Protocol of the Session on November 4, 2020

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Sie haben es nicht verstanden!)

Kollege Dr. Fulst-Blei hat das Negativbeispiel England hier ausgeführt. Dort hat sich gezeigt, wie das System eines Schul wettbewerbs ad absurdum geführt wird. Das halte ich, das hal ten wir von der CDU-Landtagsfraktion ganz entschieden für den falschen Weg.

Die von Ihnen so herbeigesehnte Transparenz gibt es schon längst in Baden-Württemberg. Es ist aber eine wohldosierte, eine austarierte Transparenz. Es gibt eine Vielzahl von allge mein zugänglichen Daten, die die Arbeit der Schulen betref fen. Diese Daten werden aggregiert und zusammengetragen auf Landesebene wie auf regionaler Ebene, sie werden aber auch detailliert in den kommunalen Schulberichten veröffent licht. Und genau dort können Sie, liebe Kolleginnen und Kol legen von der FDP/DVP, Ihren Wissensdurst aktuell doch stil len.

Natürlich, liebe Kollegen von der FDP/DVP, gibt es im Lan desinformationsfreiheitsgesetz noch Verbesserungsbedarf – ich füge hinzu: ganz berechtigten Verbesserungsbedarf. Lie ber Herr Dr. Kern, es zeigt sich eben, dass dies kein Gesetz entwurf der CDU-Fraktion ist. Wir können aber bei allen Dif ferenzen in der Sache mit der heutigen zweiten Lesung trotz dem noch einen gemeinsamen Nenner identifizieren: Wir sind uns alle einig, dass wir die jetzt anstehende Evaluation des Landesinformationsfreiheitsgesetzes abwarten. Darin werden alle Einzelaspekte nochmals genauer beleuchtet und überprüft, sodass, wo immer dies nötig ist, Verbesserungen erfolgen kön nen. Selbstverständlich, Herr Dr. Kern, können Sie dort Ihre Punkte ebenfalls noch einmal vortragen.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Beifall – Zuruf: Bravo!)

Herr Abg. Dr. Fulst-Blei, Sie haben das Wort für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: An den Argumen ten aus der ersten Lesung hat sich im Wesentlichen nichts ge ändert. Für die SPD-Landtagsfraktion steht an zentraler Stel le der Schutz der personenbezogenen Daten, und zwar auch mit Blick auf die Schulen. Wir werden keine Maßnahmen un terstützen, an deren Ende potenziell eine Stigmatisierung von Schulen stehen könnte, eine Relativierung von Schulabschlüs sen oder gar eine populistische Diskussion über die soziode mografischen Daten hinsichtlich der Zusammensetzung von Schülerschaften.

Dies würde unseres Erachtens aber drohen, wenn wir Ihrer pauschalen Forderung nach einer Abschaffung der Schutzklau sel für Schulen in § 4 Absatz 1 Nummer 11 des Landesinfor mationsfreiheitsgesetzes folgen würden, lieber Herr Kern.

Unsere Bedenken konnten im Bildungsausschuss auch durch die vorgelegten Argumente der FDP/DVP nicht beseitigt wer den. Wir stehen mit unserer Einschätzung weiterhin klar an der Seite der Kommunen, deren Urteil wiederum eindeutig ist: Die Kommunen betonen die besondere Sensibilität von Daten bezüglich Schulen und weisen auf die große Gefahr von Fehlinterpretationen hin.

Als Bildungspolitiker muss ich Ihnen allerdings auch die ganz ehrliche Frage stellen: Haben wir zurzeit nicht eigentlich an

dere Probleme? Haben nicht insbesondere die Schulen derzeit andere Probleme? Der Gesetzentwurf der FDP/DVP macht hier ein Fass auf, das viele Risiken beinhaltet, aber kaum Chancen entdecken lässt. Auf gut Deutsch: Seine Umsetzung würde uns gerade auch in der aktuellen Lage überhaupt nicht weiterhelfen, sondern im Gegenteil eine weitere große Unsi cherheit an Schulen schaffen. Das wurde mir übrigens auch in Gesprächen mit Schulleiterinnen und Schulleitern bestätigt. Im übelsten Fall würden Sie die Verunsicherung, die aufgrund einer chaotischen Politik der Kultusministerin bereits jetzt in unseren Schulen weit um sich gegriffen hat, noch verstärken.

Nein, unsere Schulen brauchen nicht Verunsicherung; sie brauchen gerade in dieser Zeit Unterstützung und Rückende ckung.

(Beifall)

Die Kultusministerin wird dem in keinem Maß gerecht. Die miserablen Umfragewerte von letzter Woche sind nicht nur eine schallende Ohrfeige für die CDU-Spitzenkandidatin, sie sind ein Hilferuf der Eltern. Diese erwarten zu Recht Unter stützung. Daher fordert die SPD einen Rettungsschirm für Schülerinnen und Schüler mit einem landesweiten Nachhilfe programm, mit der Neueinstellung von 1 000 Lehrkräften, mit Tempo bei der Digitalisierung, mit einer Offensive zur Ein stellung von Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbei tern, mit Mitteln für Luftfilter, für Versuche in Klassenzim mern. Das alles haben Sie heute Morgen abgelehnt. Das sind die aktuellen Herausforderungen.

