Herr Kollege Wahnschaffe, Sie zitieren die Aussage der Ministerin im Bundesrat und behaupten, das sei scheinheilig. Vor dem Hintergrund, dass die Kommunen keine zusätzlichen Lasten mehr vertragen, ist diese Aussage vollkommen richtig. Es ist nicht mehr vertretbar, den Kommunen weitere Lasten aufzubürden. Deshalb ist dieses Gesetz, unabhängig von den anderen vorhandenen strukturellen Mängeln, zu Recht abgelehnt worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD und der GRÜNEN! Wenn Sie wie in der Vergangenheit hier über das Konnexitätsprinzip reden und fordern, wir sollten in Bayern in die Verfassung ein Konnexitätsprinzip einführen, bitte ich Sie recht herzlich, sich gegenüber dem Bund mit demselben Elan nachdrücklich für die Einführung dieses Konnexitätsprinzips einzusetzen. Es kann nicht sein, dass Sie immer nur in Bayern fordern, der Freistaat solle alle Kosten übernehmen, die er den Kommunen aufbürde, aber auf diesem Gebiet dem Bund alles durchgehen lassen. Wenn Sie weder diese Forderung erheben noch insofern die Bemühungen der Staatsregierung unterstützen, haben Sie für die Zukunft das Recht verwirkt, sich als Anwalt und Partner der Kommunen zu bezeichnen.
Frau Kollegin Tausendfreund hat gestern am späten Abend einige Andeutungen gemacht, dass zumindest die GRÜNEN dieses Prinzip forderten. Ich hoffe, es bleibt nicht nur bei Lippenbekenntnissen. Aber ich fordere auch von der SPD, dass sie sich entsprechend einsetzt. Kollege Wahnschaffe hat heute hinsichtlich der R 6 schon wieder entsprechende Äußerungen von sich gegeben.
Meine Damen und Herren der Opposition, wo Sie hier irgendwelche Einsparungen bei der Sozialhilfe sehen, ist mir völlig unverständlich. Das ist doch nichts anderes als eine reine Umschichtung.
Die Bundesregierung hat mit diesem Gesetz die Rückgriffsmöglichkeiten des Staates erheblich erschwert. Der Rückgriff auf unterhaltspflichtige Angehörige ist nur möglich, wenn diese Angehörigen – nun passen Sie auf – ein Jahreseinkommen von 100000,00 e haben. In welcher Welt leben Sie eigentlich, meine Damen und Herren? Sagen Sie mir doch einmal, wie viele Familien es hier gibt, die ein derart hohes Einkommen haben, auf das der Staat dann zugreifen könnte. Dieses Gesetz ist ein Fehlgriff, und deshalb ist es vom Freistaat im Bundesrat abgelehnt worden.
(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Den Familien muss man doch helfen! – Güller (SPD): Befragen Sie doch mal die Bauern dazu!)
Dieses Gesetz läuft allen Bemühungen zuwider, eine eigenverantwortliche Lebensführung des Einzelnen zu gewährleisten. Sie wissen, dieses Gesetz steht in klarem Widerspruch zur Politik der CSU, welche die Eigenverantwortung und die Leistung des Einzelnen in den Vordergrund stellt.
Man muss leider sagen, dass dieses Gesetz im Bundesrat eine Mehrheit gefunden hat. Deshalb werden und müssen wir heute dieses Ausführungsgesetz in Erster Lesung debattieren. Wobei man sagen muss, dass die wesentlichen Regelungen zur Leistungsberechtigung und zum Leistungsumfang etc. in diesem Gesetz bereits enthalten sind. Für den Landesgesetzgeber bleiben im Wesentlichen drei Punkte übrig, auf die ich jetzt kurz eingehen werde.
