Protocol of the Session on November 8, 2017

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! „Politik“, sagte Hannah Arendt,

(Oh-Rufe von der SPD)

„ist die Einmischung in die eigenen Angelegenheiten.“

(Zuruf des Abg. Martin Rivoir SPD)

Das beherzigen die Jugendlichen, die wir seit gestern beim Jugendlandtag erleben, mit Leidenschaft und mit großer sach politischer Kompetenz. Klasse!

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Thomas Blenke CDU)

Wir haben ihnen dargelegt, dass in Baden-Württemberg recht lich wie monetär noch nie so viel für junge Menschen getan wurde: für die Jugendbeteiligung in den Kommunen, für De mokratiebildung, gegen soziale Ausgrenzung, für Inklusion und für Integration, für offene Jugendarbeit und für Jugend sozialarbeit. Dies wird durchaus wertgeschätzt.

Darüber hinaus hat der Jugendlandtag jedoch viele Ideen for muliert, wie die Jugendbeteiligung auf allen Ebenen weiter verbessert und nachhaltig werden kann. Daran wollen sie uns messen, und daran – das sage ich nicht nur für die grüne Frak tion – lassen wir uns auch gern messen.

(Beifall bei den Grünen)

Zugleich zeigen uns die Jugendlichen, was Einmischung in die eigenen Angelegenheiten bedeutet. Sie wollen nicht auf Jugendpolitik reduziert werden, genauso wenig, wie Frauen sich auf Frauenpolitik begrenzen lassen wollen.

Einmischung in die eigenen Angelegenheiten, das beinhaltet immer alle Politikfelder. Gouverneur Jerry Brown hat heute viele von uns berührt – nicht nur, weil er mit 80 Jahren jung im Herzen – young at heart – ist, sondern weil seine Botschaft uns alle betrifft. Diejenigen, die heute jung sind, sind die ers te Generation, die den Klimawandel in voller Wucht zu spü ren bekommt,

(Abg. Rüdiger Klos AfD: Nein, die Dinosaurier wa ren es!)

und diejenigen, die heute politisch verantwortlich sind, sind die Letzten, die die Ursachen und die Folgen noch wirksam beeinflussen können. Dies erfordert einen starken Gerechtig keitssinn, den Mut, visionär zu denken, die Kraft, sich nicht entmutigen zu lassen, und zugleich den Willen, im Hier und Jetzt ganz pragmatisch anzupacken.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD sowie der Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch)

Jerry Brown ist hier ein Vorbild. Seinem Beispiel zu folgen traue ich uns zu – dem Jugendlandtag und auch uns im regu lären Landtag.

Also: Trauen wir uns innerhalb und außerhalb des Parlaments, außerhalb und sehr gern auch innerhalb der demokratischen Parteien!

Worum es geht, das haben uns die Jugendlichen gestern und heute aufgezeigt: Wie gelingt es, Mobilität ökologisch zu ge stalten und zugleich die Freude daran zu erhöhen? Wie bleibt der ländliche Raum lebens- und liebenswert? Wie gestalten wir eine Energieversorgung und eine Wirtschaftsweise, die ökologisch und innovativ ist und die langfristig Arbeitsplätze sichert?

Wie schaffen wir gerechtere Lebenschancen und Lebensver hältnisse im Land, aber auch global? Wie fördern wir Zivil courage, und was können wir dafür tun, dass sich Menschen in einer offenen und freien Gesellschaft zu Hause fühlen? Wie gestalten wir Heimat in sozialer und kultureller Vielfalt? Wie bringen wir Sicherheit und Freiheit in Einklang?

Wie müssen und wie wollen wir künftig lernen und arbeiten – kreativ, erfinderisch, kooperativ, wertschätzend, lösungsori entiert, fair und nachhaltig –, damit wir so leben können, wie es unser Planet braucht? Wie müssen die Schulen und Hoch schulen, aber auch die Kindertagesstätten in unserem Land sein, damit sie Lust auf Beteiligung, Verantwortung und De mokratie machen?

