Protocol of the Session on July 15, 2020

Fraktionslos: Dr. Wolfgang Gedeon.

Mit N e i n haben gestimmt:

GRÜNE: Muhterem Aras, Theresia Bauer, Susanne Bay, Hans-Peter Beh rens, Andrea Bogner-Unden, Sandra Boser, Martina Braun, Nese Erikli, Jürgen Filius, Josef Frey, Martin Grath, Petra Häffner, Martin Hahn, Wil helm Halder, Thomas Hentschel, Winfried Hermann, Hermann Katzen stein, Manfred Kern, Petra Krebs, Winfried Kretschmann, Daniel And reas Lede Abal, Dr. Ute Leidig, Brigitte Lösch, Manfred Lucha, Alexan der Maier, Thomas Marwein, Bärbl Mielich, Jutta Niemann, Reinhold Pix, Thomas Poreski, Daniel Renkonen, Barbara Saebel, Alexander Sa lomon, Alexander Schoch, Andrea Schwarz, Andreas Schwarz, Hans-Ul rich Sckerl, Stefanie Seemann, Edith Sitzmann, Franz Untersteller, The kla Walker, Jürgen Walter, Dorothea Wehinger.

CDU: Norbert Beck, Dr. Alexander Becker, Thomas Blenke, Klaus Bur ger, Andreas Deuschle, Thomas Dörflinger, Konrad Epple, Arnulf Frei herr von Eyb, Marion Gentges, Fabian Gramling, Friedlinde Gurr-Hirsch, Manuel Hagel, Sabine Hartmann-Müller, Raimund Haser, Peter Hauk, Ulli Hockenberger, Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Isabell Huber, Karl Klein, Wilfried Klenk, Joachim Kößler, Sabine Kurtz, Siegfried Lorek, Winfried Mack, Claudia Martin, Christine Neumann-Martin, Claus Paal, Julia Philippi, Dr. Patrick Rapp, Nicole Razavi, Dr. Wolfgang Reinhart, Karl-Wilhelm Röhm, Karl Rombach, Volker Schebesta, Dr. Stefan Schef fold, Dr. Albrecht Schütte, August Schuler, Willi Stächele, Stefan Teu fel, Tobias Wald, Guido Wolf, Karl Zimmermann.

SPD: Sascha Binder, Daniel Born, Nicolas Fink, Dr. Stefan Fulst-Blei, Reinhold Gall, Gernot Gruber, Rainer Hinderer, Peter Hofelich, Andre as Kenner, Gerhard Kleinböck, Georg Nelius, Gabi Rolland, Ramazan Selcuk, Rainer Stickelberger, Andreas Stoch, Jonas Weber, Dr. Boris Wei rauch, Sabine Wölfle.

FDP/DVP: Stephen Brauer, Rudi Fischer, Dr. Ulrich Goll, Jochen Hauß mann, Klaus Hoher, Daniel Karrais, Jürgen Keck, Dr. Timm Kern, Ga briele Reich-Gutjahr, Dr. Hans-Ulrich Rülke, Dr. Erik Schweickert, Ni co Weinmann.

Fraktionslos: Stefan Herre, Harald Pfeiffer.

Damit ist Tagesordnungspunkt 2 erledigt.

Jetzt kommen wir zurück zum ursprünglichen Tagesord nungspunkt 3 – das ist jetzt Tagesordnungspunkt 4 (neu) –:

Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Staatsministeriums – Verwaltungsvorschrift Öffentlich keitsbeteiligung, Planungsleitfaden und Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg – Drucksache 16/2196

Auch hierzu hat das Präsidium folgende Redezeiten festge legt: fünf Minuten für die Begründung und fünf Minuten je Fraktion für die Aussprache.

Zuerst spricht wieder Frau Abg. Erikli.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen und Kollegen! In Rottweil wird ein neues Ge fängnis gebaut.

(Zuruf: Gut so!)

