Protocol of the Session on December 14, 2020

Und – darauf will ich auch einmal hinweisen – die Gerichte haben nicht wenige der Maßnahmen, die wir gemacht haben, für unverhältnismäßig erklärt und aufgehoben.

(Vereinzelt Beifall – Abg. Andreas Stoch SPD: Zu Recht! – Abg. Anton Baron AfD: Vollkommen richtig!)

Das muss man einfach auch mal sehen. Daran sind wir doch wohl gebunden. Jetzt ist wieder eine allgemeine Masken pflicht in der Ludwigsburger Innenstadt vom Gericht aufge hoben worden – erfreulicherweise nur für diejenigen, die ge klagt haben. Es wurde nicht die ganze Verordnung aufgeho ben.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Also waren und sind wir noch immer in der Abwägung der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Darum dauert es auch manch mal etwas länger, weil wir in einem Rechtsstaat leben und das beachten müssen, und nicht, wie manche Leute denken: Wenn die Bundeskanzlerin jetzt eine flammende Rede hält, dann gilt

unmittelbar danach das, was sie dort gesagt hat. So ist es eben nicht.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Gott sei Dank!)

Vielmehr müssen wir solche Verordnungen machen; die müs sen sattelfest sein. Wir müssen das, was sie erwartet, selbst beachten. Wie Sie gesehen haben, genügt es den Gerichten nicht immer. Aber das darf man doch bitte mal nicht ausblen den.

Herr Ministerpräsident, ich muss Sie bitte noch mal unterbrechen.

Die wirksams te Strategie ist natürlich, sehr, sehr früh alles stillzulegen. Aber wäre das verhältnismäßig? Hätte das vor Gericht und vor Ih rem kritischen Urteil standgehalten? Sicher nicht.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Haben wir doch gar nicht verlangt!)

Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Abg. Dr. Schweickert. Lassen Sie die zu?

Einen kleinen Moment. – Deswegen haben wir am 2. November die Be schlüsse getroffen, die wir getroffen haben. Warum? Weil wir Ansagen aus der Wissenschaft hatten,

(Zuruf: Wer?)

dass wir, wenn sich die Leute auch umfänglich an die Maß nahmen halten, damit rechnen können, die Welle zu brechen. Deswegen haben wir diese Beschlüsse und nicht noch schär fere gefasst.

(Abg. Anton Baron AfD: Wer aus der Wissenschaft?)

Das war schlichtweg der Grund.

Die Wissenschaftlerin, die uns beraten hat, hat gesagt: „Es war den Versuch wert.“ Das hat sie ganz ernsthaft gemeint. Aber es hat nun mal nicht gereicht. Wir waren auch viele Wochen in einer Seitwärtsbewegung. Die Zahlen sind in der ersten Zeit sogar langsam gesunken und erst jetzt, vor wenigen Tagen, hochgeschnellt.

Herr Kollege Rülke, weil Sie das angesprochen haben mit den Ausgangsbeschränkungen: Als mir am Donnerstag um 5 Uhr zum zweiten Mal die Zahl von über 4 000 Infizierten in BadenWürttemberg gemeldet wurde, habe ich in der Tat die Reiß leine gezogen und mir gesagt: „Du musst jetzt etwas machen.“ Das war das allererste Mal, dass ich vorgeprescht bin und nicht auf alle Beschlüsse der MPK gewartet habe. Denn ich habe Gefahr im Verzug gesehen und mich in solch einer Situa tion, in der die Zahlen dermaßen nach oben gehen, verpflich tet gefühlt, jetzt diese Ausgangsbeschränkung mit harten Aus gangssperren nachts zu machen, die auch erfreulicherweise ganz gut eingehalten wird. Mannheim hat das vorgemacht. Denn ich wollte nicht in Kauf nehmen, dass wir noch Tage warten müssen, nämlich bis Mittwoch, bis überhaupt wichti ge Einschränkungen passieren.

Zu den anderen Fragen – Geschäfte, Schulen – habe ich nichts beschlossen, denn die sind natürlich weit umstrittener und pre kärer. Da ist es auch wichtig, im Konsens vorzugehen. Aber bei den hohen Infektionszahlen, der Steigerung, die wir in Ba den-Württemberg hatten, schien es mir angemessen, das zu machen.