Das Grundsicherungsgesetz bestimmt Landkreise und kreisfreie Gemeinden als die sachlich zuständigen Träger. Das Grundsicherungsgesetz lässt aber im Rahmen einer Länderöffnungsklausel den Raum für abweichende Regelungen hinsichtlich der Zuständigkeit. Zu regeln ist die Frage der Zuordnung der neuen Sozialleistungen zum eigenen oder zum übertragenen Wirkungskreis der Kommunen. Schließlich muss noch die Frage der Weitergabe der Erstattungsleistungen des Bundes an das Land festgehalten werden. Wie schon ausgeführt, reichen diese Erstattungsleistungen nicht aus, um die gesamten, nach seriösen Schätzungen festgestellten Kosten, zu tragen. Von diesen Prämissen ausgehend ist der vorliegende Gesetzentwurf in der ersten Lesung eingebracht worden. Die Vorgaben sind erfüllt, die Übertragung ist entsprechend geregelt. Wir werden in den zuständigen Ausschüssen darüber diskutieren, falls der Druck nicht doch noch groß genug wird und das Grundsicherungsgesetz zu Fall kommt.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man Ihr Ausführungsgesetz zu diesem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter liest und das niedersächsische dagegen hält, sieht man, wie überall Widerwille und Ableh
nung durchscheint. Die Debatte, dass vor allem ältere Menschen von ihrem Sozialhilfeanspruch bisher keinen Gebrauch machen, weil sie den Rückgriff auf ihre Kinder fürchten, dass bei diesen Menschen die verschämte Armut besonders ausgeprägt ist, dürfte doch auch an Ihnen nicht spurlos vorbeigegangen sein. Es ist Zeit, mit dieser verschämten Armut aufzuräumen und Menschen auch im Alter eine halbwegs gesicherte Perspektive einzuräumen.
Antragsberechtigt sind hilfsbedürftige Bürgerinnen und Bürger über 65 Jahren sowie Hilfsbedürftige, die aus medizinischen Gründen dauerhaft voll erwerbsgemindert sind. Dieser Personenkreis ist ab 18 Jahren eingeschränkt.
Ich weiß gar nicht, wie Sie dazu kommen zu sagen, die Eigenvorsorge würde keine Rolle mehr spielen. Sie wissen doch sehr wohl, dass die Bedürftigkeit geprüft wird, dass das eigene Einkommen und das Vermögen genau wie bei der Sozialhilfe anspruchsmindernd angerechnet werden. Der einzige Unterschied besteht darin – wir finden, das ist ein wichtiger Punkt –, dass auf das Einkommen von Eltern und Kindern erst ab einem Jahreseinkommen von 100000,00 e ein Unterhaltsrückgriff vorgenommen wird. Das ist nach unserem sozialpolitischen Verständnis ein positives Signal, damit die verschämte Armut in unserem Lande nicht mehr um sich greift. Wir haben im Landessozialbericht gesehen, dass es hier ein sehr großes Potenzial gibt. Infolgedessen muss man doch sozialpolitische Maßnahmen ergreifen, um dem abzuhelfen.
Was die Frage anbelangt, ob das Finanzvolumen ausreicht, so bin ich wirklich erstaunt. Der Staatssekretär des Sozialministeriums scheint seherische Fähigkeiten zu besitzen. Das hat man bisher nur noch nicht erkannt.
Kein Mensch konnte bisher eine genaue Summe angeben. Wir haben jetzt vom Bund 34,9 Millionen e eingestellt bekommen. Wie viel Menschen derzeit Anspruch haben, ist noch nicht bekannt. Auch wir nehmen an, dass wir deutlich über dem bisher eingestellten Geld liegen, weil es gerade in Bayern sehr viele Bezieher sehr kleiner Renten gibt, vor allem bei den landwirtschaftlichen Beschäftigungsverhältnissen. Wir sind auch der Meinung, wenn Gelder, die der Bund eingestellt hat, nicht ausreichen, dann muss der Bund finanzielle Mittel nachliefern. Wer zahlt schafft an, darüber brauchen wir gar nicht weiter zu reden.
Was den Verwaltungsaufwand anbelangt, so werden wir am Anfang, bis die Umstellung erfolgt ist, sicher einen
erhöhten Verwaltungsaufwand feststellen. Bei jedem neuen Gesetz muss man erst einmal schauen, wie es sich in der Praxis einspielt. Einen erhöhten Verwaltungsaufwand am Anfang muss man zumuten können, sonst könnten wir uns nur noch bewegen wie ein toter Mann. Das wollen wir aber nicht.
Wenn man sieht, was an Sozialhilfekosten wegfällt, und wenn man weiß, wie groß der Verwaltungsaufwand nach einer Übergangsphase ist, sollte das mit einer Pauschale erstattet werden.
Zusammengefasst will ich sagen, wir hatten bisher kein politisch wirksames Instrument, um der verschämten Armut entgegenzutreten. Im Gegenteil. Es nicht so – um es mit Ihren Worten zu sagen –, dass wir Sozialhilfebezieher als Hängemattenkandidaten unseres sozialen Systems haben, sondern vielen ist der Gang zum Sozialamt als Hürde erschienen und erschwert worden. Jetzt wird den Menschen, die im Alter keine ausreichende Rente haben, eine Perspektive eröffnet. Das ist auch richtig so.
