Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Europa steht vor seiner größten Bewährungsprobe. Das sagt einem der Blick in die Zeitungen, das sagt einem auch das eigene Gefühl. Das ist völlig klar. Es ist auch klar, dass vor dem Jubiläum der Rö mischen Verträge keine Feierlaune aufkommt, wie man den Zeitungen entnehmen kann. Aber es ist doch so, dass wir gleichzeitig spüren, dass sich in diesen Wochen etwas tut.
Ich finde, der heutige Bericht gibt Anlass, auch über das Po sitive zu sprechen. Europa hat auch, wenn das auch nicht voll spürbar ist, wieder etwas Rückenwind. Darauf deuten auch externe Ereignisse wie die Wahl des US-Präsidenten hin. Sei ne Töne, die er von sich gibt, haben in Europa eine Haltung hervorgerufen, die lautet: Wir lassen uns nicht auseinanderdi vidieren – weder von Herrn Putin noch von der chinesischen Führung noch vom neuen amerikanischen Präsidenten.
Das Aufkommen der rechtspopulistischen Bewegungen in Eu ropa hat auch gezeigt, dass wir nicht mehr starr vor Schreck sind bei dem, was da ist, sondern dass wir mit einer republi kanischen Gesinnung dagegenhalten, meine Damen und Her ren.
Die fünf Szenarien, die Herr Juncker nun endlich in seiner Zeit als Chef der Kommission auf den Tisch gelegt hat, zei gen, dass für den einfachen Bürger, der sich für Europa so in teressiert, wie er sich eben interessieren kann, Optionen da sind und Europa nicht nur über ihn kommt. Deswegen ist es vielleicht endlich auch Zeit für eine europapolitische Debat te in unserem Land darüber, welches Europa wir wollen.
Alles das führt zusammen, meine Damen und Herren, und zeigt, dass wir auch die Zeit der Larmoyanz über Europa hin ter uns lassen sollten, dass wir ein erwachsenes Europa haben – wie es ein Leitartikler gefordert hat – und dass wir in Ba den-Württemberg im Zentrum Europas eine Haltung zu Eu ropa haben, die zeigt, dass Baden-Württemberg d i e pro europäische Haltung auf diesem Kontinent hat, meine Damen und Herren.
In dieser Situation fragt man sich schon, was die baden-würt tembergische Landesregierung dazu beiträgt, nachdem Dinge in Bewegung gekommen sind.
Ich lobe von diesem Platz aus nicht zum ersten Mal den heu te nicht anwesenden Herrn Wolf dafür, dass er sich persönlich hineinhängt, dass er Akzente setzt. Aber ich muss auch fest stellen: Wir haben, nachdem wir das nun seit einem Jahr be sichtigen können, kein umfassendes Ministerium für die Ver antwortung für Europa und haben auch keine Klammer um die europapolitischen Aktivitäten des Landes Baden-Würt temberg.
Wir haben in dem Etat des Landes, den wir verabschiedet ha ben, keine Stelle, an der wirklich Ausrufezeichen für Europa gesetzt wurden. Ich habe davon jedenfalls nichts gemerkt. Ent sprechende Anträge kamen nicht durch.
Wir haben kein politisches Statement dieser Landesregierung – von besonders hoch fliegenden Sätzen des Ministerpräsi denten einmal abgesehen –, wie wir uns Europa tatsächlich vorstellen, und wir haben in dieser Landesregierung von Grün und Schwarz nicht einmal eine gemeinsame Meinung zu CETA. Sie kommen in diesem Punkt nicht zusammen.
So stelle ich mir den Motor Baden-Württemberg für ein gu tes Europa nicht vor, meine Damen und Herren.
Weil das so ist, müssen wir vom Parlament aus einige The men ansprechen, die wichtig sind, die auch klar sind. Wir müs sen hier auch klare Kante zeigen. Ich will dies nur in wenigen Sätzen tun.
Eigentlich müsste diese Debatte – das will ich auch einmal sa gen, ohne jeden Vorwurf – einmal an anderer Stelle der Bera tungen in einer Parlamentssitzung stehen, weil wir diese Be fassung so brauchen, dass sie herausgehoben ist, meine Da men und Herren.
Thema „Europäischer Zusammenhalt“: Diesen Zusammen halt kann man nicht verordnen, aber man kann einmal ein paar Zeichen setzen. Ich will das in dieser jetzigen Situation sagen, weil einige Länder schon genannt worden sind. Rechtsstaat lichkeit ist neben dem Grundmotiv der Freiheit eine der vor handenen Klammern in Europa. Wenn die Rechtsstaatlichkeit etwa im Bereich der richterlichen Unabhängigkeit nicht mehr eingehalten wird, dann müssen auch klar Schranken gesetzt werden. Ich sage mit der Kommissarin, Frau Jourova, zusam men: Wer solche Standards nicht einhält, kann auf der ande ren Seite nicht erwarten, dass europäische Fördermittel wie selbstverständlich und ohne jeden Unterlass fließen. Das geht dann nicht mehr, meine Damen und Herren.
