Frau Präsidentin, ver ehrte Kolleginnen und Kollegen! Max Mannheimer hat es ein mal mit dem Satz zusammengefasst, er sei nicht verantwort lich für das, was geschah, aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon. In diesem Satz liegt im Grunde genommen das, worüber wir heute hier sprechen und debattieren. Deshalb bin ich auch sehr froh über diese Debatte und über diesen inter fraktionellen, gemeinsamen Antrag.
Herr Kollege Gögel, Sie haben die Gründung der CDU so dar gestellt, als wäre sie aus einem – Zitat – „aufgegrabenen Friedhof heraus“ entstanden. Das zeigt, dass Sie keinerlei Ge schichtskenntnis – gerade im Zusammenhang mit dem Wider stand – haben. Diese Union ist nach zwei Weltkriegen mit über 50 Millionen Toten aus der Überzeugung „Nie wieder Krieg!“
überkonfessionell entstanden – aus dem Gedankengut des Wi derstands. Jakob Kaiser, Andreas Hermes, aber auch Konrad Adenauer als Vorsitzender des Parlamentarischen Rates ha ben diese Grundrechte, die am 23. Mai 1949 im Grundgesetz, unserer Verfassung, verabschiedet worden sind, nämlich Mei nungsfreiheit und auch Pressefreiheit, in diese Verfassung ge schrieben, aus der Erkenntnis heraus, dass es nie wieder Krieg geben darf.
Wir haben das große Glück, in der längsten Friedenszeit der modernen Geschichte leben zu dürfen – dafür sind wir dank bar –, und deshalb ist es Geschichtsklitterung, was Sie hier betrieben haben.
(Beifall bei der CDU, den Grünen, der SPD und der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Stefan Räpple AfD – Glocke der Präsidentin)
Herr Abg. Räpple, Herr Abg. Dr. Reinhart hat hier das Wort. Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen, melden Sie sich bitte. Ansonsten seien Sie bitte ruhig. – Danke schön.
Herr Dr. Reinhart, Sie haben gera de gesagt, dass kein Krieg mehr von deutschem Boden oder von deutschen Streitkräften ausgehen sollte. Wie erklären Sie es sich, dass aktuell z. B. in Mali deutsche Truppen stationiert sind, dass sie in Afghanistan stationiert sind,
dass sie in Syrien stationiert sind und dass sie im Irak statio niert sind? Wie kann es sein, dass deutsche Truppen auf der Welt kämpfen und Sie sagen, nie wieder dürfe Krieg von Deutschland ausgehen? Die CDU hat dem ja zugestimmt.
(Abg. Nicole Razavi CDU: Eine Verunglimpfung der Bundeswehr! Unglaublich! – Unruhe – Abg. Stefan Räpple AfD bleibt an einem der Saalmikrofone ste hen.)
Herr Kollege Räpple, zunächst einmal sind wir dankbar für den Dienst aller Solda tinnen und Soldaten, den sie für unsere Bundesrepublik täg lich erbringen.
Sie vertreten genau die Werte, die wir in unserer Verfassung haben. Sie setzen sich ein für Frieden und Freiheit, nicht nur
in Deutschland, sondern auch dort, wo sie zu ihren Einsätzen beauftragt worden sind. Deshalb können wir nicht aus der Ge schichte eines leidvollen Tuns der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts – – Damals hat übrigens Konrad Adenauer – auch zu Europa – gesagt:
Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wur de eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendig keit für... alle.
Dieses Europa, das auf diesem Boden von Kriegen entstan den ist, mit dem die deutsch-französische Freundschaft ent standen ist, ist die Grundlage, dass wir zu der Generation ge hören – mein Urgroßvater war im Krieg, mein Großvater war im Krieg, mein Vater hat seine besten Jahre im Krieg verbracht –, die das nicht mehr erleben muss. Dafür sind wir dankbar – auch für unsere Bundeswehr, die deshalb eingerichtet wurde.
Ich empfehle Ihnen ein Buch, das ich vor wenigen Wochen mit meinem zwölfjährigen Sohn gelesen und besprochen ha be. Es heißt: „Damals war es Friedrich“.
