Protocol of the Session on April 29, 2020

Dieser Wahn nimmt immer stärker kultische Formen an. Co rona wird immer mehr unser Götze einer neuen Gesundheits religion, ein Götze, dem man alles zu opfern bereit ist: Wirt schaft, Wohlstand, Freiheit, Religion. Man verfolgt sehenden Auges, wie die Wirtschaft in den Abgrund gefahren wird. Das ist sicher. Man sieht zu, wie das Grundgesetz eine Kern schmelze erlebt. Eine Ausgangssperre, meine Damen und Her ren, ist eine Maßnahme im Bürgerkrieg, aber nicht bei der Seuchenbekämpfung. Es gibt eine Kernschmelze, die über haupt nicht registriert wird. Und Ostern fällt einfach aus, wird verramscht im säkularen Alltag der Coronareligion.

Herr Kretschmann, es ist eine große Selbsttäuschung, wenn Sie glauben, Ihre Maßnahmen und die Maßnahmen der ande ren Handelnden hätten irgendetwas Positives bewirkt. Viel mehr war es so: Schon Mitte März lag die von Ihnen fetischi sierte Reproduktionszahl bei 0,7. Am 23. März fingen die Maßnahmen an, aber vor diesen rigorosen Maßnahmen war die Epidemie schon deutlich abgeklungen, war also praktisch schon in der Abklingphase.

Und was den „Verdopplungszeitraum“ anbelangt: Das, was Herr Wieler macht, ist Betrug. Das ist nicht mehr normale Dummheit, sondern das ist Betrug. Mit dem „Verdopplungs zeitraum“ können Sie nämlich manipulieren, wie Sie wollen. Sie müssen nur mehr Tests machen, und dann wird der Ver dopplungszeitraum immer kürzer. Die haben damals einfach mehr Tests gemacht, dann hatten sie mehr Infektionen, und so hatten sie dann, wie gesagt, dreimal so viele Infektionen. Al so reiner Schwindel! Das, was Herr Wieler und Herr Drosten hier machen, das ist nicht Wissenschaft, das ist nicht einmal Kaffeesatzlesen, sondern das ist zum Teil Betrug.

Jetzt, nachdem diese ganzen Panikvorhersagen in die Hose gegangen sind – Ostern würden hier Millionen sterben –, wird vor einer „zweiten Welle“ gewarnt, und wenn die dann auch nicht kommt, dann warnt man vor der dritten Welle und vor einer vierten Welle usw. Wir kommen aus den Wellen gar nicht mehr heraus. Das heißt: Die neue Normalität ist das, was wir jetzt haben. Meine Damen und Herren, diese neue Normali tät wollen wir aber gar nicht haben.

Noch ein Wort zu Schweden: Herr Reinhart hat gesagt, Schwe den würde zeigen, dass das Ganze in die Hose gegangen ist. Stimmt hinten und vorn nicht! Da beruft er sich auf irgend welche Zahlen von FOCUS Online von gestern. Wenn man FOCUS Online zum Maßstab nimmt, dann ist es heute so, morgen so und übermorgen wieder anders.

Die einzige anständige Zahl bei der ganzen Diskussion ist was? Am 19. März, als ich noch ziemlich allein mit meiner Meinung war, hatte ich gesagt: Das ist die Übersterblichkeits zahl. Die Übersterblichkeitszahl von Schweden liegt weiter hin bei null. Übersterblichkeit heißt: Sind in diesem Jahr mehr

Leute gestorben als im letzten und im vorletzten und im vor vorletzten Jahr? Das ist die entscheidende Zahl, und da liegt Schweden bei null. Das heißt, Schweden steht überhaupt nicht schlechter da als wir, und wirtschaftlich wird sich zeigen, dass sie besser dastehen werden. – Also, so viel zu Schweden.

Aber jetzt noch einmal grundsätzlich – –

Herr Abg. Dr. Gedeon, Ih re Redezeit ist abgelaufen. Kommen Sie bitte zum Schluss.

Was sollen wir jetzt machen? – Ja. – Ich fordere den Exit jetzt, sofort, den großen Befreiungsschlag, meine Damen und Herren. Nicht zehn Punkte oder 20 Punkte, sondern wir müssen hier und heute aus diesem Zinnober, aus diesem Spuk herauskommen. Sonst bekommen wir diese neue Normalität, die wir nicht wol len.

