Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen haben wir den baden-württembergischen Weg, diesen Weißbuchpro zess auf unsere Art zu bestreiten, durch den Leitbildprozess aufs Gleis gesetzt. Damit haben wir Europa nicht verändert. Aber wir haben nochmals deutlich gemacht, wo wir stehen, welches europapolitische Bewusstsein uns Baden-Württem bergern im Herzen Europas wichtig ist.
Wir sollten dabei nicht die Kritik fürchten, sondern die Teil nahmslosigkeit. Europas Zukunft braucht lebhafte Debatten. Wir alle sollten uns an ihnen beteiligen, mit der Bereitschaft, auch in die Tiefe zu gehen und das Ganze mit Leidenschaft zu tun.
Anstatt Europa gemeinsam voranzubringen, haben Sie, Kol lege Dr. Grimmer, wenn ich Sie richtig verstanden habe, schon
sehr stark auch über einen Rückbau Europas diskutiert und debattiert. Mir fällt auf, dass Sie in Ihrer Fraktion Wert auf ei ne vermeintlich filigrane Unterscheidung zwischen Europa ei nerseits und Europäischer Union andererseits legen
und dass Sie gleichzeitig eine Fülle aus meiner Sicht destruk tiver Kritikpunkte ins Feld führen, ich aber bei Ihnen über haupt nicht erkennen kann, wo Sie diesem Europa und dieser Europäischen Union irgendetwas Positives abgewinnen wol len.
Wer so argumentiert, der hat nur ein Ziel: dieses Europa ab zuschaffen. Und das wollen wir nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich will auch ganz offen sagen, dass mich bei der Diskussion um den Brexit – da unterscheide ich mich vielleicht sogar ein bisschen von meinem Fraktionskollegen Kößler; es tut mir leid –
Ich muss ehrlich sagen: Ich bin auch dafür, dass man alles aus lotet, um zu einem geordneten Austritt aus der Europäischen Union zu kommen, nachdem die Briten sich hierzu entschlos sen haben. Der Blick auf das Brexit-Chaos hat uns lange auch dazu gedient, den Menschen vor Augen zu führen, dass wir so etwas nicht wollen. Wenn das aber so weitergeht und wir jeden Tag aus Großbritannien neue Nachrichten dazu bekom men, was sie denn nun wollen – eine weitere Verlängerung, eine Korrektur da, eine Korrektur dort, vielleicht doch noch Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament –, dann könnten die Menschen auch den Eindruck gewinnen: Dieses Europa ist eine lahme Ente, die nicht in der Lage ist, denen die konsequente Antwort zu geben, die partout mit Mehrheit aus dieser Europäischen Union aussteigen wollen. Wenn sie das wollen, dann sollen sie es tun – und jetzt und so fort, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen und der CDU – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)
Insofern müssen wir die nächsten Tage abwarten. Ich wün sche mir hier aber etwas Konsequenz und eine klare Antwort.
Das Leitbild, das wir hier in Baden-Württemberg als einen Beitrag zur Zukunftsdebatte der Europäischen Union auf den Weg gebracht haben, findet jetzt natürlich auch im Weißbuch prozess seine Fortsetzung. Beim Sondergipfel am 9. Mai im
rumänischen Sibiu, wo eine weitere wichtige Wegmarke ge setzt werden soll, wollen die Staats- und Regierungschefs be raten, wie der Zukunftsprozess weitergehen soll. Es wäre gut, wenn dort ein konkreter Fahrplan beschlossen würde, ein Fahrplan, der Europa Orientierung gibt.
Orientierung geben muss zudem der anstehende nächste Mehr jährige Finanzrahmen. Hier brauchen wir dringend absehbar eine politische Einigung. Dies wäre ein Signal für die politi sche Handlungsfähigkeit der Europäischen Union in schwie rigen Zeiten. Es würde zeigen, dass Politik auch in Zeiten des Brexits möglich ist und dass uns das britische Brexit-Chaos nicht lähmt.
Danke, Herr Mi nister. – Sie sprachen über die Zögerlichkeit beim Brexit und sagten, dass dieses Hin und Her, das wir im britischen Parla ment erleben, letztlich auch zur Konsequenz haben müsste, dass man seitens der Europäischen Union sagt: „Jetzt geht doch endlich!“ – also konsequent zu sein.
Könnte es sein, dass die Zurückhaltung der Repräsentanten der Europäischen Union auch damit zusammenhängt, dass man sich bewusst wird, dass der Brexit durchaus ein Erfolgs modell sein könnte? Immerhin hat Donald Trump dem Verei nigten Königreich eine privilegierte Partnerschaft angeboten.
Wer bis zur Stunde noch davon ausgeht – ich sage das auch angesichts der chaotischen Diskussionen in Großbritannien –, dass der Brexit zu einem Erfolgsmodell werden könnte, den versuche ich nicht von seinem Glauben abzubringen. Ich glaube, dass inzwischen selbst in Großbritannien viele erkannt haben, dass das, was sie mit Mehrheit beschlossen haben, ins Chaos führt, und dass es nicht wenige gibt, die von diesem Schritt auch gern wieder zurücktreten würden. Aber auch dafür – wir ha ben es an dieser Stelle mehrfach angesprochen – braucht die ses Volk Zeit. Das geht nicht von heute auf morgen. Da ist es auch notwendig, die Situation in Großbritannien wieder zu befrieden.