Ich habe dann am Freitag eine Sonderschalte des Kabinetts gehabt, und wir haben das besprochen. Für diese Maßnahme habe ich das Parlament jetzt nicht extra gebeten, zu kommen. Aber es soll nicht an mir liegen. Ich werde in Zukunft, wenn noch einmal solche Dinge anliegen, die zwar nur einen ein zelnen Punkt betreffen, aber sehr wichtig sind, durchaus der Parlamentspräsidentin schreiben, dass sie das Parlament ein berufen kann. Das nehme ich also als Kritik von Ihnen auf.

(Abg. Anton Baron AfD: Wer sind Ihre Wissenschaft ler, Herr Kretschmann?)

Jetzt will ich noch einmal sagen: Perspektive und Planungen gehen nur bei niedrigen Zahlen. Deswegen haben wir uns jetzt für solche durchgreifenden Maßnahmen entschieden. Das ist einfach der Grund.

Jetzt zur Strategie: Containment oder Protection? Das ist kei ne Alternative.

(Beifall)

Es ist keine Alternative. Wir können eine vernünftige Protec tion gar nicht machen, wenn wir nicht die Zahlen drastisch nach unten bekommen.

Meine Damen und Herren, 30 % bis 40 % der Bevölkerung gehören zu Risikogruppen. Ich weiß nicht, wer von Ihnen es gesagt hat: Es sind allein 21 Millionen Personen über 60 Jah re. Dazu kommen sehr viele andere Millionen Menschen, die aus anderen Gründen zu den belasteten Gruppen zählen. Jetzt frage ich Sie: Was heißt Protection für dieses eine Viertel bis eine Drittel der Bevölkerung? Was soll denn das heißen?

Lassen Sie eine Zwischen frage von Herrn Abg. Dr. Balzer zu?

Das müsste ei nem doch mal jemand sagen, was das heißen soll. Deswegen tun wir das, was möglich ist.

Dass wir jetzt ganz verstärkt etwa in Alten- und Pflegeheimen testen und darauf achten, dass dort keine Infektionen hinein getragen werden, das ist der Fall. Dort werden FFP2-Masken verteilt. Dort wird getestet, wie es jetzt auch der Beschluss vorsieht. Das heißt, das machen wir jetzt.

Allerdings: Zu der Zeit, als Tübingen das gemacht hat, wo man sich sehr früh auf dem Markt Masken besorgt hat, hätten wir sie bundesweit gar nicht gehabt. Das heißt, es wäre bun desweit zu diesem Zeitpunkt gar nicht möglich gewesen. Das kann eine einzelne Kommune machen, aber wir hätten es um fänglich gar nicht machen können.

Es ist halt so: Wenn einer im Theater aufsteht, sieht er natür lich besser, aber wenn alle aufstehen, nicht mehr.

(Vereinzelt Heiterkeit – Zuruf: Genau!)

Das ist das Problem bei der Geschichte. Das sind keine Vor würfe an die Stadt Tübingen und ihren Oberbürgermeister, aber das war zum damaligen Zeitpunkt nicht in dem Sinn ver allgemeinerbar, wie es den Eindruck erweckt hat. Jetzt wird groß vom Tübinger Weg gesprochen. Auf diesem Weg sind wir schon längst, und das wird nach Maßgabe der Mittel und Instrumente gemacht, die wir dazu haben, und der Logistik, mit der das verteilt wird. Insofern sind wir genau auf diesem Weg.

(Beifall)

Aber da es sehr viel mehr Vulnerable gibt als jene in Alten- und Pflegeheimen, geht Protection ohne Containment nicht. Deswegen müssen wir von diesen hohen Zahlen herunter, da mit wir genau das wieder machen können.

Also überlegen Sie mal: Wenn wir bei den hohen Infektions zahlen von 30 000 oder gar 40 000, die wir jetzt hatten, die Nachverfolgung machen würden, wenn es überhaupt ginge, dann hätten Sie jeden Tag zwei Millionen Menschen in Qua rantäne. Wie soll denn das funktionieren? Wer soll denn das machen? Also geht es nur zusammen. Das ist genau die Stra tegie, die wir verfolgen. Wir sind da, glaube ich, auf einem richtigen Weg.

