Protocol of the Session on June 27, 2019

12 700 als gewaltbereit bekannte Rechtsextremisten – Stephan E., der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke, war im Übrigen nicht dabei – dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen: Ge fahr droht nicht nur von nationalistischem oder völkischem, sondern auch von linkem oder von religiösem Extremismus. Um dieser Gefahr bestmöglich zu begegnen, müssen wir die Analysefähigkeit der Behörden stärken, diese in die Lage ver setzen, insbesondere rechtsterroristische Zellen, ihre Netzwerke und insbesondere auch die Finanzierungswege früher und um fassender aufzuklären als bisher.

Keine neuen Überwachungsgesetze, vielmehr mehr Personal – Herr Innenminister, da sehen Sie uns an Ihrer Seite. Eine kla re Verantwortlichkeit: Angesichts von 40 Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern müssen wir auch darüber nachdenken und diskutieren, wie unsere föderale Sicherheitsarchitektur vielleicht besser aufgestellt werden kann. Nachdenken und diskutieren müssen wir auch über eine zeitgemäße Ausstat tung, eine zeitgemäße Instrumentierung der Behörden.

Vor allem aber, liebe Kolleginnen und Kollegen: Demokraten müssen in dieser Frage geschlossen zusammenstehen

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Thomas Blenke CDU: Sehr richtig!)

und jede Form von Extremismus – gleich, ob links, ob rechts, ob religiös, völkisch oder nationalistisch – ablehnen und ent schlossen bekämpfen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD – Abg. Jochen Hauß mann FDP/DVP: Sehr gut!)

Nun darf ich das Wort Herrn Innenminister Thomas Strobl geben.

(Abg. Anton Baron AfD: Er soll auch die gewaltbe reiten Linken ansprechen!)

Frau Präsidentin Kurtz, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unsere Gedanken sind vor allem bei der Familie und den Angehörigen von Dr. Walter Lübcke. Niemand hier in diesem Hohen Haus hat im Entferntesten eine Vorstellung davon, was seinen beiden Söhnen, seiner Ehefrau und seiner Familie angetan worden ist, und zwar für den Rest ihres Le bens.

Walter Lübcke wurde deswegen ermordet, weil er in unserer Demokratie Haltung zeigte. Er zeigte auch dann Haltung, als er auf der Feindesliste des Nationalsozialistischen Unter grunds auftauchte.

Wir verneigen uns vor dieser Haltung in Respekt und in Dank barkeit.

(Beifall bei allen Fraktionen – Abg. Dr. Heiner Merz AfD meldet sich.)

Vor dem Hintergrund, dass vor wenigen Tagen ein demokra tischer Politiker erschossen worden ist – nach allem, was wir wissen, von einem Mörder aus dem rechtsextremistischen Be reich –, ist das, was Sie, Herr Abg. Gögel, hier aufgeführt ha ben, eine Schande.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Zuruf: Genau! – Abg. Anton Baron AfD: Begründen Sie es! – Abg. Stefan Räpple AfD meldet sich.)

Das hatte mit Anstand, mit Konservatismus und mit Würde nichts zu tun.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Ich sage es Ihnen ganz klar und bleibe dabei: Ja, in der AfD – das kann man hier im Landtag von Baden-Württemberg

(Abg. Stefan Räpple AfD: Das ist Unsinn, was Sie jetzt sagen!)

in jeder Sitzung besichtigen – sind Rechtsextremismus, Ras sismus und Antisemitismus

(Abg. Stefan Räpple AfD: So ein Blödsinn!)

zu Hause. Was bei Ihnen nicht zu Hause ist – das haben Sie heute erneut unter Beweis gestellt –, sind Anstand, Würde und eine demokratische Haltung.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Stefan Räpple AfD: Verleumdun gen! – Abg. Anton Baron AfD: Eine absolute Frech heit, als Innenminister so etwas zu sagen!)

Herr Minister, wollen Sie Herrn Abg. Räpple – –

Nein, Frau Präsidentin.

Nein.

Zweitens: Der Kampf gegen Rechtsextremismus beginnt mit einer klaren Haltung. Diese Haltung heißt Abgren zung, und zwar nicht nur eine klare Abgrenzung gegenüber den Brandstiftern, sondern auch eine klare Grenzziehung zu den Biedermännern. Seit Max Frisch wissen wir, dass die Bie dermänner mindestens genauso schlimm sind wie die Brand stifter. Deswegen trinkt man auch mit Biedermännern kein Bier.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Der dritte Punkt, den ich sehr deutlich sagen möchte: Wir neh men die Gefahren, die vom Rechtsextremismus ausgehen, sehr ernst. Darauf habe ich erst vor wenigen Wochen bei der Vor stellung des aktuellen Verfassungsschutzberichts erneut und zum wiederholten Mal hingewiesen. Dazu gehört im Übrigen auch, dass wir die Szene intensiv im Blick haben und uns mit den Fakten auseinandersetzen.

