Protocol of the Session on May 9, 2018

Das Wort hat Frau Abg. Wölfle für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Kinder sind zu schützen. Das muss immer unsere oberste Maxime sein. Kinderehen widersprechen die sem Grundsatz.

Nach Angabe der UNICEF wurde weltweit eine von vier Frau en im Alter von 20 bis 24 Jahren vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet, jede zwölfte bereits vor ihrem 15. Geburtstag. Aber so lange ist es in Deutschland auch noch nicht her, dass Eheschließungen von Minderjährigen – fast ausschließlich Frauen – nichts Außergewöhnliches waren. Im Jahr 2000 wur den in Deutschland immerhin noch über 1 000 Ehen mit min derjährigen Bräuten geschlossen. Diese Zahl ist aber bis zur Festlegung des Ehemündigkeitsalters auf 18 Jahre in der Mit te des letzten Jahres schon rapide zurückgegangen.

Deshalb nehmen wir in Deutschland in neuester Zeit Kinder ehen als neues Problem wahr. Entweder geht es um Ehen von geflüchteten Mädchen, die insbesondere in Afghanistan, im Irak oder in Syrien geschlossen wurden, oder wir sehen die Gefahr, dass in Deutschland lebende Minderjährige im Hei matland ihrer Eltern – etwa der Türkei – mit älteren Männern verheiratet werden.

Die Anzahl dieser in Deutschland eher neuen Form von Kin derehen entspricht ungefähr der Anzahl von Kinderehen, die noch um die Jahrtausendwende pro Jahr in deutschen Stan desämtern geschlossen wurden. Heute reden wir nur über die Folgen einer Eheschließung von Minderjährigen, die in Deutschland wirksam werden. Ich möchte aber auch daran er innern, dass wir uns nicht nur in Deutschland, sondern welt weit gegen Kinderehen einsetzen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen sowie des Abg. Jürgen Keck FDP/DVP)

Kinder und Jugendliche gehören in die Schule und in eine Ausbildung und nicht auf das Standesamt oder vor den Trau altar.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der Grünen und der CDU sowie des Abg. Jürgen Keck FDP/DVP)

Vor allem müssen sie auch selbst entscheiden können, mit wem sie sich wann binden wollen, und dürfen nicht von ihren Eltern bereits als Kinder in eine Ehe gedrängt werden. Als Eu ropäerin mit anderem kulturellen Hintergrund ist es mir aber wichtig, dass jedes junge Mädchen ein Recht auf ein selbst bestimmtes Leben, auf Schule und Ausbildung hat. Da sind wir uns sicherlich alle einig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der Grünen und der CDU)

Jetzt spielt sich Frau Baum hier als die einzige Kinderschüt zerin auf und beruft sich auf ihren Antrag.

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Ich weise Sie darauf hin, dass ich bereits ein halbes Jahr vor Ihnen dazu einen Antrag eingebracht habe, den wir auch im Sozialausschuss behandelt haben. Sie sind ein halbes Jahr spä ter mit dem gleichen Anliegen gekommen.

Meiner Fraktion und mir war damals wichtig, dass es uns hier bei nicht um eine Bewertung kultureller Unterschiede oder re ligiöser Hintergründe geht, sondern ausschließlich das Wohl der Mädchen entscheidend ist. Ich habe die Landesregierung bereits vor einem Jahr aufgefordert, ein Konzept im Rahmen der Jugendhilfe zu erstellen. Leider haben die Koalitionsfrak tionen dem Antrag damals nicht stattgegeben. Vielleicht gibt es mittlerweile eine andere Erkenntnis.

Man könnte auf den ersten Blick meinen, dass die Rechtsla ge klar ist. Denn nach der Neufassung von § 42 SGB VIII ist ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher grundsätzlich dann als unbegleitet zu betrachten, wenn die Einreise nicht in Begleitung einer sorgeberechtigten oder er ziehungsberechtigten Person erfolgt, auch wenn das Kind oder der Jugendliche verheiratet ist. Insofern erfolgt in diesen vor her genannten Zweifelsfällen jetzt automatisch eine Inobhut nahme durch das Jugendamt.

