Protocol of the Session on November 4, 2020

Sie haben doch permanent vollmundig getönt, Sie würden die AfD argumentativ stellen. Wenn ich jetzt auf diese Legisla turperiode zurückblicke, muss ich Sie fragen: Wann haben Sie uns jemals argumentativ gestellt? Die Einzigen, die gestellt wurden, und zwar von uns, waren die Altparteien für ihr Ver sagen, meine Damen und Herren.

(Beifall)

Wir haben Sie gestellt – Sie uns kein einziges Mal.

Jetzt schauen wir uns einmal an, was eigentlich hinter dem Gesetzentwurf der SPD steckt. Das ist die gefährliche Ideo logie, nach der der Staat alles und jeden bevormunden und überwachen soll. Regelungswut statt Freiheit – das bestimmt Ihre Ideologie. Sie wollen für den Bürger denken. Wir wol len, dass die Bürger selbst denken.

(Vereinzelt Beifall – Zuruf: So ist es!)

Sie wollen den Bürger führen. Wir wollen die Wünsche der Bürger ausführen. Sie wollen immer mehr Vorschriften, Ge setze und Verordnungen, die den Bürger einschränken. Wir wollen Entbürokratisierung, Freiheit und Eigenverantwortung für die Menschen.

(Beifall – Abg. Dr. Christina Baum AfD: Sehr rich tig!)

Der Sozialismus ist auf der ganzen Welt gescheitert. Sie hän gen teilweise noch immer dieser kranken, menschenverach tenden Ideologie an.

(Abg. Bernd Gögel AfD: Wieso die Einschränkung?)

Sie wollen die Menschen beherrschen und bevormunden. In dividualität ist Ihnen ein Graus. Die AfD freut sich, hier im Landtag zu sein. Politik macht uns Spaß.

(Abg. Ulli Hockenberger CDU: Nicht mehr allen!)

Wir stehen in der Verantwortung für unser Land.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Ihr seid eine Spaß partei! – Abg. Thomas Blenke CDU: Und täglich werden sie weniger! – Weitere Zurufe)

Wenn Ihnen Politik keinen Spaß macht, dann ziehen Sie die Konsequenzen, werter Herr Kollege.

Vielen Dank.

(Beifall – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Kein Wun der, dass man Sie abgeschossen hat! – Abg. Thomas Blenke CDU: Es macht ihnen so viel Spaß, dass im mer mehr weggehen! Wenn es so viel Spaß macht bei der AfD, warum gehen die dann alle? – Abg. Dr. Ste fan Fulst-Blei SPD: Den haben sie noch nicht einmal in seinem eigenen Wahlkreis gewollt! Das war zu peinlich für die! Das will etwas heißen! – Gegenruf der Abg. Sabine Wölfle SPD: Stefan, weil es ihm so viel Spaß gemacht hat! – Gegenruf des Abg. Dr. Ste fan Fulst-Blei SPD: Ja, weil er nur Spaß gemacht hat, war er auch nie vor Ort! – Abg. Bernd Gögel AfD zu Abg. Rüdiger Klos AfD: Sehr gut! Das tat ihnen rich tig weh! Hat gesessen! Er grummelt immer noch! – Weitere Zurufe – Unruhe)

Kommen wir zum Ernst zurück. – Herr Abg. Professor Dr. Goll, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Über den Vorschlag der SPD haben wir jetzt mehrfach – in der ersten Lesung, im Ausschuss – aus führlich gesprochen. Von meinen Vorrednerinnen und Vorred nern ist auch schon vieles gesagt worden. Darum gestatten Sie mir, dass ich mich an dieser Stelle kurzfasse.

Der Vorschlag der SPD enthält eine gute und eine schlechte Idee. Der guten Idee eines Quorums bei Bürgermeisterwah len auch in Gemeinden mit unter 20 000 Einwohnern werden wir zustimmen. Denn so kann man verhindern, dass Bürger meisterwahlen der Lächerlichkeit preisgegeben werden.

(Beifall)

Um nicht mehr und nicht weniger geht es hier. Wir greifen nicht unzumutbar in irgendwelche Rechte ein. Wir beschrän ken auch keine Auswahl. Vielmehr schützen wir ein Stück weit die Bürgermeisterwahlen davor, der Lächerlichkeit preis gegeben zu werden. Das ist der erste Teil.