Natürlich ist es so: Es ist mit einem Risiko verbunden, wenn wir jetzt eine große Entscheidung treffen. Aber es gibt keine gute Politik, die nicht auch irgendwo ein Risiko hätte. Also, wir müssen dieses Risiko jetzt eingehen. Ich fordere und schlage Ihnen vor, hier eine Abstimmung – –

Kommen Sie bitte zum Schluss! Ich fordere Sie dazu auf, Herr Abg. Dr. Gedeon.

Ich fordere eine Abstimmung darüber – ich stelle jetzt noch einen Geschäfts ordnungsantrag –, dass wir beschließen – diese Möglichkeit haben wir –, sämtliche Beschlüsse – die Maßnahmen nach dem 23. März – heute zurückzunehmen, einen sofortigen Aus stieg und eine Orientierung am schwedischen Modell.

Ich habe diesen Beschlussvorschlag vorbereitet. Das ist sozu sagen ein Geschäftsordnungsantrag von mir. Diesen Antrag stelle ich zur Abstimmung. Das ist ein direktes Ergebnis – –

Gut, alles klar. Wir stel len ihn geschwind zur Abstimmung.

Dann sind Sie jetzt fertig. Damit stelle ich Ihren Antrag zur Abstimmung.

(Abg. Dr. Wolfgang Gedeon [fraktionslos]: Moment! – Unruhe)

Sie alle haben aufmerksam zugehört. Wer dem Antrag von Herrn Abg. Dr. Gedeon zustimmt, den bitte ich um das Hand zeichen.

(Zu- und Gegenrufe, u. a. Abg. Dr. Christina Baum AfD: Moment! So schnell geht das nicht! – Unruhe)

Sie hatten fünf Minuten Redezeit. Herr Abg. Dr. Gedeon, Sie haben einen Antrag gestellt: Wir sollen ab sofort dem schwedischen Modell folgen.

(Lebhafte Zurufe)

Würden Sie jetzt bitte Ihren Platz wieder einnehmen? – Ich trage den Antrag vor:

Der Landtag beschließt die sofortige Rücknahme sämtli cher Beschlüsse, die ab dem 23. März in Kraft getreten

sind. Er beschließt die Rückkehr zum Status quo ante vom 20. März. Der Landtag orientiert sich im weiteren Vorge hen am Modell Schweden.

Wer stimmt dem zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag des Herrn Abg. Dr. Gedeon (frak tionslos) abgelehnt.

Ist das Redepult in der Zwischenzeit schon desinfiziert wor den? – Dann haben Sie, Herr Abg. Pfeiffer, Ihre Redezeit.

Sehr geehrte Frau Prä sidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Einer der wich tigsten und trivialsten Grundsätze der Medizin lautet, dass die Maßnahmen in Summe nicht schlimmer sein dürfen als die Krankheit selbst. Daran müssen sich auch die Maßnahmen messen lassen, die wir im Kampf gegen das neue Coronavi rus ergriffen haben. Ich denke, in diesem Punkt dürften wir alle uns einig sein.

Klar ist auch: Der Lockdown ist zwar medizinisch begründet; die Nebenwirkungen haben aber auch soziale, psychologische und wirtschaftliche Gesichtspunkte. Hinzu kommt: Die Trag weite dieser Nebenwirkungen dürfte mit der Zeit exponenti ell ansteigen.

Ich bin besorgt, dass dieser Lockdown uns am Ende deutlich mehr Opfer abverlangen wird als Covid-19 selbst. Denken wir nur einmal an die seelischen Auswirkungen. Wenn alte Men schen ihre Lieben nicht mehr sehen dürfen, fehlt ihnen plötz lich das, was ihnen die Kraft zum Leben gab. Sie sterben nicht an Covid-19, sondern an Einsamkeit und Traurigkeit, und das ist das, was wir in den Statistiken leider nicht sehen.

Kinder – von deren Eltern will ich gar nicht erst sprechen – werden für eine für sie furchtbar lange Zeit von ihren Freun den getrennt. Schulen und auch Kindergärten sind geschlos sen. Spielplätze sind tabu. Großeltern und andere Verwandt schaft können sie sowieso nicht sehen. Die meiste Zeit ver bringen viele von ihnen in einer kleinen, engen Stadtwohnung. Thomas Fischbach – –

(Unruhe)

Entschuldigung, Herr Abg. Pfeiffer. – Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen und etwas mehr Ruhe im Saal zu halten. Herr Abg. Dr. Gedeon, bitte neh men Sie Ihren Platz ein.

