Aber er wäre ein gutes Signal an die Menschen: Wir wollen euch, wo es geht, an der Entscheidungsfindung beteiligen. Und das stünde der Politik gerade in der heutigen Zeit, in der häufig die Distanz zwischen Bürger und Politik beklagt wird, eigentlich gut an.
Deswegen würde ich mich freuen, wenn wir diesen Gesetz entwurf hier in zweiter Lesung gemeinsam beschließen könn ten. Vielleicht ist dann ja auch das für diese Thematik bezahl te Regierungsmitglied anwesend.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! In meinem Wahlkreis wur de vor zwei Jahren eine Geburtsstation in Radolfzell trotz gro ßen Protests vieler Menschen geschlossen. Seitdem müssen gebärende Mütter aus Radolfzell ins Krankenhaus nach Kon stanz oder Singen fahren. Nach Konstanz dauert es mit dem Pkw bei ruhiger Verkehrslage etwa 30 Minuten.
Viele Bürgerinnen und Bürger haben sich damals für den Er halt der Station eingesetzt. Es wurden mehr als 10 000 Unter schriften gesammelt. Wenn schon vor zwei Jahren Bürgerbe teiligungsformate auf Landkreisebene möglich gewesen wä ren, hätten die Menschen sicherlich mit einem Bürgerbegeh ren versucht, die Schließung der Geburtsstation zu verhindern. Die Menschen sind davon überzeugt, dass sie bei solch wich tigen Entscheidungen mitentscheiden und mitbestimmen kön nen sollten.
Es ist offensichtlich egal, ob es um Krankenhausstandorte oder um Müllentsorgung geht: Die Menschen möchten in politi sche Entscheidungsprozesse besser eingebunden werden. Ja, das wirkt auch der Politikverdrossenheit entgegen.
Nach der Reform der Gemeindeordnung im Jahr 2015 gibt es nun mehr Bürgerbeteiligung auf Gemeinde- und auf Landes ebene. Eine interfraktionelle Arbeitsgruppe hatte damals die Grundsätze für die Reform hin zu mehr Bürgerbeteiligung ge meinsam erarbeitet.
Damals konnte allerdings leider kein gemeinsamer Weg für die Bürgerbeteiligung auf Landkreisebene gefunden werden. Damit ist Baden-Württemberg neben Hessen das einzige Flä chenland, das in den Landkreisen Bürgerbegehren, Bürgerent scheide und Einwohneranträge nicht zulässt.
Es ist kein Geheimnis, dass wir Grünen auch die Reform auf Landkreisebene wollten und weiterhin wollen. Deshalb war die Bürgerbeteiligung auf Landkreisebene Teil unseres Wahl programms. Innerhalb der Regierungsfraktionen haben wir diesbezüglich leider unterschiedliche Positionen, was wir Grü nen sehr bedauern.
Für diesen Gesetzentwurf braucht man sich allerdings nicht bei der FDP/DVP zu bedanken, sondern man muss sich bei „Mehr Demokratie e. V.“ bedanken.
Der Verein hat schon im vergangenen Jahr versucht, den An trag auf Bürgerbeteiligung auf Landkreisebene auf den Weg zu bringen.
Wir Grünen haben den Vorstoß des Vereins unterstützt, denn wir stehen hinter diesen Forderungen nach mehr Demokratie, direkter Demokratie auf Landkreisebene.
Nun hat die FDP/DVP den Antrag von „Mehr Demokratie e. V.“ in einigen Teilen übernommen und präsentiert sich als Partei der Demokratie und der Bürgerbeteiligung. Das sei ihr unbenommen. Was ich jedoch nicht verstehe, ist, warum die FDP/DVP bei diesem wichtigen Thema nicht erneut den Weg über eine interfraktionelle Arbeitsgruppe geht – wie 2015 bei der Reform der Bürgerbeteiligung.
Damals wurden von allen im Landtag vertretenen Fraktionen gemeinsam Möglichkeiten direktdemokratischer Mitwirkung erarbeitet. Damals haben aber Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der FDP/DVP, unser erarbeitetes Ergebnis am Ende nicht mitgetragen und unterstützt, weil es Ihnen zu weit ging.
Heute geht die FDP/DVP den Weg allein und riskiert damit, dass ihr Gesetzentwurf im Landtag keine Mehrheit findet. Wenn Sie es wirklich ernst gemeint hätten und ein gutes Er gebnis für diese Reform erreichen wollten, hätten Sie eine in terfraktionelle Arbeitsgruppe angestrebt.
Der Antrag von „Mehr Demokratie e. V.“ hat es verdient, dass hinter diesen Forderungen ein breites Bündnis steht.
Interessant ist vor allem, welche Passagen die FDP/DVP aus dem Antragsentwurf von „Mehr Demokratie e. V.“ herausge kürzt bzw. verwässert hat. Erstens: Warum setzen Sie das Ab stimmungsquorum bei Bürgerentscheiden hoch und machen bürgerliche Mitbestimmung damit schwieriger? Zweitens: Der Antrag von „Mehr Demokratie e. V.“ schlägt außerdem vor, Bürgerbeteiligung auf regionaler Ebene umzusetzen. Warum haben Sie das in Ihrem Entwurf geflissentlich weggelassen und zeigen damit so wenig Vertrauen in die Demokratiefähig keit der Baden-Württembergerinnen und Baden-Württember ger?
