Deshalb möchte ich zum Schluss noch einen weiteren Aspekt ansprechen. Denn tatsächlich geht es um noch etwas: Erdo gan will nach innen und nach außen deutlich machen, wie weit sein Arm reicht. Er will unverhohlen zeigen, dass er auch hier in Deutschland die Massen in Bewegung bringt. Es geht um die gezielte expansive Einflusspolitik des türkischen Regimes auch hier bei uns. Es geht um den Machtanspruch einer Tür kei, die sich unter Erdogan „auf dem Weg in die Demokratur“ befindet, wie es der Journalist Baverez in der WELT geschrie ben hat.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, diesem demonstrativen Machtanspruch und der autokratischen Willkür treten wir ent schieden entgegen, und zwar mit der Kraft der Freiheit und mit der Kraft des Rechts.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Die angekündigten Wahlkampfauf tritte türkischer Minister in Deutschland haben in den vergan genen Tagen für große Diskussionen gesorgt. Die Kritik ist nachvollziehbar. Im April soll die türkische Bevölkerung über ein Verfassungsreferendum abstimmen. Dieses Referendum soll dem Präsidenten weitreichende Rechte einräumen. Es be steht die große Sorge, dass die Türkei in eine Diktatur abglei tet.
Wenn der türkische Präsident Erdogan in Deutschland um ein Ja bei dem anstehenden Referendum wirbt, das wesentlichen Prinzipien und Grundpfeilern unserer Werteordnung, unserer Verfassungsordnung widerspricht, dann sehen wir das als Ver such der Spaltung an. Das ändert aber nichts daran, dass wir uns der Diskussion mit ihm stellen und auch der Diskussion mit seinen Ministern stellen wollen. Denn unser Land ist ei ne gefestigte Demokratie. Unsere Grundpfeiler sind die Mei nungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Freiheit in Forschung und Lehre. Das ist unsere Werteord nung.
Es ist nicht leicht auszuhalten, dass nunmehr mit den Mitteln unseres demokratischen Rechtsstaats versucht wird, für ein politisches System zu werben, das ebendiese Freiheiten infra ge stellt. Dieser Gedanke, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht leicht auszuhalten.
Dabei ist unsere Verfassungslage klar. Wir können nicht alles, was wir nicht mögen, verbieten. Der Staat muss es aushalten, wenn Menschen ihm kritisch begegnen. In unserem freiheit lichen Gemeinwesen muss es jeder Einzelne aushalten, mit anderen Meinungen konfrontiert zu werden.
Wir in Deutschland haben großartige Freiheiten – Pressefrei heit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit. Diese ermög lichen den politischen Diskurs, diese ermöglichen gesell schaftlichen Wandel, und sie haben uns in Baden-Württem berg letztendlich auch immer wieder vorangebracht, liebe Kol leginnen und Kollegen.
Diese Freiheiten gelten hierzulande für jeden, unabhängig von Herkunft, Weltanschauung und Religion. Auch türkische Mi nister dürfen sie in Anspruch nehmen.
Mir gefallen viele Ansichten der türkischen Regierung nicht. Ich halte sie in der Sache für falsch. Aber ich stehe dazu: In
Wenn der türkische Außenminister also sagt, dass er überall hingehen könne und niemand ihn daran hindern könne, dann sagt er nichts über sich aus, sondern im Grunde über uns, über unsere Demokratie, nämlich dass unsere Demokratie stark und selbstbewusst ist.
Wir wollen Meinungen, die wir nicht teilen, nicht mit Verbo ten begegnen, sondern wir stellen uns dem Diskurs, wir stel len uns der Auseinandersetzung. Aber wir fragen auch die tür kische Regierung: Darf sich die türkische Bevölkerung über all versammeln? Darf sich die türkische Bevölkerung überall versammeln und ihre Meinung äußern? Wie sieht es mit dem Ausreiseverbot für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus?
Schauen Sie sich an: Amnesty International berichtet, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit in der Türkei per Gesetz ein geschränkt worden ist. Verstehen wir das etwa unter Freiheit und Demokratie? Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Die Polizei nimmt Inhaftierungen ohne richterliche Überprü fungen vor, es kommt zu willkürlichen Festnahmen. Kann denn so eine freie Willensbildung stattfinden? Gewährleistet der türkische Außenminister denn das, was er hier für sich in Anspruch nimmt, in der Türkei? Große Fragezeichen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
In Baden-Württemberg, in Deutschland wäre das nicht vor stellbar. Wir sind ein freiheitlicher Rechtsstaat. Wir haben ei ne gefestigte, eine wehrhafte Demokratie. Wir lösen politi schen Streit nicht durch Verbote, sondern durch Diskurs. Da her haben wir Fragen. Dürfen deutsche Politikerinnen und deutsche Politiker in die Türkei reisen und dort Wahlkampf machen? Dürfen denn unsere Politikerinnen und Politiker in Istanbul auf dem Taksim-Platz auftreten und dort kritische Worte, Worte über freie Presse und unabhängige Justiz verlie ren? Dürfen sie dort beispielsweise für religiöse Vielfalt und die gleichgeschlechtliche Ehe eintreten? Große Fragezeichen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Oder wie sieht es mit der Pressefreiheit aus? Warum gehört die Türkei zu den Ländern, in denen es weltweit die meisten inhaftierten Journalistinnen und Journalisten – Platz 151 von 180 der Weltrangliste – gibt?
