Protocol of the Session on June 21, 2017

Deswegen nimmt die Landesregierung das sehr ernst und ich persönlich auch; ich bin von Haus aus Biologe, und eigent lich war das der Grund, warum ich die Grünen mitbegründet habe. Es ist eine Mammutaufgabe, die wir entschlossen anpa cken und bei der wir einen politischen Schwerpunkt setzen.

Wir haben das Ziel: Wir wollen erhalten, was uns erhält. Un sere Enkel und Urenkel sollen die gleiche Schönheit, die glei che Vielfalt, den gleichen Reichtum an Natur vorfinden, wie wir ihn vorgefunden haben. Dafür müssen wir Verantwortung übernehmen. Das tut diese Landesregierung.

Jede einzelne Art hat einen Wert an sich. Was gibt uns das Recht, zu entscheiden, was aussterben darf und was nicht? Was gibt uns das Recht, Pflanzen- und Tierarten sozusagen in die Geschichtsbücher der Kinder zu verbannen? Dieses Recht gibt es nicht, sondern wir haben die Verantwortung, die Na tur zu bewahren und zu schützen. So steht es auch in unserer Landesverfassung.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Ich möchte das an einem Beispiel veranschaulichen, das sich in den letzten Jahren direkt vor unserer Haustür abgespielt hat. Das war die Rettung des Wanderfalken.

(Der Redner hält ein Foto hoch.)

Früher war er bei uns weit verbreitet. In den Sechzigerjahren stand er plötzlich vor dem Aussterben. Baden-Württemberg gehörte zu den Ländern, wo er überhaupt noch mit ganz we nigen Exemplaren überlebt hat. Es war also wirklich fünf vor zwölf für den Wanderfalken. Heute können wir diesen elegan ten Flugkünstler wieder beobachten. Wir haben heute wieder 260 Revierpaare.

Die Entwicklung des Wanderfalken zeigt: Wir müssen das Aussterben von Tierarten nicht einfach hinnehmen. Wir kön nen auch etwas dagegen tun. Es geht darum, dass wir diese Aufgabe ganz entschlossen anpacken und angehen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Warum? Weil es einfach eine Lebensversicherung für uns und zukünftige Generationen ist. Wir haben dieser Vielfalt letzt lich zu verdanken, dass unsere Böden fruchtbar bleiben und unsere Ernährung gesichert ist. Wenn wir diese Lebensgrund lagen – da gehört das Wort einfach gesagt – zerstören, sind wir irgendwann selbst bedroht. Der alte Satz stimmt eben: Die Natur kann natürlich ohne uns auskommen, aber wir nicht oh ne die Natur.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Wenn man einmal einen Blick nach draußen wirft und sieht, wie in China Wanderarbeiter mit Wattestäbchen Obstplanta gen bestäuben oder Forschungsprojekte aufgelegt werden, die Bestäubungsdrohnen entwickeln, dann muss ich sagen: Das kann ja wohl nicht unsere Zukunft sein.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Zuruf der Abg. Carola Wolle AfD)

Dieses Beispiel zeigt auch, dass die Natur eine enorme öko nomische Leistung für uns kostenlos erbringt. Forscher bezif fern den Wert der Bestäubungsleistung bei Kulturpflanzen al lein in Europa auf über 20 Milliarden € pro Jahr.

Aber denken wir z. B. auch an den Tourismus. Wir verdanken dem Tourismus 330 000 Arbeitsplätze in unserem Land, eine Wertschöpfung von über 10 Milliarden € im Jahr. So einen Tourismus gibt es nicht ohne schöne, vielfältige Landschaf ten. Das ist ja jedem bewusst. Man sieht auch: Eine intakte, vielfältige, reiche Natur ist durchaus auch ein Wirtschaftsfak tor.

(Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Nicole Raza vi und Raimund Haser CDU)

Aber letztlich ist sie noch mehr, für mich auf jeden Fall. Na turschutz ist einfach auch Pflege und ein Stück Heimat. Ich denke, damit hat er auch eine wichtige gesellschaftliche Be deutung. Für viele von uns ist Heimat ja nicht nur ein Gefühl, sondern auch ein ganz konkreter Ort, ein Ort, an dem wir auf gewachsen sind, ein Ort, an dem wir leben.