Aber eine Unwirksamkeit bzw. eine Aufhebung der Ehe in Deutschland, selbst verbunden mit der Inobhutnahme, führen nicht zu einer Aufhebung der Beziehung zwischen den nach ausländischem Recht Verheirateten, und wenn schon Kinder vorhanden sind, erst recht nicht. Deshalb brauchen wir ein an deres Konzept für die Jugendhilfe. Wir haben natürlich einen

Änderungsantrag eingebracht. Herr Kollege Lasotta, ich ken ne das Spielchen: Es ist klar, dass Sie auch einen Antrag stel len, aber dieser geht in die gleiche Richtung. Das zeigt, dass unser Antrag durchaus richtig ist.

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Genau so! Das wollten wir signalisieren!)

Dann hätten Sie dem auch zustimmen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Lasotta hat es gesagt, und ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen: Im letzten Jahr hat der Bund dazu ein Gesetz verabschiedet. Ich möchte ein paar Punkte für die AfD wiederholen, die es anscheinend nicht gelesen hat: Das Ehemündigkeitsalter wurde mit diesem Gesetz von 16 auf 18 Jahre heraufgesetzt. Eine Ehe ist in Deutschland durch rich terliche Entscheidung aufzuheben, wenn ein Ehegatte zum Zeitpunkt der Eheschließung das 16., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte. Ehen sind unwirksam, wenn einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Es gibt außerdem ein Trauungsverbot für Minderjährige, etwa durch religiöse Handlungen, und, und, und. Es ist also alles geregelt worden.

Mein Fazit ist: Dieser Antrag ist ein reiner Showantrag. Es ist ein populistischer Antrag. Es geht Ihnen überhaupt nicht um die Kinder, es geht Ihnen darum, dass Sie hier wieder Ihre Is lamisierungs- und Umvolkungstheorien darstellen können.

(Zuruf der Abg. Dr. Christina Baum AfD – Weitere Zurufe)

Die Kinder sind Ihnen egal. Sie nutzen dieses Podium für Ih re Showanträge.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/DVP sowie des Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU – Abg. Klaus Dürr AfD: Frau Wölfle, Sie unterstellen uns bösartige Dinge!)

Für die FDP/DVP-Frak tion spricht Herr Kollege Weinmann.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Das Verbot von Kinderehen ist rich tig; denn hinter dem Begriff Kinderehen verbergen sich nicht selten Missbrauch, Vergewaltigung und Ausnutzung der Mäd chen. Das kann und das darf einer liberalen, weltoffenen und fürsorgenden Gesellschaft nicht gleichgültig sein.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der AfD sowie des Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU)

Der Gesetzgeber hat im Sommer 2017 auf die steigende Zahl verheirateter minderjähriger Flüchtlinge, die nach Deutsch land gekommen sind, reagiert und die Ehemündigkeit von 16 auf 18 Jahre erhöht. Wir tragen diese Änderung selbstver ständlich mit, ebenso die Aufhebbarkeit von Ehen Minderjäh riger zwischen 16 und 18 Jahren zur Bekämpfung von Kin derehen.

Ein entschlossenes Entgegentreten gegen Minderjährigenehen weltweit steht indes nicht im Widerspruch zu einem differen

zierten Herangehen an bereits geschlossene Ehen. Vielmehr muss das in Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention festge legte Kindeswohl der Betroffenen das Leitprinzip für die Ent scheidungen darüber sein, wie mit einzelnen bereits entstan denen Ehen umzugehen ist.

