Protocol of the Session on June 30, 2016

Wenn Sie möchten, dass ich Ihre Frage beantworte, bleiben Sie bitte am Mikro fon stehen.

(Abg. Dr. Christina Baum AfD begibt sich wieder zum Saalmikrofon.)

Das kann ich mir sehr wohl vorstellen, dass ich nicht 100 % der Einwohner der Bun desrepublik Deutschland oder der EU hier hinter mir habe. Aber wir müssen uns überlegen, was es heißt, ein Einwande rungsland zu sein. Entweder wir stellen uns den Tatsachen und wir steuern Zuwanderung nach Europa, sagen wir über eine legale Einwanderung.

(Beifall des Abg. Daniel Rottmann AfD)

Schauen Sie, selbst in Ihrer eigenen Fraktion haben Sie nicht 100 % hinter sich. – Daher mache ich mir auch da keine Illu sion. Aber ich weiß, dass wir es nur so hinbekommen: zum einen eine Flüchtlingspolitik, die für eine faire Verteilung auf europäischer Ebene sorgt, und zum anderen endlich die Ak zeptanz, dass Deutschland ein Zuwanderungsland ist – mit all den Vorteilen und all den Nachteilen, mit all den Problemen, aber auch den Chancen, die damit verbunden sind.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen und der SPD – Zuruf der Abg. Dr. Christina Baum AfD)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Herr Kößler hat den „Exit vom ,Brexit‘“ angesprochen. Ich lese auch Zeitung und vernehme all die Varianten, etwa dass jetzt die Schotten probieren, das über irgendwelche alte Schott land-Abkommen vielleicht zu verhindern, oder dass man an hand des Austrittsverhandlungsmandats noch einmal eine Volksabstimmung macht. Meine Damen und Herren, wenn das Hinterzimmerpolitik ist, dann leisten wir gerade denen, die mit Europa Populismus betreiben, Vorschub.

Ich bin der Meinung: Ein Abstimmungsergebnis – auch wenn es mir nicht passt – muss akzeptiert werden.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Genau!)

Dann muss eine Regierung auch Taten folgen lassen, so schlimm das Ganze ist.

Das heißt für uns: Lassen Sie uns überlegen, wie Europa zu künftig aussieht. Lassen Sie uns überlegen, wie wir mit dem „Brexit“ umgehen. Ein Schnellschuss nach dem Motto „Jetzt Exit vom ,Brexit‘“ wird jedenfalls nicht der Weg sein,

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Nein!)

sondern eine Vertiefung in Europa, vielleicht auch mal zwei Gänge zurückschalten, das muss der Weg sein, meine Damen und Herren.

Ich hoffe, dass wir das Ganze auch in der Zukunft proeuropä isch hier diskutieren können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Das Wort für die Landes regierung erteile ich Herrn Minister Wolf.

Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Beratung steht der Bericht über aktuelle europapolitische Themen. Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns im Rahmen der Plenarsit zungen mit Europa befassen. Ich denke, die Folgen der Ab stimmung in Großbritannien und die erkennbaren Akzeptanz verluste Europas müssen uns wachrütteln, europäische The men, europapolitische Themen stärker in den Fokus zu neh men. Vielleicht – das ist kein Vorwurf an das Präsidium; da haben alle mitgestimmt – sollten wir uns Gedanken machen, solche Tagesordnungspunkte künftig an prominenterem Platz in der Tagesordnung zu etablieren, um damit Europa stärker in den Mittelpunkt unserer Diskussion zu rücken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der SPD so wie des Abg. Lars Patrick Berg AfD)

Meine Damen und Herren, ich will – ich finde, auch das muss möglich sein – insbesondere bei einem Thema wie Europa, von dem ich überzeugt bin, dass es uns in weiten Teilen ge lingen wird, es auch über parteipolitische Grenzen hinweg zu besetzen, ganz ausdrücklich darauf hinweisen: Der Bericht, über den wir hier diskutieren, stammt aus der Zeit meines Amtsvorgängers Peter Friedrich, und viele der Erfolge und Errungenschaften, die sich aus diesem Bericht ergeben, fallen auch in seine Amtszeit. Es fällt mir nicht schwer, ihn inner halb dieser Debatte in besonderer Weise zu erwähnen.