Ich komme noch einmal zurück auf den Mehrjährigen Finanz rahmen. Es muss alles geschehen, um eine Förderlücke zu ver meiden. Wir brauchen diesen Mehrjährigen Finanzrahmen ab sehbar, um den pünktlichen Start der Förderprogramme ab 1. Januar 2021 sicherstellen zu können. An der Schwerpunkt setzung beim Mehrjährigen Finanzrahmen wird sich entschei den, ob Europa die großen Aufgaben der Zukunft anpackt.
Mangel an Ideen für die Europäische Union von morgen herrscht nicht. Eine Vielzahl von Zukunftsentwürfen und konkreten Einzelvorschlägen für die Weiterentwicklung Europas liegen auf dem Tisch. Mein Rat ist klar: Lasst uns realistisch sein, und lasst uns zuerst die Vorschläge angehen, die machbar und
mehrheitsfähig sind. Ich denke an die großen Schnittmengen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Hier wird kein Weg daran vorbeiführen, dass die EU-Staaten enger zusam menarbeiten und Planungsprozesse harmonisieren. Hier braucht es mehr Kohärenz und auch mehr gemeinsame Beschaffung. Das spart nicht nur Kosten; vielmehr würde mehr Einheitlich keit auch die Ausbildung und die Bedienung erleichtern. Mehr Einheitlichkeit ist Voraussetzung für mehr echtes Miteinan der.
Wir haben jüngst einerseits zur Fortschreibung des ElyséeVertrags auf der Ebene des Bundestags und der Französischen Nationalversammlung den Aachener Vertrag auf den Weg ge bracht und andererseits in gleicher Weise in Paris auf der Ba sis des Senats und des Bundesrats eine Weiterentwicklung des Elysée-Vertrags fortgeschrieben. Ich glaube, dieses deutschfranzösische Modell, dieser deutsch-französische Motor kann nur dann laufen, wenn wir uns über die Grenzen Deutschlands und Frankreichs hinaus bewusst sind, dass Deutschland und Frankreich einst die Keimzelle dieser europäischen Bewegung gewesen sind und in der Zukunft auch wieder verstärkt wer den müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Europadialog hat ge zeigt, dass die Baden-Württembergerinnen und Baden-Würt temberger realistische Erwartungen an die Europäische Uni on haben. Wir wollen von Europa gleichermaßen profitieren, wie wir unseren Beitrag für Europa leisten wollen. Beides ge hört zusammen. Man darf nicht immer nur fragen: „Was bringt mir dieses Europa?“, man muss auch bereit sein, in dieses Eu ropa etwas hineinzugeben, damit alle die Chance haben, dass es ihnen besser geht. Beides gehört zusammen, und beides ist eine gute Basis für die anstehenden Debatten bis zur Europa wahl am 26. Mai.
Debatten schaffen Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit schafft Wahlbeteiligung, und eine hohe Wahlbeteiligung stärkt die Demokratie bei uns daheim und in ganz Europa.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Positionen sind klar abge steckt. Aber nachdem Ihre Position immer wieder gesagt wird, muss die andere auch immer wieder gesagt werden. Das ist nun einmal so in der Auseinandersetzung.
Also noch einmal: Es ist keine filigrane Unterscheidung zwi schen Europa und der EU, sondern es ist eine ganz grundsätz liche Unterscheidung, die auch den Gründervätern de Gaulle und Adenauer entspricht.
Zweitens: Ich bin im Gegensatz zur AfD-Fraktion dezidiert schon jetzt für den „Dexit“. Ich glaube, wir können bis zum jüngsten Tag warten. Diese EU ist nicht reformfähig, meine Damen und Herren. Das ist der springende Punkt. Das sehen wir ja heute: Die EU schafft mehr Probleme, als sie löst, ob in der Migration, beim Diesel oder sonst irgendwo.
Das Dritte ist: Die EU ist supranationalistisch, sie will expli zit Deutschland abschaffen. Wenn wir nicht wollen, dass die EU Deutschland abschafft, meine Damen und Herren, dann muss Deutschland die EU abschaffen.
Der Brexit wird als Beweis genommen, dass es ganz schreck lich sei, einen „Dexit“ zu fordern. Das ist mitnichten der Fall. Der Brexit ist für die Briten eine Art Operation. Bei jeder Ope ration ist der Patient erst einmal kränker als vor der Krank heit. Er liegt auf der Intensivstation, und da ist dies und das. Danach, wenn er dann nach drei Wochen aus dem Kranken haus herauskommt, kann man erst beurteilen, ob sich die Ope ration gelohnt hat oder nicht. Wenn man jetzt schon jubelt: „Aha, es geht alles in die Hose“, dann jubelt man zu früh, und dann vergisst man, was für Probleme wir bekommen werden, wenn wir in der EU bleiben.
Also, meine Damen und Herren, wir haben die Möglichkeit, Deutschland der EU zu opfern oder aber die EU Deutschland zu opfern.