Protocol of the Session on October 10, 2018

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD)

Für die Landesregierung er teile ich Herrn Minister Wolf das Wort.

Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank den Regierungsfraktionen, die uns Gelegenheit bieten, im Rahmen dieser Plenardebatte über ein wichtiges Thema zu diskutieren: über den Opferschutz.

Wenn Straftaten geschehen, wenn sich ein Täter entschließt, gegen die Rechtsordnung zu verstoßen und einem anderen Menschen Schaden zuzufügen, dann wendet unser Staat er hebliche Ressourcen auf, diese Taten aufzuklären und rechts staatlich zu ahnden. Dabei stehen zumeist die Ermittlung der Tatumstände und die Suche nach dem Täter im Zentrum, und dies völlig zu Recht. Denn die Menschen in unserem Land wollen einen starken Rechtsstaat, einen Staat, der für klare Regeln sorgt

(Abg. Anton Baron AfD: Ellwangen!)

und diese auch durchsetzt.

(Abg. Anton Baron AfD: Ellwangen lässt grüßen!)

Bei der Bewältigung von Straftaten sind die Verfolgung und die Bestrafung der Täter aber nur der eine Teil der staatlichen Aufgaben. Der Schutz der Opfer ist der andere. Wir haben uns

in den letzten zweieinhalb Jahren sehr viel auch mit Fragen des modernen Strafvollzugs befasst und auseinandergesetzt. Wir haben uns damit befasst, wie wir modernen Strafvollzug auch auf Resozialisierung ausrichten. Das alles ist gut und richtig. Aber es wird höchste Zeit, dass wir uns in diesem Haus auch mit der Frage befassen: Was können wir bestmöglich auf den Weg bringen, um Opfer von Straftaten zu schützen und ihnen bei der Bewältigung ihrer Traumata zu helfen?

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der AfD und der SPD)

Da haben sich die Redner der Fraktionen in ganz unterschied licher Weise hier eingebracht, und auch ich, liebe Kollegin nen und Kollegen, nehme – ja, mit einer Ausnahme – dank bar zur Kenntnis, dass Opferschutz hier ein parteiübergreifen des Anliegen ist. Ich füge hinzu: Das muss es auch bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD)

Kollege Klos, natürlich kann man zu jedem Thema seine Po sition zum Ausdruck bringen, wie immer man das persönlich für richtig hält. Aber ich habe bei Ihren Ausführungen den Eindruck gewonnen, Sie leiten Ihre politische Existenzberech tigung aus dem schrecklichen und persönlichen Schicksal von Opfern ab. Da drängt sich schon der Verdacht auf, dass Sie aus dem Schicksal von Opfern und deren Angehörigen gar po litisches Kapital schlagen möchten. Da überkommt mich das kalte Schaudern.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Bernd Gögel AfD: Unglaublich! Unerhört, Herr Minister! – Weitere Zurufe von der AfD, u. a.: Sauerei! – Gegenruf des Abg. Dr. Hans- Ulrich Rülke FDP/DVP: Da kläffen wieder die ge troffenen Hunde!)

Ich rede gern weiter, wenn Sie auch bereit sind,...

Herr – –

... mir wie der zuzuhören.

(Zuruf des Abg. Stefan Räpple AfD)

Opferschutz, das Sich-Kümmern um diejenigen, die Opfer ei ner Straftat geworden sind, gehört für mich, gehört für uns zum Kernbestand des Rechtsstaats. Denn erst ein funktionie render Opferschutz schafft echten Rechtsfrieden, und ohne dauerhaften Rechtsfrieden kann der Rechtsstaat nicht funkti onieren.

(Zuruf von der AfD: Da haben Sie allerdings recht!)

Immerhin! Das ist ein Einstieg, uns vielleicht doch näher zukommen.

(Zurufe von der AfD)

Ja, man soll die Hoffnung nie aufgeben. – Wie wichtig wir, die Landesregierung, den Opferschutz nehmen und wie um fangreich die Anstrengungen in unserem Land sind, zeigt die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage, für die ich den Regierungsfraktionen sehr dankbar bin.

