Protocol of the Session on October 13, 2016

Wir werden den Wandel aber nur erfolgreich meistern, wenn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitgenommen wer den und deren Beschäftigungsfähigkeit gestärkt wird. Flexi bilisierung ja, aber nicht zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Menschen im Land. Die SPD steht für gu te und sichere Arbeitsplätze.

(Beifall bei der SPD)

Erlauben Sie mir eine Warnung zum Schluss – teilweise ist es ja auch schon angeklungen –: Wer glaubt, die Debatte um die Flexibilisierung der Arbeitswelt nutzen zu können, die betrieb liche Mitbestimmung und Arbeitnehmerrechte zu schleifen, muss mit entschiedenem Widerstand der SPD-Fraktion rech nen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion der FDP/DVP erteile ich das Wort Frau Abg. Reich-Gutjahr.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein spannendes Thema: „Ar beit im Wandel – brauchen wir mehr Flexibilität?“ Arbeit im Wandel – wir tun gerade so, als wäre das zum ersten Mal der Fall. Ich meine, wir sind ja alle nicht so ganz jung. Manch ei ner von uns war auch schon in Industrieunternehmen unter wegs.

Wenn ich mir anschaue, wie sich die Arbeitswelt verändert hat, dann kann ich eines auf jeden Fall sagen: Es sind immer die neuen Technologien, die im Wesentlichen dazu beitragen, dass sich Arbeit verändert. In den Achtziger- und Neunziger jahren – blicken wir noch einmal zurück – war der Großteil der Arbeit nah an der Produktion. Wir arbeiteten mit festen Bürozeiten und in festen Schichten. Es kamen die ersten Gleit zeitmodelle. In der Fertigung gab es die ersten IT-Anwendun gen. Rückmeldesysteme zur Überwachung des Arbeitsfort schritts und die Angst vor dem gläsernen Mitarbeiter waren damals die Themen. Man produzierte noch auf Lager.

Ab den Neunzigerjahren wurde das immer weniger. Man musste bedarfsgerecht produzieren, und die neuen Techniken boten einem dazu natürlich die Möglichkeiten. Gleichzeitig aber musste man in der Arbeitszeit auch viel flexibler werden. Das Auf und Ab war ausgeprägter. Wir brauchten Modelle, die diese Aufs und Abs mit abgedeckt haben, und die Indust rie hat sich gemeinsam mit den Tarifpartnern welche geschaf fen.

Es kam zu Auswirkungen auch im öffentlichen Leben, bei spielsweise dazu, dass sich die Öffnungszeiten der Läden ver ändern mussten, weil die Leute plötzlich nicht mehr zu so star ren Zeiten gearbeitet haben, und konsequenterweise gab es auch Rückwirkungen in die gesamte andere Welt.

Schauen wir noch auf die Kommunikation: Früher haben wir Briefe geschickt, dann haben wir Faxe geschickt, dann gab es Memos – das war ein relativ starres System, das auf irgend welchen Standleitungen basierte. Dann kam plötzlich das In ternet, und man konnte mit flexibler Software und Anhängen an eine E-Mail riesige Datenmengen und Informationen ver schicken. All das hat zu einer totalen Veränderung des Mitei nanders in Betrieben und zwischen Betrieben geführt.

Unsereiner war mittendrin. Gelernt haben wir es nicht. Wir haben Learning by Doing gemacht. Man darf also ruhig auch ein bisschen darauf vertrauen, dass Mitarbeiter und Firmen gemeinsam diesen technologischen Wandel bewältigen.

Ich hatte damals die erste Kollegin, die als Controllerin we gen ihres Kindes zu Hause arbeiten wollte. Das war noch ziemlich aufwendig. Man musste daheim eine Leitung legen, und das war eine kostenintensive Sache. Aber immerhin, sie war online jeden Tag in das involviert, was direkt im Betrieb passierte. Nur von den Kaffeegesprächen war sie natürlich noch ausgeschlossen.

Jetzt können wir auch bei den Kaffeegesprächen dabei sein, denn über Smartphone und Skype sind wir sozusagen vollum fänglich präsent.

