Protocol of the Session on July 19, 2018

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion der FDP/ DVP – Gesetz zur Änderung des Gesetzes für unterstüt zende Wohnformen, Teilhabe und Pflege (Wohn-, Teilha be- und Pflegegesetz – WTPG) – Drucksache 16/4078

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat folgende Rede zeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Für die FDP/DVP-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Haußmann.

Sehr geehrte Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für die Pflege in Baden-Württemberg. Die FDP/DVPLandtagsfraktion bringt in erster Lesung das Gesetz zur Än derung des Gesetzes für unterstützende Wohnformen, Teilha be und Pflege, des Wohn-, Teilhabe- und Pflegesetzes, ein.

Warum ist es ein guter Tag für die Pflege in Baden-Württem berg? Weil wir in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs die Gelegenheit haben, die Pflege zu thematisieren und auf wei tere Themen einzugehen, die für uns sehr wichtig sind, wie den weiteren Ausbau der neuen Wohnform, die 2014 in Ba den-Württemberg eingeführt wurde.

Zum 30. Juni 2017 gab es 128 ambulante Wohngruppen für Menschen mit Unterstützungsbedarf. Ich erinnere mich: Als man in der letzten Legislaturperiode im Jahr 2014 das Gesetz unter der grün-roten Landesregierung auf den Weg gebracht hat, gab es enorm viele Anfragen, also einen enormen Bedarf bei vielen Kommunen, bei vielen Trägern. Insofern hätte man erwarten können, erwarten müssen, dass wir heute, nach vier Jahren, schon deutlich weiter sind, als es bisher der Fall ist.

Die Stellungnahmen von den verschiedenen Verbänden und Trägern zeigen, welche Hindernisse das bestehende Gesetz darstellt. Wir haben inzwischen auch den Bericht der Landes regierung zum WTPG, zum Wohn-, Teilhabe- und Pflegege setz, vorliegen. Auch in diesem Bericht wird deutlich, dass es Möglichkeiten gibt, noch mehr Dynamik in die ambulant be treuten Wohnformen zu bringen. Das bezweckt auch der Ge setzentwurf der FDP/DVP-Landtagsfraktion.

(Beifall der Abg. Jürgen Keck und Nico Weinmann FDP/DVP)

Wir hatten 2014 insgesamt 17 Änderungsanträge zu dem da maligen Gesetzentwurf eingebracht. Es sind sogar einige Än derungen durchgeführt worden. Aber heute, nach vier Jahren, fühlen wir uns bestätigt, dass die Annahme wesentlicher Än derungsanträge sinnvoll gewesen wäre, um bessere Impulse für den Wohn-, Teilhabe- und Pflegebereich zu schaffen.

Lassen Sie mich beispielhaft vier Punkte herausgreifen, die wir mit dem Gesetzentwurf verbessern möchten.

Es ist nach dem jetzigen Gesetz nicht möglich, eine ambulant betreute Wohngruppe mit einem stationären Pflegeheim zu verbinden. Sozialminister Lucha weist in seinen Redebeiträ gen zu Recht immer wieder darauf hin: Die Vernetzung ist das A und O in Baden-Württemberg. Auch mit der sektorenüber greifenden Versorgung ist der Vernetzungsgedanke in dem Modellprojekt nochmals dargestellt worden.