Ich möchte für die Landesregierung wiederholen, was einige Kolleginnen und Kollegen bereits getan haben, nämlich in die ser Debatte Danke zu sagen. Danke all denen, die sich – oft ehrenamtlich – tagein, tagaus um die Belange von Opfern kümmern, Danke all jenen, die sich tagein, tagaus darum be mühen, das Schicksal von Opfern wenigstens etwas erträgli cher zu machen, und Danke allen, die tagein, tagaus versu chen, den Opferschutz im Land zu verbessern. Es ist dem En gagement dieser zahllosen tatkräftigen Helferinnen und Hel fer zu verdanken, dass Baden-Württemberg in Sachen Opfer schutz bereits so viel erreicht hat. Kollege Weinmann, ich grei fe Ihre Ergänzung gern auf: Danke auch den vielen Hauptamt lichen in Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendämtern und So zialarbeit sowie den Pädagoginnen und Pädagogen. Sie alle sind gefordert, wenn es um wirksamen Opferschutz in BadenWürttemberg geht.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der SPD)

Dennoch sollten wir uns nicht auf dem Erreichten ausruhen, sondern weiterhin alles tun, um Opfern von Straftaten zu hel fen, das Geschehene, auch wenn es nicht ungeschehen ge macht werden kann, doch zumindest so gut es geht zu verar beiten.

Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage – – Nein, es war doch keine Zwischenfrage. Entschuldigung!

Liebe Kol leginnen und Kollegen, heute wurde bereits mehrfach das von der Landesregierung jüngst beschlossene Schmerzensgeld für unsere eigenen Bediensteten angesprochen. Es war eine not wendige und wichtige Entscheidung. Erlauben Sie mir, als Justizminister zu ergänzen: Sie gilt auch für die etwa 4 000 Bediensteten im Justizvollzug, die in den letzten Jahren einer zunehmenden Gewaltbereitschaft der Häftlinge in unseren Ge fängnissen ausgesetzt waren. Ihr Engagement findet hinter di cken Gefängnismauern statt, aber es ist nicht weniger wich tig für die Sicherheit des Rechtsstaats. Deshalb möchte ich es an dieser Stelle einmal in besonderer Weise würdigen.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der SPD)

Ein unabdingbarer Baustein, der heute ebenfalls mehrfach an gesprochen wurde, ist die Landesstiftung Opferschutz, die Op fer von Straftaten finanziell, insbesondere in Form von Schmerzensgeldzahlungen, unterstützt. Die Stiftung erhält für ihre Arbeit aus dem Justizhaushalt aktuell pro Jahr 400 000 € – Geld, mit dem die Stiftung Opfern ganz unmittelbar helfen kann, und genau das hat sie im letzten Jahr mit durchschnitt lich 3 000 € pro Fall auch getan. Eine solche Summe ist si cher nicht nichts. Mir ist allerdings bewusst, dass sie aus Sicht der Opfer im Einzelfall als deutlich zu gering empfunden wer den kann. Vergleicht man die durchschnittlichen Auszahlun gen der Landesstiftung Opferschutz mit denen ähnlicher Ein richtungen, wie etwa dem Fonds Sexueller Missbrauch, so gibt es für mich – und wie ich höre, für viele von Ihnen – nur eine Schlussfolgerung, für die ich mich seit geraumer Zeit starkgemacht habe: Wir müssen die Mittel der Landesstiftung Opferschutz erhöhen.

Insoweit begrüße ich die Initiative der CDU-Fraktion, wie ich in gleicher Weise Ihnen, Herr Maier, dankbar bin, dass Sie

diesen Impuls positiv aufgegriffen haben und eine offene Dis kussion darüber in Gang setzen möchten. Ebenso bin ich dem Kollegen Filius als Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Op ferschutz dankbar. In der letzten Sitzung haben wir über eine notwendige Erhöhung der Mittel gesprochen, und ich habe damals parteiübergreifend – –

(Abg. Sascha Binder und Abg. Reinhold Gall SPD: Machen Sie es doch einfach! – Gegenruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Gut Ding will Weile ha ben!)

Ja, darüber diskutieren wir ja. Entschuldigung! Ich kann mich an eine Zeit erinnern, als Ihre Fraktion den Justizminis ter gestellt hat. Damals hätte ebenfalls schon die Möglichkeit bestanden, die Ausstattung dieses Fonds zu erhöhen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich bin ja immer sehr zurückhaltend mit Kritik,

(Abg. Sascha Binder SPD: Wir auch!)

aber wenn Sie sich aufschwingen, mich zu kritisieren, dann muss man gelegentlich einmal daran erinnern: Es gab auch schon andere politische Verantwortungsträger.

(Abg. Sascha Binder SPD: Wir ermutigen Sie doch! – Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Es ist doch gut, dass wir jetzt dran sind!)