Die Aussprache ist geschlossen. Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat schlage ich vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik als federführendem Ausschuss zu überweisen. Ich sehe, damit besteht Einverständnis. Dann ist das so beschlossen.
Die Mehrheitsfraktion hat mich dringend gebeten, jetzt den Haushalt aufzurufen. Ich tue das etwas knurrend, aber Sie haben die Mehrheit.
(Wahnschaffe (SPD): Herr Präsident, knurren Sie mal! – Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das ist von Frau Stewens ein ganz schlechter Stil)
Einzelplan 10 für den Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als erstes möchte ich mich bei Ihnen entschuldi
gen, weil ich zehn Minuten zu spät gekommen bin. Ich bin aber leider auf der A 94 im Stau gestanden.
Ich bin heute morgen früh losgefahren, das kann ich Ihnen versichern. Wenn ich aber über eine Stunde gebraucht habe, um hier hereinzukommen, dann lag das an den besonderen Verkehrsverhältnissen der A 94. Es tut mir ausgesprochen leid. Wer mich kennt weiß, dass ich ein pünktlicher Mensch bin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben in einem wirtschaftlich starken Bayern. Auf diesem wirtschaftlich starken Bayern werden die Grundlagen für soziale Ausgewogenheit und Gerechtigkeit geschaffen. Bayern hat in den letzten zehn Jahren mit 19,3% die höchste reale Steigerung des Bruttoinlandsproduktes unter den Ländern. Bayern hat die mit Abstand höchste Investitionsquote der westlichen Flächenländer. Im Jahr 2003 15,1 Prozentpunkte und 2004 14,8 Prozentpunkte. Im Vergleich dazu die Investitionsquote des Bundes: Sie sinkt bis zum Jahr 2005 auf den Rekordtiefstand von 10,3 Prozentpunkten. Bayern hat die niedrigste Staatsverschuldung pro Einwohner in Deutschland. Sie liegt bei 1.549,00 e. Im Vergleich hierzu der deutsche Durchschnitt: 4.348,00 e.
Wir können uns aber nicht völlig von den Fehlentwicklungen auf Bundesebene abkoppeln, die eine soziale Politik immer schwieriger machen. Ich verweise nur auf die Defizite im Bundeshaushalt. Sie werden – wir haben heute die Meldungen gehört – steigen. Die MaastrichtKriterien schafft man nicht. Es wird ein Defizit von 3,7% erwartet. Das hat Bundesfinanzminister Eichel heute auch schon zugegeben. Bereits im ersten Halbjahr 2002 haben wir Steuerausfälle in Höhe von über 10 Milliarden Euro.
Vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kollegen, bewegt sich der bayerische Sozialhaushalt für die Jahre 2003 und 2004, der Ihnen heute vorliegt. Um es vorwegzunehmen: Trotz der ungünstigen Rahmenbedingungen ist es mit dem vorliegenden Entwurf gelungen, ein in sich geschlossenes, ausgewogenes und zukunftsfestes Konzept für die bayerische Sozialpolitik der nächsten beiden Jahre zu erarbeiten.
Dieser Sozialhaushalt steht für die Sicherung und teilweise Verbesserung des vergleichsweise hohen sozialen Standards in Bayern und für den wirtschaftlichen und sozialen Erfolg, für Fortschritt, für gesellschaftliche Teilhabe und für soziale Gerechtigkeit.
Herr Kollege Wahnschaffe, über das letzte Wort können wir uns durchaus unterhalten, aber auch über die Rahmenbedingungen, die der Bund uns stellt.
Die Menschen in unserem Land vertrauen zu Recht darauf, dass die Bayerische Staatsregierung ihre Probleme und Bedürfnisse nicht vergisst. Wir kümmern uns um die Nöte und Lebenslagen unserer Bürgerinnen und
Bürger und betreiben deshalb eine solide, auf sozialen Ausgleich bedachte Politik. Im Gegensatz zur Bundesregierung übernehmen wir Verantwortung. Ich erinnere nur daran, mit welcher Selbstverständlichkeit, ja ich meine sogar Frechheit, die Bundesregierung den Ländern und Kommunen Aufgaben und damit immense finanzielle Lasten aufbürdet, aber nicht bereit ist, einen auch nur annähernd ausreichenden finanziellen Ausgleich zu leisten.