Von der Einbahnstraße zum Linksverkehr und zum Brexit: Natürlich ist der Brexit ein Einschnitt, Herr Kollege. Was ist es denn sonst, wenn ein so großer Teil aus Europa heraus bricht? Wir müssen damit jetzt umgehen, so, wie es eben ist. Aber klar ist in jedem Fall: Wenn die Option der Briten ein Freihandelsabkommen ist und nichts anderes, dann kann ich nur sagen: Viel Erfolg! 24 Monate Verhandlungszeit – das ist das, was die Verträge einräumen – werden dafür nicht reichen. Die Briten müssen wissen, dass wir eine klare Haltung haben. Wer draußen ist, ist draußen, und er hat auch keine Rosinen zu picken, meine Damen und Herren.
Afrika: Afrika ist der Kontinent vor der Haustür Europas. Wir müssen uns darum kümmern. Ich möchte schon mal sagen, dass Herr Entwicklungsminister Müller aus Berlin jetzt eine Afrika-Initiative vorgelegt hat, die eigentlich nicht viel Neu es bringt. Das Einzige, was er gemacht hat, ist, diese AfrikaInitiative ohne afrikanische Staaten und ohne Absprache mit der EU in die Welt zu setzen. Offensichtlich plant er eine rei ne Investitionsoffensive, aber keine entwicklungspolitische Perspektive für Afrika. Das wollen wir nicht. Europa muss sich um Afrika kümmern; andernfalls wird dieser Kontinent, dessen Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten weiter wach sen wird, immer ein großes Problem bleiben.
Sie wissen genau, dass die Entwicklungspolitik bei der Sozi aldemokratie immer gut aufgehoben ist und dass Ihr Minister
Deswegen unterstütze ich die fünf Szenarien, die jetzt in der Diskussion sind, Herr Präsident. Aber klar ist auch: Dieses Europa ist nicht zu reduzieren auf Binnenmarkt und Freihan del. Es geht um ein Europa mit einer handlungsfähigen Au ßenpolitik und einem sozialen Anspruch, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Räpple, nachdem Sie öffentlich und für mich hörbar meine Entschei dung kritisiert und als unverschämt bezeichnet haben, schlie ße ich Sie für den heutigen Tag von der restlichen Sitzung aus.
(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Zurufe: Sehr gut! – Abg. Stefan Räpple AfD verlässt den Plenarsaal. – Abg. Udo Stein AfD meldet sich und begibt sich zu einem Saalmikrofon. – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Herr Stein kann gleich mitgehen! – Gegenruf des Abg. Udo Stein AfD: Aber wenn andere Redner als „Esel“ be zeichnen! – Gegenruf des Abg. Dr. Friedrich Bullin ger FDP/DVP: Gleich mit raus! – Vereinzelt Heiter keit – Glocke des Präsidenten)
Sehr geehrter Herr Prä sident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich hoffe, dass ich trotz dieses kleinen Eklats doch noch etwas Aufmerksamkeit von Ihnen erheischen kann.
Sehr geehrte Damen und Herren, Europa ist in Gefahr. Es gibt viele Baustellen. Wir wissen es: Schicksalswahlen stehen be vor, in Frankreich und vor allem in den Niederlanden. Trump arbeitet an einer Schwächung der EU. Der Dollar soll die Leit währung bleiben, nach dem Motto „Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem“. Europa kann aber nicht daran interessiert sein, dass der Euro als Reserveleitwährung abge schafft wird.
„America first“, das ist auch ein sicherheitspolitisches Prob lem. Für uns, die FDP, zeigen diese Entwicklungen klar, dass wir in Europa zusammenrücken müssen. Denn nur gemein sam können wir stark bleiben.
Mehr gemeinsames Handeln heißt aber nicht, nach mehr Bü rokratie zu rufen, sondern nach Ansicht der FDP brauchen wir weniger Handeln, wenn es um Regelungen geht, aber mehr gemeinsames Handeln in der Außenpolitik, in der Verteidi gungspolitik und natürlich auch in der Wirtschaftspolitik.
Man sieht es schon an den Wahlkampfauftritten türkischer Mi nister: Es gibt in dieser Frage keine gemeinsame europäische Linie. Die Österreicher verbieten solche Auftritte, die Deut schen lassen sie durch die Kommunen verbieten und nicht durch die Regierung. So geht es nicht; so können wir nach au ßen keine gemeinsame Einheit bilden.