Sehr geehrter Herr Prä sident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Auflösung der EU ist dank der Weitsicht der französischen und der nie derländischen Wähler verhindert worden, auf jeden Fall auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Einen Sieg Le Pens in Bezug auf Europa mag man sich gar nicht vorstellen. Dieses Damoklesschwert schwebte über Europa, obwohl niemand – auch nicht die Politik und die Presse – wohl so richtig daran geglaubt hat.
Für uns Freie Demokraten als überzeugte Europäer ist klar: Seit 70 Jahren ist Europa immer die Zukunft. 500 Millionen Menschen leben in friedlicher Kooperation in einem der wohl habendsten Wirtschaftsräume der Welt. Die EU ist der Ort, wo Menschen auf 4 Millionen km2 eine einzigartige Vielfalt von Kulturen, Ideen und Traditionen genießen können.
Europa ist eine der wenigen Regionen der Welt, wo der Rechts staat das Faustrecht abgelöst hat. Es ist ein Ort des friedlichen Zusammenlebens, des freien Handels, der Freizügigkeit, des freien Personenverkehrs, des freien Kapital- und Dienstleis tungsverkehrs – eben der vier Grundfreiheiten, die die EU als freiwilligen Zusammenschluss von souveränen Staaten ein zigartig in der Welt machen.
Es ist wie im richtigen Leben: Was man schon lange besitzt, wird nicht mehr wertgeschätzt. So ähnlich kommt mir das ver antwortungslose Gerede über Europa, dessen Zukunft und auch dessen Entwicklung vor. Natürlich: Der souveräne, selbst verfasste Nationalstaat ist immer noch ein Erfolgsmodell, und der multinationale Rechtsstaat Roms mit römischem Bürger recht auch in den entferntesten Provinzen leuchtet leider nur wie ein ganz schwaches Licht aus der Vergangenheit auf die heutigen Staaten Europas.
Wenn uns, sehr geehrte Damen und Herren, doch sehr viel mehr bewusst wäre, dass Europa keine geografische Einheit darstellt, sondern seine kulturelle Identität auf der Aufklärung und auf den Hügeln von Golgatha, des Areopags und des Ka pitols begründet worden ist, dann würden die Politiker sich
Aber unabhängig von solchen Bemerkungen: Auch aus rein pragmatischen Gründen brauchen wir ein geeintes Europa. Das Gewicht Europas nimmt in dem Maße ab, wie andere Tei le der Welt wachsen. Im Jahr 1900 lebte rund ein Viertel der Weltbevölkerung in Europa. 2060 werden es weniger als 5 % sein. Keiner der Mitgliedsstaaten wird dann mehr als 1 % der Weltbevölkerung stellen.
Ich hoffe, sehr geehrte Damen und Herren, dass der Auftritt von Trump in Brüssel und in Sizilien ein Weckruf für die EU war.
Wie soll denn in Zukunft die Stimme Europas im Konzert der Großen gehört werden? Doch nicht dadurch, dass man Euro pa nur als einen großen Besteuerungs- und Versicherungsver ein betrachtet, als Bürokratiemonster,
das uns Vorschriften für die tägliche Lebensführung macht. Ich will ja nicht von einem europäischen Bürgerrecht spre chen. Aber im Grunde muss sich die EU in diese Richtung entwickeln.
Dazu gehört natürlich eine gemeinsame Außen- und Sicher heitspolitik. Ferner darf keine Rosinenpickerei betrieben wer den, und Rechte und Pflichten müssen nach Gesetz und nach Absprachen befolgt werden.
Natürlich sträuben sich zurzeit noch die Nackenhaare, wenn Herr Macron ein europäisches Finanzministerium fordert.
In gleicher Manier könnte die deutsche Bundesregierung z. B. fordern, den französischen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu eu ropäisieren. Dafür ist die Zeit noch nicht reif. Aber eigentlich, sehr geehrte Damen und Herren, muss sich Europa genau in diese Richtung entwickeln.
(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr richtig!)
Ein Punkt scheint mir in dieser Diskussion ganz wichtig; da müssen wir Deutschen immer sehr diplomatisch vorgehen. Ressentiments gegenüber den Deutschen sind in manchen Hauptstädten Europas noch verbreitet. Wir müssen auf jeden Fall dafür sorgen, dass die EU nicht als ein deutsches Projekt zur Hegemonisierung Europas gesehen wird.
60 Jahre Römische Verträge, 70 Jahre Frieden und Zusam menarbeit in Europa, die vier Grundfreiheiten verteidigen, souveräne Rechte nicht einschränken, den Bürgern erklären,
dass die EU mehr ist als eine Freihandelszone, die kulturelle Vielfalt bewahren, Lasten, Rechte und Pflichten gerecht ver teidigen, sich in Not gegenseitig unterstützen – das war und ist die Zukunft der EU.
Ganz zum Schluss, sehr geehrte Damen und Herren, ein Ce terum censeo: Die EU ist in allererster Linie ein Friedenspro jekt.
