Protocol of the Session on July 18, 2018

(Beifall bei der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, die Frage heute lautet: Was muss sich im Hinblick auf eine nachhaltige und zielorientier te Agrarpolitik ändern? Leider hat der bisherige Weg, mit im mer mehr Technik und Chemie immer mehr Tiere und Lebens mittel zu erzeugen, in eine gefährliche Sackgasse geführt. Tier- und Lebensmittelskandale wie auch Umweltprobleme haben zu einer tiefen Vertrauenskrise zwischen Landwirten und Verbrauchern geführt. Keiner versteht mehr die andere Seite, und keiner traut mehr der anderen Seite.

Paradebeispiele sind auch Ausrutscher unseres Landwirtschafts ministers, z. B. wenn er meint, es ginge die Verbraucher eben nichts an, was die Landwirte auf ihren Feldern spritzen. Man könnte natürlich auch ergänzen: Es geht sie auch nichts an, wie die Landwirte düngen, wie sie ihre Tiere halten und wie die Produkte auf die Ladentheke kommen. Dem Agrarminis ter müsste eigentlich klar sein, dass er auch Verbrauchermi nister ist und somit auch die Interessen der Verbraucher zu verwirklichen hat.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt nicht nur eine Ver trauenskrise bei den Verbrauchern, sondern auch eine ökono mische und zugleich ökologische Misere in der Landwirt schaft. Sehr viele Landwirte arbeiten hart und viele Stunden pro Woche, doch durch Preisverfall, durch Marktkrisen oder durch harten Wettbewerb bleibt am Monatsende nichts übrig. Es ist auf Dauer kein Ausweg, auf immer geringer werdende Preise mit immer mehr und intensiverer Produktion auf grö ßeren Flächen zu reagieren, immer mehr in größere Ställe und Maschinen zu investieren. Viele Landwirte wissen inzwi schen, dass sie dabei sind, in der falschen Richtung eine Roll treppe hinaufzulaufen.

Zugleich zeigen das Insektensterben, die vielerorts nicht zu rückgehende Nitratbelastung des Grundwassers, der Arten rückgang insgesamt, dass die Landwirtschaft der Vergangen heit die Flächen zu intensiv genutzt und belastet hat, dass ein fach zu wenig Freiraum für die Natur blieb.

(Abg. Dr. Patrick Rapp CDU: Genau! Das Essen wächst bei Edeka!)

Lassen Sie uns gemeinsam in der Agrarpolitik umsteuern: mehr öffentliches Geld für gemeinwohlorientierte Leistungen und weniger aus der Gießkanne für Grundbesitz.

(Beifall bei der SPD)

Das derzeitige Subventionssystem ist ein Relikt aus der Nach kriegszeit, das sich weitgehend überlebt hat.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir verkennen nicht, dass es gute Ansätze gibt, z. B. wenn die Bundesregierung ein staat liches Tierwohllabel einführt und sich auch das Land BadenWürttemberg dieser Initiative anschließt.

(Abg. Dr. Patrick Rapp CDU: Vorher haben Sie es noch kritisiert!)

Jawohl. Das war erst vor Kurzem; darum lobe ich es ja auch. Wir hoffen natürlich, dass dabei die richtige Balance zwischen der Machbarkeit für die Tierhalter und den Ansprüchen an den Tierschutz erzielt wird. Sind die Vorgaben nämlich zu lasch, wird das Ziel verfehlt und das Vertrauen der Verbraucher nicht zurückgewonnen, wird es zu ambitioniert, könnte die Tierhal tung letztendlich ins Ausland verdrängt werden. Auch damit wäre niemandem gedient.

Damit die Umstellung der Agrarpolitik gelingt, müssen Mit tel in großem Umfang aus der ersten in die zweite Säule der Agrarförderung umgeschichtet werden. Alternativ kann man natürlich auch die Auszahlung der Mittel aus der ersten Säu le an konkrete Umwelt- oder Tierschutzauflagen koppeln. Na türlich brauchen wir ein ehrgeiziges Pestizidreduzierungspro gramm auf Bundesebene. Auf Landesebene haben wir da von der Landesregierung nicht allzu viel zu erwarten, wie wir in der Stellungnahme zu einem diesbezüglichen Antrag gerade erst erfahren mussten.