Wir Grünen hätten uns gewünscht, dass man das wichtige Thema Bürgerbeteiligung auf allen politischen Ebenen und nicht zuletzt auch gemeinsam angeht.
Wird die Bevölkerung in politische Entscheidungsprozesse eingebunden, gibt das der Politik wichtige Impulse, und poli tisch komplexe Situationen sind gemeinschaftlich einfacher zu lösen. Das ist das beste Mittel gegen Politikverdrossenheit. Deshalb wollen wir Grünen die Bürgerbeteiligung auch auf Landkreisebene, und zwar ohne die Einschränkungen, die der Vorschlag der FDP/DVP vorsieht.
Frau Präsidentin, werte Kol leginnen und Kollegen! Wir haben es gehört: Der Landesver band Baden-Württemberg von „Mehr Demokratie e. V.“ hat te am 14. Februar 2018 einen Volksantrag mit der Bezeich nung „Mehr Demokratie in den Landkreisen“ gestartet. Die sem lag ein entsprechender Gesetzentwurf zugrunde, der die Einführung von Einwohneranträgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in den Landkreisen vorsah – mit ausführ licher Begründung.
Der Verein war sich nach eigenem Bekunden seinerzeit völ lig sicher, dass er innerhalb eines Jahres die dafür erforderli chen 40 000 Unterschriften zusammenbekommt, weil er sich von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis getragen fühl te. Nach einem halben Jahr wurde das Vorhaben beendet. Es kamen 10 000 Unterschriften zusammen.
Im Vorfeld der heutigen Ersten Beratung war der Verein nun mehr erneut sehr aktiv. Unter der Überschrift „Jetzt Druck ma chen: Schreiben Sie Ihren Landtagsabgeordneten“ hat er ei nen Musterbrief zur Verfügung gestellt, den viele von Ihnen – so nehme ich an – in den letzten Tagen erhalten haben.
Da es nicht zu einem erfolgreichen Volksantrag gereicht hat, begrüßt der Verein ausdrücklich die Initiative der FDP/DVP, die mit dem von ihr vorgelegten Gesetzentwurf nun einen fast wortgleichen Gesetzentwurf in den Landtag einbringt – man könnte auch sagen: abgeschrieben hat.
Schon allein daran kann man erkennen, dass es der FDP/DVP in diesem Punkt nicht um die Sache geht. Es geht ihr darum, sich ein Stück weit die unterschiedlichen Auffassungen der Koalitionsfraktionen – das ist ja angeklungen; ich werde da rauf noch zu sprechen kommen – zunutze zu machen. Das hal te ich für einen untauglichen Versuch.
Sie versucht zweitens, im Kommunalwahlkampf mit diesem Thema zu punkten. Ich weiß nicht, ob sie die Menschen da mit „ergreifen“ kann, wie Sie, Herr Dr. Rülke, vorhin ausge führt haben, zumal der Inhalt des Gesetzentwurfs nur wenig
Neues birgt. Die Einzelheiten hat Frau Erikli genannt. Das Wesentliche ist das Verändern der Quoren.
Das Zweite ist die Veränderung der Fristen für die Zulassungs entscheidung. Das hat mit dem Sitzungsrhythmus von Kreis tagen zu tun. Das ist eine sinnvolle Regelung. Drittens begehrt die FDP/DVP die Einführung eines Einwohnerantrags.
Zu Recht beschränkt sich der Gesetzentwurf darauf – das will ich anmerken –, sogenannte kreiskommunale Aufgaben zum Gegenstand eines Bürgerentscheids zu machen. Viele Aufga ben, die die Landratsämter wahrnehmen – zu 80 % –, sind ja einer unmittelbaren, direktdemokratischen Mitwirkung ent zogen, weil es sich um Aufgaben der unteren Verwaltungsbe hörde handelt. Der Landkreistag befürchtet deswegen zu Recht, dass es zu Frustrationen bei den Bürgern führt, wenn sie feststellen müssen, dass Bürgerbeteiligung gar nicht mög lich ist. Nach Auffassung von dessen Hauptgeschäftsführer könnte die Demokratie durch solche Frustrationen eher Scha den nehmen, was zu einem fatalen Bumerangeffekt führen könnte.
Gleich. – Der Ehrlichkeit hal ber soll angemerkt werden, dass uns aus Gesprächen mit Landräten durchaus bewusst ist, dass diese Position nicht von allen Landräten gleichermaßen geteilt wird.
Herr Kollege Ho ckenberger, habe ich es richtig verstanden, dass die eine Ko alitionsfraktion, nämlich die Grünen, uns dafür kritisiert, dass wir zu wenig von dem Gesetzentwurf von „Mehr Demokra tie“ übernommen hätten, während die andere Koalitionsfrak tion, nämlich die CDU, uns dafür kritisiert, dass wir zu viel übernommen hätten?