(Beifall bei der FDP/DVP, Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Jürgen Filius GRÜNE und Andreas Kenner SPD)
Sehr ge ehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Euro pa ist verstärkt in aller Munde, und das ist gut so. Dies zeigt, dass die aktuelle Stimmungslage, die Krisen in Europa und auf der ganzen Welt dazu geeignet sind, innerhalb Europas für ein neues europäisches Verständnis zu werben. Und wenn am Ende dieses schwierigen Prozesses auch die Erkenntnis Platz greift, dass wir zu dem gemeinsamen Projekt eines friedlichen und freiheitlichen Europas mehr denn je und bewusst stehen müssen, hat diese krisenhafte Situation durchaus ihren Sinn.
Europapolitik ist in diesen Tagen mehr als Fachpolitik, Euro papolitik ist in diesen Tagen ein Stück Weltpolitik. Denn es geht längst nicht mehr nur um die Herausforderungen im In nern, um die innereuropäischen Probleme, es geht um unse ren Platz in der Welt.
Der G-7-Gipfel in Taormina auf Sizilien hat allen vor Augen geführt, dass wir gerade eine zumindest vorübergehende Zei tenwende erleben. Der Westen, wir, die freien Demokratien und Rechtsstaaten der westlichen Welt, stehen seit dem Amts antritt des neuen amerikanischen Präsidenten vor einer unge wohnten Situation. Unser stärkster Partner ist dabei, in wich tigen Politikfeldern aus der seit Jahrzehnten gewohnten Pha lanx des Westens auszuscheren und teilweise sogar auf Kon frontationskurs zu gehen.
So sendet der amerikanische Präsident in der Verteidigungs politik verstörende und widersprüchliche Signale, und beim Handel oder beim Klimaschutz rührt er am Bestand gemein samer Überzeugungen und Werte. Der trumpsche Ruf „Ame rica first“ klingt in europäischen Ohren nach Abschottung und Isolationismus.
Unsere Bundeskanzlerin hat in diesen Tagen zutreffend ge sagt: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlas sen konnten, sind ein Stück weit vorbei.“ Und weiter: „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“ Das ist der klare Auftrag, uns nicht darauf zu verlassen, dass andere uns folgen. Europa muss sein Schick sal in die eigene Hand nehmen. Das ist die Herausforderung, das ist aber auch die Chance in dieser schwierigen Zeit.
Unsere europäische und bislang auch transatlantische Tradi tion setzt auf Zusammenarbeit und Partnerschaft, setzt darauf, dass freie Völker und demokratische Staaten zusammenste hen, ihre Werte und Interessen gemeinsam verteidigen und da mit ein Beispiel geben. Wenn die USA diesen Weg nun zu mindest vorläufig nicht mehr mitgehen wollen, dann kommt es noch mehr auf uns Europäer an, darauf, dass wir unbeirrt an unseren Überzeugungen festhalten.
Meine Damen und Herren, wenn wir in diesen Prozess – Kol lege Hofelich hat es angesprochen – eines „Mehr Europa“ in bestimmten Bereichen eintreten, dann sind wir uns abstrakt häufig einig. Schwierig wird es dann, wenn es konkret wird, wenn es um Details geht. An unseren Überzeugungen festhal ten – dazu gehört für mich auch das Eintreten für freien Han del und wirtschaftliche Partnerschaft. Wir in Europa, in Deutsch land und in Baden-Württemberg gehören zu den Gewinnern des Freihandels.
Gerade Baden-Württemberg als Exportregion, gerade die Un ternehmen und die Arbeitnehmer bei uns im Land profitieren in hohem Maß davon. Wenn sich die US-Amerikaner abschot ten wollen – womit sie übrigens Zehntausende von Jobs, die deutsche Firmen in den USA geschaffen haben, gefährden würden –, dann müssen wir Europäer ein Zeichen gegen die sen Isolationismus setzen.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Vereinzelt Beifall bei der SPD – Abg. Willi Stächele CDU: Sehr richtig!)
Dazu gehört, dass wir uns handelspolitisch breit aufstellen. Es laufen Verhandlungen mit den Mercosur-Staaten Südameri kas sowie mit Japan. Selbst mit China gibt es in Sachen Frei handel inzwischen mehr und mehr Gemeinsamkeiten. Doch was könnte ein deutlicheres Zeichen in Richtung Washington sein, als wenn wir Europäer nun mit dem nordamerikanischen Nachbarn der USA, mit Kanada, enger zusammenrücken wür den?
Ich sage das bewusst, auch in Kenntnis der durchaus differen zierten Positionen, die auch innerhalb dieser Landesregierung bestehen. Aber wäre CETA nicht ein kraftvolles Zeichen eu ropäischen Selbstbewusstseins in dieser Situation?
Dieses Abkommen würde zeigen, wie faire Handelsbeziehun gen gestaltet werden können. Es würde zeigen, dass die trans atlantischen Beziehungen zumindest zu Kanada funktionie ren und dass die trumpschen Abschottungstendenzen auf bei den Seiten des Atlantiks abgelehnt werden.
Ich wünsche mir deswegen, dass CETA endlich vom Bundes tag verabschiedet wird und wir damit dann im Bundesrat die Chance haben, über dieses Abkommen zu befinden.