Der schlechten Idee, Ortschaftsratslisten praktisch auf Ge meindeebene aufzustellen, wenn man keine drei Mitglieder im Ortsteil zusammenbekommt, werden wir nicht zustimmen. Da muss man sagen: Wenn ich in einer Ortschaft keine drei Leute zusammenbekomme, dann brauche ich auch keine Lis te aufzustellen. Das auf die Gemeindeebene zu übertragen birgt in der Tat die auch von den kommunalen Verbänden er kannte Gefahr, dass man dann eigentlich von der Gesamtge meinde in den Teilort hineinregiert. Das widerstrebt im Grun de genommen gerade dem Gedanken der Ortschaftsverfas sung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wie Sie auf die Idee gekommen sind, das da hineinzuschreiben, ist mir per sönlich etwas schleierhaft. Das ist eigentlich auch schade, denn wir haben mitbekommen, dass über den anderen Teil ein – fast möchte man sagen – latenter Konsens vorhanden ist. Auch ist schade, dass wir diesen nicht noch in dieser Legisla turperiode über die Ziellinie bringen.

Dem zweiten Punkt, der Nummer 2, werden wir also zustim men. Die Nummer 1 werden wir ablehnen. Insgesamt müssen

wir uns dann bei der Abstimmung leider mannhaft der Stim me enthalten.

Danke schön.

(Heiterkeit und Beifall – Abg. Thomas Blenke CDU: Ein entschiedenes Jein!)

Dann darf ich noch ein mal Herrn Innenminister Thomas Strobl das Wort geben.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin, verehrte Kol leginnen und Kollegen! Die Bürgermeisterinnen und Bürger meister in unserem Land haben eine herausgehobene und ver antwortungsvolle Position.

(Beifall)

Es ist freilich auch ein sehr anstrengender Beruf. Ich habe in meinem Leben gerade in Krisensituationen immer wieder Bür germeisterinnen und Bürgermeister erlebt, die ihre Arbeit bis an den Rand der physischen und psychischen Erschöpfung ge macht haben, die sich für ihre Kommune, ihre Stadt, ihre Ge meinde, die Bürgerinnen und Bürger im wahrsten Sinn des Wortes bis zum Umfallen eingesetzt haben.

Das gilt für viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in diesem Land auch in dieser Zeit, in der Coronapandemie. Des wegen will ich mich bei den Bürgermeisterinnen und Bürger meistern, die sich in den vergangenen sieben Monaten so en gagiert haben, die sich eingebracht haben und auf die das Land Baden-Württemberg auch in dieser schweren Zeit immer zäh len durfte, namens des Landes Baden-Württemberg herzlich bedanken.

(Beifall)

Aus der großen Gestaltungskraft und aus der großen Macht fülle, die das Amt des Bürgermeisters bietet, folgt natürlich auch eine große Verantwortung für das Gemeinwohl – auch über die eigentliche Gemeindegrenze hinaus.

Die Oberbürgermeisterin, der Oberbürgermeister, die Bürger meisterin und der Bürgermeister in unserem Land haben je doch in den vergangenen Jahrzehnten immer und immer wie der bewiesen, dass sie dieser großen Machtfülle, dass sie die ser großen Verantwortung gerecht werden. Die süddeutsche Ratsverfassung, auf der unsere Gemeindeordnung aufbaut und die als zentrales Element gerade diese starke Stellung des Bür germeisters hat, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten be währt. Deswegen stehen wir zu diesem Gedanken.

Es ist nicht nur, aber auch unserer bewährten baden-württem bergischen Kommunalverfassung mit dieser starken Stellung des Bürgermeisters zu verdanken, dass unsere Städte und Ge meinden im bundesweiten Vergleich gut dastehen. Das hat na türlich auch etwas mit dem liebevollen Umgang der Landes regierung und dieser Koalition mit den Kommunen in BadenWürttemberg zu tun.

(Beifall – Abg. Thomas Blenke CDU: Das muss ein mal erwähnt werden! – Abg. Anton Baron AfD: Un glaublich!)

Dabei ist es eine unverzichtbare Voraussetzung und Bestand teil der besonderen Stellung der Bürgermeister und Oberbür

germeister, dass sie direkt von der Bürgerschaft gewählt wer den. Die starke Stellung des Bürgermeisters und der Bürger meisterin verlangt eine starke demokratische Legitimation. Diese starke demokratische Legitimation durch direkte Wahl begründet natürlich ihrerseits die starke Stellung des Bürger meisters.

