Protocol of the Session on March 20, 2019

(Anhaltender Beifall bei der CDU – Beifall bei Ab geordneten der Grünen, der SPD und der FDP/DVP)

Herr Abg. Sänze, bitte, für die AfD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Einfach gesagt: Was der eine bekommt, möchte der andere auch. Mit dem Brexit ist es genauso. Die anderen EUMitgliedsstaaten sehen, was verhandelt wird. Würde die EUKommission von ihrer Position abrücken und Großbritanni en beispielsweise anbieten, in einer Übergangsphase zum Nulltarif in der EU zu verbleiben, würde der nächste EU-Mit gliedsstaat den Finger heben. Deswegen ist es für Juncker, Merkel und Co. sowie ihre Chefunterhändler Barnier und Weyand besonders wichtig, eine harte Linie zu verfolgen.

Man ist sauer, dass die Briten die EU verlassen. Warum ist man sauer? Weil es der britischen Wirtschaft trotz Brexit gut geht. Das öffentliche Defizit konnte von 9,4 % des Bruttoin landsprodukts im Jahr 2010 auf 1,9 % gesenkt werden. Die Arbeitslosenquote ist auf dem niedrigsten Wert seit 1975: 4,0 %.

Man ist sauer, dass der deutschen Stellvertreterin von Barnier, Sabine Weyand, der diplomatische Geduldsfaden gerissen ist.

Am 29. Januar 2019 war Frau Weyand beim britischen Fern sehsender Channel 4 zu sehen. Dort erklärte sie in arrogantes ter Manier, warum es kein weiteres Angebot geben werde. Sie wirft den britischen Kollegen vor, das Abkommen nicht ein mal gelesen zu haben. Die Dame explodierte fast vor Wut auf ihrem Stuhl, weil die Briten in den Verhandlungen nachge fragt hätten, wie man nach dem Austritt bilaterale Verträge ab schließen könne.

Weyands Verhalten ist exemplarisch für das ganze EU-Geha be. Man knallt den Briten die Tür zu.

(Beifall bei der AfD)

Baden-Württemberg wird der Brexit rund 34 000 Arbeitsplät ze kosten. Baden-württembergische Unternehmen haben 2017 Waren im Wert von über 11 Milliarden € nach Großbritannien exportiert – vor allem Autos, Zubehör und Maschinen. 2017 betrug der Umsatz pro Mitarbeiter in der Industrie 324 000 €. In Baden-Württemberg sind allein in der Industrie rund 34 000 Arbeitsplätze unmittelbar vom Export nach Großbritannien abhängig. Exporte von Dienstleistungen sind darin noch nicht enthalten.

34 000 Arbeitsplätze gehen verloren. Haben Sie dagegen et was unternommen? Ich frage, warum unser Übervater – er ist jetzt leider weg – nicht einfach gesagt hat: „Angela, im Ländle hängen 34 000 Arbeitsplätze davon ab. Was können wir tun? Sei doch etwas freundlicher zu den Briten, wir wollen doch auch in Zukunft etwas dorthin verkaufen.“

Warum bestraft die EU also die bösen Briten? Weil sie den verdammten Mut haben, den Willen ihrer Wähler, ihres Vol kes zu respektieren? Ich wiederhole noch einmal: In Großbri tannien ist die Demokratie 800 Jahre alt, und die Herrscher elite hört auf das Volk. König Karl wurde einen Kopf kürzer gemacht, weil er den Willen des Volkes nicht respektierte.

(Beifall bei der AfD)

Warum ist man sauer auf die Briten? Weil die EU-Granden genau wissen: Nach einigen Jahren wird es Großbritannien besser gehen. Das ist der Anfang vom Ende der Europäischen Union. Den Briten traut man es zu, dass sie es schaffen.

Und wie verhalten sich unsere Vertreter landauf, landab? Den Briten wird die Tür vor der Nase zugeknallt. Das kostet Ar beitsplätze. Es werden zukünftige Handelsbeziehungen und bilaterale Abkommen aufs Spiel gesetzt. Denn nach dem Aus tritt sind die Briten in ihren wirtschaftlichen und ihren außen politischen Handlungen absolut frei.

(Zurufe der Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch und des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Ich wiederhole nochmals: Die Briten werden die EU verlas sen, mit oder ohne Abkommen. Der Engländer Patrick Min ford, Professor für Wirtschaftspolitik, empfahl schon 1998, die EU zu verlassen, da der freie Welthandel besser für Groß britannien sei. Seine zweite Empfehlung an Großbritannien in diesem Zusammenhang war, falls es eine aggressive EUWirtschaftspolitik geben würde, der NAFTA beizutreten.

