Protocol of the Session on March 20, 2019

Das Chaos wird auch nicht weniger, wenn Sie versuchen, es schönzureden.

Das britische Unterhaus hat am 12. März das Austrittsabkom men abgelehnt, das Theresa May mit Verhandlungsführer Bar nier ausgehandelt hat. Das britische Parlament hat damit klar gemacht, was es nicht will: den Brexit in der vorgeschlage nen Form.

Die britische Regierung versucht seither erfolglos, doch noch Stimmen für das Abkommen zu sammeln. Doch jetzt hat der Sprecher des Unterhauses einer erneuten Abstimmung den Riegel vorgeschoben – wobei aktuell aber über dessen Rechts position auch wieder heftig gerungen und gestritten wird. Für uns Europäer ist die Ablehnung des Abkommens durch das House of Commons enttäuschend. Der Vertrag wurde in zä hen Verhandlungen errungen und bietet einen, wie wir finden, wohlabgewogenen Kompromiss. Dieser Kompromiss ist das Bestmögliche für beide Seiten in der gegebenen Situation.

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Wir haben uns den Brexit nicht gewünscht. Aber es gilt, aus der bestehenden Si tuation das Beste zu machen. Ich finde, das kommt in der Be richterstattung häufig etwas zu kurz – vor allem auf der Insel, wo es sogar heißt, die EU hätte Großbritannien übervorteilt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist mitnichten der Fall. Die Europäische Union hat schmerzhafte Zugeständnisse ge macht, gerade beim Nordirland-Backstop. Was bedeutet die ser Backstop? Wir gestatten den Briten einen privilegierten Zugang zum EU-Binnenmarkt, um eine harte Grenze in Irland zu vermeiden – und das letztlich ohne Gegenleistung. Mehr, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht nicht, und mehr gibt es nicht; auch das muss in dieser Situation klar sein.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der SPD)

Kollege Sänze, Sie haben mehrfach betont, man habe den Bri ten die Tür zugeschlagen. Ja, wer hat denn hier eigentlich wem die Tür zugeschlagen? Die Briten haben die Tür zu Europa zugeschlagen, und die Briten haben es in der Hand, diese Tür wieder zu öffnen.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der SPD – Abg. Karl Rombach CDU: Rich tig! Genau! – Zuruf der Abg. Carola Wolle AfD)

Wenn das Austrittsabkommen trotz dieser Ausgewogenheit keine Mehrheit bekommt, so hat dies einen einfachen Grund: Die mit dem Brexit verbundenen Versprechen der Brexit-An hänger können nicht eingelöst werden. Der Brexit wird vor allem in Großbritannien nur Verlierer kennen. Der Brexit be deutet, dass sich die wirtschaftliche Situation verschlechtern wird, weil Hürden im Handel mit dem wichtigsten britischen Exportmarkt, dem EU-Binnenmarkt, aufgebaut werden. Der Brexit bedeutet, dass Großbritannien künftig keine Mitspra cherechte bei den bedeutenden Regularien hat, die die EU auf stellt und die eben in Zukunft doch vielfach nach Großbritan nien ausstrahlen. Der Brexit bedeutet, dass Großbritannien als Handelsmacht schrumpfen und an Einfluss verlieren wird.

Angeklungen ist heute auch die Verhandlungsführung durch Herrn Barnier und Frau Weyand. Sie ist von Ihnen kritisch be leuchtet worden. Ich will meinen Eindruck wiedergeben: Es ist in all diesen Verhandlungen gelungen, die EU-27 geschlos sen zusammenzuhalten. Es ist erreicht worden, dass kein Keil zwischen die Einzelstaaten der EU-27 getrieben werden konn

te. Barnier und Weyand haben diese Verhandlungen gut, ja, hervorragend geführt, und sie verdienen dafür Anerkennung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Das Brexit-Chaos zeigt, warum es sich lohnt, in der EU zu bleiben, und warum wir Europa zwar besser machen müssen – es ist absolut richtig; wir müssen Europa besser machen –, es aber nicht infrage stellen sollten.

Theresa May wird am Donnerstag auf dem EU-Gipfel die Staats- und Regierungschefs der EU-27 um eine Verlängerung der Austrittsfrist bitten. Den ungeöffneten Briefen zufolge, die momentan unterwegs sind, geht es nur noch um eine kurze Fristverlängerung, um die sie bittet, eine Fristverlängerung, die nicht zur Folge hätte, dass die Briten doch noch an der Eu ropawahl teilnehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss ehrlich gestehen: Für mich wäre das auch schwer ver daulich, jetzt auf die Schnelle die Briten an dieser Wahl teil nehmen zu lassen, sie danach über wesentliche Zukunftsent scheidungen personeller und struktureller Art mitentscheiden zu lassen, damit sie dann wenige Wochen oder Monate später die Europäische Union verlassen. Damit hätten nicht wenige in der Europäischen Union ein echtes Problem. Auch dort geht es um Akzeptanz.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD)

Eine kurzfristige Verlängerung, die die Möglichkeit bieten könnte, doch noch zu einem geregelten Austrittsabkommen zu kommen, haben wir aus baden-württembergischer Sicht immer befürwortet. Aber eine solche Verlängerung – das ist heute mehrfach angeklungen – kommt nur dann in Betracht, wenn die britische Regierung einen klaren Fahrplan vorlegt, wenn sicher ist, dass am Ende der Verlängerung ein Ergebnis stehen wird und nicht die nächste Verlängerung.

