Protocol of the Session on April 29, 2020

(Beifall)

Die hohe Zahl der Genesenen ist die gute Nachricht. Wir müs sen aber auch festhalten, dass über 1 300 Todesfälle im Land zu beklagen sind, die auf Covid-19 zurückzuführen sind. Da zu kommen schwere Fälle der Erkrankung mit vermutlich le benslangen Folgen für die Betroffenen. Das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen: Die durch das Coronavirus hervorgerufene Erkrankung ist eine Krankheit, die in vielen Fällen zum Tod führt, die Folgeschäden hervorruft und bei der erst nach und nach deutlich wird, dass nicht nur die Lunge, sondern auch andere Organe geschädigt werden können. Ver harmlosungen jeglicher Art verbieten sich daher, liebe Kolle ginnen und Kollegen.

(Beifall)

Im Klartext bedeutet das, dass wir lernen müssen, in den nächsten Monaten mit dem Virus zu leben. Weiterhin stecken sich jeden Tag mehrere Hundert Menschen mit dem Virus an. Es ist mit den Maßnahmen, die die Landesregierung ergriffen hat, gelungen, den exponentiellen Kurvenverlauf abzuflachen. Das ist erfreulich. Aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Die oberste Priorität muss nach wie vor sein, weitere Infekti onen zu vermeiden, Verdachtsfälle zu testen und Ausbrüche des Virus nachzuvollziehen.

Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, dass Sie, Herr Minis ter Lucha, vorgeschlagen haben, eine große Zahl weiterer Tests durchzuführen. Das ist eine sehr, sehr wichtige Maßnah me. Sie trägt dazu bei, wichtige Erkenntnisse dazu zu gewin nen, wie sich das Virus ausbreitet, und bei Verdacht gleich ak tiv werden zu können. Infektionen zu verhindern und zu tes ten hat Priorität, bis ein Impfstoff oder eine Heilmethode vor liegen. So können wir weitere Fälle verhindern, so können wir eine zweite Welle vermeiden. Herr Minister, da sind Sie auf dem richtigen Weg. Vielen Dank.

(Beifall)

Leitlinie bei dieser Debatte ist für die grüne Landtagsfraktion der Infektionsschutz. Leitlinie ist für uns das Recht auf Le ben, auf körperliche Unversehrtheit. Diese Rechtsgüter – das Recht auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit – haben ei nen sehr hohen Stellenwert. Gleichwohl betrachten wir im Rahmen der Abwägung selbstverständlich auch die anderen hochrangigen Rechtsgüter. Im Ergebnis kommen wir dazu, dass es bei uns keine harte Ausgangssperre gibt. Die gibt es nämlich in Baden-Württemberg nicht. Die hat es hier noch nie gegeben, sondern es ist lediglich von Ansammlungs- und Ver sammlungsbeschränkungen die Rede. Das ist ein wesentlicher Unterschied.

(Vereinzelt Beifall)

Wir beachten also den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es ist mir ganz wichtig, dass wir das hier feststellen.

(Beifall)

Wenn wir diese Abwägung durchführen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit betrachten, dann ist es richtig, dass weitere Teile des gesellschaftlichen Lebens nur schrittweise geöffnet werden. Manche haben ja davon gesprochen, es hät te einen Lockdown oder einen Shutdown gegeben. Aber das stimmt nur teilweise. Denn, Herr Ministerpräsident, nochmals an Sie wie auch an das Kabinett ein Dankeschön dafür, dass es hier keine Ausgangssperre gibt.

Es gab ja andere,

(Zuruf)

die davon gesprochen haben. In anderen Ländern gibt es die se Ausgangssperre. Das wollen wir nicht. Wir unterstützen Ih ren Weg von Maß und Mitte, Herr Ministerpräsident, und ich bitte Sie, diesen Kurs von Maß und Mitte so weiterzugehen. Damit sind wir in Baden-Württemberg erfolgreich. Bitte fah ren Sie so fort.

(Beifall – Abg. Andreas Stoch SPD: Gilt das auch für Frau Eisenmann?)

Da immer wieder der Shutdown oder der Lockdown in der Diskussion war, will ich es an dieser Stelle einfach nochmals deutlich sagen: Die Firmen arbeiten ja weiter, allen voran die Bauwirtschaft. Die Bauwirtschaft arbeitet weiter. Dort herrscht hoher Betrieb im Tiefbau, im Hochbau. Der Maschinen- und Anlagenbau arbeitet wieder weiter.

(Abg. Carola Wolle AfD: Fragen Sie im Land mal nach!)

Die Wirtschaft wurde also nicht stillgelegt. Dort, wo der Ge schäftsbetrieb nicht möglich war oder ist, greifen unsere So forthilfen – beim Einzelhandel, in der Gastronomie.

(Zuruf: Gastronomie?)

Ich komme gleich noch darauf zu sprechen.