Thomas Fischbach, Prä sident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, warnt vor psychosozialen Schäden durch Kontaktverbot und Einge sperrtsein. Und, ja, Kinder sind unsere Zukunft, sagt man so schön.

Oder denken wir an die wirtschaftlichen Auswirkungen. Die se spüren schon jetzt Konzerne, Mittelstand, Hotel- und Gast gewerbe sowieso, Handel und auch die Arbeitnehmer schmerz lich. Allein im Einzelhandel drohen 50 000 Insolvenzen, und das ist nur die Spitze des Eisbergs – Angst vor Massenarbeits losigkeit.

Vergessen wir dabei bitte nicht, dass man ohne gut funktio nierende Wirtschaft kein Gesundheitssystem finanzieren kann. In einer aktuellen Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung heißt es, es sei derzeit nicht auszuschließen,

dass sich die globale Rezession zu einer systemischen Krise auswächst. Dabei würden immense und lang anhaltende Schä den in der Real- und Finanzwirtschaft entstehen. Auch in Deutschland werden die sozialen Folgen der schwersten Re zession seit Generationen gravierend und nachhaltig sein.

Die Bundesregierung geht von einem Schrumpfen des BIP um 6,5 % aus. Auch das ifo Institut beschreibt düstere Szenarien in ihrer Schwere, gestaffelt nach Dauer des Lockdowns. Für drei Monate Lockdown gehen die Schätzungen von einem Schrumpfen der Wirtschaft um grob 15 % aus. Die Kosten würden sich auf rund eine halbe Billion Euro belaufen.

Hinter solchen abstrakten Zahlen werden Einzelschicksale ste hen: Hunderttausende, Millionen und weltweit vielleicht so gar Milliarden. Die Auswirkungen solcher Schicksalsschläge auf Psyche, Gesundheit und Lebenserwartung sind bekann termaßen dramatisch. Wir dürfen und können hier den epide miologischen Lebensschutz nicht verabsolutieren, warnte Wolf gang Schäuble vor Kurzem.

Wir... müssen auch die gewaltigen ökonomischen, sozi alen, psychologischen und sonstigen Auswirkungen ab wägen.

Und vergessen wir nicht: Nehmen wir diese Abwägungen nicht vor, kann das auch erhebliche politische Auswirkungen haben. Lassen wir uns da von den aktuellen Wahlumfragen nicht täuschen.

Häufig fällt dieser Tage auch der Vergleich mit der Weltwirt schaftskrise Ende der Zwanzigerjahre. Wir alle wissen, wel che massiven politischen Folgen diese damals zeitigte. Die Stimmung in der Gesellschaft kann auch heute kippen, wenn Existenzen wegbrechen und die Opfer, die die Menschen zu bringen haben, in ihrem Ausmaß deutlich werden. Dann droht auch ein Kontrollverlust der Politik.

Wie schlimm die kommende Rezession ausfallen wird und welche Auswirkungen das haben wird, wissen wir nicht im Detail. Wir wissen jedoch: Es hängt von unseren Entscheidun gen ab.

Herr Dr. Reinhart hat vorhin völlig zu Recht auf die prekäre Situation der Wirtschaft hingewiesen. Die Hilfen waren rich tig und wichtig, aber ohne Umsatz werden sie bald wie der Tropfen auf den heißen Stein sein.

Ich plädiere daher für deutlich mehr Testungen sowie einen sukzessiven Ausstieg aus dem Lockdown. Kämpfen wir uns Schritt für Schritt zurück in die Normalität. Dabei bin ich im Übrigen überzeugt, dass in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und in Branchen der Wirtschaft angemessene Hy gienemaßnahmen angewendet werden können.

Ich möchte abschließen mit einem Bibelzitat:

Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.

Krankheit und Tod wird es in dieser Welt immer geben. Der Staat muss hier die Grenzen seiner Möglichkeiten demütig und weise erkennen, um nicht noch Schlimmeres zu verursa chen.

Danke.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Ministerpräsident Kretschmann hat noch ein mal um das Wort gebeten.

Herr Ministerpräsident, ich darf Sie ans Redepult bitten.

Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, das Erste, was Bürgerinnen und Bürger eines Gemeinwesens in solch einer schweren Pandemie erwarten, ist, dass die Demokratie sich als handlungsfähig erweist, dass sie alles Mögliche tut, um die Pandemie einzudämmen und Leib und Leben der Menschen zu schützen. Das erwarten die Menschen selbstverständlich erst einmal in einer solchen Situation.