Protocol of the Session on December 2, 2020

Wir haben in unseren Ausführungen sehr klargemacht, dass es nicht um die von Kollege Klein genannten 99 % der Fälle geht, die wir heutzutage als Erschließung haben. Da bin ich bei Ihnen. Wenn heutzutage eine Erschließung erfolgt, ist das kein Problem. Auch die weiteren 1 % der Erschließungen sind nicht das Problem. Das Problem sind die weiteren Erschlie ßungsfälle von vor Jahren und Jahrzehnten – teilweise vor hundert Jahren –, die in den 1 101 Gemeinden in Baden-Würt temberg schlummern.

Ich habe in meiner ersten Rede hierzu ein Beispiel aus der Stadt Mühlacker gebracht. Sie wissen mittlerweile von genü gend anderen Gemeinden, die teilweise ein Viertel ihrer Stra ßen im rechtlichen Sinn noch nicht erschlossen haben bzw. bei denen unklar ist, wie der Stand ist. Genau das sind die Pro bleme, nämlich wenn nach 50 Jahren, nach 60 Jahren noch abgerechnet wird.

Wir müssen, wenn wir das Urteil des Bundesverfassungsge richts rechtssicher umsetzen wollen, den Anspruch haben, dass wir das wirklich tun und nicht placebohaft irgendwelche Zah len in das Gesetz schreiben, wenn nicht klar ist, zu welchem Zeitpunkt die Frist beginnt.

Schreiben Sie das gern so hinein, wie Kollege Klein es for muliert hat, nach der Art „Wenn das Wasser fließt und in der Kläranlage ankommt“ oder „Wenn die Straße beleuchtet ist“. Sie wissen aber so gut wie ich, dass es eben das nicht ist, son dern dass es Fälle gibt, in denen – weil irgendeine Parkbank fehlt, weil irgendein Bebauungsplan aufgestellt worden ist, in dem drei Beleuchtungsmasten fehlten – 30, 40 Jahre lang nicht abgerechnet werden durfte.

Nehmen Sie den Kommunen die Unsicherheit, nehmen Sie den Gemeinderäten die Unsicherheit, und stellen Sie endlich klar, ab wann die Vorteilslage zu laufen beginnt! Wenn Sie das gleich in Ihren Ausführungen nicht tun werden, Herr Minis ter, werde ich dazu eine Zwischenfrage stellen. Denn Sie sind es dem Parlament schuldig, dass Sie klarmachen, wie Sie die ses Thema „von der Straße“ bringen wollen.

Vielen Dank.

(Beifall)

Herr Minister Strobl, Sie haben das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns erneut in den Maschinenraum des kommunalen Schiffs steigen, um den Motor zu pflegen und es für die Zukunft flottzumachen. Schön, dass Landesregierung und Landtag auch in Pandemiezeiten einfach ihre Arbeit ma chen, handlungs- und entscheidungsfähig sind.

Kernpunkte des Gesetzentwurfs, den wir jetzt beraten, sind die Anpassung des Kommunalabgabengesetzes an die Rechts entwicklung sowie eine Änderung der Gemeindeordnung. Das sind außerordentlich wichtige Gesetze. Das Kommunalabga bengesetz ist eines der wichtigsten Gesetze für die Kommu nen.

Ich bedanke mich für eine weitgehend sachliche Auseinander setzung, insbesondere im Innenausschuss. Es ist an und für sich kein Thema für aufgeregte Polemik.

(Vereinzelt Beifall)

Ein entscheidender haushaltsrechtlicher Grundsatz lautet, dass die Kommunen die für ihre Aufgabenerfüllung erforderlichen Mittel in erster Linie aus Entgelten ihrer Leistungen, das heißt insbesondere aus Gebühren und Beiträgen, und erst in zwei ter Linie aus Steuermitteln finanzieren. Deswegen ist der vor liegende Gesetzentwurf für die kommunale Praxis von großer Bedeutung, und deswegen war es mir und meinem Haus sehr

wichtig, bei der Ausgestaltung der Regelungen die kommu nale Praxis einzubeziehen. In mehreren Arbeitsgruppensitzun gen haben Vertreter der kommunalen Landesverbände und der Gemeindeprüfungsanstalt dankenswerterweise ihren großen Sachverstand eingebracht.

Das Anliegen, das Kommunalabgabengesetz zu modernisie ren, findet – wie die Debatte in der ersten Lesung und auch im Innenausschuss gezeigt hat – breite Unterstützung. Dafür möchte ich auch Ihnen danken.