Bei manchen Pflanzenkrankheiten, bei manchen Kulturen kommt man sicher um Pflanzenschutzmittel nicht herum, und es ist noch viel Forschung nötig, um ganz auf sie verzichten zu können. Doch auf einen ganz erheblichen Teil der Mittel, insbesondere der Herbizide wie z. B. Glyphosat, kann man je nach Anwendung heute schon leicht verzichten. Deshalb müs sen hier die Vorschriften auch entsprechend verschärft wer den. Vor allem aber müssen wir EU-weit ein anderes Anreiz system aufbauen.

Folgende Punkte gibt es daher bei der anstehenden Reform von Beginn an zu bedenken, um das von den Agrarwissen schaftlern seit Jahrzehnten geforderte Umsteuern in der Ag rarpolitik umsetzen zu können.

Erstens: Landwirte sollen ein faires Einkommen erhalten, das heißt, ihre hochwertigen Produkte sollen fair bezahlt werden. Ihre Leistung für die Gesellschaft, die vom Markt nicht hono riert wird, muss eben durch öffentliche Gelder honoriert wer den.

Zweitens: Unsere Umwelt – Wasser, Boden, Luft – muss durch ressourcenschonendes Bewirtschaften geschützt wer den. Deshalb wollen wir den Aufbau geschlossener Nährstoff kreisläufe, artenreicher Kulturlandschaften, fruchtbarer Bö den und den Beitrag zu mehr Klimaschutz besonders fördern.

Drittens: Eine artgerechte Tierhaltung ist zu fördern. Die Ein führung eines Tierwohllabels ist hier dringend erforderlich. Wir haben ja schon kurz darüber gesprochen. Bei diesem The ma unterstützen wir also auch ausdrücklich die Bemühungen des Landes.

Viertens: Wir wollen die Förderung des ländlichen Raums mit der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik verstärken. Dies wollen wir durch Wertschöpfungsketten gerade für kleine Ver arbeitungsstrukturen und das klassische Lebensmittelhand werk im ländlichen Raum erreichen, damit weiterhin qualita tiv hochwertige Lebensmittel in Breite und Vielfalt hergestellt werden.

Die meisten Bürgerinnen und Bürger sehen zunehmend das Problem, dass die Landwirtschaft in Europa durch Fehlanrei ze geprägt ist. Weniger die bewirtschaftete Fläche als vielmehr

die nachhaltige Bewirtschaftung und der artgerechte Umgang mit Tieren müssen in der Förderung stärker berücksichtigt werden.

Auch ganz viele Landwirte wissen sehr genau, dass wir eine neue Landwirtschaft brauchen, und sie wollen diesen Weg gern beschreiten. Viele haben damit auch schon begonnen. Aber viele ihrer Verbandsvertreter wollen das nicht wahrha ben und liegen oft noch in den alten Schützengräben. Ihre Gegner heißen Verbraucher und Naturschützer. Es wäre des halb gut und wichtig, wenn alle – ich betone: alle, inklusive unseres Agrarministers – bereit wären, diese Gräben zuzu schütten, damit wir in Deutschland und der EU gemeinsam für eine neue Landwirtschaft arbeiten können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Karl Rombach CDU)

Für die Fraktion der FDP/DVP erteile ich Herrn Abg. Dr. Bullinger das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Martin Hahn hat ja das Wichtigste gleich am Anfang gesagt: Es handelt sich um einen Vorschlag. Wenn ich mir vergegenwärtige, was Frankreich, was Däne mark, was auch die Landwirtschaftsministerin gesagt hat, wenn ich an den Appell denke, der vom Bauerntag in Fellbach oder auch in Wiesbaden ausgegangen ist, muss ich sagen: Un sere Positionen liegen in vielen Bereichen zum Teil meilen weit auseinander.