Der Gesetzgeber hat bewusst auf Eignungsanforderungen für Kandidatinnen und Kandidaten verzichtet. Die Bürgerinnen und Bürger sollen selbst darüber entscheiden können, wen sie als Bürgermeister für geeignet halten. Die Erfahrungen zei gen, dass die Wählerinnen und Wähler durchaus zu einer ver nünftigen Beurteilung in der Lage sind.

Der freie Zugang zum Amt des Bürgermeisters ist ein bedeu tendes demokratisches Gut und sollte deshalb nur insoweit eingeschränkt werden, als dies unbedingt erforderlich ist. Das ist jedenfalls auch meine kommunalpolitische Erfahrung aus 27 Jahren, in denen ich kein Bürgermeister gewesen bin.

Der Landtag hat sich deshalb bereits 1997 die Entscheidung zur Einführung von Unterstützungsunterschriften nicht ein fach gemacht. Letztlich hat man nach langen und intensiven Diskussionen einen Kompromiss gefunden, nach dem in Städ ten mit über 20 000 Einwohnern Unterstützungsunterschrif ten für Bewerbungen beizubringen sind.

Tatsächlich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist ja die Si tuation in einer großen Stadt mit der in einer kleineren Ge meinde nicht unbedingt zu vergleichen, da in der Regel in den kleineren Gemeinden ohne Parteiunterstützung angetreten wird. Dann wäre es sehr schwierig, auch noch die Unterstüt zungsunterschriften beibringen zu müssen.

Der Gemeindetag hat, wie ich finde, in seiner Stellungnahme nicht ganz zu Unrecht auf die Gefahr einer Vorwegbindung an bestimmte gesellschaftliche Gruppen hingewiesen. Das ist jedenfalls ein Argument, das aus meiner Sicht in die Güterab wägung einfließen sollte.

Die Einführung von Unterstützungsunterschriften auch in klei neren Gemeinden ist andererseits für mich freilich durchaus denkbar. Auswüchse wie etwa bei der Bürgermeisterwahl in Bad Herrenalb könnten dadurch sicherlich unterbunden wer den. Freilich muss man sich darüber im Klaren sein, dass sich sogenannte Juxkandidaten und Dauerbewerber auch durch das Erfordernis von Unterstützungsunterschriften nicht vollstän dig verhindern lassen würden. Die Erfahrungen in den größe ren Städten haben gezeigt, dass solche Kandidaten durchaus ihre Unterstützer finden und in der Lage sind, selbst eine wie in Stuttgart relativ hohe Unterschriftenzahl – dort sind es et wa 250 Unterschriften – beizubringen. Das ist für diese Leu te kein unüberwindbares Hindernis; deswegen darf man sich auch nicht zu viel von diesem Instrument – dem ich mich gar nicht grundsätzlich verschließe – versprechen.

Man muss deshalb die Vor- und Nachteile sorgfältig abwägen. Ich finde, der Landtag hat dies bei den Beratungen des Ge setzentwurfs der SPD getan. Die Argumente, das Für und Wi der sind ausführlich dargelegt worden.

Derzeit sehe ich keine Mehrheit für eine Gesetzesänderung im Sinne des Vorschlags der SPD hier im Landtag von BadenWürttemberg. Allerdings ist in den Beratungen für mich deut

lich geworden, dass alle demokratischen Parteien die Einfüh rung von Unterstützungsunterschriften nicht generell aus schließen und vom Tisch wischen.

(Zuruf des Abg. Rüdiger Klos AfD)

Ich möchte Ihnen sagen: Auch ich bin in dieser Frage weiter hin offen, und ich bin für die Zukunft gesprächsbereit. Lassen Sie uns Argument für Argument mit der notwendigen Sorg falt prüfen und wägen, um dann – um mit dem Kollegen Ho ckenberger zu sprechen – zum richtigen Zeitpunkt nach gründ licher Abwägung eine richtige Entscheidung miteinander zu treffen.

Das ist im Übrigen auch keine Frage, die zwischen Oppositi on und Regierung, die innerhalb der Koalition, die zwischen Parteien unterschiedlich zu betrachten wäre. Hier geht es viel mehr um die Frage: Wie können wir die hohe Stellung und das hohe Ansehen, das Bürgermeisterinnen und Bürgermeis ter bei uns im Land haben, hinreichend erhalten, gleichzeitig aber den freien Zugang zum Bürgermeisteramt möglichst weit offen halten?