Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Kollegen Abgeordnete! In meiner Rede im Rahmen der Ersten Beratung dieses Gesetz entwurfs bin ich auf die Wiedereinführung der Grundschul empfehlung eingegangen, die wir grundsätzlich begrüßen. Al lerdings wünschen wir uns hier – wie es meist bei Vorschlä gen aus unseren Reihen der Fall ist – grundsätzlich mehr Ver bindlichkeit.
In meiner heutigen Rede geht es um einen anderen Aspekt der geplanten Gesetzesänderung, nämlich um die angebliche Stär kung der Realschule. Ich erwähnte es bereits: Der Konflikt, der tragische Konflikt zwischen Grünen und CDU ist nicht kraft menschlicher Handlungen zu lösen. Gegensätze ziehen sich eben nicht immer an, auch nicht mit vielen warmen Wor ten.
Dies versucht man hier in Gestalt zusätzlicher Lehrerdeputa te zur Leistungsdifferenzierung innerhalb der Grundschulen zu erreichen. Das soll dann eine Stärkung der Realschule sein! Das ist eine Illusion. Woher sollen die Lehrer dafür kommen? Auch darüber wurde im Ausschuss wie auch hier schon dis kutiert.
Meine Damen und Herren, wir haben während der Haushalts debatten gezeigt, dass uns Bildung etwas wert ist. Wir haben gezeigt, dass wir in die Bildung der Kinder investieren wol len – aber bitte mit Sinn und Verstand. Wenn man zuerst ver sucht, die Hauptschüler in die Realschulen zu integrieren, so dass sie flächendeckend von Realschullehrern unterrichtet werden müssen, und danach in diesen Schulen wieder Son derklassen einrichtet, dann hat man wieder einmal richtig gut investiert. Deshalb: Viele gute Reden für einen angeblich gu ten Zweck.
In Wirklichkeit mangelt es an Konsequenz und Verbindlich keit; es mangelt an Konsequenz hin zu einer echten Leistungs orientierung.
Wir tun den Schülern – das ist meine feste Überzeugung – mit dieser Maßnahme keinen Gefallen. Denn es wird, wenn das Gesetz tatsächlich verabschiedet wird, auch hier zu einer so genannten Stigmatisierung, einer angeblichen Stigmatisie rung, der weniger erfolgreichen Schüler auch innerhalb der Realschule kommen.
Der schöne Neusprech „passgenaue Angebote“ ist so hübsch, wie er falsch ist. Denn es wäre richtiger, den begabten, den passenden Schüler auf die Realschule zu schicken, als die Schule so umzukrempeln, dass sie es allen Schülern recht ma chen soll,
und zwar durch unterschiedliche Leistungsanforderungen in einer Klasse und durch die Idee – diese ist ebenfalls genauso hübsch wie falsch –, dass alle Schüler das Klassenziel errei chen können.
Das gilt auch für die sogenannte Orientierungsstufe. In den Klassen 5 und 6 kann man nicht – jetzt habe ich von Frau Bo ser etwas gelernt – „abgeschult“ werden; man kann also nicht mehr sitzenbleiben. Das ist auch so ein schöner Neusprech für ein und dieselbe Angelegenheit.
(Abg. Sandra Boser GRÜNE: Nein! Das ist etwas ganz anderes! Es geht nicht um Sitzenbleiben! – Ge genruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das kapiert er einfach nicht!)
Durch die vielen Schüler an der falschen Schule sind bekannt lich die Sitzenbleiberzahlen – vorhin ist es schon erwähnt wor den – in hohem Maß angestiegen. Woran liegt das? Meine Da men und Herren, es gibt – man glaubt es kaum – auch faule Menschen und faule Schüler, die einen Motivationsschub be nötigen. Außerhalb dieses Hohen Hauses würde man hier von einem Tritt in den Hintern sprechen; hier darf man das so na türlich nicht sagen. Dies könnte die Drohung des Abschulens, des Sitzenbleibens oder des Schulwechsels auf eine andere Schulform sein.
Meine Damen und Herren, es ist leicht, den Schwarzen Peter, das Versagen, immer anderen, nämlich der Gesellschaft, dem Staat oder hier der Schule, zuzuschieben.
Besser wäre es, Leistungsanforderungen als gegeben anzu nehmen und von den Kindern und den jungen Leuten zu er warten oder zu verlangen, dass sie die Leistungsanforderun gen einlösen.
Es ist unsere Aufgabe als Politiker, als Eltern und als Lehrer, den jungen Leuten, den Schülern eine positive Leistungsmo tivation für ihr Leben und eine sportliche Einstellung zu den Noten mitzugeben. Den meisten Schülern wird eine objekti ve Leistungsmessung auch einen Motivationsschub bringen.
Wir sollten auch die Schüler nicht unterschätzen. Wir tun ih nen und auch anderen Menschen keinen Gefallen, wenn wir sie in Watte packen. Spätestens im Studium oder im Berufs leben werden sie der Realität mit ihrem Erfolgsdruck und mit ihrem Leistungsdruck ausgesetzt werden. Dafür müssen wir sie fit machen.
