Protocol of the Session on October 12, 2016

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der AfD)

Nun erteile ich Herrn Abg. Dr. Gedeon das Wort. – Sie haben eine Redezeit von zwei Minu ten.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe diesen Bericht über ak tuelle europapolitische Themen gelesen – ein eher oberfläch

licher Streifzug durch die Thematik. Lösungen in nennens wertem Maß, z. B. bei der Flüchtlingsverteilung, werden nicht angeboten.

Die innereuropäische Seite wird aufgezeigt, die außereuropä ische dagegen völlig ausgeblendet. Ich frage mich freilich: Warum nehmen Saudi-Arabien, die Emirate und vor allem die USA keine Flüchtlinge auf? Die militärische Intervention der USA ist doch die Hauptursache für den heutigen Flüchtlings strom in Europa. Ist es angesichts dieser Tatsache nicht pro vokant, wenn im Jahr 2015 Deutschland über eine Million Flüchtlinge aufnimmt, während die USA ganze 10 000 auf nehmen?

Auf den Punkt gebracht, meine Damen und Herren, bedeutet das: Die Amerikaner produzieren die Flüchtlinge, und die Eu ropäer nehmen sie auf und müssen die Suppe auslöffeln, die ihnen die Amerikaner eingebrockt haben.

(Zuruf: Zwei Minuten!)

Wenn wir das Problem lösen wollen, müssen wir das Zahlen verhältnis umdrehen: Dann müssen die Amerikaner eine Mil lion Flüchtlinge im Jahr aufnehmen und die Europäer 10 000, um einer Lösung, die dem Verursacherprinzip entspricht, we sentlich näher zu kommen.

Es ist sicherlich eine glückliche Fügung, dass der Generalkon sul – – Ich suche ihn; ich glaube, er ist schon weg.

(Zuruf: Ja!)

Er ist leider schon weg. Sonst hätte man ihm die Botschaft aus dem Stuttgarter Landtag direkt für seine Regierung auftragen können, mit einem herzlichen Gruß.

(Abg. Beate Böhlen GRÜNE: Nein, nein! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Das ist nur Ihre Bot schaft, Herr Kollege! – Zuruf von der CDU: Ihre Bot schaft!)

Ja, gut.

Brüssel sollte sich weniger darauf konzentrieren, Staaten wie Ungarn und die Slowakei im Hinblick auf die Flüchtlingsauf nahme zu erpressen, sondern stattdessen eine harte Linie ge genüber Saudi-Arabien und den USA fahren.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Das wäre eine Entlastung für Europa.

Eine solche Europapolitik, meine Damen und Herren, müs sen auch wir, der Stuttgarter Landtag, fordern, fördern und, soweit es auf Landesebene möglich ist, selbst betreiben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der Abg. Dr. Christina Baum AfD – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Es gibt immer noch Fans in der AfD! Das ist eindeutig! – Abg. Nicole Ra zavi CDU: Eine hat noch geklatscht! – Abg. Dr. Wolf gang Gedeon [fraktionslos] zur AfD: Ihr könnt hier ruhig mitklatschen! Ihr klatscht auch bei den Rednern von den Grünen!)

Für die Landesregierung er teile ich Herrn Minister Wolf das Wort.

Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Satz des Red ners, der gerade gesprochen hat, gibt mir Anlass, doch ein paar Worte über die Gepflogenheiten eines Parlaments zu verlie ren. Welche politischen Botschaften an Diplomaten anderer Länder gerichtet werden, entscheiden in diesem Hohen Haus nicht fraktionslose Einzelabgeordnete, sondern entscheidet die Mehrheit des Landtags von Baden-Württemberg.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP)

Aber ansonsten möchte ich mich sehr herzlich für eine, wie ich finde, in allen Facetten differenzierte Europadiskussion bedanken. Wenn wir, der Landtag von Baden-Württemberg, einen Auftrag und eine Aufgabe haben, dann die Aufgabe, über Europa zu reden, über Europa zu diskutieren, aber auch, nicht all jene zu stigmatisieren, die Europa kritisieren. Wir sollten diese Kritik zum Anlass nehmen, Europa auch selbst kritisch zu hinterfragen. Hören wir indessen damit auf, Euro pa immer nur schlechtzureden, und machen wir es uns lieber zur Aufgabe, Europa als große Errungenschaft von jahrzehn telangem Frieden in diesem Land zu würdigen und den Men schen nahezubringen.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, auf der Grundlage des zweiten Quartalsberichts 2016 möchte ich einen Einblick in die europa politischen Aktivitäten der grün-schwarzen Landesregierung geben. Es gab, lieber Kollege Hofelich, bei der letzten Dis kussion noch gewisse Fragezeichen: Wie stellt sich diese Re gierung in ihrer neuen Formation auf? Wie versteht sie Euro papolitik?