In einem Punkt sind wir uns jedoch, glaube ich, sehr einig. Denn es gibt diese Vielfalt der Leistungen der Landwirtschaft, des ländlichen Raums. Das sind eben Kulturlandschaft, Er nährungssicherheit, Biodiversität, Qualität, Infrastruktur. Die se ganzen Leistungen, gerade auch die landschaftspflegeri schen Leistungen, werden an der Ladentheke nach wie vor nicht bezahlt. Deshalb brauchen wir auch weiterhin eine ers te und eine zweite Säule im Bereich der Agrarpolitik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Schauen Sie sich doch einmal das Verbraucherverhalten an. Ich bin, wenn ich schon einmal einkaufen gehen darf oder muss – ich tue das ja nicht so gern –, immer etwas erschüttert. Wenn ich einkaufe, schaue ich mir, wenn die Menschen aus den Einkaufszentren herauskommen, immer die Einkaufswa gen an: Was ist da drin? Das ist der Punkt, den ich meine. Da ist leider immer noch nicht das drin, was man sich wünscht, nämlich das etwas Teurere, wo bereits diese Maßnahmen – –

(Zuruf des Abg. Martin Hahn GRÜNE)

Ja gut, wenn ich auf den Bauernmarkt gehe, dann ist das an ders. Aber bei der Masse der Verbraucher ist es immer noch so, dass sie nicht bereit sind, für diese Leistungen der Land wirtschaft mehr auszugeben, meine Damen und Herren.

(Abg. Martin Hahn GRÜNE: Die Verbraucher sind viel besser als ihr Ruf!)

Der Kommissar hat ja Vorschläge gemacht. Diese sind auch für uns durchaus interessant: mehr Spielraum für die Mit gliedsstaaten, ja; aber ich warne auch. Natürlich geht es auch um Regionalisierung und um Entscheidungen, auch um Rück sichtnahme auf die Strukturen.

Das ist heute noch nicht angesprochen worden: Es ist ein Un terschied, ob ich Landwirtschaftsminister in Baden-Württem berg oder in Bayern bin, wo es eine hohe Kaufkraft und klei ne Betriebe gibt, oder ob ich in einer Koalition in Thüringen bin, wo gerade eben nicht die Vertreter von FDP und CDU, sondern eigentlich ganz andere Leute in der Regierung sind.

(Zuruf von der SPD: Zum Glück!)

Wie gesagt: Für die Struktur in unserem Land müssen wir se hen, was geschieht, wenn wir in den ländlichen Räumen bei den größeren Betrieben von vornherein zu früh kappen. Wenn man die Degression, über die man reden muss und die auch kommen wird – davon bin ich überzeugt –, bei den Direktzah lungen zu weit unten anlegt, dann sind diese Betriebe nicht mehr lebensfähig. Das heißt, es ist schon ein Unterschied, ob ich hier in Baden-Württemberg oder in Bayern in einem Hoch lohnland bin oder ob eine Struktur wie in den neuen Bundes ländern oder in Niedersachsen besteht, wo es außer Landwirt schaft nichts gibt. Das muss man, glaube ich, auch berück sichtigen; auch darüber muss man diskutieren.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, die Maßnahmen zur Zielerreichung bei Klima und Umwelt und die Erfolgsprämien – ich glaube, da sind wir uns auch einig – müssen über die zweite Säule be zahlt werden.

Ich darf auch an das erinnern, was Kommissar Oettinger in Fellbach auf dem Bauerntag gesagt hat: Ich brauche für die se Leistungen Geld. Und wenn ich dieses Geld nicht habe, dann kommen Kürzungen. Auch der Brexit kommt ja noch dazu. Dann sind diese Leistungen nicht honorierbar. Darum geht es jetzt bei der Diskussion.

Wenn ich die Diskussion verfolge und sehe, dass die Europa wahl vor der Tür steht, dann bin ich sehr skeptisch, dass die Entscheidungen im nächsten Jahr fallen. Die werden vielleicht noch zwei Jahre hinausgeschoben. Das ist für die Betriebe aber ganz schlecht. Die Betriebe in unserem Land brauchen zukünftig nicht alle sieben Jahre eine neue Diskussion über Agrarpolitik, darüber, wie es weitergeht, sondern sie brauchen längerfristige Planungsräume. Das heißt, alle sieben Jahre ei nen neuen Haushalt aufzustellen und die Haushaltsmittel bis 2027 festzulegen ist eigentlich der falsche Ansatz. Als Unter nehmer in der Landwirtschaft brauche ich längere Sicherhei ten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Reinhold Gall SPD: Das ist aber fast Planwirtschaft! Um Gottes willen!)