Ich z. B. fühle mich immer beheimatet, wenn ich den hellen Jura der Schwäbischen Alb sehe. Dann umgibt mich ein Ge fühl von Heimat, weil ich da aufgewachsen bin. So geht es vielen Menschen, dass sie einfach auch mit konkreten Orten Heimat verbinden und dass dieses Gefühl dazugehört. Das heißt, Naturschutz ist auch Heimatschutz im besten Sinn des

Wortes, und er trägt auch mit zum Zusammenhalt unserer Ge sellschaft bei.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Ich glaube, gerade in einer globalisierten, komplexen Welt wird es auch wichtig, dass wir sozusagen Bodenhaftung ha ben, und nur, wer das hat – unsere mittelständische Industrie ist dafür ein gutes Beispiel, verwurzelt an ihren eigenen Stand orten –, kann dann auch weitläufig in die Welt ausströmen. Das ist, glaube ich, etwas, was wir hier gut pflegen können. Dazu gehört auch die Verwurzelung in unseren wunderbaren Kulturlandschaften.

Deswegen, meine Damen und Herren, will die Landesregie rung den Naturschutz kraftvoll und beharrlich voranbringen. Ich möchte kurz ein paar Maßnahmen nennen. Wir investie ren so viele Mittel wie noch nie in den Naturschutz. In der letzten Legislaturperiode haben wir die Mittel verdoppelt, und wir werden sie Schritt für Schritt noch weiter erhöhen. Wir haben die modernste Naturschutzstrategie Deutschlands. Sie reicht vom Moorschutzprogramm bis zu der Pflege von Streu obstwiesen. Wir setzen dieses ehrgeizige Arbeitsprogramm um.

Unser Nationalpark im Nordschwarzwald entwickelt sich zu einem echten Erfolgsprojekt. Kürzlich durfte ich mit den Grundstein legen für 10 000 ha, in denen sich die Natur frei entwickeln kann. Das ist, glaube ich, wirklich faszinierend und alles andere als ein Prestigeobjekt. Das ist einfach ein kleines Stück Wald, das man sich selbst überlässt. Auch das wird gute Effekte haben, und man sieht, die Akzeptanz der Bevölkerung – der Widerstand war ja damals sehr groß – ist sehr, sehr stark gestiegen. Ich garantiere Ihnen, Herr Kollege Glück, sie wird weiter steigen, und die Menschen werden sehr bald froh und glücklich sein, dass sie dieses Projekt haben. Davon bin ich persönlich überzeugt, und die Umfragen zei gen es auch.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Aber jetzt ist auch mit dem Biosphärengebiet Schwarzwald noch ein zweites Großschutzgebiet dieser Art anerkannt wor den, nachdem mein Vorgänger Oettinger schon das Biosphä rengebiet Schwäbische Alb ins Leben gerufen hat. Auch da für möchte ich dem Kollegen Untersteller sehr herzlich dan ken, ebenso den anderen Kollegen, die dafür gesorgt haben. Auch das ist ein ganz wichtiger Punkt, diese wunderbaren Kulturlandschaften besonders vorbildlich zu pflegen und zu erhalten.

Wir haben jetzt schon in 33 Landkreisen Landschaftserhal tungsverbände etabliert. Das ist eine ganz entscheidende und wichtige Weichenstellung für die bestmögliche Pflege der Kul turlandschaften. Wir schaffen einen landesweiten Biotopver bund auf mindestens 10 % der Landesfläche. Auch in der Landwirtschaft werden wir weitere Maßstäbe setzen mit un seren Agrarumweltprogrammen, die wir gerade besprechen und modernisieren, mit der Stärkung des Ökolandbaus – in zwischen sind rund 10 % der Flächen ökologisch bewirtschaf tet – sowie mit einer gentechnikfreien Landwirtschaft.

Darüber hinaus wird die Landesregierung weitere Maßnah men auf den Weg bringen, um die biologische Vielfalt zu schützen. Ich habe deswegen die beiden Minister Unterstel

ler und Hauk gebeten, dass sie gemeinsam konkrete Vorschlä ge erarbeiten, die wir dann im Herbst vorlegen können.

(Zuruf der Abg. Gabi Rolland SPD)

Denn es ist, glaube ich, ganz besonders wichtig, in den Blick zu nehmen, dass natürlich die bäuerliche Landwirtschaft, die wir in unserem Land Gott sei Dank haben, mit die Grundlage für die Offenhaltung und Pflege der Landschaften ist. Dass wir sie auch zukunftsfähig machen und erhalten, das ist, glau be ich, für den Naturschutz das ganz Entscheidende.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Meine Damen und Herren, das Artensterben ist leider ein stil ler, schleichender Prozess, den man nicht immer ohne Weite res bemerkt. Er macht in der Regel auch keine großen Schlag zeilen. Aber nur, weil ein Thema nicht in den Schlagzeilen steht, ist es nicht weniger relevant, nicht weniger drängend und nicht weniger existenziell. Im Gegenteil: Gelingt es uns nicht, wirkungsvoll gegenzusteuern, dann werden unser Pla net und unsere Zivilisation in einigen Jahrzehnten nicht mehr so sein, wie wir sie kennen.

