das nicht abschätzen. Soweit ich die Sache anhand der Berichte einschätzen kann, wären alle arabischen Regierungen froh, wenn Saddam Hussein gestürzt würde. Sie haben aber Angst vor einer längeren Auseinandersetzung, dass es dann durch die Fernsehbilder zu einer Mobilisierung der Massen kommt und sie selbst möglicherweise gefährdet sind.

Ich muss gleichzeitig die Gegenfrage stellen, Frau Kollegin Köhler, darauf haben Sie keine Antwort gegeben, darauf gibt es wahrscheinlich genauso wenig aus Ihrer Position heraus eine plausible Antwort: Welche Wechselwirkungen kann ein Krieg auslösen? Mit welchen poli

tischen und diplomatischen Mitteln wollen Sie denn die friedliche Entwaffnung des Irak erreichen? Das ist ein Mann, der die Welt seit zwölf Jahren an der Nase herumführt, der überhaupt nicht daran denkt, über Verhandlungen Veränderungen herbeizuführen. Insoweit formulieren Sie eine Hoffnung; Sie geben keine Antwort, die Bundesregierung gibt keine Antwort darauf, was passiert, wenn auf friedlichem Weg eine Entwaffnung nicht möglich ist. Noch dazu schwindet jetzt die Wahrscheinlichkeit, das auf friedlichem Weg zu erreichen, wenn man schon jetzt verkündet: Mit der letzten Konsequenz brauchst du nicht zu rechnen.

Das ist aus unserer Sicht der entscheidende Fehler und eine nicht vertretbare Haltung der Bundesregierung.

(Beifall bei der CSU)

Im Übrigen ist das genau der Punkt, mit dem im Wahlkampf Polemik gemacht wird. Wir üben keine Kritik daran, dass in einem Wahlkampf Fragen, die Menschen berühren, besprochen werden. Der Bundeskanzler hat in Goslar in einer Rede während des Parteitags, ohne dass er neue zusätzliche Erkenntnisse gehabt hätte, seinen Kurs korrigiert. Bis zu diesem Abend hat er bewusst – –

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was wissen Sie über seine Erkenntnisse?)

Entschuldigung, er hat nicht gesagt, dass er neue Fakten hätte. Dann hätte er das doch begründet.

Bis vor der Veranstaltung in Goslar hat er gesagt – weil es in der SPD und auch in Ihrer Partei schon eine Debatte darüber gab: Wie wir im Sicherheitsrat abstimmen werden, entscheiden wir, wenn wir die Informationen in der Entscheidungssituation haben. Dann hat er aus rein wahlkampfpolitischen Gründen mit Blick auf Niedersachsen und auch Hessen diese Position korrigiert nach dem Motto: Es interessiert mich überhaupt nicht, was es da einmal für einen Bericht geben wird; jetzt ist es wahlpolitisch opportun zu sagen, wir sind in jedem Fall dagegen. Genau das ist das Unverantwortliche.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch Ihre Unterstellung!)

Nein, das ist keine Unterstellung. Das sind die Fakten.

Ich darf Sie auf noch etwas hinweisen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN. Von Ihrem heimlichen Vorsitzenden, dem Herrn Bundesaußenminister, gibt es seit Wochen diesbezüglich keine so eindeutige Aussage. Der hält sich das Schlupfloch offen, erst recht, seit er in Arabien unterwegs war.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das liegt daran, dass Sie bei unseren internen Besprechungen nicht dabei sind!)

Dann hätte er sich schon öffentlich geäußert. Frau Stahl, dieses Märchen brauchen Sie mir nicht zu erzählen, dass intern die Situation völlig anders wäre.

(Gartzke (SPD): Seit Wochen ist das klar!)

Das ist doch nicht wahr, Fischer hat sich in dieser Frage seit Wochen nicht mehr erklärt, und der Bundeskanzler hat in Goslar seinen Kurs geändert.

(Beifall bei der CSU – Frau Christine Stahl (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist nicht wahr!)

Jetzt lese ich heute in der „Süddeutschen Zeitung“ unter der Überschrift – wenn ich es richtig in Erinnerung habe: „Schröder sagt: Keinen Krieg im Irak ohne zweite Resolution.“ Was bedeutet das? – Er fügt dann zwar hinzu: „Wir werden uns trotzdem nicht beteiligen.“

(Christ (CSU): Das sind die Hintertürchen!)

Meine Damen und Herren, genau das ist der Wischiwaschikurs. Ich komme jetzt auf Ihren Antrag von der SPD zu sprechen. Ich greife Ihre Formulierung von heute Vormittag oder heute Mittag noch einmal auf: „Der Landtag ist aufgrund der derzeitigen Lage gegen einen Krieg gegen den Irak.“