Wir sollten also alle gemeinsam dafür eintreten, dass es eben nicht zu diesem harten Shutdown kommt. Deswegen sind un sere Maßnahmen richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall)

Bei allen Entscheidungen ist für meine Fraktion der Stand der Wissenschaft handlungsleitend. Hier kommen jeden Tag neue Erkenntnisse hinzu. Das gehört bei der Erforschung eines neu artigen Virus natürlich dazu; das ist doch ganz normal. Des wegen ist es richtig, dass die ergriffenen Maßnahmen immer wieder von Neuem überprüft werden. Der Schutz vor weite ren Ansteckungen bleibt dabei zentral.

Bei der Impfstoffforschung geht Baden-Württemberg voran, und auch bei der wichtigen Frage, wie infektiös das Corona virus bei Kindern ist, ist Baden-Württemberg mit der neuen Studie vorangegangen.

Wir begrüßen es ausdrücklich, Herr Ministerpräsident, dass die Landesregierung das Universitätsklinikum Heidelberg be

auftragt hat, im Verbund mit weiteren Kliniken dieser Frage nachzugehen. Allerdings dürfen wir jetzt nicht den Fehler ma chen, hier politisch Wünschenswertes vorwegzunehmen. Las sen Sie uns abwarten, was die Heidelberger Studie erbringt. Wenn die Ergebnisse vorliegen, dann kann man darüber ent scheiden, wie es mit Kindertagesstätten und Spielplätzen wei tergeht. Alles andere wäre momentan voreilig, liebe Kollegin nen und Kollegen.

(Beifall)

Das Virus fordert uns nicht nur gesundheitlich heraus, es stellt uns alle auch in unserem Alltagsleben vor große Herausforde rungen. Die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, sind wich tig, aber sie haben Konsequenzen. Homeoffice, Kontaktver meidung – das sagt sich so einfach. Dabei ist die Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten, schon ein Privileg.

(Zuruf: So ist es!)

Die Arbeitgeber, die es ihren Beschäftigten ermöglichen, und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die im Homeoffice arbeiten, leisten einen wichtigen Beitrag. Aber das geht nicht in allen Branchen. Wer als Verkäuferin oder Verkäufer tätig ist, wer in der Altenpflege arbeitet, wer im Bau, auf der Bau stelle tätig ist, der kann nicht ins Homeoffice gehen. All die sen Menschen, die unser Land ganz konkret am Laufen hal ten, gilt mein großer Respekt, gilt mein großes Dankeschön.

(Beifall)

Uns in der grünen Landtagsfraktion ist sehr wohl bewusst, was das Virus für die Familien in Baden-Württemberg bedeu tet: Kinder, die über Monate nicht mit anderen Kindern spie len können; Kinder, die nicht in die Schule können und ihre Klassenkameraden nicht sehen – gerade als Familienvater weiß ich, wie schwer das für Kinder ist –; Kinder, die ihren Großeltern nur per Videokonferenz begegnen können. Fami lienfeste, Vereinsversammlungen fallen aus, ebenso der Be such von Konzerten oder Ausstellungen. Und in vielen Fällen gibt es Kurzarbeit und Einkommensverluste, Unsicherheiten, wie es weitergeht. Das sind sehr, sehr große Einschränkun gen. Kinderbetreuung und Schule zu Hause, Homeoffice und Hausarbeit – all das auf die Reihe zu bekommen, bringt Fa milien oft an ihre Grenzen, erst recht Alleinerziehende.

Deswegen kann ich an dieser Stelle allen nur zurufen: Ja, wir nehmen wahr, was hier überall im Land geleistet wird. Wir haben volles Verständnis für diese Situation.

(Vereinzelt Beifall – Zuruf)

Deswegen verstehe ich, dass der Ruf kommt, Kindertagesstät ten zu öffnen, die Schulen nicht nur für Prüfungsjahrgänge, sondern für alle wieder aufzumachen. Wir arbeiten deswegen intensiv daran, hier eine Lösung zu finden. Momentan bitte ich aber noch um etwas Geduld.

Umso wichtiger ist daher das Angebot der Notbetreuung, das wir ja zwischenzeitlich ausgeweitet haben auf die Kinder, de ren Eltern eine präsenzpflichtige Tätigkeit haben, auf die Kin der bis zur siebten Klasse. Umso wichtiger ist es, den Schul unterricht auf Distanz gut zu organisieren. Ich höre von vie len Schulen, die hier inzwischen sehr gute Lösungen gefun den haben. Dazu gehören individuelle Aufgaben und Arbeits pläne, digitale Plattformen und Apps als Lernsysteme und

auch das aktive Kümmern vieler Lehrerinnen und Lehrer um ihre Klassen. Für uns in der grünen Landtagsfraktion ist wich tig: Hier darf kein Kind verloren gehen. Wir müssen uns um alle Kinder kümmern; das ist extrem wichtig, liebe Kollegin nen und Kollegen.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht zuletzt ist das Virus eine Herausforderung für unsere Wirtschaft, und zwar in zwei facher Hinsicht. Zum einen merken wir jetzt, wie eng gestrickt das Netz einer globalen Produktions- und Lieferkette ist. Ei niges davon ist unterbrochen. Das betrifft die Absatzmärkte für unsere Produkte ebenso wie den Einkauf und den Bezug von Medizinprodukten und Medikamenten.