Also: Im Kuratorium herrscht ein breiter politischer Konsens. Deswegen, finde ich, sollte man den Ball aufgreifen: keine parteipolitische Diskussion, sondern im Sinne des wirksamen Opferschutzes Erhöhung dieser Mittel, wie viele von Ihnen das auch heute in dieser Weise betont haben, um zeigen zu können, dass Opfer von Straftaten in Baden-Württemberg nicht alleingelassen werden.

Ausreichend Geld ist aber nur das eine – auch das ist heute angeklungen –; der menschliche Faktor, die persönliche Zu wendung ist das andere. Hierfür braucht es ein funktionieren des Netzwerk von Helfern und Ansprechpartnern. Die Idee ei ner zentralen Ansprechstelle für Opfer von Straf- und Gewalt taten halte ich deswegen für angemessen und richtig. Hier könnten alle bestehenden Angebote zusammengeführt, Kon takte vermittelt und Beratungsnetzwerke geknüpft werden.

Ich habe vorhin mit dem Kollegen Lucha über diese Idee ge sprochen, weil wir natürlich ressortübergreifend an diese Fra ge herangehen müssen. Aber ich will sie ausdrücklich in die Diskussion bringen. Eine solche Stelle wäre eine Art „Lotse“ für die Opfer in schwieriger Situation und gleichzeitig An sprechpartner für die oftmals nicht weniger traumatisierten Angehörigen. Eine solche Stelle könnte die Basis bilden, um im Notfall vor allem bei besonders schweren Fällen schnell und nachhaltig reagieren zu können. Denken wir nur an Taten wie den Terroranschlag vom Breitscheidplatz in Berlin. Es sind solche furchtbaren Situationen, in denen der Opferschutz ein Gesicht braucht, in denen die Opfer einen Ansprechpart ner brauchen, der auch lange, über den Tag der Tat hinaus für ihre Nöte und Sorgen offen ist.

(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktions los])

Ich will dieses Thema deshalb zusammen mit allen beteilig ten Ressorts ganz offen angehen und am Ende diejenige Lö sung finden, die den Opfern von Straftaten am besten hilft. Wir wollen uns dabei auch die Konzepte anderer Länder an schauen, und – das sage ich ausdrücklich – ich will auch die Fraktionen des Landtags einladen, sich mit ihren Ideen an die sem Projekt zu beteiligen. Für mich ist klar: Baden-Württem berg braucht ein umfassendes Konzept zum Opferschutz, ein Konzept, das den Opferschutz fest verankert. Denn die Opfer alleinzulassen ist keine Option.

(Beifall bei der CDU, Abgeordneten der Grünen, der SPD und der FDP/DVP sowie der Abg. Anton Baron AfD und Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos] – Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Bravo!)

Meine Damen und Herren, eines ist heute auch zu Recht mehr fach angesprochen worden: der Missbrauchsfall von Staufen. In gleicher Weise, wie Kollegin Gentges ihre ganz persönli che Betroffenheit angesichts einer solch bestialischen Straf tat zum Ausdruck gebracht hat, ist es Verantwortung von uns allen, aus einer solchen Straftat zumindest die richtigen Kon sequenzen zu ziehen, damit die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Straftat in dieser Dimension wiederholt, zumindest mi nimiert wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Es ist heute mehrfach angeklungen, alles zu tun, damit sich solche Straftaten nicht wiederholen. Da erlaube ich mir, so schwer es fällt, darauf hinzuweisen: Unser Anliegen muss es sein, alles zu tun, dass die Wahrscheinlichkeit solcher Straf taten minimiert wird. Mehr zu versprechen wäre für einen Jus tizminister unseriös.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen – Zuruf von der AfD: Das ist richtig!)

Nach der erstinstanzlichen strafrechtlichen Aufarbeitung, in deren Rahmen sieben Täter in Baden-Württemberg verurteilt wurden, hat die Landesregierung eine interministerielle Ar beitsgruppe unter Leitung des Ministers für Soziales und In tegration sowie eine Kommission Kinderschutz eingesetzt, um den Missbrauchsfall weiter aufzuarbeiten.

Die Kommission besteht aus externen Experten und Vertre tern der betroffenen Ressorts und hat den Auftrag, Empfeh lungen zur Verbesserung und Weiterentwicklung des Kinder schutzes zu erarbeiten und im Herbst 2019 einen Abschluss bericht vorzulegen.