Ist das so schwierig? Warum schlägt man den Briten nicht vor,

(Zuruf der Abg. Beate Böhlen GRÜNE)

ohne Rechnung über 39 Milliarden € noch ein bisschen in der EU zu verbleiben, ohne EU-Abgeordnete, ohne britische Be amte? Warum nicht? Aus demselben Grund, den ich schon vorhin erwähnt habe: Die Eurotechnokraten wollen keinen Präzedenzfall. Das Projekt EU, das Projekt Superstaat darf nicht gefährdet werden – immer weiter, egal, ob das ganze Volk vor den Kopf gestoßen wird.

In diesem Übergangsgesetz soll das Vereinigte Königreich im mer noch als Mitglied der EU behandelt werden, wenn es ein Austrittsabkommen gibt. Es gibt keines, es wird auch keines geben. Über was sollen wir heute also abstimmen? Über Luft schlösser? Wir sehen den Sinn des Gesetzes nicht, denn wenn es kein Abkommen gibt und es zu einem harten Brexit kommt, ist Großbritannien kein Mitglied der EU mehr. Dann gibt es keine britischen EU-Parlamentarier mehr, und alle hier in Deutschland lebenden Briten haben automatisch das EU-Wahl recht und die EU-Bürgerrechte verloren. Weshalb also ein Ge setz? „Viel Lärm um nichts“, um noch einmal Shakespeare zu erwähnen. Wir werden uns der Stimme enthalten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD)

Dann hat das Wort Herr Kollege Hofelich für die SPD.

Vielen Dank. – Werte Frau Präsi dentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Sänze, zur Si cherheit: Wir sind hier im baden-württembergischen Landtag, der die Interessen Baden-Württembergs vertritt, und nicht im Herrenklub von Boris Johnson.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den Grünen)

Danke schön, liebe Kollegin Sylvia Felder. Ich habe mich sehr über Ihre Rede gefreut und werde Sie vermissen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/ DVP)

Nach Nordbaden kann ich jetzt nicht umziehen. Das kann niemand von mir verlangen.

(Heiterkeit)

Am morgigen Donnerstag werden sich die Regierungschefs der EU treffen, und Frau May wird ihren Vorschlag zum wei teren Vorgehen hinsichtlich des Austritts des Vereinigten Kö nigreichs vorlegen. Heute soll ein Brief ankommen. Man hört auch schon über dpa, dass man wisse, was drinsteht, nämlich der Antrag auf eine Verlängerung der Austrittsfrist um nur drei Monate. Damit würden zumindest einmal ganz große Szena rien nicht eintreten.

Aber wir alle wissen: Der neue Vorschlag hat auch noch die Hürde zu überwinden, dass innerhalb des britischen Parla ments erst einmal alles laufen muss. Es heißt ja, die Vorlage sei formal gar nicht korrekt, weil es ein Gesetz aus dem Jahr 1604 gibt, das es nicht ermöglicht, dieselben Dinge noch ein mal vorzulegen. Unter 1604 macht es die älteste Demokratie der Welt natürlich nicht. Deshalb werden wir erst einmal ab warten müssen, wie die Briten im Innenverhältnis ihre Dinge regeln, bevor wir dann im Außenverhältnis sagen, wie es wirk

lich weitergeht. Herr Juncker hat bereits verlauten lassen, dass eine Entscheidung der EU erst kurz vor dem 29. März zu er warten sei.

Festzuhalten bleibt, meine Damen und Herren: Die Situation ist verfahren, und sie bleibt es auch. Festzuhalten ist auch, dass sich das Vereinigte Königreich überhaupt nicht einig ist, sondern dass es hier große Unterschiede gibt, über die wir uns nur ärgern können, die wir aber auch beobachten. Die Mehr heit der Bevölkerung Schottlands und Nordirlands will übri gens keinen EU-Austritt haben – das muss hier auch einmal gesagt werden. Das darf uns in Baden-Württemberg dazu brin gen, darüber nachzudenken, ob das Europa der Regionen am Ende nicht robuster ist als das Europa der Nationalstaaten – dies nur als kleiner Denkansatz.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU)

Das britische Parlament ist leider auch konsensunfähig. Das gilt für alle politischen Kräfte; das will ich an dieser Stelle selbstkritisch sagen. Aber die Bevölkerung Englands kommt hoffentlich ins Grübeln, wie sehr sie von den Brexiteers an geschwindelt und hinters Licht geführt wurde. Es ist ein Lehr stück, wie populistische Zauberlehrlinge unsere Gesellschaf ten tatsächlich ins völlige Chaos stürzen können. Das muss eine Lehre sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Deswegen sind wir nicht sauer, sondern wir sind traurig und wütend, dass weiterhin solche fatalen Meinungen auch hier im baden-württembergischen Landtag vertreten werden.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP – Zuruf von der CDU: Ja, so ist es!)