(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD)

Das hat sich total entwickelt.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Früher hat man mit dem Hirn gearbeitet, heute mit dem Zeigefinger! – Heiterkeit)

Man musste dafür die Politik nicht wirklich haben. Nichtsdes totrotz verändert die Smart Technology, die unsere Arbeits welt prägt, die Gesellschaft – wie ich gerade in der kleinen Tour d’Horizon geschildert habe. Die Geschwindigkeit des Arbeitswandels ist enorm.

Von Ihnen kamen schon sehr gute Erkenntnisse dazu; denn die Veränderungen führen automatisch dazu, dass die Arbeit nehmer heute sehr viel stärker als früher – fast wie Selbststän dige – bestimmen, wie und wo sie ihre Arbeit verrichten.

Wie verändert sich die Gesellschaft in der Zukunft? Wir ha ben einen Antrag zur Einrichtung eines Innovationsrats ein gebracht. Wir glauben, dass Politik dazu beisteuern kann, wenn sie erkennt, welche Technologien kommen und was es in einem Land braucht, damit wir an den Hochschulen die pas senden Studiengänge bereithalten können.

Ich erinnere mich an die Zeit, als das digitale Netz aufkam. Man hat noch sehr viele Mechanikingenieure ausgebildet, brauchte aber viel mehr Informatik- und Elektroingenieure. In der Industrie gab es plötzlich eine Knappheit, weil Infor matik- und Elektroingenieure nicht in der benötigten Anzahl vorhanden waren.

So ist es, glaube ich, immer wieder unsere Aufgabe in der Po litik, mehr nach vorn zu schauen, zu schauen, wohin es gehen kann. Ein Innovationsrat könnte eine gute Sache dafür sein.

Brauchen wir mehr Flexibilität? Wir brauchen diese Flexibi lität vielleicht auch beim Staat. Der Staat könnte auch etwas im Bereich des E-Governments tun. Das würde mehr Flexi bilität für alle Beteiligten bringen,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der AfD)

sowohl für die Mitarbeiter als auch für die Bürger, die als Kunden gesehen werden sollten. Bezüglich der Industrie ha be ich nicht den Eindruck, dass wir ihr zeigen müssten, wo es langgeht. Sie zeigt uns, wo es langgeht.

(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD – Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD: Genau so ist es!)

Herr Kollege Weirauch hat gerade den „Benz“ genannt. Ich verweise auf Bosch, damit es ausgewogen ist. Ich habe mich bei Bosch erkundigt, wo die Firma bei diesem Thema gerade steht. Auch Bosch hat eine Betriebsvereinbarung, wonach Mit arbeiter Zeit und Ort ihrer Arbeit frei wählen können. Die Mit arbeiter haben ein Recht darauf. Ein Vorgesetzter kann einen Mitarbeiter nur darauf verweisen, dass er aus wichtigen be trieblichen Gründen erscheinen muss. Man muss sich einmal vorstellen, was für eine Veränderung das in der Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit sich bringt. Das heißt, es ist eine Vertrauenskultur zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter nötig; es ist eine Art der Zusammenarbeit, die sich viel stärker auf gleicher Augenhöhe abspielt.

Damit die Leute gern zur Arbeitsstelle kommen, hat man „In spiring Working Conditions“, wie es heute auf Neudeutsch heißt, vereinbart. Das heißt, dass die Beschäftigten an der Ge staltung der Arbeitsumgebung selbst mitarbeiten. Wie soll die se ausgestaltet sein? Wie sieht der Arbeitsplatz aus? Gibt es Kaffeeecken und Rückzugsräume?

Das geht so weit – das hat mich überrascht –, dass man auch versucht, den Menschen, die im Fertigungsbereich eigentlich taktgebunden arbeiten, mehr Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Privatleben und Arbeit zu geben. Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation wird gerade ein Tool entwickelt, genannt Kapaflex. Das ist ein ähnliches Instrument wie Doodle. Damit können Mitarbeiter und Firmen, aber auch die Mitarbeiter untereinander abklä ren, wer zur kommenden Schicht erscheint. Ich kann mir als Mitarbeiter einen Vertreter suchen, der statt meiner zur Schicht kommt.

Die Firmen haben also erkannt, dass selbstbestimmtes Arbei ten in der heutigen Welt ein Standortvorteil ist. Die Menschen wollen diese Selbstbestimmung auch.