Ich glaube, wir haben in den ersten Monaten unter Beweis ge stellt, dass es uns in dieser Formation darum geht, Europa nicht geringer zu achten, sondern im Gegenteil durch die An siedlung der Europazuständigkeit in einem Fachressort auf zuwerten. Ebenso bleibt natürlich auch das Staatsministerium in internationalen Angelegenheiten immer zuständig.

Wir wollen die Europapolitik auch zu einem Markenzeichen baden-württembergischer Landespolitik machen. Wir wollen durch die Zusammenführung von Europa- und Justizpolitik klar und deutlich zu erkennen geben, dass es uns in Europa um Rechtsstaatlichkeit, um Verfassungsmäßigkeit, um ge meinsame Werte geht. Das ist Europapolitik nach baden-würt tembergischer Lesart.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Meine Damen und Herren, es ist mehrfach angeklungen: Na türlich wird die Europapolitik derzeit stark durch den Brexit und seine Folgen geprägt. Das Brexit-Votum war für alle von uns – das unterstelle ich – ein Schock, vielleicht da und dort auch ein heilsamer Schock.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Auch wenn der Antrag Großbritanniens auf Austritt nach der europäischen Verfassung noch nicht vorliegt, gilt es, sich auf

die Austrittsverhandlungen und die Auswirkungen des Brexits vorzubereiten.

Die britische Premierministerin May hat jüngst angekündigt, die offiziellen Austrittsverhandlungen bis Ende März 2017 in Gang zu setzen. Ich denke, darauf müssen wir uns vorberei ten. Es wurden heute die unterschiedlichsten Facetten dieser Herangehensweise genannt. Natürlich gilt es, einen Spagat mit dem Ziel zu üben, dass der Zugang zum Binnenmarkt auch weiterhin funktionieren muss. Wir wollen uns nicht ins eige ne Fleisch schneiden. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole, was ich bereits in der letzten Europadebatte gesagt habe: Ein bisschen Brexit gibt es nicht. Es darf nicht die Folge der Politik sein, dass sich auch andere dazu veran lasst sehen, Rosinenpickerei zu betreiben.

(Vereinzelt Beifall)

Deswegen: Wer für den Brexit gestimmt hat, muss jetzt auch konsequent dazu stehen. Auch das muss unsere Antwort dar auf sein.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, für uns kommt es darauf an, dass wir die Auswirkungen des Brexits auch im eigenen Land ana lysieren. Ich habe eine Brexit-Folgenabschätzung im Land in Auftrag gegeben. Die einzelnen Ressorts haben über die Fol gen eines Brexits befunden. Wir werden uns auch in diesem Haus und im Kabinett damit befassen. Dabei denke ich etwa an wirtschaftliche Folgen, aber auch Auswirkungen im Wis senschaftsbereich, im Schulbereich, bei Sicherheits- und Mi grationsfragen und in vielerlei finanzieller Hinsicht. Um rich tig darauf vorbereitet zu sein, muss man zunächst einmal gründlich analysieren, was dieser Brexit an Folgerungen nach sich zieht.

Ich sehe im Brexit aber vor allem auch ein politisches Risiko für den Zusammenhalt in der Europäischen Union. In vielen Mitgliedsstaaten mehren sich europaskeptische und nationa listische Stimmen

(Abg. Anton Baron AfD: Was hat denn das mit dem Brexit zu tun?)

mit Forderungen nach Austrittsreferenden. Die Antwort auf die Vertrauenskrise in der EU kann aus meiner Sicht nicht „Weiter so!“ lauten, sondern Europa muss – ich glaube, das ist etwas, was wir den Menschen wieder neu nahebringen müssen, worauf sie auch wieder vertrauen können –

(Abg. Anton Baron AfD: Ah! Ganz neue Worte!)