Das ist erst einmal keine außergewöhnliche Nachricht. Neu ist aber der Gestaltungsprozess, in den die Rottweilerinnen und Rottweiler einbezogen wurden, nachdem sie sich 2015 im Anschluss an eine engagierte Auseinandersetzung für eine Justizvollzugsanstalt ausgesprochen hatten.

Das ist vermutlich eine deutschlandweite Premiere; denn auch nach dem Bürgerentscheid, bei der konkreten Planung der JVA, sollten die Bürgerinnen und Bürger mitreden und diese Aufgabe nicht einfach den Behörden überlassen. Das war in dieser Form etwas Neuartiges, das auf den Planungsleitfaden der Landesregierung zur Bürgerbeteiligung zurückzuführen ist. Die intensive Bürgerbeteiligung vor und nach dem Bürger entscheid in Rottweil ist ein gutes Beispiel dafür, wie erfolg reich Gestaltungsprozesse in Baden-Württemberg ablaufen können.

(Beifall)

Aber das, was in Rottweil gut klappt, muss nicht zwangsläu fig in jeder anderen Kommune ebenso gut funktionieren. Denn jede Kommune ist individuell, und dementsprechend muss auch das richtige Format der Bürgerbeteiligung gewählt wer den. Das zeigt auch die Stellungnahme der Landesregierung zu unserem Antrag, den wir heute hier behandeln.

Aus der Sicht der Landesregierung gibt es nicht das eine, das perfekte Format. Entscheidend ist vielmehr, dass es mehrere Handlungsoptionen gibt, jeweils an die Situation angepasst. Eine entscheidende Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Bürgerbeteiligung ist nämlich, dass man einen frühen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern führt, sprich eine rechtzei tige Einbindung der Öffentlichkeit. Das Beispiel JVA Rottweil zeigt jedenfalls: Durch die Einbindung in die Entscheidungs- und Planungsprozesse ermöglichen wir es den Menschen, die Kriterien für die Behördenentscheidung nachzuvollziehen und anzuerkennen. Die relevanten Kriterien werden gemeinsam diskutiert, ergänzt und fortwährend verbessert, und die Lan desregierung lässt die Kommunen bei einer erfolgreichen Bür gerbeteiligung nicht im Stich und setzt eigene Impulse.

Um Kommunen einen Rahmen für die Durchführung von Öf fentlichkeits- und Bürgerbeteiligung zu geben, hat das Land eine dementsprechende Verwaltungsvorschrift eingeführt.

Diese bildet bewusst die wesentlichen Muster einer Bürger beteiligung ab und bietet somit eine Blaupause für jede Form der Bürgerbeteiligung. Zusätzlich werden aus dem Etat der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung Fort bildungsangebote, Vorträge und Netzwerktreffen finanziert. Die Bildungsangebote sind für das Gelingen einer erfolgrei chen Bürgerbeteiligung sehr wichtig. Denn entscheidend ist u. a. die innere Haltung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden vor Ort. Die Bürgerinnen und Bürger sind Betroffene und Partner. Ihre Anliegen müssen daher ernst ge nommen werden.

Bevor ich zum Ende komme, möchte ich noch einen weiteren Aspekt ansprechen, der mir besonders wichtig ist, nämlich die Einbindung von Jugendlichen, von Migranten, Frauen oder auch von Angehörigen sozial benachteiligter Schichten. Die se Gruppen sind in Bürgerbeteiligungsprozessen häufig unter repräsentiert, oder sie trauen sich nicht, von ihren Mitwir kungsrechten Gebrauch zu machen. Methodisch ist daher das beste Mittel der Einsatz von zufällig ausgewählten Bürgerin nen und Bürgern – der sprichwörtliche Zufallsbürger.

(Zuruf: Nein! Unsinn!)