Es ist nicht nachvollziehbar, warum man zwar ein betreutes Wohnen, wie Sie es alle kennen, neben ein Pflegeheim setzen kann, aber eine ambulant betreute Wohngruppe nicht mit ei nem stationären Pflegeheim verbinden kann. Gerade in einer Phase, in der wir durch die Einzelzimmervorgabe in der Lan desheimbauverordnung strukturelle Veränderungen haben, ist es unverständlich, dass wir für uns selbst solche Hürden bei Änderungen aufbauen, die es erlauben würden, gerade in die sem Prozess der Änderungen durch die Landesheimbauver ordnung hier auch neue Möglichkeiten zu schaffen. Deswe gen haben wir mit unserem Gesetzentwurf einen Impuls ein gebracht, der uns in Baden-Württemberg helfen könnte, die se Vernetzungen zu verstärken.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Der zweite Bereich: Wir haben auch in der öffentlichen An hörung der Enquetekommission „Pflege“ in der letzten Legis laturperiode eindrücklich vernommen, dass 68 % der Prü fungsanteile zwischen dem Medizinischen Dienst der Kran kenkassen, dem MDK, und der Heimaufsicht inhaltsgleich sind. Insofern ist es schon ein wichtiger Punkt, wenn wir im mer von Bürokratie in der Pflege sprechen, an diese 68 % he ranzugehen. Deswegen haben wir den Vorschlag gemacht, die se Doppelprüfungen so zu bündeln, dass wir einen echten Bü rokratieabbau für ambulant betreute Wohngruppen schaffen.

Dritter Punkt: Wir haben in der letzten Legislaturperiode bei der Diskussion um das WTPG zunächst einmal als erste Vor gabe nur acht Bewohner pro ambulant betreuter Wohngruppe vorgesehen. Es ist dann nach vielen Diskussionen gelungen, die Zahl auf zwölf aufzustocken. Aber man hat dann für eine Erhöhung auf zwölf erhebliche Hürden aufgebaut, indem man zusätzliche Qualifizierungen und zusätzliche Präsenzkräfte vorgegeben hat. Es zeigt sich, dass dies für die Träger eine zu sätzliche Hürde darstellt.

Deswegen haben wir einen Vorschlag gemacht, wie man ei nen gleichlaufenden Aufbau der Präsenzkräfte hat. Es ist näm lich ein Unterschied, eine ambulant betreute Wohngruppe mit zehn oder mit zwölf Personen zu haben. Auch das ist ein Bei trag zu einer größeren Dynamik für ambulant betreute Wohn gruppen und deswegen einer unserer Vorschläge zu diesem Gesetz.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Ein vierter und letzter Punkt, den ich beispielhaft nenne, sind die sogenannten Erprobungsregelungen, die wir für gut hal ten. Wenn wir ambulant betreute Wohngemeinschaften haben und auch andere Innovationen dabei vorgeschlagen werden, wie wir die Wohngruppen betreuen können, halten wir das für richtig und wichtig.

Aber es zeigt sich insbesondere bei Neubauprojekten: Die Be fristung auf vier Jahre im ersten Schritt bietet nicht die Mög lichkeit, dass jemand, der eine Wohngruppe finanzieren muss, so eine Innovation, so eine Erprobungsregelung so heranzie hen kann, dass er das Projekt realisieren kann. Insbesondere wenn es um neue Projekte geht, muss es möglich sein, eine längere Zeitdauer anzusetzen, um auch die Finanzierung ei nes Projekts sicherzustellen.

Wenn ein Projektträger – sei es eine Bürgergesellschaft, eine Bürgerinitiative, sei es eine private Initiative – zur Hausbank

geht und sagt: „Ich habe aber nur eine Garantie für vier Jah re; dann müssen wir schauen, wie es weitergeht“, dann kann sich wohl jeder vorstellen, dass es einfach nicht möglich ist, für ein Neubauprojekt eine Finanzierung zu generieren – wenn man nur eine vierjährige Erprobungsphase hat. Deswegen ge hört dieser Bereich so gestaltet, dass man mit dieser Frist kei ne Hürde aufbaut, sondern eine längere Phase vorsieht. Des wegen haben wir diesen Bereich beispielhaft genannt.

Wir erwarten gar nicht, dass die Landesregierung und die Re gierungskoalition alle Positionen – die aus unserer Sicht sehr gut sind – aufnehmen. Aber es ist sehr interessant, dass die Träger – die Liga und der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste, um diese beiden Verbände beispielhaft zu nennen – in wesentlichen Teilen sagen: Der Gesetzentwurf der FDP/DVP geht absolut in die richtige Richtung, und es besteht Handlungsbedarf.