Es ist vorhin angesprochen worden, Kollege Hofelich: Was hat das nun mit dieser Zusammenführung von Justiz- und Eu ropapolitik auf sich? Da mögen manche Aspekte, die Sie am Ende Ihrer Ausführungen noch ergänzt haben, vielleicht auch noch eine Rolle gespielt haben. Aber es ist natürlich auch Aus druck eines Verständnisses davon – ich habe versucht, das ges tern in meinen Ausführungen zum Ausdruck zu bringen –, dass Europa für uns gerade in den kommenden Jahren sehr viel damit zu tun haben wird, über gemeinsame verfassungs rechtliche Grundlagen zu diskutieren, über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu diskutieren. Da besteht Handlungsbe darf. Wir wollen gerade mit diesem Zuschnitt auch ein Signal

setzen für ein Europa der Rechtsstaatlichkeit als große Errun genschaft.

(Beifall bei der CDU, Abgeordneten der Grünen und des Abg. Rainer Stickelberger SPD)

Herr Abg. Berg, vielleicht habe ich Sie falsch verstanden, aber es klang so, als ob Sie verstärkt dieses Europa der Regionen als künftige Herausforderung hier andiskutiert hätten. Ich will da überhaupt keinen Zweifel aufkommen lassen: Ein Europa der Regionen war immer das Ziel der Politik dieses Hauses, der Vorgängerregierungen, egal, in welcher Farbkonstellati on. Und ein Europa der Regionen muss vor allem auch in der Zukunft wieder stärker spürbar werden. Denn wie, wenn nicht über die Regionen, über die Parlamente der Regionen, wollen wir die Menschen vor Ort erreichen? Wir brauchen dieses Eu ropa der Regionen mit Basisbezug zu den Menschen vor Ort. Dafür wollen wir in diesem Haus eintreten.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der SPD)

Der dritte Punkt, weil es in der heutigen Diskussion immer wieder eine Rolle spielt: „Brexit“. Ja, man spürt, wie uns das zu Recht umtreibt.

(Abg. Anton Baron AfD: Na ja, die Medien treibt es um!)

Aber jetzt will ich deutlich machen: Ein bisschen europäisch oder ein bisschen „Brexit“, wie sich das vielleicht manche in Großbritannien jetzt nach der Abstimmung vorstellen,

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Gibt es nicht!)

kann es nicht geben. Der Ausstieg ist beschlossen, und jetzt muss er auch erfolgen. Alles andere würde einen Erosionspro zess auch in anderen Ländern auslösen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den Grünen, der CDU und der SPD)

In diesem Zusammenhang sollten wir uns natürlich auch mit Fragen der Flüchtlingspolitik befassen. Ich will damit begin nen, weil ich der Überzeugung bin, dass gerade die Flücht lingspolitik einen wesentlichen Anteil am Ausgang des Refe rendums in Großbritannien hatte. Erst gestern haben sich die Staats- und Regierungschefs beim Europäischen Rat in Brüs sel mit dem Stand der Maßnahmen zur Lösung der Migrati onskrise beschäftigt. Natürlich – Kollege Kößler hat es ange sprochen und Herr Kollege Frey in gleicher Weise – spielt das EU-Türkei-Abkommen dabei eine wichtige Rolle. Es wird seit April umgesetzt und zeigt erste Wirkungen, wenn man den Rückgang der Flüchtlingszahlen auf der Balkanroute betrach tet. Auf griechischer und türkischer Seite wurde viel getan, um Abläufe und Verfahren zu verbessern und aufeinander ab zustimmen.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vereinbarung ist noch lange nicht vollständig umgesetzt und das bisher Erreich te bleibt fragil, auch weil wir es mit einem schwierigen Ver handlungspartner zu tun haben. Es ist heute angesprochen worden, was wir in keinem Fall zulassen dürfen, nämlich, dass wir uns auf diesem Weg erpressen lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Die Zeit drängt, denn es ist damit zu rechnen, dass sich die Flüchtlingsrouten verlagern. Die Zahl der Flüchtlinge über die Mittelmeerroute bleibt auf Vorjahresniveau. Im Vergleich zur Balkanroute gewinnt diese ältere Route also wieder an Bedeu tung. Bleiben wir also wachsam und lassen uns aktuell nicht durch rückgängige Zahlen verunsichern. Es ist gut, dass die ses erreicht werden konnte, aber ich glaube, wir müssen mit Nachdruck auch an der weiteren Lösung dieser Flüchtlings krise arbeiten. Vor allem müssen alle Mitgliedsstaaten ihre Zusagen zur Umverteilung von Flüchtlingen einhalten. Die EU-Kommission hat im April und Mai neue Vorschläge zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vorge legt.