seine Problemlösungskompetenz beweisen. In den großen Fra gen, in der Flüchtlingsthematik, in Fragen der Sicherheit, der Währungsstabilität vermissen die Menschen vielfach die Ant worten Europas, während sie Europa in täglicher Reglemen tierung, Bürokratie und einem kostenaufwendigen Apparat in den Institutionen wahrnehmen. Das ist die falsche Botschaft. Da muss Europa kritikfähiger werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU)

Für ein Land wie Baden-Württemberg im Herzen Europas, das wie kaum ein anderes Land von der Europäischen Union profitiert, ist eine gut funktionierende Europäische Union le benswichtig. Es wurden heute die Schlüsselbegriffe genannt. An dem Begriff „Subsidiarität“, so richtig er ist, beklage ich immer wieder, dass er so formalistisch daherkommt und nicht unbedingt geeignet ist, die Emotionen zu wecken, die es letzt lich in der europapolitischen Diskussion auch wieder zu we cken gilt. Vielleicht sollten wir uns verstärkt der Begrifflich keit bemühen, die etwa Lothar Späth geprägt hat: das Europa der Regionen. Es geht schlicht und ergreifend darum, dass Eu ropa sich nicht alle Aufgaben krallt und an sich zieht, sondern dass Europa auch den Regionen, den Kommunen, den Men schen vor Ort etwas zutraut. Europa muss sich nicht um alles kümmern, Europa muss sich um die richtigen Dinge küm mern.

Deshalb ist es immer wieder wichtig, diese Subsidiarität, die ses Europa der Regionen, Europa der Menschen, nicht der In stitutionen, zu verdeutlichen. Sie ist ein Architekturprinzip der Europäischen Union. Europa muss auf starke Kommunen und Regionen aufgebaut sein und sich von unten nach oben ent wickeln.

Das wollen wir uns auch zur Handlungsmaxime in der Lan desregierung machen, bei meinen Gesprächen in Brüssel im Ausschuss der Regionen, bei der Europaministerkonferenz, aber auch im EU-Ausschuss des Bundesrats. Gestern tagte und heute tagt der Ausschuss der Regionen. Ich kann heute wegen der Sitzung des Parlaments hier nicht dabei sein, war aber gestern Abend und heute Nacht in Brüssel

(Abg. Winfried Mack und Abg. Nicole Razavi CDU: Hey! – Vereinzelt Beifall)

und habe die Kolleginnen und Kollegen des AdR in die Lan desvertretung eingeladen, um dort Kontakte zu knüpfen. Das Wort Baden-Württembergs hat dort Gewicht, und ich will, dass wir aus unserer Landesvertretung heraus auch der Stim me Baden-Württembergs, der Stimme der starken Länder im Ausschuss der Regionen Gewicht geben. Ich freue mich na türlich auch über das Interesse einer Delegation aus Serbien, aus der Vojvodina, gestern Abend in unserer Landesvertre tung, die an einer Intensivierung der Kontakte mit BadenWürttemberg sehr interessiert ist. Das wollen wir gern tun.

Schließlich, meine Damen und Herren, habe ich die Frage nach mehr oder weniger Europa, nach Subsidiarität auch als das zentrale Thema des „Triberger Symposiums“ vorgesehen, das das Justizministerium jährlich und traditionell hochkarä tig besetzt durchführt. In diesem Jahr wollen wir uns auch dort mit Fragen Europas und der Subsidiarität befassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir stellen im mer wieder fest, dass wir in Europa – wie häufig in der Poli tik – vor allem auch ein Kommunikationsdefizit haben. Die Politik neigt inzwischen dazu, immer wieder zu sagen, wir müssten es nur besser erklären. Das impliziert, die Leute hät ten es bislang nicht kapiert. Ich glaube, das ist die falsche Bot schaft. Die Menschen wissen genau, was sie von diesen euro päischen Entwicklungen zu halten haben. Aber wir müssen andere Formen finden, um Europa zu erklären und näherzu bringen.

Viele Projekte in den Kommunen, in den Regionen mit euro päischer Finanzierung, mit europäischer Förderung – es gäbe sie nicht, wenn es Europa nicht gäbe. Ich glaube, das müssen wir wieder vor Ort auch den Menschen präsentieren. Europa in Fahrt! Nehmen Sie die Bürgerinnen und Bürger Ihrer Wahl kreise mit auf den Weg, um Projekte vor Ort in Augenschein zu nehmen, die es ohne europäische Unterstützung nicht ge geben hätte.