Die global vernetzte Weltwirtschaft hat dazu beigetragen, den Wohlstand auch bei uns im Land zu steigern. Das gilt noch einmal ganz besonders für den Europäischen Binnenmarkt. Deswegen ist es richtig, Herr Ministerpräsident, dass Sie da rauf auch Bezug genommen haben. Wir merken jetzt, dass auch hier das richtige Maß notwendig ist zwischen Globali sierung einerseits und Regionalisierung andererseits. Deswe gen ist es für mich eine Lehre aus der Coronakrise, dass kri tische Basisprodukte etwa im Bereich der Medizin, im Be reich der Arzneimittel in Zukunft verstärkt wieder in Europa hergestellt werden müssen.

(Zurufe)

Gleichzeitig macht es Mut, zu sehen, dass die eng verflochte ne Weltwirtschaft nicht nur Teil des Problems, sondern eben so Teil der Lösung ist. Die ganze Welt forscht an Impfstoffen. Diese sollen dann überall auf der Erde zur Verfügung stehen. Ganz konkret hilft beispielsweise die Porsche-Luftbrücke jetzt, Schutzkleidung und -masken aus China nach BadenWürttemberg zu bringen. Ich denke, Herr Minister Lucha, mit Ihrem Beschaffungsmanagement und mit dieser Luftbrücke sind wir auf dem richtigen Weg. Vielen Dank an Sie, und vie len Dank an die Unternehmen, die sich hier engagieren und uns unterstützen.

(Beifall)

Zum anderen gibt es viele Branchen, die wir jetzt ganz kon kret unterstützen müssen, Branchen, die unter den Schutzmaß nahmen leiden, die wir eben ergreifen mussten. Das fängt bei der selbstständigen Künstlerin, bei den Schaustellern an, die jetzt nicht auftreten können, beim Messebauer, der keine Auf träge mehr bekommt. Der Einzelhandel musste eine Zeitlang schließen und ist jetzt aufgefordert, wichtige Hygienemaß nahmen umzusetzen. Gastronomie, Hotellerie, Sport- und Freizeiteinrichtungen sind besonders betroffen, Busunterneh men und der öffentliche Nahverkehr, das Kultur- und Veran staltungswesen.

Hier war es richtig, sehr schnell Geld in die Hand zu nehmen, um einen Schutzschirm aufzuspannen. Dafür haben wir ge meinsam am 19. März die Kreditermächtigung erteilt. Das war richtig, und das bleibt wichtig.

Die Landesregierung hat mit all den Instrumenten von der Existenzsicherung für Künstler über Zuschüsse für kleinere Unternehmen bis hin zu Stundungen und Bürgschaften für größere Unternehmen einen Anker ausgeworfen, damit die ba

den-württembergische Wirtschaft nicht ins Schlingern gerät. Denn die starke baden-württembergische Wirtschaft ist und bleibt der Eckpfeiler, auf dem die Stärke unseres Bundeslands ruht. Solange harte Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen notwendig sind, bleibt es unsere Pflicht, diesen Schutzschirm aufgespannt zu lassen.

Ich sage ganz klar: Wir lassen niemanden im Stich. Bei Be darf können und werden wir die Schutz- und Rettungsschir me erweitern. Das ist uns wichtig.

(Beifall)

In der Krise sind wir handlungsfähig. Das Parlament wird re gelmäßig informiert. Wichtige Entscheidungen, beispielswei se über die Finanzen und den Haushalt, fallen hier. Auch das trägt dazu bei, dass die Akzeptanz für die notwendigen Maß nahmen vorhanden ist.

Es geht jetzt darum, im demokratischen Streit den besten Weg herauszuarbeiten. Dazu gehört, dass alle Seiten lernbereit sind. Die Rechtsverordnungen, die auf der Grundlage des Infekti onsschutzgesetzes erlassen wurden, wurden in der Abstim mung der Haltung der Länder aufgrund neuer wissenschaftli cher Erkenntnisse und auch, weil Anregungen der Fraktionen des demokratischen Verfassungsbogens eingeflossen sind, mehrfach überarbeitet, aktualisiert und angepasst. Die Krise meistern wir, wenn wir zusammenhalten und uns als lernfä hig erweisen. Das muss von allen Seiten die Tonlage sein – konstruktiv und offen.