Lassen Sie mich in der gebotenen Kürze noch einmal auf die wichtigsten Änderungen, die der Gesetzentwurf vorsieht, ein gehen.

Erstens: Die Vorschriften über das Kommunalabgabenverfah ren sollen im Hinblick auf die Änderungen der Abgabenord nung angepasst und aktualisiert werden. Das Verfahren wird modernisiert, und an verschiedenen Stellen wird die elektro nische Datenübermittlung eingeführt.

Zweitens: Die Verfahrensvorschriften werden an die Erforder nisse der Datenschutz-Grundverordnung angepasst. Unser Ziel ist dabei, ein möglichst einheitliches Datenschutzrecht für die Verfahren im Bereich der Kommunalabgaben sowie im Bereich der Realsteuern, der Grundsteuer und der Gewer besteuer, zu schaffen.

Drittens: Die Bestimmungen zum Anschluss- und Erschlie ßungsbeitragsrecht werden an die bundesgesetzlichen Ände rungen des Rechts der städtebaulichen Verträge angepasst.

Viertens: Mit weiteren Änderungen des Kommunalabgaben gesetzes werden Bedürfnisse der kommunalen Praxis berück sichtigt sowie erforderliche Klarstellungen vorgenommen.

Fünftens: Nicht zuletzt tragen wir mit der Einführung einer zeitlichen Obergrenze von 20 Jahren für die Festsetzung von Anschluss- und Erschließungsbeiträgen sowie Gebühren ei nem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Rechnung.

Dass die Erhebung kommunaler Abgaben zeitlich zu begren zen ist, ist unumstritten. Intensiv haben wir im Innenausschuss freilich über die Frage diskutiert, was der richtige zeitliche Ausgangspunkt für die Verjährung ist.

Ich möchte noch einmal festhalten: Für den Verjährungsbe ginn knüpfen wir an die sogenannte Vorteilslage an. Das ist konsequent. Denn auch die Entscheidung des Bundesverfas sungsgerichts bezieht sich genau auf diese Vorteilslage. Da mit befinden wir uns übrigens in guter Gesellschaft mit den anderen Ländern, die eine solche Regelung eingeführt haben und deren oberste Verwaltungsgerichte die Verfassungsmä ßigkeit der entsprechenden Regelungen inzwischen bestätigt haben. Dieser etwas abstrakt anmutende Begriff „Vorteilsla ge“ ist durch die ständige Rechtsprechung – nicht nur in Ba den-Württemberg – auch für das Erschließungsbeitragsrecht ausreichend geklärt.

Ich möchte dem Vorsitzenden des Innenausschusses, Herrn Abg. Karl Klein, versichern: Nach der Änderung des Kom munalabgabengesetzes, die wir gerade beraten, wird mein Haus den Eintritt der Vorteilslage und die Abgrenzung zu Aus baumaßnahmen in Hinweisen erläutern und im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung an die Gemeinden appellie ren, Erschließungen zeitnah abzuschließen. Mit der Definiti

on der Begriffe entsprechend der ständigen Rechtsprechung schaffen wir freilich so weit wie möglich Rechtsklarheit und Rechtssicherheit für unsere Gemeinden und die Bürgerinnen und Bürger.

Hinweisen möchte ich auch auf den Gesamtzusammenhang mit der Straßenbaufinanzierung. Die Situation anderer Län der kann insoweit nicht auf Baden-Württemberg übertragen werden. In Baden-Württemberg gibt es, anders als in einigen anderen Ländern, keine zusätzlichen Straßenausbaubeiträge.

Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Schweickert zu?

Nein. – Unterhalt und Ausbau von Gemeinde- und Kreisstraßen sind von den Kommunen als Straßenbau lastträger aus dem Haushalt zu finanzieren. Dafür erhalten sie zweckgebundene Zuweisungen aus Mitteln der Kraftfahrzeug steuerverbundmasse als sogenannten Verkehrslastenausgleich nach dem Finanzausgleichsgesetz.

Abschließend bin ich der Meinung, dass wir überzeugende Gründe für die im Gesetzentwurf gewählte Lösung der Ver jährung kommunaler Abgaben haben.