Aber es braucht eben keine Verschlimmbesserungen – in die sem Fall durch den von der FDP/DVP vorgelegten Gesetzent wurf zur Änderung des Landesinformationsfreiheitsgesetzes. Entschuldigung, Kolleginnen und Kollegen von der FDP/ DVP: Chaos und Verunsicherung schafft die Kultusministe rin allein schon viel zu viel. Es braucht nicht auch noch die sen Gesetzentwurf. Dessen Umsetzung wäre nicht hilfreich, sondern würde Verunsicherung schaffen. Den Gesetzentwurf kann man nur ablehnen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall – Zuruf: Oje!)

Wer spricht jetzt für die AfD, Herr Abg. Klos oder Herr Abg. Dr. Balzer? – Herr Abg. Dr. Balzer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Heute findet die zweite Le sung des von der FDP/DVP-Fraktion vorgelegten Gesetzent wurfs statt, dessen offizielles Thema bzw. Inhalt die zu weit gehende Beschränkung der Informationen für die Bürger ist. Ein löblicher Ansatz, denn die Bürger haben heutzutage sehr häufig das Gefühl, den Eindruck oder meinen, zu beobachten, dass sie ungenau, unzureichend oder gar gezielt falsch infor miert werden.

(Beifall)

Wir haben dies heute Morgen bei der Debatte zum Thema Co rona nicht zum ersten Mal bemerkt. Angeführt wurden Fall zahlen, Infiziertenzahlen, Genesenenzahlen. Es wird mit Ab solutzahlen hantiert, statt, wie üblicherweise bei Wahlen und

anderen wichtigen Themen, Prozentzahlen anzugeben. War um macht man das? Um Effekte zu erzeugen. So scheint es auch bei diesem Thema zu sein.

Aber bevor mich wieder jemand ermahnt, ich würde nicht zum Thema sprechen, kommen wir zum Gesetzentwurf der FDP/ DVP.

Der Anspruch auf Informationen ist bisher ausgeschlossen, wenn nachteilige Auswirkungen – der Kollege Dr. Fulst-Blei hat es ja ausdrücklich beschrieben – auf die Vertraulichkeit leistungsbezogener Daten einzelner öffentlicher Schulen zu erwarten sind. Die Frage lautet – im Gesetzentwurf steht dies ja auch so –: Ist diese Benachteiligung gerechtfertigt, und aus welchem Grund werden leistungsbezogene Daten einzelner öffentlicher Schulen dem Zugang durch den Bürger entzogen? Was ist eigentlich die Begründung?

Diese Regelung, die wir hier in Baden-Württemberg haben, kennen übrigens zwölf andere Bundesländer nicht. Liegen die also alle falsch, während wir es richtig machen? Das ist ja meist so.

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informa tionsfreiheit Baden-Württemberg hat übrigens dieses Vorge hen der Landesregierung kritisiert.

Wir wissen inzwischen – wir glauben zu wissen –, dass mit Informationen sehr wohl Meinung gemacht werden kann, be einflusst werden kann. Warum schreiben bei Corona eigent lich fast alle Zeitungen das Gleiche? Warum berichten alle Fernsehsender das Gleiche? Vielleicht weil ich nicht richtig zuhöre.

Konkret: Um welche Daten geht es hier bei uns? Es geht nicht um die Mathematik- oder Sportnoten des einzelnen Schülers Meier, Müller oder Schulze, die dann auf der Titelseite der FAZ veröffentlicht werden. Das ist bestimmt nicht der Fall. Es geht nicht um die Veröffentlichung von Ergebnissen mit den dazugehörigen Schülernamen. Es geht um gute Ergebnis se. Diese sind übrigens schon bisher immer veröffentlicht wor den. Gute Abschlussnoten von Abiturienten, Berufsschulab solventen, Technikermeistern usw. werden gern mit Foto und Namen veröffentlicht.

Es geht also hier konkret um die Leistungsfähigkeit von Schu len, um Zahlen zum Übergang auf weiterführende Schularten, um die Qualität der Ergebnisse, um die Notenschnitte, also auch um Gymnasialempfehlungen. Das sind Daten, die Rück schlüsse auf die Qualität der Schule, den Erfolg des Unter richts und der Lernmethoden zulassen. Es geht also um die „blöden“ alten Themen wie Fleiß, Erfolg, Mitarbeit, gute Pro jekte und um eine erfolgreiche Berufsausbildung. Dieses Wis sen möchte die Landesregierung seltsamerweise für sich al lein behalten.

