Protocol of the Session on December 14, 2016

weil wir manchmal auch eine gewisse Sitzungsökonomie ein halten.

(Unruhe)

Alles gut. – Wir haben ja tatsächlich in den letzten Wochen – – Ich kann Ihnen sagen, womit ich meinen Sommer ver bracht habe. Zum einen Teil habe ich das Land bereist und viele Institutionen – auch der Behindertenhilfe – besucht. Auf der anderen Seite habe ich, abgestimmt mit den Ländern – auch mit der grünen Familie –, versucht, dieses Gesetz zu ret ten.

In der Tat löst dieses Gesetz nicht alle Forderungen ein – alle Forderungen seitens der Länder, der Kommunen und auch der Menschen mit Behinderungen selbst –, die im Zuge des Ver fahrens an uns alle herangetragen wurden. Aber wir sehen in diesem Gesetz einen wichtigen Schritt in die richtige Rich tung.

Die Ansätze stammen in der Tat aus dem überalterten, aber natürlich auch historisch gewachsenen Fürsorgeprinzip. Ich erinnere uns immer wieder daran: Die Nazis hatten alle Men schen mit Behinderungen und mit psychischer Erkrankung er mordet – die sogenannte „T 4“-Aktion. Sie hatten das Leben dieser Menschen als unwert gebrandmarkt. Ich selbst bin in jedem Jahr am 27. Januar Zeuge, wenn im Zentrum für Psy chiatrie Weissenau 691 Glockenschläge für diejenigen erklin gen, die mit den sogenannten grauen Bussen ins Vernichtungs lager Grafeneck auf die Schwäbische Alb gebracht wurden.

Nach dem Krieg war natürlich der Fürsorgegedanke wichtig, das Ziel, dass die Menschen ein Dach über dem Kopf hatten sowie Kleidung und Medikamente bekamen. Der frühere Bil dungsminister weiß, wie lange es gedauert hat, bis Menschen mit Behinderungen ein Recht auf Schule, auf Bildung zuge sprochen wurde.

Die Menschen wurden also ermordet, ihnen wurde das Exis tenzrecht abgesprochen. Dann ging es um die Fürsorge, und jetzt hat eine Entwicklung zur gleichberechtigten Teilhabe auch von Menschen mit Handicaps eingesetzt. Man muss an dieser Stelle sagen: Das ist eine enorm positive Entwicklung dieser Gesellschaft.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP)

Denn es geht immer um Respekt und Akzeptanz des jeweils anderen. Ich glaube, das ist die Grundlage. Uns ist es gemein sam gelungen, dies als roten Faden durch dieses Gesetz zu ziehen. So sieht das Bundesteilhabegesetz eine erste positive Entwicklung bei der Teilhabe am Arbeitsleben oder bei den Vorschriften – meine Vorrednerinnen und Vorredner haben es erwähnt – zu Einkommen und Vermögen vor, wo wir deutlich bessere Freibeträge bekommen und das eigene Engagement nicht bestrafen.

Trotz unterschiedlicher Kritikpunkte haben wir im Bundes ratsverfahren wesentliche Verbesserungen gegenüber dem Bund durchsetzen können. An dieser Stelle muss ich auch Frau Nahles loben. Sie hat sich insbesondere am Schluss der Verhandlungen noch einmal sehr beweglich gezeigt – übri gens auch die Bundeskanzlerin und Finanzminister Schäub le. Auch die Länderfinanzministerinnen und -finanzminister haben einen entscheidenden Beitrag geleistet, indem sie ge sagt haben: Trotz aller Vorbehalte und finanzieller Risiken – sie machen auch noch eine Protokollerklärung oder bringen einen Entschließungsantrag ein – sehen sie die Notwendigkeit der fachlichen Verbesserung ein. Das ist schon eine große Leistung. Das muss man an dieser Stelle auch einmal würdi gen.

(Beifall bei den Grünen)

Liebe Frau Wölfle, es waren genau die Punkte, die wir – nicht nur Baden-Württemberg, sondern die G-Länder, weil diese letztendlich das Zünglein an der Waage waren – koordiniert

haben. Dass die Bundestagsfraktion der Grünen sich der Stim me enthalten hat, was auf einem wesentlich umfassenderen Gesetzentwurf basiert hat, ist auch ein großer Erfolg. Denn wir auf der Länderseite haben gesagt: „Wir sind die Umset zungsseite. Wir werden dem zustimmen.“

Genau unsere Punkte, die wir identifiziert hatten, waren auch die Kritikpunkte der Fachverbände bei der Anhörung. Übri gens war das die größte Anhörung zu einem Gesetzentwurf, die im Bundestag je durchgeführt wurde.