Natürlich ist unser Handeln eingebettet in eine Politik der Nachhaltigkeit insgesamt. Es ist klar: Alle Maßnahmen, die wir gegen den Klimawandel ergreifen, dienen selbstverständ lich auch der Artenvielfalt. Wenn die Klimaerwärmung über 2 Grad Celsius hinausgeht, dann wird dies die Zivilisation auf unserem Erdball dramatisch verändern, und es wird auch die ganzen Landschaften dramatisch verändern. Insofern hängt es natürlich zusammen, Herr Kollege Glück, dass man sich da rum genauso kümmern muss. Das ist ganz entscheidend wich tig.

Darum gestalten wir den Prozess der Automobiltransformati on, der hin zur Elektromobilität, hin zu Nullemission stattfin det.

(Lachen des Abg. Emil Sänze AfD – Abg. Anton Ba ron AfD: Haben Sie die CO2-Bilanz schon mal be trachtet?)

Das ist das erklärte Ziel von uns, der Landesregierung, aber auch von der Automobilindustrie. Selbstverständlich ist das auch wichtig im Zusammenhang mit dem Thema, das wir heu te bearbeiten. Ich habe Ihre Polemik gar nicht wirklich ver standen; die fand ich etwas fehl am Platz.

(Beifall bei den Grünen – Glocke des Präsidenten)

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Bullinger?

Bitte schön, Kollege Dr. Bullinger.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Jetzt kommt eine Frage zu Streuobstwiesen in Schwäbisch Hall!)

Herr Ministerprä sident, Sie haben die Gesamtsituation sehr umfänglich be schrieben. Ich darf nur sagen: Ich war gestern noch zehn Stun den im Münsterland, habe mir dort in einer Exkursion auch

die Natur angeschaut. Heute Morgen um halb fünf am Fisch weiher bei mir zu Hause habe ich mit der Natur den Tag be gonnen.

Sind Sie nicht auch der Auffassung, dass wir es in erster Li nie – das hat mir etwas gefehlt – den Bauern und Bäuerinnen, den Waldbauern in unserem Land zu verdanken haben, die über Jahrhunderte die Kulturlandschaft nachhaltig bewirt schaftet haben, weil sie davon leben und leben wollen und dies weitergeben wollen?

Weiter möchte ich von Ihnen, Herr Ministerpräsident, gern wissen, ob Sie die Auffassung teilen, dass wir auch in der Flur neuordnung große Fortschritte gemacht haben. Das Ausbeu ten der Landschaft hat aufgehört. Heute haben wir nach Ab schluss der Flurneuordnung wesentlich mehr Natur als vor her.

Vor allem möchte ich von Ihnen wissen, ob es nicht gelegent lich erforderlich ist, in einer so dicht besiedelten Landschaft wie der unsrigen dort, wo der natürliche Feind fehlt, auch ent sprechend einzugreifen, zu korrigieren. Wir haben den tollen Biber fast nicht mehr gesehen. Jetzt haben wir über 3 000 Bi ber; er ist teilweise eine Landplage. Wir haben eine Wild schweinplage und eine Kormoranplage. Sind Sie nicht der Auffassung, dass man da tatsächlich das eine oder andere in der Landespolitik ändern muss, um Korrektur und Harmonie in das Ganze zu bringen?

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Udo Stein AfD – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Erst einmal, Herr Kollege Bullinger, habe ich meine Rede damit begon nen, dass der Reichtum der Kulturlandschaften ein Produkt von Jahrhunderten der Bewirtschaftung ist. Das ist überhaupt gar keine Frage.

Die entscheidende Frage ist: Wie sieht die Bewirtschaftung heute aus? Ist sie naturfreundlich genug? Offenkundig nicht; denn sonst wären wir nicht in der Situation, in der wir sind.

(Vereinzelt Beifall bei den Grünen)

Also dürfen wir doch durch das Ziel, das Sie genannt haben, Herr Kollege Haser, nämlich eine Landwirtschaft zu erhalten, die produktiv ist und die Nahrungsmittel erzeugt, die wir al le auf der Welt brauchen, das andere Ziel, artenreiche Kultur landschaften zu erhalten, nicht gefährden. Das ist die große Herausforderung, vor der wir stehen.