Eine wirkliche Stärkung der Realschule wären eine verbind liche – verbindliche! – Grundschulempfehlung, eine konse quente Leistungsorientierung und ein klares Profil der Haupt- und Werkrealschulen für praktisch Begabte. Die vorgeblich freie Entscheidung der Erziehungsberechtigten – der lieben Eltern natürlich –, unberührt von der Grundschulempfehlung, ist meines Erachtens ein Fehler.
Die Leistungsdifferenzierung innerhalb der Realschule in ei ner Klasse ist der falsche Weg. Sie belastet unnötig den Staats haushalt und wird zu einem Leistungsabfall der leistungs stärksten und bewährtesten Schulform, nämlich der Realschu le selbst, führen.
Mit diesem Gesetzentwurf wird allerdings – das ist das Posi tive – ein Teil des grün-roten Unfugs aus der vergangenen Le gislaturperiode zurückgenommen.
Wir können deshalb diesem Gesetzentwurf durchaus zustim men. Er ist ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch ein sehr, sehr kleiner.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen, liebe Kollegen! Das Vorgehen der grün-schwarzen Landesregierung, nun die Eltern zu zwingen, diese nicht bin dende Grundschulempfehlung der weiterführenden Schule vorzulegen, ist keine Korrektur, das ist ein Rückschritt. Das haben wir ja gerade vom Kollegen von der AfD gehört.
Diese Kehrtwende bringt weder den Schülern etwas noch den Eltern noch den Lehrern. Sie hat keinerlei pädagogischen Mehrwert. Sie offenbart vielmehr das Misstrauen der Kultus ministerin gegenüber den Eltern und entfernt sich zugleich vom Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit, der unter Grün-Rot eingeschlagen wurde.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, hier lohnt sich schon ein Blick über den Tellerrand. Die verbindliche Grundschulemp fehlung ist ja in fast allen Bundesländern abgeschafft worden, und die Landesregierungen dort vertrauen schon auf die Wahl der Eltern. Sie kennen das Beispiel mit dem Modellversuch aus Schleswig-Holstein. Bevor dort die verbindliche Grund schulempfehlung abgeschafft wurde, gab es ein Projekt, bei dem die Empfehlung der abgebenden Grundschule unter Ver schluss gehalten wurde und die Lehrkräfte der weiterführen den Schule erst nach einem halben Jahr zum Leistungsstand der Schüler befragt wurden. Und siehe da: Das verblüffende Ergebnis war, dass genau ein Drittel der Kollegen der weiter führenden Schule die Meinung der abgebenden Grundschule geteilt hat.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das muss uns doch ein fach zu denken geben. Liebe Sandra Boser, liebe Grüne, wir haben dieses Thema doch ausführlich besprochen. Es gibt kei ne neuen Erkenntnisse. Da würde ich mich ja gern wiederho len, wenn es die Zeit zuließe.
Sie haben sich doch im Wahlprogramm nicht nur ein Mal, son dern gleich drei Mal mit der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung gebrüstet. Sie betonen vollmundig, wie wichtig es war, die Rolle der Eltern zu stärken, und wie wunderbar sich das partnerschaftliche Verhältnis zwischen El tern und Lehrern seither entwickelt hat. Sie loben, dass es in Gesprächen nun um die Zukunft der Kinder und ihre indivi duelle Lern- und Leistungsentwicklung gehe, und Sie frönen der Aussage, dass der Auslese nach sozialen Kriterien ein En de bereitet worden sei und nun die Potenziale der Kinder zähl ten.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen insbesondere von den Grü nen, nun nehmen Sie trotz stabiler Übergangszahlen und ver antwortungsvoller Entscheidungen der Eltern unsere gemein same Maßnahme zurück. Sie behaupten, ohne mit der Wim per zu zucken, alles bleibe gleich. Denkste, kann ich da nur sagen. Wenn im Wahlprogramm der Grünen steht: „Die Grü nen halten Kurs in der Schulpolitik“, mutet das wie ein schlechter Scherz an. Sie knicken bei fast jedem kontrover sen Thema ein und opfern bereitwillig die Erfolge der grünroten Regierungszeit auf dem Altar dieser Komplementärko alition.
Von der CDU war mit Blick auf die Grundschulempfehlung ja nichts anderes zu erwarten. Dass die CDU die Grundidee von Bildungsgerechtigkeit bis heute nicht verstanden hat, lie be Kolleginnen, liebe Kollegen, das zeigt Ihre Vision von der Realschule, wie sie Kollege Röhm vorgetragen hat.
Frühe Selektion manifestiert gesellschaftliche Unterschiede. Es ist nicht gerecht, wenn Bildungsbiografien von Kindern aus bildungsfernen Familien durch strukturelle Entscheidun gen erschwert werden.