Wir brauchen eine realistische Personalbemessung. In der Be hindertenhilfe muss die unselige Wettbewerbsklausel vom Tisch. Das sind nur einige Beispiele.
Wir erleben, dass massiv Staatshilfen eingefordert werden – auch von Kliniken, die in privater Trägerschaft stehen, auch von privaten Unternehmen, auch von Einrichtungen, die sich mit Auslagerungen und Untergesellschaften ihre Refugien für Billiglöhne geschaffen haben. All diese Arbeitgeber werden gesellschaftliche Solidarität einfordern. Es ist doch nur ge recht, dass wir die Hilfe der Gemeinschaft daran knüpfen, dass diese Arbeitgeber zu ihrer gesellschaftlichen Solidarität ste hen.
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, wir werden in der Po litik noch viele Monate über die Auswirkungen der Corona krise reden müssen, vielleicht noch Jahre. Sorgen wir jetzt da für, dass wir die richtigen Ziele setzen: nicht ein Zurück in die Zeit davor, sondern ein Voran zu besseren Zuständen. Sorgen wir dafür, dass die massiven Hilfen des Staates nicht nur den Bilanzen, sondern auch den Beschäftigten helfen. Sorgen wir dafür, dass die Heldinnen und Helden der Coronakrise auf Dauer die Anerkennung genießen, die ihnen gebührt – auch die finanzielle Anerkennung.
Wenn wir das schaffen, dann könnte es sein, dass eines Tages nicht wir den Heldinnen und Helden der Krise danken, son dern diese Heldinnen und Helden endlich der Politik. Da wä re die richtige Antwort an die Menschen gegeben.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Das Erste, was mir bei der Rede des Kollegen Stoch einfällt, ist, dass von den letzten 22 Jahren, seit 1998, die SPD 18 Jahre mit in der Bundesregierung ge sessen hat.
(Beifall – Zurufe, u. a. Abg. Anton Baron AfD: Ge nau so ist es! – Gegenruf des Abg. Andreas Stoch SPD – Vereinzelt Heiterkeit)
Dass wir verhältnismäßig gut durch die Krise kommen, ha ben wir ganz besonders denjenigen zu verdanken, deren Ar beit oft übersehen oder geringgeschätzt wird, beispielsweise den Beschäftigten in der Pflege, im Gesundheitssystem, in der Behindertenhilfe, in der Jugendhilfe, in der Kitanotbetreuung, in der Logistik und im Einzelhandel. Das sind Menschen, die jetzt unser Land am Laufen halten und dafür oft viel zu schlecht bezahlt werden.
Gleiches gilt für Lastwagenfahrerinnen und Lastwagenfahrer, Erntehelferinnen und Erntehelfer, Kassiererinnen und Kassie rer und für Reinigungskräfte. Sie sind systemrelevant. Dies gilt auch für viele andere Bereiche: Rettungsdienste, Polizei und Feuerwehr, Bundeswehr, Forschungseinrichtungen, Me dizinproduktehersteller oder die zahlreichen Krisenstäbe in den Kommunen und nicht zuletzt auch in den Ministerien.
Ihnen allen schulden wir nicht nur Dank, sondern auch ein Versprechen für die Zukunft: Anerkennung, Gleichberechti gung, bessere Arbeitsbedingungen – und oft auch bessere Löh ne; da stimme ich Ihnen übrigens zu.
Es spricht alles dafür, jetzt damit zu beginnen. Deshalb begrü ße ich die heutige Debatte ausdrücklich. Menschen in der Pfle ge und im Gesundheitswesen haben in den letzten Wochen Großes geleistet, auch unter Inkaufnahme von Gesundheits gefährdungen. Ich erinnere nur an den hohen Anteil des me dizinischen Personals bei den Neuinfektionen.
Deshalb ist es gut, dass jetzt, im Zusammenspiel mit dem Bund, eine Coronaprämie in Höhe von 1 500 € in der Alten pflege vereinbart wurde, an der sich das Land zu einem Drit tel beteiligt. In diesem Arbeitsfeld wird es auf absehbare Zeit noch besondere Belastungen durch Corona-Infektionen und Schutzmaßnahmen geben. Aber ich teile, wie auch mein Frak tionsvorsitzender Andreas Schwarz, die Auffassung, dass da mit Ähnliches für andere Personengruppen nicht ausgeschlos sen werden darf, etwa in der Krankenpflege, in der Eingliede rungshilfe, in der Kitanotbetreuung oder in der Arbeit mit psy chisch Kranken.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU, es bringt wenig, wenn Sie das hier im Landtag oder vor der Pres se fordern. Ihre beiden Parteien stellen die Bundesregierung.
Es braucht eine konkrete Ansprache Ihrerseits an Ihre Bun desebene, an den Genossen Olaf und an den zuständigen Mi nister Jens Spahn. Sonst bleiben Ihre Forderungen Symbol politik.
Einmalzahlungen sind gut; entscheidend sind aber nachhalti ge Verbesserungen: verlässlich greifende Tarifverträge, wirk same Mindestlöhne, eine verlässliche Personalberechnung im Gesundheitswesen statt statistisch ermittelter Mindeststan dards, der Schutz der Beschäftigten vor Infektionen und vor Überlastungssituationen. Hinzu kommen muss eine weiter verbesserte Ausstattung des öffentlichen Gesundheitsdienstes, der Gewerbeaufsicht und des betrieblichen Gesundheitsma nagements – solidarisch finanziert, für uns Grüne verbunden mit einer Bürgerversicherung für Gesundheit und Pflege.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen in dieser exis tenziellen Krise viele Heldinnen und Helden des Alltags erle ben. Ich möchte neben den schon erwähnten einige besonders hervorheben, etwa die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte und ihr Personal. Denn für viele Menschen, die sich krank fühlten, waren sie die erste Anlaufstation. Altenpflegerinnen und Altenpfleger haben nicht nur ihren Job gemacht, sie wa ren für viele Heimbewohnerinnen und -bewohner lange die einzigen sozialen Kontakte, und sie haben unter enormem Druck auch diese Rolle hervorragend erfüllt.