Kommen wir zum zweiten Schwerpunkt des Gesetzentwurfs, der Änderung der Gemeindeordnung. Damit erfüllen wir ei nen lang gehegten Wunsch der kommunalen Familie. Für die Gemeinden soll es nun leichter werden, neben dem Gemeinde namen auch eine sonstige Bezeichnung führen zu können. Sol che Zusatzbezeichnungen schaffen vor allem vor Ort Identi tät der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Gemeinde, mit ihrer Stadt. Sie stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl und da mit nicht zuletzt die kommunale Selbstverwaltung. Es ist uns sehr wichtig, dass die Menschen sich mit ihrer Heimat iden tifizieren. Wenn wir dazu einen Beitrag leisten können, dann sollten wir das auch tun.

Im Zuge der Gesetzesänderung ändern wir natürlich auch die bisher in der Tat zurückhaltende Praxis. Das habe ich Ihnen, Frau Dr. Leidig, auch im Innenausschuss bestätigt und möch te es hier, im Plenum, nochmals tun. Selbstverständlich wird das Innenministerium entsprechende Anträge der Kommunen wohlwollend bearbeiten. Das ist die klare Linie, die in mei nem Haus auch so vorgegeben ist.

Herr Abg. Professor Schweickert, ich weiß nicht, woher Sie die Vermutung nehmen, dass wir das im Innenministerium – ich weiß nicht, was Sie gesagt haben – alles herunterbügeln oder herunterreduzieren würden. Ich kann Ihnen nur sagen: Dafür gibt es keine Veranlassung. Diese Sorge kann ich Ihnen nehmen. Ihre Vermutungen sind grundlos und falsch. Wir wer den das positiv, wohlwollend und in der kommunalfreundli chen Art und Weise, wie diese Landesregierung arbeitet, auch in diesen Fällen bewerkstelligen.

(Beifall)

Es ist gerade die Absicht, dass die Welt der Zusatzbezeich nungen in Baden-Württemberg dann etwas bunter wird, dass es unterschiedliche und vielfältige solcher Zusatzbezeichnun gen gibt. Es ist ja gerade die Welt der kommunalen Selbstver waltung, dass nicht alles gleich ist, sondern dass es Unter schiede gibt. Diese Unterschiede dürfen durchaus auch in den

Bezeichnungen der Städte und Gemeinden zur Geltung kom men.

Herr Minister, Herr Abg. Dr. Schweickert macht noch einen Versuch, eine Zwischen frage zu stellen. Lassen Sie diese zu?

(Abg. Thomas Blenke CDU: Er versucht es immer wieder! Aber er bedankt sich auch immer dafür! – Weitere Zurufe)

Bitte sehr.

Herr Minister, vielen Dank. – Ich habe eine Frage an Sie: Wenn Sie Ausführungen zur Klarstellung für den kommunalen Maschinenraum – wie Sie es genannt haben – dazu machen, wie die Vorteilslage zu erkennen ist, dann frage ich Sie: Wie kann es sein, dass sol che Erläuterungen Paragrafen des jetzt zu beschließenden Kommunalabgabengesetzes aufheben? Denn im vorherigen Paragraf steht ja genau drin, was die Voraussetzungen sind. Und diese Dinge werden ja nicht geändert.

Deshalb stelle ich als Nichtjurist die Frage an den Innenmi nister: Wie soll so etwas funktionieren?

(Zurufe, u. a.: Er ist doch kein Jurist!)

Wir passen die entsprechenden Vorschriften jetzt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an. Und die Dinge, die den Kommunen bei der Auslegung der Vor schriften helfen, wird mein Haus in einer entsprechenden Handreichung an die kommunale Seite weitergeben.

(Vereinzelt Beifall)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, weil wir in der vorweihnachtlichen Zeit sind – ich glaube, dass das ein Gesetz ist, das unseren Kommunen hilft –: Bei Jeremia steht geschrieben:

Suchet der Stadt Bestes,... denn wenn’s ihr wohl geht, so geht’s auch euch wohl.

Entlang dieses Spruchs handeln wir

(Zurufe)

in dieser Landesregierung. Deswegen erleichtern wir die Ar beit der Kommunen mit dieser Gesetzesänderung.

Mit einer weiteren Änderung der Gemeindeordnung übrigens soll schließlich die Errichtung von selbstständigen Kommu nalanstalten erleichtert werden.

Ich bitte Sie, verehrte Abgeordnete, diesem Gesetzentwurf der Landesregierung, der bedeutsame Änderungen für die kom munale Praxis enthält, zuzustimmen. Damit verlassen wir dann einen gepflegten Maschinenraum auf dem kommunalen Schiff, und das kommunale Schiff kann noch flotter weiter fahren, als es das in Baden-Württemberg ohnehin schon tut.

Herzlichen Dank.