Angesichts dieser emotionsgeladenen Gemengelage verab schieden wir heute ein eher sprödes, ein nüchternes Gesetz. Es geht um die künftige Stellung britischer Staatsangehöriger, und dies auch nur ab dem Zeitpunkt, an dem die Briten wirk lich draußen sind, und um Regelungen für einen Übergangs zeitraum. Wir, die SPD-Landtagsfraktion, befürworten das Gesetz; das ist klar. Wir werden ihm natürlich auch zustim men.

Es geht aber schon auch – das hat die bisherige Debatte be wiesen – um die Legitimation. Es geht nicht allein um dieses einfache Gesetz. Es geht um die Legitimation Europas und des politischen Prozesses insgesamt. Darüber ist zu reden.

Ich kann mir nicht vorstellen – auch wenn es in einigen Jah ren ein zweites Referendum geben mag –, dass wir in der nächsten Periode ein EU-Parlament mit britischen Parlamen tariern haben. Das würde in unserer Bevölkerung nicht aner kannt. Die Bevölkerung in Baden-Württemberg hat einfach genug. Die Leute sagen, wir sollten endlich einen Schnitt in dieser Sache machen. Ich glaube, das darf man an dieser Stel le im Landtag einmal sagen.

Ich finde auch, dass es wichtig ist, noch einmal festzuhalten, was wir von den Briten erwarten können. Lieber Kollege Frey, meine persönliche Meinung ist: Wenn sie wirklich ein zwei tes Referendum haben wollen, dann müssen sie für sich auch klären – das müssen auch andere Staaten klären –, ob sie nur

mit dem Verstand oder auch mit dem Herzen in Europa sein wollen. Deshalb hat es keinen Wert, noch einmal eine knap pe Verstandesentscheidung herbeizuführen, wenn nicht auch in Großbritannien ein grundlegender Diskussionsprozess über die Zukunft Europas geführt wird, liebe Kolleginnen und Kol legen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU)

Wir hätten einiges zu besprechen. Wir sind heute nämlich in der Situation, dass wir ein offensives Verständnis von parla mentarischer Demokratie in der Welt brauchen. Darum geht es eigentlich und nicht darum, uns mit Diskussionen wie die sen mit alldem, was uns derzeit an globalen Herausforderun gen entgegensteht, sozusagen in die eigene Defensive hinein zubegeben.

Wir hätten auch Diskussionen darüber zu führen, wie Europa – Herr Minister, vielleicht können Sie ein paar Sätze dazu sa gen – tatsächlich so weiter gestaltet wird, dass dieser britische Unfall für uns in den wirtschaftlichen Beziehungen, in Bezug auf die Arbeitsplätze möglichst unschädlich wird. Diese Ka tastrophenszenarien teile ich sowieso nicht, aber wir haben ein Interesse daran, dass wir in der Luft, auf der Straße und auf der Schiene unsere wirtschaftliche Aktivität tatsächlich weiter reibungslos zur Geltung bringen können.

Wir wollen nicht, dass das Hauptmittel der Wahl ist, Lager an zulegen. Wir sind in einer Wirtschaft, in einer Welt, in der es Materialflüsse gibt, in der es Lieferketten gibt. Da ist das al les nur ein Notnagel; das wissen wir auch. Deswegen brau chen wir Lösungen, bei denen wir auch die baden-württem bergische Landesregierung in der Verantwortung sehen, dass sie uns hier Verhandlungsstände benennt, dass sie sagt, wie wir das, was baden-württembergische Unternehmen auch wei terhin im Handel mit Großbritannien brauchen, werden be günstigen können.

Herr Abg. Hofelich, kom men Sie bitte zum Schluss.

Wir sollten darüber reden – dies als letzten Satz –, dass sie insgesamt in diesen kommenden Wochen vor der Wahl nicht unbedingt Interventionen von Frau Kramp-Karrenbauer brauchen, die...

Herr Abg. Hofelich, Sie haben eine Minute überzogen.

... Herrn Macron entgegenwirken, sondern wir brauchen eine Politik mit Vorwärtsgang für Ba den-Württemberg.