Wie erringen und wie verteidigen wir Demokratie und Men schenrechte in einer globalen Mediengesellschaft und ganz konkret im Alltag – die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern, speziell Kindern und Jugendlichen, Frauen, Minderheiten? Wie benennen wir dabei und darüber hinaus Probleme offen, und wie widerstehen wir der Versuchung, uns primitiver Er klärungsmuster zu bedienen?

Wie ringen wir um Lösungen streitbar, gründlich und fair statt ausgrenzend und populistisch? Riskieren wir es, uns mit of fenen Worten unbeliebt zu machen, und hören wir auch zu, wenn die Botschaften anderer nicht in unser Weltbild passen? Wie erreichen wir, dass Menschen ermutigt und befähigt wer den, sich zu beteiligen, dass sie gehört werden und sich Ge hör verschaffen?

Auch dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns mit diesen Fragen auseinandersetzen, dafür, dass wir miteinander und mit anderen fortlaufend um Antworten ringen, wurden wir gewählt.

Jugendpolitik ist jede Art von Politik, ist Politik für junge Menschen und vor allem auch mit ihnen. Das macht Freude – die bei mir gestern noch gesteigert wurde, als mir durch den Jugendlandtag der Pokal für leichte Sprache verliehen wurde.

(Der Redner hält einen Pokal hoch.)

Man muss also nicht populistisch sein, um verstanden zu wer den.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Thomas Blenke CDU)

Ich empfinde es als große Verantwortung und zugleich als un ser großes Privileg, hier mitgestalten zu dürfen. Dafür meinen herzlichen Dank an die Organisatoren beim Landesjugendring und beim Landtag, an unsere Landtagspräsidentin Muhterem Aras, an alle Kolleginnen und Kollegen, die sich aktiv einge bracht haben – und ganz besonders an die Jugendlichen. Sie haben unsere Aufmerksamkeit und unseren herzlichen Ap plaus verdient.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der AfD, der SPD und der FDP/DVP)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Frau Abg. Neumann-Martin.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Interesse der Jugendlichen an Politik hat in den letzten Jahren zugenommen. Das bestätigen uns verschiedene Studi en, und das erlebe ich auch immer wieder in Gesprächen mit Jugendlichen. Ich spüre Neugier, Offenheit in Bezug auf Po litik, und ich nehme das Interesse wahr, über Themen auch kontrovers zu diskutieren.

Ich erlebe aber auch, dass junge Menschen sich von den Par teien, vom Politikbetrieb nicht verstanden fühlen und dass sie viele Entscheidungen und Prozesse nicht nachvollziehen kön nen. Laut der Shell-Jugendstudie von 2015 stimmen 69 % der Jugendlichen folgender Aussage zu – ich zitiere –:

Politiker kümmern sich nicht darum, was Leute wie ich denken.

Ich finde diese Quote erschreckend hoch. Hier sind wir als Po litiker in der Verantwortung. Wir müssen Politik für junge Menschen erlebbar und nachvollziehbar machen. Wir müssen sie motivieren, mitzumachen.

Denn zum Kerngedanken der Beteiligung und damit auch zum Kerngedanken der Demokratie gehört, dass Entscheidungen, die das eigene Leben und das Leben der Gemeinschaft betref fen, mitgestaltet werden können.

(Beifall bei der CDU und den Grünen)

Kinder und Jugendliche in Entscheidungen und Planungen einzubeziehen ist nicht nur aus demokratischen Überzeugun gen heraus von Bedeutung, es hat auch eine direkte und prak tische Auswirkung auf das Leben vor Ort.