Die Landesregierung hat im Planungsleitfaden verschiedene Methoden vorgestellt, um auch diese Menschen für eine Teil nahme an Beteiligungsprozessen zu gewinnen. Ich wünsche mir, dass wir in Zukunft von diesen Mitteln noch viel häufi ger Gebrauch machen. Denn wir reden oft davon, unsere De mokratie besser zu schützen, Bürgerinnen und Bürger in ih rem Unmut oder ihrer Politikverdrossenheit nicht alleinzulas sen. Wenn die Menschen nicht nur vereinzelt Gelegenheit ha ben, abzustimmen, sondern wenn sie dort, wo es sinnvoll ist, nach ihrer Meinung gefragt werden, dann haben wir mit den genannten Formen der Bürgerbeteiligung wirksame Instru mente zur Hand, um negativen Tendenzen in der Gesellschaft vorzubeugen, und wir sollten diese Instrumente auch nutzen.

Ich möchte mich noch einmal bei unserer Staatsrätin für Zi vilgesellschaft und Bürgerbeteiligung – liebe Gisela Erler – für ihren unermüdlichen Einsatz bedanken.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Herr Kollege Hockenber ger, Sie sprechen für die CDU.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Haußmann hat mich gerade noch einmal darauf aufmerksam gemacht, dass ich jetzt, nach der Behandlung von Tagesordnungspunkt 4, zu Tagesordnungspunkt 3 sprechen soll. Das tue ich nun und wid me mich der Verwaltungsvorschrift Öffentlichkeitsbeteiligung – nur damit Sie wissen, worum es nun geht.

Die vormalige Koalition hat 2011 im Koalitionsvertrag eine neue Planungskultur verabredet. Der Umsetzung dieser Ver abredung dienen der sogenannte Planungsleitfaden und der verbindliche Teil, die Verwaltungsvorschrift Öffentlichkeits beteiligung. Im Vorwort dazu stellt Frau Staatsrätin Gisela Er ler die entscheidende Frage:

Wie lassen sich Großprojekte konfliktfreier und damit... zügiger planen...?

Sie kommt zu der entscheidenden Feststellung, dass Bürger beteiligung behördliche Entscheidungen zwar beeinflussen, nicht aber ersetzen kann. Dies unterscheide sie von Formen der direkten Demokratie, und hier liege die Quelle für Miss verständnisse. – Wie wahr, Frau Erler! Im einen oder anderen Fall kam es tatsächlich zu Missverständnissen.

Mit den direkten Formen der Bürgerbeteiligung werden wir uns ja noch gemeinsam auseinandersetzen. Der Evaluierungs bericht zur Gemeindeordnung liegt vor; er ist jedoch heute nicht Gegenstand der Tagesordnung.

In dieser Verwaltungsvorschrift befindet sich eine Besonder heit, die mir gut gefällt – das möchte ich sagen; ich werde hin terher auch das eine oder andere noch kritisch anmerken –: Es wird die Regelung eingeführt, dass Menschen, die im Rah men der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht ausführlich genug zu Wort gekommen sind, im Erörterungstermin ein Rederecht haben, und zwar ohne Nachweis eigener rechtlicher Betrof fenheit. Das ist ein Fortschritt; das finde ich gut.

Gut finde ich auch, dass die Landesregierung ausdrücklich den Unterschied zwischen den verschiedenen Beteiligungsformen deutlich macht. Denn das hilft, überzogene Erwartungen zu vermeiden. Es geht um Konsultation und nicht um Mitent scheidung.

Hinweisen möchte ich auch auf die Evaluation des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung von Februar 2017. Dort hat man den Ressourcenaufwand für 155 Vorha ben in der Zeit von 2015 bis 2017 analysiert, um das Ausmaß der Verwaltungskultur ein Stück weit zu messen. Zusammen fassend wird dort festgestellt, dass relativ wenige Verfahren den größten Aufwand verursachen. Exemplarisch werden zwei Vorhabengruppen genannt. Zum einen sind das Verfahren nach dem Integrierten Rheinprogramm, also Hochwasserschutz maßnahmen. Aus meinem eigenen Wahlkreis ist dabei die Maßnahme Elisabethenwört betroffen; darauf komme ich noch zu sprechen. Allein für diese Maßnahme im Regierungsbezirk Karlsruhe werden nahezu 50 % des Aufwands für Öffentlich keitsbeteiligung aufgebracht.