So haben es auch die Grünen und die CDU in ihrem Koaliti onsvertrag stehen. Sie haben das WTPG als Weiterentwick lung definiert. Sie haben den Abbau von Doppelprüfungen de finiert. Insofern kommen wir Ihnen entgegen und übernehmen die Arbeit, die Sie eigentlich schon lange hätten erbringen müssen. Mit unserem Gesetzentwurf schaffen wir eine gute Möglichkeit, jetzt über diese Thematik im Ausschuss und dann in der zweiten Lesung zu diskutieren.

Deswegen mein Appell: Lassen Sie uns diese positiven Im pulse aufgreifen und im Sozialausschuss auch diese beiden Verbände zu unserem Vorschlag anhören, um uns die Sorgen und Nöte, die diese Träger mit dieser Regelung haben, dar stellen zu lassen. Lassen Sie uns auf diesen positiven Impul sen aufbauen. Der Gesetzentwurf ist dafür eine sehr gute Grundlage. Deswegen ist heute ein guter Tag für die Pflege in Baden-Württemberg.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Für die Grünen hat Frau Abg. Petra Krebs das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Die wichtigsten Dinge zuerst: Wir spre chen heute über ein sehr innovatives Gesetz – meiner Mei nung nach das innovativste Gesetz der letzten Jahre. Das Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz erzählt eine Erfolgsge schichte. Ich sage Ihnen auch gern, warum: Wir haben jetzt eine Gesetzeslage, die den Gedanken der Personenzentriert heit verfolgt. Der einzelne Mensch steht mit seinen Bedürf nissen im Mittelpunkt, und Entscheidungen orientieren sich nur daran. Mit dem WTPG, dem Wohn-, Teilhabe- und Pfle gegesetz, haben Menschen mit Unterstützungsbedarf ein ho hes Maß an Selbstbestimmung und auch Eigenverantwortung. Genau das wollen wir Grünen beibehalten.

Der Gesetzentwurf der FDP/DVP kommt auf den ersten Blick in einer Art und Weise daher, dass man – oder auch frau – den ken könnte: Ja, klar, das machen wir. Dann bekommen wir ganz schnell und ganz unbürokratisch viele neue Plätze für Menschen hin, die in irgendeiner Form der Unterstützung be dürfen. Aber auf den zweiten und jeden weiteren Blick kann man feststellen, dass die FDP/DVP wohl die innovativen Fein

heiten dieses Gesetzes, den Charakter und auch den Charme des WTPG nicht verinnerlicht hat. Denn genau das sorgsam austarierte Verhältnis von ambulant betreuten Wohngemein schaften und stationären Einrichtungen ist das Herzstück die ses Gesetzes.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Zuruf: Sehr gut!)

Den Gesetzentwurf der FDP/DVP lehnen wir ab. Er ist ein Etikettenschwindel, und er ist Lobbyismus pur. Meine Damen und Herren, würden wir dem Vorschlag so folgen, wäre das wirklich ein Rückschritt. Sie machen bevormundende Vor schläge, die einzig und allein den Leistungsanbietern nützen, und wollen das Label ändern – sonst gar nichts.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und des Abg. Konrad Epple CDU)

Ihr Gesetzentwurf soll sogenannte Erleichterungen bringen. Ja, aber für wen? Für große stationäre Einrichtungen. Genau diesen Charakter wollen wir Grünen nicht aufbrechen. Bun desentwicklungsminister Müller hat unlängst einen sehr tref fenden Satz zum fairen Handel gesagt. Ich zitiere ihn:

Jeder trifft täglich bei seinen Kaufentscheidungen Ent scheidungen über das Leben anderer Menschen.