§ 41 a der Gemeindeordnung schreibt eine Beteiligung von Kin dern und Jugendlichen für die Gemeinden verpflichtend vor. In einigen Kommunen meines Wahlkreises gibt es Jugendge

meinderäte. Dort, wo sie aktiv sind, wo ihre Arbeit in den Ge meinden unterstützt wird, bringen sie neue Sichtweisen und Blickwinkel in die Politik ein. Ganz wichtig: Sie bringen Er gebnisse. Überall dort, wo Kinder und Jugendliche bereits früh demokratisches Miteinander lernen und praktizieren und sie somit ein positives Gefühl zu ihrem Wohnort entwickeln kön nen, profitiert auch die Kommune als lebenswerter Ort. Nur so entstehen Kommunen, die auf die Bedürfnisse aller Gene rationen eingehen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Ein wichtiger Faktor kommt hinzu: Menschen, die in ihrer Kindheit und ihrer Jugend erfahren, dass ihre Stimmen Wir kung erzielen, dass sie gestalten und mitbestimmen können, sind später auch eher bereit, sich aktiv in die Gesellschaft ein zubringen. Das finde ich entscheidend. Denn wenn wir es nicht schaffen, junge Menschen in die Politik vor Ort, aber auch auf Landes- und auf Bundesebene mit einzubinden, ha ben wir in einigen Jahren ein massives Demokratieproblem.

Was wollen die Jugendlichen heute? Jugendliche wollen zu nächst einmal, dass wir ihnen aktiv zuhören, dass wir sie und ihre Anliegen ernst nehmen. Sie wollen aber auch, dass ihre Vorschläge umgesetzt werden und nicht einfach versanden.

Die Workshop-Teilnehmer erklärten gestern, dass ihnen die Stärkung der politischen Bildung sehr wichtig sei. Sie wün schen sich z. B. eine Einführung des Gemeinschaftskundeun terrichts in der fünften Klasse. Hierbei sollen die unterschied lichen politischen Gremien auf kommunaler, auf Landes- und auf Bundesebene mit ihren jeweiligen Arbeitsbereichen aus führlich erklärt werden.

Aktuelle politische Themen müssten aus ihrer Sicht ausführ lich im Unterricht behandelt und diskutiert werden, um das Interesse für politische Themen innerhalb der Schülerschaft zu wecken und vor allem zu stärken.

Eine gute Beteiligungsstruktur ist mehrschichtig und hält un terschiedliche Ebenen und Formate bereit. Jugendliche wol len sich in ihrem Engagement weiterentwickeln und dabei ver schiedene Stadien durchlaufen. Wichtig bleibt dabei, dass wir die Jugendlichen immer im Blick behalten und fragen: Was können sie leisten? Was wollen sie erreichen?

Auch wenn das Ziel ist, dass die Beteiligung in eine Erwach senenstruktur mündet, dass die Jugendlichen, spätestens wenn sie das Wahlalter erreichen, die Strukturen und Mechanismen unseres demokratischen Systems verinnerlicht haben, müssen die Jugendlichen zunächst die Chance haben, ihre eigenen Formate auszuprobieren und weiterzuentwickeln.

Deshalb bin ich dem Landesjugendring und der Landeszent rale für politische Bildung sehr dankbar, dass wir alle gemein sam den Jugendlandtag gestalten können. Bereits beim Vor bereitungstreffen, aber ganz besonders in den gestrigen Work shops habe ich erlebt, wie engagiert junge Menschen sind, was für wichtige Impulse sie setzen können und – vor allem – was für Impulse sie setzen wollen.

Der Jugendlandtag bietet uns allen die Möglichkeit, vonein ander zu lernen, miteinander zu kommunizieren und gemein sam Ziele zu formulieren und durchzusetzen. Hierbei würde ich mir wünschen, dass wir als Abgeordnete über den Jugend

landtag hinaus auch vor Ort in den Wahlkreisen, in den Schu len, mit den Schülern über ihre Themen diskutieren.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Ich freue mich darauf, gemeinsam mit den Kindern und Ju gendlichen an ihren Zielen weiterzuarbeiten.

Vielen Dank.