Woran könnte das liegen? Sind denn Rückschlüsse auf homo gene oder heterogene Klassenstrukturen möglich? Vielleicht stimmen so schöne ideologische Bilder wie „Vielfalt macht schlau“ gar nicht. Auf die Anzahl der Migranten in den Schu len könnte man schließen, auf die Anzahl der Menschen, die deutsche Muttersprachler sind, auf die sozialen Verhältnisse im Schulumfeld, also darauf, wie sich die Eltern um die Kin der kümmern. Das alles sind heikle Themen, die aber – ich zi

tiere § 1 des Schulgesetzes – zum Erziehungs- und Bildungs auftrag des Landes gehören.

Wer dieses Gesetz ernst nimmt, muss die Informationsfreiheit klar befürworten und diese Informationen für alle Bürger for dern. Natürlich kann dabei herauskommen, dass Begabung oder Eignung eine große Rolle spielen. Möglicherweise ge fällt das dem einen oder anderen Ideologen hier nicht.

Liebe FDP/DVP, wir stimmen Ihrer Vorlage zu, obgleich Sie ein Gespräch mit uns oder eine Abstimmung mit uns erwar tungsgemäß nicht gesucht haben.

Danke schön.

(Beifall)

Herr Dr. Abg. Kern, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Als wir Freien Demokraten Kleine Anfragen zu den Anmeldezahlen an den weiterführenden Schu len stellten, war uns nicht bewusst, in welch ein Wespennest wir gestochen hatten.

(Beifall)

Dass die Kultusministerin bei den Anmeldezahlen einzelner Schulen unter Berufung auf eine Bestimmung des Landesin formationsfreiheitsgesetzes mauern würde, hatten wir so nicht erwartet. Auch in der Anhörung wurde deutlich, dass es um mehr geht als um ein Pokerspiel über Zahlen zwischen Parla ment und Regierung. Vielmehr geht es um eine systematische Erfassung und Aufbereitung von immer mehr schulbezoge nen Daten vor allem durch das noch relativ neue IBBW, das Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg.

Laut seiner Webseite hat das Institut u. a. folgenden Auftrag – ich zitiere –:

... die aufgabenbezogene bzw. systematische und wissen schaftsbasierte Erfassung, Auswertung und adressaten gerechte Aufbereitung von steuerungsrelevanten Daten wie Bildungsindikatoren und Trends auf unterschiedli chen Ebenen;...

Angesichts dieses sehr umfassenden Auftrags zur Datenerhe bung und Datenverarbeitung stellt sich vor allem die Frage, welche Daten für die Öffentlichkeit bestimmt bzw. zugäng lich sein sollten. Es ist sogar eine demokratietheoretische Fra ge, wie viel Wissen von Behörden mit der Öffentlichkeit ge teilt werden soll.

Nicht umsonst befürwortet „Mehr Demokratie e. V.“ unseren Gesetzentwurf, ebenso die Open Knowledge Foundation. Transparency International begrüßt ihn sogar, und das Netz werk Recherche erklärt seine nachdrückliche Zustimmung. Die Anwaltskanzlei CMS bemerkt, es gebe keine – ich wie derhole: keine! – Rechtsgründe, die gegen die vorgeschlage ne Neuregelung sprächen. Uns freuen insbesondere auch die Zustimmung des Landesschülerbeirats, des Landeselternbei rats, der Arbeitgeber, des Landessportverbands, der Elternin itiative „Grundschule: für ECHTE Wahlfreiheit und Freiwil ligkeit im Ganztag“, des HPR an den Gymnasien, des Beam tenbunds mit einem Kompromissvorschlag sowie last, but not

least die Stellungnahme des Landesbeauftragten für den Da tenschutz und die Informationsfreiheit, der den Gesetzentwurf ebenfalls begrüßt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie heute unserem Gesetzentwurf nicht zustimmen, müssen Sie diesen Instituti onen erst einmal erklären, warum Sie das nicht tun.

(Beifall)

Der LfDI stellt auch klar, dass der Informationszugang nicht schrankenlos ist, dass aber Einschränkungen der Informati onsfreiheit gut begründet sein müssen. Er sieht die Schwäche der bisherigen Rechtslage darin, dass eine kritische Diskussi on darüber unterbunden wird, welche Daten der Öffentlich keit zugänglich gemacht werden sollen und welche nicht.

Der LfDI regt deshalb auch ein Informationsregister an, in das die Daten ohne Personalbezug eingestellt werden sollen. Per sonenbezogene Daten müssen schließlich sorgsam geschützt und daher von vornherein ausgeschlossen sein.

Wir von den Freien Demokraten sind dieser Anregung gefolgt und schlagen mit einem Entschließungsantrag ein Verfahren vor, wie die Abgrenzung vorgenommen werden kann. Aber ganz offensichtlich haben weder CDU noch Grüne noch SPD diesen Antrag gelesen, oder sie haben ihn nicht verstanden.

(Vereinzelt Beifall)