Mit Blick auf das Kindeswohl hätten wir uns daher auch ge wünscht, die Aufhebbarkeit von Ehen von unter 16-Jährigen vorzusehen; denn die pauschale Nichtigkeitserklärung von be reits geschlossenen Ehen von unter 16-Jährigen hat große Rechtsunsicherheit zur Folge. Die Aufhebung der Ehe durch ein Familiengericht hätte den Vorteil, dass Rechte, die sich aus der Ehe für die minderjährige Ehepartnerin oder den min derjährigen Ehepartner sowie die in der Ehe gezeugten Kin der ergeben, zunächst einmal automatisch bestehen blieben. Im Unterschied zur pauschalen Nichtigkeitserklärung kann in einem Gerichtsverfahren jeder Einzelfall betrachtet und das Kindeswohl individuell abgewogen werden.

Nun besteht in den Fällen der Nichtigkeitserklärung die Ge fahr, dass die Betroffenen in religiöse und oftmals sozial mo tivierte Eheschließungen fliehen bzw. dazu gedrängt werden oder schlicht die Ehe verheimlichen. Der Zugang zu Jugend hilfemaßnahmen und weiteren Schutzmechanismen wird so wesentlich erschwert.

Umso wichtiger und bedeutsamer ist es, dass die Kinder- und Jugendhilfe in unserem Land mit einem schlüssigen Hilfskon zept bei der Feststellung der Nichtigkeit bzw. der Aufhebung der Ehe dem minderjährigen Partner einen Weg in ein selbst bestimmtes und eigenverantwortliches Leben eröffnen kann.

Deswegen unterstützen wir den Änderungsantrag der SPD. Dass nunmehr kurzfristig von Grün-Rot schnell ein weiterer Änderungsantrag eingebracht wurde,

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Grün-Schwarz!)

Entschuldigung, Grün-Schwarz; danke, Herr Kollege La sotta; fortgeschrittene Stunde! –, um dem inhaltlich richtigen und guten Antrag der SPD nicht zustimmen zu müssen, wirkt, mit Verlaub, nicht souverän.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dr. Bernhard La sotta CDU: Ablehnung wäre noch unsouveräner ge wesen!)

Insoweit wird diese Argumentation lediglich durch die Absur dität übertroffen, dass dann der Opposition vorgeworfen wird, man würde keine eigenen Vorschläge einbringen. Denken Sie darüber nach. Ich denke, der Antrag der SPD ist zustimmungs würdig; wir auf jeden Fall tragen ihn mit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort für die Regie rung hat Herr Minister Wolf.

Sehr ver ehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dankbar, dass nach dem doch etwas heftigen und, wie ich finde, überemotionalen Aufschlag zu dieser Debatte nun ins

gesamt etwas mehr Sachlichkeit Einzug gehalten hat. Dieses Thema hat es allemal verdient.

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Sehr gut!)

Wer hier versucht, mit Blick auf Kinder und die Problematik sowie das Phänomen der Kinderehen Stimmung zu machen,

(Zuruf: Ein Phänomen!)

der führt in allererster Linie die betroffenen Kinder vor. Un ser Auftrag ist es, die richtigen politischen Antworten zu ge ben.

Wenn hier ein Antrag gestellt wird, der, mit Verlaub, in die Jahre gekommen und politisch überholt ist, dann ist es – auch um diese Tageszeit – fragwürdig, ob dies wirklich sinnvoll ist, oder ob damit nicht nur das Ziel verfolgt wird, emotional hit zige Debatten zu führen, um zu polarisieren bei Punkten, die wir besser regeln und weniger problematisieren.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Ich kann mich noch sehr gut an die Anfänge dieser Diskussi on erinnern. Es war, Kollegin Dr. Baum, bereits im Jahr 2016, als diese Herausforderung, sich mit den Kinderehen ausein anderzusetzen, im Justizministerium aufgegriffen wurde. Auch mit dem Sozialministerium und im engen Verbund mit den Kolleginnen und Kollegen aus vielen anderen Bundeslän dern waren wir uns einig, dass wir schnell eindeutige Rege lungen brauchen, um die Kinder und Jugendlichen zu schüt zen, die von solchen Ehen betroffen sind. Die Zunahme sol cher Fälle infolge des Zuzugs von Menschen aus anderen Rechts- und Kulturkreisen machte ein deutliches Signal un serer Rechtsordnung erforderlich.