(Abg. Anton Baron AfD: Wer sind Ihre Wissenschaft ler, Herr Kretschmann?)

Wären Sie vielleicht, Herr Ministerpräsident, bereit, zwei Zwischenfragen von Abgeordneten zuzulassen?

Ja, jetzt. Herr Abg. Dr. Schweickert hat mich schon früh gefragt.

Herr Ministerpräsi dent, ich bin Ihnen dankbar für das Zulassen von zwei Zwi schenfragen. Die erste: Sie haben gerade das Thema Protec tion angesprochen. Können Sie mir erklären, was daran sinn voll ist, wenn wir jetzt bei der kostenlosen Ausgabe der FFP2Masken die älteren Leute, die am besten zu Hause bleiben, vor die Apotheken in die Warteschlangen bringen, um sich die FFP2-Masken abzuholen, statt dass Kommunen mit DRK, Feuerwehr oder THW sie ihnen bringen? Wie passt eine sol che Maßnahme zum Bereich Protection? Das ist die erste Fra ge.

Die zweite Frage: Herr Ministerpräsident, Sie haben vorhin gesagt: Sie verstehen die Verzweiflung in der Wirtschaft. Wenn heute noch 50 % des Jahresumsatzes fehlen und diesen in den letzten zwei Wochen des Jahres vielleicht die Firma Amazon macht, gleichzeitig in Ihrer Regierung aber unklar ist, ob es für den stationären Einzelhandel Click-and-Collect- oder Versandmöglichkeiten geben soll, dann frage ich Sie: Verstehen Sie die Verzweiflung?

Was sagen wir den Menschen in der Wirtschaft, denen groß Hilfen angekündigt wurden – beispielsweise für die Gastro nomie –, die dazu geführt haben, dass die Beherbergungsver bote von den Gerichten nicht wieder aufgehoben worden sind, wenn sie dann am Kleingedruckten scheitern?

Oder was sagen wir denen – das ist der letzte Punkt –, die ei nen Antrag auf Soforthilfe I gestellt hatten und die unsicher

sind, wie es weitergeht, weil sich permanent alles ändert im Hinblick auf die Antragsformulare und die Art und Weise, wie Anträge gestellt werden können? Diese müssen Angst haben, dass irgendwann, wenn in fünf Jahren Corona vorbei ist, das Finanzamt kommt, eine Betriebsprüfung macht und sagt: „Hier haben wir ein Problem.“ Was sagen wir den Leuten, die auf grund der sich permanent ändernden Vorgaben an die Wirt schaft unsicher sind?

Herr Kollege Schweickert, ich sehe nicht, dass sich Menschen über die Maßnahmen und Hilfen beschweren, die wir in Baden-Würt temberg gemacht haben.

(Zuruf)

Das sehe ich überhaupt nicht. Die Leute sind froh darüber.

Beim Bund ist es alles ein bisschen schwieriger und kompli zierter. Ich will das auch gar nicht kritisieren. Es stehen schwie rige EU-rechtliche Fragen zur Debatte. Darauf habe ich nun keinen direkten Einfluss. Das müssen die Bundesbehörden selbst machen und sich mit uns committen, wenn wir das um setzen sollen. Wir können da nur einen allgemeinen Druck machen.

Ich sage es Ihnen noch mal, Sie haben es gesehen: Nachdem es mit den Abschlagszahlungen nicht gut lief, sind diese er höht worden. Wir sind da dran. Aber wir können die Arbeit der Bundesbehörden nicht übernehmen. Da müssen Sie sich schon über Ihre Kollegen im Bundestag direkt an die Bundes behörden wenden. Ich kann nicht mehr tun, als dass wir all gemein Druck machen. Die Minister machen das. Ich möch te nicht wissen, wie oft die Wirtschaftsministerin in Telefon gesprächen und -schalten ist und sich wirklich krummlegt, da mit das geschieht. Also, da tun wir das Mögliche.

(Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP: Wird die Lan desregierung Click and Collect und Versandhandel zulassen?)