Die Gesamtzahl der Rechtsextremisten in Baden-Württem berg stieg im letzten Jahr auf 1 700 gegenüber ca. 1 630 im Jahr 2017. Die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten liegt weiterhin bei etwa 770 Personen, und wir haben alle Ver anlassung, diese Klientel weiter sehr genau im Blick zu be halten.

(Abg. Anton Baron AfD: Was ist mit den Linksextre men? – Gegenruf des Abg. Alexander Maier GRÜ NE)

Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten ist landesweit von 1 318 im Jahr 2017 auf 1 375 im Jahr 2018 angestiegen.

(Abg. Stefan Räpple AfD: Das sind Hakenkreuz schmierereien von Schülern!)

Volksverhetzungsdelikte hatten hierbei den größten Anteil. Aber auch die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten ver zeichnete nach zwei Jahren des Rückgangs einen Anstieg von 39 auf 48.

Der Anstieg der Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straf taten ist nach Einschätzung unserer Fachleute in erster Linie auf eine Enthemmung der Kommunikation insbesondere in der virtuellen Welt zurückzuführen.

(Abg. Andreas Stoch SPD: So ist es! – Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos])

Meine sehr verehrten Damen und Herren – auch darauf wei se ich immer und immer und immer wieder hin –, es steht schon im Johannesevangelium: „Im Anfang war das Wort.“ Gerade unsere eigene deutsche Geschichte zeigt, dass den Worten regelmäßig Taten folgen. Deswegen dürfen wir nicht bereit sein, diese gnadenlose Verrohung der Sprache

(Abg. Stefan Räpple AfD: Bei Anne Will!)

im Netz und in den asozialen Foren einfach zu akzeptieren. Lassen Sie uns auch uns selbst um eine Sprache bemühen, die weit weg von Hass und Hetze ist – auch hier im Landtag von Baden-Württemberg. Im Anfang war das Wort!

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Stefan Räpple AfD: Talkshows!)

Es gibt noch den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Abg. Palka, Herr Minis ter.

Nein. – In der rechtsextremistischen Szene be steht eine große Heterogenität. Wir stellen aber auch fest, dass Rechtsextremisten zunehmend vernetzt sind. Erkenntnisse aus der Aufarbeitung des Nationalsozialistischen Untergrunds ha ben deutlich gemacht, dass sich im Bereich des Rechtsextre mismus auch terroristische Gruppen insbesondere als Zellen struktur bilden können. Mittlerweile sind Rechtsextremisten auch über Ländergrenzen, also international, vernetzt – nicht zuletzt über das Internet. Zudem zeigt sich eine Radikalisie rung von Einzelpersonen, die keinen Kontakt zur organisier ten Rechtsextremistenszene pflegen. Auch das besorgt mich sehr.

Im Zusammenhang mit Funktionsträgern rückten in der jün geren und jüngsten Vergangenheit auch Personenlisten in den Fokus, welche medial als sogenannte Feindeslisten themati siert wurden. Im Zuge von Ermittlungen zu Personenlisten führt die Polizei Baden-Württemberg einzelfallbasierte Ge fährdungsbewertungen durch.

Insgesamt bleibt festzuhalten: Dem Landeskriminalamt Ba den-Württemberg liegen derzeit zwar keine konkreten Gefähr dungshinweise für politische Funktionsträger in Baden-Würt temberg vor;

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Doch! Doch! Sie wollen es nur nicht wissen!)

für eine Entwarnung gibt dieser Befund jedoch keinerlei An lass. Die Verrohung wird durch die zahlreichen Übergriffe auf Amts- und Mandatsträger sichtbar. Die Sicherheitsbehörden nehmen die Gefahren ernst und reagieren mit dem entspre chenden Mitteleinsatz darauf.

Beim Landesamt für Verfassungsschutz hat sich in den ver gangenen Jahren nicht zuletzt in der Folge der Aufarbeitung der Erkenntnisse, die wir im Zusammenhang mit dem Natio nalsozialistischen Untergrund gewinnen konnten, ein Aufga benschwerpunkt im Phänomenbereich Rechtsextremismus ge bildet. So wurde beispielsweise im vergangenen Jahr ein neu es Referat eingerichtet, das sich neben der Auswertung von islamfeindlichen und rechtsextremistischen Bestrebungen mit den Reichsbürgern beschäftigt.

Doch ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Her ren, ganz offen: Das reicht aus meiner Sicht noch nicht.

(Abg. Stefan Räpple AfD: Nur Show!)

Wir sind aus meiner Sicht nicht optimal aufgestellt. Darauf weise ich nicht erst heute hin, sondern vor wenigen Wochen bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts habe ich ebendieses erneut getan. Das Landesamt für Verfassungs schutz muss auch weiterhin so ausgestattet sein, dass es sei ner Funktion als Frühwarnsystem in unserer Demokratie voll umfänglich gerecht werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU – Abg. Stefan Räpple AfD: Instrument gegen die Op position!)