Die EU kann es sich nicht leisten, den Brexit zum Dauerthe ma zu machen. Überhaupt muss man sich allmählich die Fra ge stellen – die müssen sich die Briten stellen, das ist deren Angelegenheit; aber auch wir müssen uns die Frage stellen –, ob wir nicht aufhören sollten, so viel Kraft auf Vergangen heitsbewältigung zu legen und dabei aktuelle Herausforderun gen der Zukunft zu vernachlässigen.

(Zuruf von der AfD: Hört, hört!)

Auch darum muss es mit Blick auf Europa gehen; auch das muss den Briten deutlich gemacht werden.

Wir stehen vor großen Herausforderungen in Europa und in der Welt: Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel, Mi gration. Das sind die Herausforderungen der Gegenwart, und diese müssen wir angehen. In diesen Bereichen erwarten die Menschen auch die Problemlösungskompetenz der Europäi schen Union. Wir haben keine Kapazitäten, dauerhaft mit dem Vereinigten Königreich über die Trennungsbedingungen zu diskutieren. Deswegen ist eine Verlängerung nur dann sinn voll, wenn es eine Perspektive gibt.

Kollege Hofelich hat eben auch die Frage gestellt, wie es ge gebenenfalls in den Handelsbeziehungen weitergehen kann.

Ein möglicher Weg könnte darin liegen, dass die britische Re gierung ihre roten Linien verschiebt. Vielleicht gibt es im Un terhaus eine Mehrheit für eine andere Art des Brexits, eine en gere Anbindung an die EU, ähnlich dem Norwegenmodell. Dafür gäbe es Offenheit, darüber kann auch künftig verhan delt werden, aber Großbritannien muss auch endlich erken nen lassen, wohin die Reise aus seiner Sicht gehen soll.

Heute ist mehrfach ein mögliches zweites Referendum ange sprochen worden. Auch ich habe darüber oft nachgedacht. Es war natürlich auch Gegenstand der Diskussion, aber ich will Ihnen offen einräumen: Ein solches zweites Referendum zur jetzigen Zeit halte ich weder für wahrscheinlich noch für wirk lich befriedend. Es gibt in der britischen Bevölkerung unver ändert diese Polarisierung zwischen Gegnern und Befürwor tern. Ich habe die große Sorge, dass ein zweites Referendum zum jetzigen Zeitpunkt die Gräben vertiefen würde.

Andererseits kann man geänderte Umstände auf Sicht nicht außer Acht lassen, wenn sich die Briten in einigen Jahren ei nes anderen besinnen. Es gehört zur Demokratie, dass man seine Meinung ändern kann. Die Hand der Europäischen Uni on muss deshalb für den Fall eines erneuten Referendums und eines Votums für die Europäische Union ausgestreckt bleiben. Aber dieses wird – das ist meine feste Überzeugung – Zeit be anspruchen, um diesen Prozess auch in einer gespaltenen Ge sellschaft voranzubringen, um am Ende des Tages tatsächlich befrieden zu können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Brexit-Übergangsge setz, das wir heute beschließen wollen, dient der Umsetzung des Austrittsabkommens. Es steht und fällt also mit dem Aus trittsabkommen. Trotz der großen Unsicherheiten werbe ich um Ihre Zustimmung. Wir müssen alles tun, um auf alle Even tualitäten vorbereitet zu sein.

Natürlich sind wir auch auf einen ungeregelten Brexit im Rah men dessen, was wir uns darunter vorstellen können, vorbe reitet. Wir haben frühzeitig die Brexit-Folgenabschätzung er hoben, um zu wissen, wie sich der Brexit hier im Land aus wirkt. Auf dieser Grundlage und mit diesen Informationen ha ben wir unsere Interessen in Berlin und in Brüssel eingespeist. Vor Ort gibt es Ansprechpartner auch und vor allem für die Bürgerinnen und Bürger, deren Leben durch den Brexit be einträchtigt wird, ebenso wie für die Unternehmerinnen und Unternehmer, deren Geschäfte unter dem Brexit leiden kön nen.

Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob es gelingt, gemeinsam mit den Briten einen Weg aus der Sackgasse zu finden. Mit dem Brexit-Übergangsgesetz leisten wir unseren Beitrag, einen geregelten Brexit zu ermöglichen. Uns soll nie mand vorwerfen können, wir hätten nicht alle Anstrengungen unternommen, um dem geregelten Brexit die Wege zu ebnen. Wenn es anders kommt, werden wir reagieren. Wir in BadenWürttemberg sind auf den Brexit vorbereitet – egal, in wel cher Form. Aber ich betone das, was viele in diesem Haus ge sagt haben: Bei allem, wofür sich die britische Regierung und das Parlament entscheiden, unsere Hand für die Briten bleibt auch in der Zukunft ausgestreckt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen, der CDU und der SPD)

Jetzt hat Herr Abg. Dr. Ge deon das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Den Briten eine Zollunion anzu bieten, bei der sie nicht bestimmen können, ob und, wenn ja, wann sie austreten, das ist eine Zumutung. Das wird bewusst so gemacht. Damit will man sie offensichtlich in die Knie zwingen und hat noch immer die Lösung im Kopf, dass sie ein zweites Referendum machen, das dann besser ausgehen könnte als das erste.

Meine Damen und Herren, das Problem ist Ihr geschlossenes Weltbild.

(Zuruf von der SPD: Das sagen Sie uns?)

Das, was Sie uns immer vorwerfen, das ist Ihr Problem.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Sie können sich eine Welt ohne EU nicht vorstellen. Deshalb ist für Sie alles andere – ohne EU – eine Apokalypse.

(Zuruf des Abg. Andreas Stoch SPD)

Sie sollten stattdessen ganz rational überlegen, wo die Vortei le da und dort liegen. Sie widersprechen Ihrer eigenen Vorge hensweise; Sie machen sie nachträglich zur Farce.

Wenn wir einmal schauen, was vor einem Jahr mit dem Weiß buchprozess begann, dann ist festzustellen, dass Sie da fünf Möglichkeiten angeboten haben. Eine Möglichkeit war eben der Rückbau auf eine Freihandelszone. Darüber ist nie ernst haft diskutiert worden, meine Damen und Herren. Warum nicht? Weil das in Ihrem Weltbild praktisch nicht vorkommt.

Ich plädiere dafür, dass wir den Engländern nicht ständig neue Forderungen stellen, sondern einmal selbst unsere Positionen reflektieren, die großen Alternativen, die auch notwendig sein werden – nicht zuletzt dann, wenn der wichtigste Nettozahler wirklich weg ist.

Also: Hören wir auf, den Briten den Schwarzen Peter zuzu schieben. Suchen wir ihn einmal bei uns bzw. gehen wir dar an, die Ursachen breiter zu diskutieren.

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Abg. Hans-Ul rich Sckerl GRÜNE: Oje, oje, oje! Gedeon auf die Insel!)

Meine Damen und Her ren, jetzt liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen in der Zweiten Beratung zur A b s t i m m u n g über den Gesetzentwurf Drucksache 16/5677. Ab stimmungsgrundlage ist die Beschlussempfehlung des Aus schusses für Europa und Internationales, Drucksache 16/5703. Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, dem Gesetzentwurf zuzustim men.

Ich rufe auf

§ 1

Übergangsregelung

Bevor wir über diesen Paragrafen abstimmen, weise ich Sie auf Folgendes hin: In dem Gesetzentwurf sind das Datum des Abkommens und die Fundstellenangabe des Amtsblatts der Europäischen Union offen geblieben. Die Regierung teilt uns dazu mit, dass die Europäische Union mittlerweile das para phierte Abkommen veröffentlicht hat, sodass die Fundstellen angabe des Amtsblatts der Europäischen Union vom 19. Fe bruar 2019 in § 1 aufgenommen werden kann. Auf die Anga be des Datums des Abkommens, das ja noch nicht feststeht, soll aber verzichtet werden.

Damit möchte man dem Vorbild des Bundestags folgen, der in seinem weitgehend gleichlautenden Brexit-Übergangsge setz das Datum des Abkommens – anders als noch im Regie rungsentwurf – nicht mehr ausweist und als Fundstellenanga be das Amtsblatt der Europäischen Union aufgenommen hat. Es wird jetzt also darum gebeten, dem § 1 in folgender Fas sung zuzustimmen – ich lese es vor –:

Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordir land gilt vorbehaltlich der in § 2 genannten Ausnahmen im Landesrecht für die Dauer des Übergangszeitraums gemäß Artikel 126 und Artikel 132 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königsreichs Großbritanni en und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. C 66 I vom 19. Fe bruar 2019, S. 1) als Mitgliedsstaat der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft.

Wer § 1 in dieser Fassung zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Danke. Damit ist § 1 einstimmig zugestimmt.