Zum Zweiten geht es – nicht überraschend – um Straßenbau maßnahmen. Dort wird für sieben Großvorhaben – das sind 5 % dieser 155 Großvorhaben – die Hälfte des Aufwands ge bunden.

Experten, die dazu befragt wurden, haben Folgendes zusam menfassend gesagt: Ob die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung den weiteren Verlauf von großen Infrastrukturvorhaben posi tiv beeinflusst, wie eigentlich zu erwarten ist, kann nicht mit Sicherheit bestätigt werden. Hingegen kann aber angenom men werden, dass sich ohne frühe Öffentlichkeitsbeteiligung Widerstand einstellen würde, der die Projektrealisierung viel leicht verzögert.

Ich möchte aus eigenem Erleben ein Beispiel nennen. Bei der Hochwasserschutzmaßnahme Elisabethenwört gab es einen langjährigen Beteiligungsprozess. Es fanden viele Sitzungen statt, zu denen viele Menschen gekommen sind, die sich be teiligt haben. Dann wurden sie zu einer weiteren Sitzung un ter der Überschrift „Vorstellung des Variantenvergleichs“ ein geladen. Die Menschen sind gekommen; sie dachten, der Va riantenvergleich wird vorgestellt und diskutiert. Es ist aber

nicht nur der Variantenvergleich vorgestellt worden, sondern es ist sofort gesagt worden, welche dieser Varianten in das Planfeststellungsverfahren überführt worden ist. Die Men schen haben sich – in diesem Fall – überrascht gezeigt. Sie fühlten sich nicht wertgeschätzt. Sie fühlten sich ein Stück weit auch missachtet. Sie gestatten ein Zitat aus einem Leser brief dazu:

Da sitzt man nun über drei Jahre zusammen und versucht, eine Lösung für alle zu finden, und dann wird man unvor bereitet mit einer Entscheidung konfrontiert, die in 14 Ta gen auch intensiver hätte abgehandelt werden können. Ich werde in Zukunft an solchen Projektbegleitreisen nicht mehr teilnehmen und fühle mich auf Deutsch gesagt...

Die Würde des Hauses verbietet mir die Fortsetzung des Zi tats.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Ich will zusammenfassen: Die Verwaltungsvorschrift und der Planungsleitfaden haben sich im Grundsatz bewährt. Sie ha ben dann, wenn unterschiedliche Erwartungshorizonte vor handen waren, Schwächen offenbart. Wenn nicht hinreichend kommuniziert wird, wird das auch künftig zu Spannungen führen.

Dennoch glauben wir, dass diese Form der Beteiligungskul tur – zumal in einer repräsentativen Demokratie – in die rich tige Richtung zeigt. Es muss aber dafür gesorgt werden, dass man ehrlich miteinander umgeht und nicht Menschen die Möglichkeit einer Beteiligung suggeriert, die dann nicht ein gelöst werden kann. Ich weiß nicht, aber vielleicht haben die se Menschen auch nur den Unterschied zwischen Gehörtwer den und Erhörtwerden nicht verstanden – ein Missverständ nis sozusagen.

(Zuruf)

Das sollte sich nicht mehr wiederholen. Deswegen, glaube ich, sollten wir im einen oder anderen Fall noch ein bisschen nachschärfen. Ich freue mich auf eine spannende Diskussion beim noch interessanteren Thema „Bürgerentscheide auf Landkreisebene“. Ich glaube, für heute ist alles gesagt.

Ich habe auch nachgelesen – ich weiß nicht, ob das stimmt; der Antrag ist aus dem Jahr 2017 –, dass die Verwaltungsvor schrift am 28. Februar 2021 ausläuft. Mal sehen, was danach kommt.

Vielen Dank.

(Beifall)

Herr Abg. Dr. Weirauch, Sie haben das Wort.