Die Punkte waren: Stärkung von Autonomie und Selbstbe stimmung der auf Leistung angewiesenen Menschen. Dies ge schieht jetzt durch eine partizipative Bedarfsfeststellung und Leistungsorganisation, Personen- und Wirkungsorientierung der Fachleistung sowie die Möglichkeit von Geldpauschal leistungen.

Ich nenne weiter die Ermöglichung einer qualifizierten ergän zenden Beratung, die als eine von den Leistungsträgern und Leistungserbringern unabhängige Beratung durchgeführt wer den soll und bei der im Prinzip das sogenannte Peer Counse ling, bei dem Betroffene Experten in eigener Sache sind, jetzt verbindlich eingeschaltet werden kann und diese Beratung übernehmen kann.

Des Weiteren haben wir die inklusive Systementwicklung, das heißt die Stärkung und Ertüchtigung der Regelsysteme. Dazu gehört – darauf sind wir, wie ich meine, alle sehr stolz – die Trennung der Fachleistung von der existenzsichernden Leis tung. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, auch was die Frage be trifft: Wo lebt ein Mensch?

Dann haben wir, wie schon erwähnt, insbesondere für er werbstätige Menschen mit hohem Assistenzbedarf eine deut liche Verbesserung beim Einkommens- und Vermögensein satz. Bei ihren Ehe- und Lebenspartnern werden Einkommen und Vermögen nicht berücksichtigt.

Des Weiteren wird die Teilhabe von Menschen mit Behinde rungen insbesondere am allgemeinen Arbeitsmarkt gestärkt. Hierzu gehört die Verbesserung der Übergänge von den ge schützten Werkstätten zur sozialversicherungspflichtigen Be schäftigung durch das Budget für Arbeit, das wir übrigens in der gemeinsamen Regierung in der vergangenen Legislatur periode modellhaft erprobt haben. Auf der Basis dieser Mo dellergebnisse konnte das umgesetzt werden.

Sie sehen, das Land hat mit seinen Inklusionsprojekten sehr gute fachliche Vorarbeit geleistet. Sehr wichtig ist uns auch die Aufgabe der Trennung zwischen ambulanter und stationä rer Leistungserbringung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, so weit einmal zum Inhalt des Gesetzentwurfs und zu den Verbesserungen für die Men schen in unserem Land. Natürlich bleibt die Frage der Finan zierung offen. Die Bundesregierung hatte vor Jahren ursprüng lich einmal 5 Milliarden € zur Entlastung der Kommunen für die Eingliederungshilfe versprochen. Es wurde dann in einer anderen Systematik umgesetzt.

Wir müssen immer noch – darauf haben wir uns auch gemein sam mit den Ländern verständigt – die finanziellen Auswir kungen evaluieren, weil wir feststellen müssen, welche Kos ten tatsächlich an den Kommunen und somit – wenn man das

Konnexitätsprinzip ernst nimmt – an den Ländern haften blei ben.

Natürlich wissen wir, dass das Ganze auch in einer alternden Gesellschaft mit einem stetig wachsenden Anteil von Men schen mit Behinderungen eine gesamtgesellschaftliche Auf gabe ist, die auch wieder einen großen Nutzen bringt. Wir in Baden-Württemberg sind schon besonders gut aufgestellt. Sie wissen, dass sich die tatsächliche Zunahme der Zahl der Men schen mit Behinderungen ausschließlich auf den Bereich der seelischen Behinderungen bezieht. Die Zahlen bei allen ande ren Formen von Behinderungen stagnieren und entsprechen nur der normalen Bevölkerungsentwicklung. Das gibt uns na türlich auch Anlass, darüber nachzudenken, wie wir leben.

Seit dem Jahr 2005 ist der Anteil der Menschen mit schizo phrenen Psychosen – die sind in erster Linie dafür ausschlag gebend, dass daraus eine seelische Behinderung wird – von 1,0 auf 1,2 % der Bevölkerung gestiegen. Ungefähr 480 000 Menschen sind an Krebs erkrankt; diese Zahl entspricht un gefähr der Hälfte der Zahl der Menschen, die an Psychosen erkrankt sind. Ich nenne diese Zahlen, damit wir wissen, über welche Verhältnismäßigkeiten wir reden und dass das auch wirklich in der Mitte unserer Gesellschaft stattfindet. Das sind nicht irgendwelche Ereignisse, die sich am Rand bewegen, sondern das ist tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft und betrifft uns selbst.