Dieses Zitat gefällt mir sehr gut. Ich möchte es gern aufneh men und abwandeln: Wir treffen hier mit unseren Entschei dungen, mit unseren Gesetzesentscheidungen Entscheidun gen über das Leben anderer. Darum gilt es, nicht aus einer scheinbar erleichternden Zusage heraus – mit Verlaub: vor al lem an die Anbieter von Leistungen, also auch mit den Liga anbietern – mit den Selbstständigkeitsansprüchen von Betrof fenen zu spielen.

Wir wollen weg von sogenannten Heimen und übrigens auch weg von diesem Wort. Denn auch dieser Duktus entspricht nicht mehr unserer modernen Zeit und auch nicht diesem Ge setz.

(Beifall bei den Grünen)

Es gibt bereits jetzt, mit den jetzigen Regelungen, Gründungs dynamik. Es entsteht unheimlich viel. Es dauert seine Zeit; es ist kein Spaziergang, aber ein Weg. Meine Damen und Her ren, das ist die Bestätigung, dass dieses Gesetz so, wie es ist, taugt.

Für uns Grüne steht der Schutz der Menschen mit Betreuungs bedarf an oberster Stelle. Zu einem funktionierenden Schutz gehören vor allem Würde, Qualität und echte individuelle Selbstbestimmtheit. Die Landesregierung nennt dies das Herz stück des WTPG, des Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetzes.

Deswegen sind wir Grünen für Gesetzesformulierungen, die aus der Sicht der Betroffenen gedacht sind. Deswegen sind wir Grünen dafür, sämtliche Überlegungen in das Quartiers konzept einzubetten; weg von zentralisierten Ansätzen, hin zu lebenswerten Quartieren mit kleinräumigen Angeboten. Da zu gehört eben auch, dass nur zwei Wohngemeinschaften des gleichen Anbieters in räumlicher Nähe sein dürfen und stati onäre Einrichtungen nicht mit Wohngemeinschaften kombi nierbar sind.

Es gibt Punkte, über die wir immer wieder sprechen werden und die wir anhand der gelebten Praxis auch beobachten wer den. Dazu gehört die Dynamisierung der Präsenzkräfte in den Einrichtungen; das haben Sie angesprochen. Die gute Bot schaft: Der Minister hat schon im Dezember 2017 seine Zu stimmung hierfür gegeben. Ich kann Ihnen diese heute auch geben: Wir sind bereit, die Dynamisierung anzunehmen, aber dazu sehen wir eine Gesetzesänderung nicht als notwendig an.

(Beifall bei den Grünen und der Abg. Gabi Rolland SPD – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Die bereits gelebte Praxis und auch die Kommunikation in den Heimen, mit den Heimaufsichten zeigen schon jetzt, dass es in Arbeit ist.

Ein weiterer Punkt sind die Ermessensspielräume der Heim aufsichten. Diese werden sehr unterschiedlich angewendet. Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Strategie unab hängig von der Einrichtung. Wir müssen weiter beobachten, wie sich die Lage entwickelt, und wir werden das auch tun.

Wir möchten, dass Bürokratie Qualität und Gewissheit bringt, nicht aber, dass der Arbeitsalltag dadurch unnötig erschwert wird. Ein einfacher Ansatz, den wir sofort umsetzen können, ist – Sie merken es – der Sprachgebrauch.

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ja, gleich. – Ich habe eben schon darauf hingewiesen: Sprache schafft neben dem Abbilden von gesellschaftlicher Vielfalt auch Wirklichkeiten und kann al lein durch ihre Anwendung auch Veränderungen herbeifüh ren.

Dieses innovative, gute Gesetz verwendet das Wort „Heim“ nicht mehr. Wir sprechen von stationären Einrichtungen. Ein zig bei den Heimaufsichten erscheint es noch. Darum ist es meiner Meinung nach an der Zeit, dass wir uns daranmachen, an einer Umformulierung von Heimaufsichten zu arbeiten.

Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir auch über Sprache Ein fluss auf Selbstverständnisse und vielleicht auf so manches Gebaren der Heimaufsichten nehmen.

Bleiben Sie auch heute gesund!