Wir haben uns im Europaausschuss am 22. Juni 2016 bereits mit der Kommissionsmitteilung befasst. Inzwischen – es ist heute mehrfach angeklungen – liegt ein konkreter Rechtset zungsvorschlag zur Änderung der sogenannten Dublin-IIIVerordnung vor. Er sieht eine Ergänzung des Ersteinreiseprin zips um einen sogenannten Fairness-Korrekturmechanismus für die Zuteilung von Asylbewerbern vor. Das heißt, sich ver weigernde Mitgliedsstaaten sollen einen Solidarbeitrag in Hö he von 250 000 € pro abgelehntem Flüchtling bezahlen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, alles, was der Schaffung, der Stärkung von Solidarität in Europa dient, ist an dieser Stel le zwingend geboten.

(Beifall bei der CDU und den Grünen sowie Abge ordneten der SPD)

Lassen Sie mich einen zweiten Punkt, der heute in dieser De batte – wenn ich es richtig verfolgt habe – noch keine aus drückliche Rolle gespielt hat, erwähnen: TTIP. TTIP ist ein hochkomplexes Thema, mit dem wir uns auch weiterhin sorg fältig auseinandersetzen müssen.

Wir werden den TTIP-Beirat der Landesregierung fortsetzen, wie es auch in der Koalitionsvereinbarung steht. Es gibt auf Länderebene kein vergleichbares Gremium. Alle Sitzungen des Beirats sind öffentlich. Damit ist der Beirat ein Beispiel für mehr Transparenz in EU-Themen. Es kann uns also auch hier vor Ort gelingen, erste Schritte in Richtung Transparenz zu gehen.

Ein wichtiges Ziel ist der konstruktive Austausch zwischen den verschiedenen Interessengruppen und der Landesregie rung. Wichtig ist aber auch der Austausch der Beiratsmitglie der untereinander. Der TTIP-Beirat ist ein Ort, an dem Befür worter und Kritiker in großer Sachlichkeit miteinander ins Ge spräch kommen.

Ich sage in aller Deutlichkeit an dieser Stelle: Wir werden auch dafür eintreten, dass TTIP als gemischtes Abkommen behandelt wird. Das heißt, wir sind der Auffassung, dass es zu seiner Ratifizierung auch der Zustimmung des Bundestags und des Bundesrats bedarf.

(Beifall bei den Grünen, der CDU und der SPD so wie Abgeordneten der AfD und der FDP/DVP)

Die Europafähigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir uns auch in der Koalitionsvereinbarung auf die Fahnen geschrieben. In der Koalitionsvereinbarung haben wir die gro

ße Bedeutung von EU und interkulturellen Kompetenzen für eine moderne Landesverwaltung in besonderer Weise unter strichen.

Der Dynamische Europapool des Landes spielt hier seit über 15 Jahren eine zentrale Rolle. Bis heute sind wir das einzige Land mit einem solchen gezielten Förderkonzept. Der Dyna mische Europapool ist in Brüssel und darüber hinaus bekannt für die passgenauen Entsendungen motivierter und leistungs starker Bediensteter.

Nach meinem Verständnis muss jeder, der in unserer Landes verwaltung in eine bestimmte Führungsebene vordringt, zu vor maßgeblich in Brüssel, in Europa tätig gewesen sein, um die Zusammenhänge, die Vernetzung, die Zuständigkeiten in nerhalb Europas kennenzulernen und in seiner künftigen Ar beit innerhalb des Landes auch verinnerlichen zu können. Das halte ich für eine zwingende Voraussetzung.

(Beifall bei der CDU, Abgeordneten der Grünen und des Abg. Lars Patrick Berg AfD)

In zahlreichen Gesprächen der letzten Wochen habe ich be stätigt gesehen, dass Baden-Württemberg und seine Europaak tivitäten in Brüssel einen hervorragenden Ruf haben. Aber nichts ist natürlich so gut, als dass es nicht noch verbessert werden könnte.