Dann will ich noch eines sagen: Ich finde es richtig, dass wir heute diese Diskussion führen. Bloß, wo wird denn entschie den? Über die Gemeinsame Agrarpolitik – ich habe es schon gesagt – wird in Brüssel entschieden, wird in Straßburg ent schieden – dort sitzt der Souverän auch für das europäische Geld – und in Berlin. Es ist richtig, dass wir hier von unserer

Seite aus vor allem diejenigen, die im Europaparlament und im Deutschen Bundestag sitzen und die Agrarpolitik beglei ten, auffordern, die für Deutschland und Baden-Württemberg sinnvollen Änderungswünsche bei der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik weiterzugeben und zu versuchen, sie in Straß burg und in Berlin durchzusetzen. Das ist ein ganz entschei dender Punkt, meine Damen und Herren.

Außerdem soll man vielleicht auch eines nicht verkennen: Wir sind ja nicht allein auf der Welt. Wir haben den Welthandel, wir haben die WTO, wir haben die GATT-Verhandlungen. Wenn ich mir vergegenwärtige, was dieser „Amerikaner first“ proletet, dann muss ich sagen: Es ist auch ein Punkt, dass man wieder stärker in den Export mit den Staaten hineingeht, die kürzlich auf der HANNOVER MESSE ein Abkommen mit Mexiko unterzeichnet haben oder die gestern ein Abkommen mit Japan – auch wenn Japan weit weg ist – geschlossen ha ben – bei den Dingen, bei denen dies auch ökologisch Sinn macht. Man darf nicht sagen: „Wir dürfen nichts mehr expor tieren.“ Wir haben Premiumprodukte, die wir durchaus erfolg reich in diese Länder verkaufen können, um so das Einkom men der Landwirte in unserem Land zu sichern.

Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten stehen für den Wettbewerb. Wettbewerb heißt faire Bedingungen und heißt auch: Man muss aufpassen, dass man nicht noch mehr Verbote, noch mehr Gängelung schafft. Die Produktionsbe dingungen – beispielsweise bei der Düngung; ich kann im bio logischen Landbau genauso mit organischem Dünger wie im konventionellen Landbau mit mineralischem Dünger über düngen – müssen es ermöglichen, Einkommen zu erwirtschaf ten.

(Abg. Martin Hahn GRÜNE: Begrenzter Betriebs mitteleinsatz im Ökolandbau! Das geht nicht!)

Ja, es ist wirklich so: Die Produktionsbedingungen müssen so sein, dass man auch Einkommen erwirtschaften kann.

Dann ist auch das ganz wichtig, was der Kollege Rapp gesagt hat: Nicht auseinanderdividieren, sagen: „Das sind die Gu ten“, „Das sind die Bösen“. Das geht nur gemeinsam. Hier müssen wir aufklären, damit die Bevölkerung bereit ist, für die Gesamtleistungen und für die Sicherung der Ernährung mehr auszugeben. Ich glaube, meine Damen und Herren, das ist ein ganz wichtiger Ansatz.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Mit der aktuellen Agrarpolitik – das wissen wir – ist eigent lich niemand so richtig zufrieden – die Landwirte nicht, weil die Fördermaßnahmen im Augenblick in der ersten und in der zweiten Säule sehr unterschiedlich sind, die Naturschützer nicht, weil bei Boden, Wasser, Luft und Artenvielfalt in den agrarischen Intensivregionen bisher nicht der Erfolg erzielt worden ist, den man sich wünscht, und auch die Wissenschaft ler nicht. Dabei muss ich sagen: Wenn ich mir bei den Wis senschaftlern die Szene anschaue, sehe ich da die extremsten Unterschiede. Ich glaube, da wäre mancher Wissenschaftler gut beraten, auch einmal wieder auf einen Bauernhof zu ge hen, um zu sehen, was die Familien dort vor Ort tatsächlich leisten und mit welchen Problemen sie kämpfen. Dazu braucht man nicht irgendwelche theorisierende Seminare an Univer sitäten.