Der Autor ist Hans Peter Richter. Da geht es um zwei Jungen, die auch etwa zwölf Jahre alt sind. Der eine ist ein jüdischer Junge namens Friedrich, dessen Eltern nicht mehr leben. Er ist mit einem nicht jüdischen Jungen befreundet, der im sel ben Haus lebt. Dann kommt ein Angriff mit Bombenhagel, und viele gehen in den sicheren Schutzkeller. Der jüdische Friedrich klopft, und ein Soldat, der Nazi ist, lässt ihn nicht herein. Nach dem Bombenhagel kommt auch die Familie, bei der er war und die dort Unterschlupf gefunden hat, wieder he raus, und dann sitzt der jüdische Friedrich auf der Treppe. Sie gehen hin und sehen: Er ist tot.
Das ist eine sehr eindrucksvolle Geschichte, und ich will Ih nen nur sagen: Man sollte sich mit dieser Geschichte, mit sechs Millionen getöteten Juden, befassen, bevor man hier mit „Enthaltung“ stimmt. Ich kann nur dem Kollegen Schwarz recht geben. Ich war überzeugt davon, Herr Kollege Gögel und Herr Kollege Baron, dass Sie hier zustimmen wollen. So gar die AfD-Fraktion im Bundestag war so klug und hat zu gestimmt.
Wir beantragen eine namentliche Abstimmung, und ich finde, Sie sollten sich heute alle zu diesem Antrag bekennen, zumin dest zeigen, wie Ihre Haltung dazu ist. Das erwarten wir von Ihnen.
Ich bin auch dankbar, dass der Ministerpräsident hier klar ge sagt hat: Es darf keinen Raum für Antisemitismus geben, die ser darf nicht auf fruchtbaren Boden fallen, wir dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen.
Wir waren vor über 20 Jahren mit dem Petitionsausschuss die ses Parlaments – Kollege Rebhan war damals der Vorsitzen de – genau an der Gedenkstätte, die der Kollege Stoch ange sprochen hat, in Yad Vashem. Ich glaube, das ist wichtig, denn
nur wer die Herkunft kennt, die Erinnerung kennt, die Ge schichte kennt, kann auch Zukunft gestalten, denn all das ge hört zusammen.
Wenn der Ministerpräsident hier sagt, man habe sich auf ei nen Beauftragten geeinigt, der im Staatsministerium angesie delt sein solle – ich will bewusst sagen, dass die Regierung, Kollege Murawski, uns schon vorher darüber informiert hat te –, dann stehen wir dazu; wir finden das richtig und gut. Der Beauftragte beim Bund ist übrigens im Kanzleramt angesie delt. Insoweit sind wir dankbar, wenn die Regierung diesen Vorschlag unterbreitet. Da wird es keinen Dissens geben. Das will ich hier ausdrücklich sagen, damit über diese Vorarbeit, für die wir, Herr Ministerpräsident, auch Ihrem Haus und der Regierung dankbar sind, nicht ein Missverständnis entsteht.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es ist wich tig, dass wir heute diese Debatte geführt und auch eine na mentliche Abstimmung beantragt haben. Es wurde vom Kol legen Rülke zu Recht angesprochen, welche antisemitischen Postings – auch durch Filterblasen – auch im Umfeld der AfD im Netz unterwegs sind. Auch das ist nicht akzeptabel. Auch hier in diesem Haus haben wir genug erlebt.
Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Ich glaube, das war heute eine wichtige Stunde für dieses Parlament. Es ist auch wichtig, dass wir manchmal über den Tellerrand hinaus die großen Linien betrachten,
denn das ist entscheidend. Vor diesem Hintergrund, glaube ich, sind wir alle gut beraten, uns die große Dimension des sen bewusst zu machen, welches Geschenk wir mit dieser De mokratie, mit dieser Verfassung, mit dieser Rechtsordnung auf diesem Boden haben.
Zur Identität unserer Staatsräson gehört: null Toleranz gegen über Antisemitismus, kein Antisemitismus in diesem Land!
Für den Landtag von Baden-Württemberg ist heute ein wich tiger Tag. Mit der heutigen Debatte, verehrte Damen und Her ren Abgeordnete der antragstellenden Fraktionen, setzen Sie gemeinsam, auch mit der Landesregierung, ein wichtiges und richtiges Zeichen im Kampf gegen den Antisemitismus, ein Zeichen, das uns fraktions- und parteiübergreifend verbindet.
Für dieses Zeichen der Gemeinsamkeit der Demokraten da, wo die Gemeinsamkeit der Demokraten auch wichtig und not wendig ist, bin ich sehr dankbar.