Natürlich sprechen Sie zu Recht die psychosoziale Hygiene an. Das ist ein großes Thema. Ich glaube, in der Bildung müs sen wir mehr Wert darauf legen, dass die Schüler lernen, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten. Dieser Aspekt des Lernens war zu meiner Schulzeit zumindest kein Thema. Ich weiß nicht, wie das heute ist. Aber neben der Beherrschung der neuen Technologien und dem fachlichen Wissen ist Wis sen über Selbststeuerung und Selbstverantwortung gefragt.

Das entsteht nicht von allein. Das müssen die Schüler auch lernen, und die Bildungspläne sollten entsprechende Anregun gen bieten.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Beibrin gen!)

Was kann die Politik darüber hinaus tun? Die Politik muss aufpassen, dass sie die Flexibilität nicht behindert.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Das wäre schade. Man darf – ich habe es gerade ausgeführt – den Unternehmen und den Menschen in unserem Land ver trauen, dass sie über Tarifverträge und Betriebsvereinbarun gen zu guten Lösungen kommen.

Es wäre sinnvoll, wenn wir uns etwas einfallen ließen, um kleine und mittlere Betriebe, die nicht so viel Personal, so vie le Fachleute – u. a. IT-Fachleute – haben, bei der Ausgestal tung der Arbeitswelt 4.0 zu unterstützen. Wir könnten uns vor stellen, dass die Landesregierung so etwas wie ein Landes netzwerk „Smartes Arbeiten“ aufbaut – nach dem Vorbild an derer Landesnetzwerke, die entsprechende Fachleute aus der Praxis mit KMUs zusammenbringen, Modelle aufzeigen und vielleicht auch helfen, den passenden Berater zu finden, um im eigenen Unternehmen eine solche Modellstruktur umzu setzen.

Wir haben einen Antrag zum Thema „Flexibilisierung der Ar beitszeitregelung“ eingebracht. Deswegen ist das heute kein Thema. Wir werden abwarten, bis wir Ihre Antworten haben, Frau Hoffmeister-Kraut. Ein paar Kleinigkeiten würde ich trotzdem gern ansprechen.

Es ist einfach Normalität, was jetzt durch diese Veränderun gen bei Arbeitszeit, Arbeitsort passiert. Ein Beispiel: An mei nem Arbeitsplatz arbeite ich, weil ich es so festgelegt habe, von 8 bis 14 Uhr. Dann gehe ich nach Hause, weil ich Fami lie und andere Aufgaben habe. Abends von 22 bis 23 Uhr set ze ich mich noch einmal hin, um für ein Projekt noch etwas zu machen. Wenn ich morgens um 8 Uhr wieder arbeiten will, liegen aber dummerweise nur neun Stunden dazwischen. Das Arbeitszeitgesetz verlangt aber eine Ruhephase von elf Stun den. Das passt nicht zusammen. Da brauchen wir Antworten, die beiden Seiten gerecht werden;

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD)

das ist nicht nur eine einseitige Angelegenheit des Unterneh mens.

Wir wachsen in die neue Arbeitswelt hinein; der Unterschied zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern löst sich immer mehr auf. Das Entgeltgleichheitsgesetz, das im Bund jetzt lei der verabschiedet wurde, ist kein guter Schritt,

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD)

um zu zeigen, dass es heute in Unternehmen eine Vertrauens kultur gibt. An dieser Stelle würde ich gern daran erinnern: one in, one out. Ich bin sehr gespannt, welches Gesetz abge schafft wird, um die Industrie nicht mit solchen bürokratischen

Aufgaben zu belästigen, sondern ihr den Raum und die Chan ce zu lassen,

(Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP: Ganz genau!)

gemeinsam mit ihren Mitarbeitern gute, flexible Lösungen zu finden, die uns, die Industrie, die Mitarbeiter und die Gesell schaft weiterbringen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD)

Für die Landesregierung er teile ich Frau Ministerin Dr. Hoffmeister-Kraut das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, meine Da men und Herren! Wir debattieren heute über ein Thema der Zukunft, über die Frage, wie wir zukünftig produzieren, wie wir arbeiten, wie wir wirtschaften, ja, über die Art, wie wir le ben werden. Das Parlament ist daher nach meiner Ansicht ge nau der richtige Ort, um sich über diese Zukunftsfragen zu un terhalten, sich damit auseinanderzusetzen und die richtigen Wege zu beschreiten.