Beschäftigte in der Behindertenhilfe und der Jugendhilfe hat ten ohne ausreichende Schutzausrüstung direkten Menschen kontakt; denn wir konnten im Land anfangs nur den Mangel verwalten. Menschen im öffentlichen Dienst waren freiwillig am Wochenende auf Streife, um die Einhaltung der Maßnah men zu überwachen. Sie wurden zum Teil körperlich ange griffen. Eltern – verschärfte Bedingungen haben Alleinerzie hende – müssen Haushalt, Homeoffice und Homeschooling unter einen Hut bringen und teilweise ihren Jahresurlaub und Zeit darüber hinaus opfern. Ehrenamtliche haben in der Nach barschaftshilfe Einkäufe für gefährdete Menschen übernom men. Studierende halfen in Krankenhäusern oder arbeiten frei willig bei Krisenhotlines mit. Führungskräfte in Unternehmen haben dem Land ihre Solidarität angeboten und bei der Be schaffung und Produktion von Schutzausrüstung sowie bei der Herstellung von Desinfektionsmitteln mit angepackt. Reini gungskräfte fuhren und fahren noch immer Doppelschichten, um Orte zu desinfizieren. Wir sagen: Die Dankbarkeit, die wir diesen Menschen schulden, gilt auch für die Zeit nach Coro na.
Zu denen, die besondere Opfer bringen mussten und müssen, zählen zweifellos Kinder und Jugendliche. Mit einer starken Einschränkung sozialer Kontakte – Kinder brauchen Kinder –, mit beengten und teilweise prekären Verhältnissen, mit dem Wegfall des kostenlosen Mittagessens in der Schule oder der Kita und dem Fehlen von stützenden Strukturen in der offe nen Kinder- und Jugendarbeit hatten und haben sehr viele von ihnen zu kämpfen. Deswegen ist es gut, dass Schulen, Kitas und andere Angebote nun, nach Kriterien des Infektionsschut zes, Schritt für Schritt wieder geöffnet werden.
Viele Kinder und Jugendliche verkraften die besonderen Be lastungen relativ gut, andere hingegen nicht. Etwa 20 % der Schülerinnen und Schüler werden beim Homeschooling nicht erreicht. Die Gewaltambulanz Heidelberg geht infolge der Kontaktbeschränkung von einer Verdreifachung bei den Kin desmisshandlungen aus.
Deshalb ist es wichtig, dass es Menschen gibt, die in dieser besonderen Situation Zivilcourage zeigen und eigenverant wortlich alle Handlungsmöglichkeiten ausschöpfen. Ich rede von Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern, die täglich mit Schülerinnen und Schülern über soziale Medien Kontakt aufnehmen, um sie zu stützen und frühzeitig auch Hilfen anzubieten, ganz niederschwellig im Sinne von: „Fällt dir schon die Decke auf den Kopf? Sollen wir uns mal tref fen?“
Ich denke an Ehrenamtliche, die mit Unterstützung ihrer Kom mune oder des Landkreises die freien Mittel aus dem Bil dungs- und Teilhabepaket einsetzen, um benachteiligten Kin dern zu einem kostenlosen Mittagessen zu verhelfen. Und ich habe größte Hochachtung vor der Sozialamtsleiterin und dem Jugendamtsleiter, die den Fachkräften in den Kitas und Schu len vertrauen und für die eines ganz klar ist: Wenn ein Erzie her oder eine Lehrerin meldet: „Ich mache mir um ein Kind Sorgen“, dann kommt dieses Kind ganz selbstverständlich in die Notbetreuung, in mutiger und kreativer Auslegung der Vorschriften.
Sie alle sind Heldinnen und Helden des Alltags. Wir brauchen noch viel mehr von ihnen; denn sie haben verstanden: Frei heit ist nicht mit dem Recht des Stärkeren zu verwechseln. Nachhaltige Freiheit gibt es nur, wenn wir auf die Verletzlichs ten in dieser Gesellschaft schauen und wenn wir kein Kind zurücklassen.
Dass diese Erkenntnis über den Tag hinaus Bestand hat, ist nicht selbstverständlich. Wir stehen in vieler Hinsicht an ei ner Wegscheide. Schreiben wir alte Probleme fort und erzeu gen dadurch neue? Wir hören schon die Stimmen, die Klima schutz wieder als Luxusproblem diffamieren. Wir sagen je doch: Nur mit einer beherzten Zivilgesellschaft, nur wenn aus Bekenntnissen Wirklichkeit wird, nur wenn wir mutig und be sonnen handeln, werden wir nach der aktuellen Krise auch an dere große Herausforderungen bewältigen, allen voran die Klimakrise – die sich eben nicht wegimpfen lässt.
Sie dürfen gern zuhören, bevor Sie kommentieren –: Die Robustheit von Wirtschaft, von Gesundheits- und Sozialsys temen und der Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen sind kein Widerspruch. Sie sind fest miteinander verbunden.
Sehr geehrte Frau Landtags präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Corona ist für unsere Gesellschaft ein echter Stresstest. Die Coronapande mie hat unser aller Leben von heute auf morgen auf den Kopf gestellt – mit drastischen Einschnitten in unser aller Alltag.