Während ich hier im Landtag von Baden-Württemberg spre che, sitzt Deniz Yücel, deutsch-türkischer Journalist der WELT, in türkischer Untersuchungshaft, weil er kritisch über die Tür kei berichtet hat. Er darf eben nicht überall hingehen und al les sagen, so wie es der türkische Außenminister für sich in Anspruch nimmt. Daher ist für mich und für die grüne Frak tion ganz klar: Wir fordern die Freilassung von Deniz Yücel. Wir fordern ein rechtsstaatliches Verfahren.
Die Veranstaltung mit dem türkischen Minister in Gaggenau wurde abgesagt. Das hat aber keinen politischen Hintergrund. Ich glaube, da besteht ein Missverständnis mit der Türkei. Denn Versammlungen werden bei uns nicht abgesagt, weil sie politisch unliebsam sind, sondern sie werden dann abgesagt, wenn die Sicherheitslage als kritisch eingeschätzt wird – so, wie es eben in Gaggenau war. Dann entspricht es den Regeln unseres Rechtsstaats, dass zum Schutz der Versammlungsteil nehmerinnen und Versammlungsteilnehmer Veranstaltungen abgesagt werden. Die Stadt Gaggenau hat in meinen Augen korrekt gehandelt. Ich habe großen Respekt vor der Entschei dung von Bürgermeister Michael Pfeiffer; es war sicher kei ne leichte Situation, in der die Stadt hier stand.
Lassen Sie mich einen weiteren wichtigen Punkt ansprechen: Das Entscheidende für uns ist – und das ist das große Prob lem in dieser Diskussion –: Es gibt bislang von der deutschen Bundesregierung keine gemeinsame Türkeistrategie. Wir müs sen eine solche gemeinsame Türkeistrategie entwickeln. Denn die Türkei bleibt wichtig. Dieses Thema müssen Regierung und Opposition gemeinsam bearbeiten. Unser Bundesvorsit zender, der Stuttgarter Abgeordnete Cem Özdemir, hat für die Grünen die Bereitschaft dazu erklärt. Darüber freue ich mich, und ich rufe auch die anderen Parteien hierzu auf – CDU, SPD und FDP –,
(Abg. Karl Zimmermann CDU: Der wollte noch, dass die Türkei der EU beitritt! – Gegenruf der Abg. Be ate Böhlen GRÜNE)
Warum ist uns die Tür keistrategie so wichtig? Wir haben ein strategisches Interesse daran, dass die Türkei nicht in Richtung Russland abdriftet. Wir wollen nicht, dass in der Türkei ein fundamentaler Islam oder ein Ultranationalismus erstarkt.
Die Türkei und Deutschland – Kollege Wolfgang Reinhart hat es angesprochen – verbindet eine über viele Jahre gewachse ne, enge Freundschaft. Wir wünschen uns die Türkei weiter hin als einen starken Handelspartner, wir wünschen Koopera tionen mit türkischen Universitäten, und ebenso, Herr Minis ter Strobl, das gemeinsame Eintreten gegen den internationa len Terrorismus. Daher wollen wir die demokratischen Kräf te in der Türkei, die vielen Journalistinnen und Journalisten, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die vielen Wissen schaftler, die sich für eine kritische Auseinandersetzung stark
Unzweifelhaft ist für diplomatische Fragen der Bund zustän dig. Aber schauen wir uns an, was wir im Land machen kön nen. Frau Ministerin Bauer, Sie sind da ja vorbildhaft unter wegs. Ihr Haus hat einen Fonds für verfolgte Wissenschaftle rinnen und Wissenschaftler aus der Türkei eingerichtet.
Wir geben ihnen damit die Möglichkeit, hier bei uns in Ba den-Württemberg in Freiheit zu forschen. Ich finde, das ist in Anbetracht der aktuellen Situation ein ganz wichtiges Signal, das Baden-Württemberg in die Türkei ausstrahlt, liebe Kolle ginnen und Kollegen.
Wir müssen darüber hinaus an die vier Millionen Türken in Deutschland – teilweise sind es inzwischen ja deutsche Staats bürger, die türkische Wurzeln haben – denken. Eine halbe Mil lion von ihnen lebt in Baden-Württemberg. Die überwiegen de Mehrheit ist gut, ist sehr gut bei uns integriert. Es stimmt uns dennoch nachdenklich, wenn Menschen, die lange hier le ben, die teilweise hier auch geboren sind, empfänglich für de mokratiefeindliche Verfassungsänderungen sind.
In Baden-Württemberg werden wir diese Menschen weiter hin gut einbinden, gut integrieren. Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen zwei Staatsbürgerschaften haben können und ihnen die Einbürgerung ermöglicht wird. Für diese Einbürge rung in die deutsche Staatsbürgerschaft wollen wir aktiv wer ben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl Zimmermann CDU: Dann brauchen wir nicht die doppelte Staats bürgerschaft, Herr Kollege!)
Wir schätzen die politische Vielfalt, den politischen Streit. Beides findet auf dem Boden des Grundgesetzes statt.
Das, was uns immer zusammengebracht hat, waren die Dis kussion, der Austausch, der Streit auf Basis der freiheitlichdemokratischen Grundordnung. Deutschland ist eine starke, eine gewachsene Demokratie; die Meinungsfreiheit steht bei uns im Mittelpunkt. Genau das wünschen wir uns auch von der Türkei.