Da sind wir in Baden-Württemberg sehr, sehr gut aufgestellt. Kollege Poreski hat das Landes-Behindertengleichstellungs gesetz genannt. Wir haben in der letzten Legislaturperiode ge meinsam – übrigens einstimmig – das Psychisch-KrankenHilfe-Gesetz beschlossen und dabei die Rechte und auch die Bedürfnisse der Menschen in einem wunderbaren Beteili gungsverfahren in den Mittelpunkt gestellt. Dabei haben wir Politik aus der Sicht der Betroffenen gemacht.

Ich glaube, uns ist auch nicht bange. Denn wir haben mit die sen Ansätzen, mit unseren Verbünden, mit unseren Hilfeplan konferenzen im Land den Nachweis erbracht, dass die Men schen nicht immer die teuerste, die vollstationäre Lösung, son dern die individuelle Lösung haben wollen.

Ich sage Ihnen – ich bin ja auch 30 Jahre lang in diesem Ge schäft gewesen –: Der Geist dieses Gesetzes ist nicht „Viel hilft viel“, sondern „Richtig hilft viel“, was im Einzelfall na türlich auch einmal viel sein kann. Aber wir schauen genau hin.

Schließen möchte ich damit: Wir hatten ja in Baden-Württem berg unter dem damaligen Sozialminister Andreas Renner – vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch; er war nicht einmal so schlecht, aber halt ein bisschen frech –

(Vereinzelt Heiterkeit)

das Modellprojekt „Persönliches Budget“ – –

(Zurufe, u. a. Abg. Winfried Mack CDU: Da seid ihr ja Brüder im Geiste!)

Aber wir sind gut miteinander ausgekommen. Ich war ja da mals noch auf der Anbieterseite. – Wir hatten damals das Pro jekt „Persönliches Budget“ für Menschen mit Behinderungen, die für sich selbst einen geldwerten Teil – das haben wir jetzt

ins Gesetz geschrieben – für Leistungen verwenden konnten. Damals hat ein junger Mann von der Schwäbischen Alb mit geistiger Behinderung zusammengefasst: „Der Mensch braucht, was er braucht.“

In diesem Sinn: Schöne Weihnachten und ein gutes Gesetz.

Danke sehr.

(Beifall bei den Grünen und der CDU – Vereinzelt Beifall bei der AfD)

In der zweiten Runde erteile ich das Wort für die Fraktion GRÜNE Herrn Abg. Poreski.

Herr Kollege Keck, Ihr En gagement wäre deutlich glaubwürdiger, wenn die FDP/DVP nicht als einzige Fraktion in diesem Haus das Landes-Behin dertengleichstellungsgesetz abgelehnt hätte. Ihre Kritik ist tat sächlich überholt.

Weit hinter der Zeit ist auch das, was Herr Dr. Balzer gesagt hat. Ich komme ja selbst aus der Behindertenhilfe, habe inten sive Beziehungen zur Sonderpädagogik und Pädagogik ins gesamt. Ich kann Ihnen eines sagen: Diese Menschen sind stolz darauf, einen Anteil daran zu haben, dass Inklusion in diesem Land gelingen kann und auch gelingt.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Wesentlich ernster finde ich Ihre grundsätzliche Ablehnung der UN-Behindertenrechtskonvention. Auch da haben Sie ei nen Punkt nicht verstanden: Sie ist nichts anderes als eine Ver tiefung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Es geht hier um Menschenrechte – das ist tatsächlich ein „fact“; da können Sie einen Faktencheck durchführen. Die Men schenrechte haben ein ganz besonderes Charakteristikum: Sie sind voraussetzungslos. Es gibt nur eine Voraussetzung dafür, dass die Menschenrechte gelten, nämlich dass der Betreffen de ein Mensch ist. Und ohne Menschenrechte keine Demo kratie.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Da Sie sich so gern auf die Vergangenheit beziehen, möchte ich Ihnen mit einem kurzen Zitat von Konrad Adenauer ant worten, das, glaube ich, an dieser Stelle sehr treffend ist:

Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir ha ben nicht alle den gleichen Horizont.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Hockenberger.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sachlich und inhaltlich ist alles gesagt. Ich bin in der heutigen Debatte nur an einer Stelle zu sammengezuckt, nämlich als der Kollege Balzer davon ge sprochen hat – mit einem Fragezeichen versehen, wie immer –, ob wir uns bei unserer Zustimmung von einem hohen mo ralischen Impetus leiten lassen. Nein, wir lassen uns nicht von einem hohen moralischen Impetus leiten. Wir lassen uns lei

ten vom christlichen Menschenbild und von der Selbstver ständlichkeit, dass wir den Schwachen helfen müssen. Das geht nur, wenn wir die Starken stark sein lassen. Das sollte gesagt sein.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen, Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP sowie des Abg. Andreas Kenner SPD – Abg. Winfried Mack CDU: Bravo! Sehr gut!)