Bei allen Unterschieden in der Ausgangslage besteht die Ge fahr, dass wir vergleichbare Beeinträchtigungen erreichen werden wie in der großen Weltwirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich glaube nicht, dass das, was am letzten Sonntag und gestern in Berlin be schlossen wurde, schon ausreicht, um wirkungsvoll gegenzu steuern.
Ja, wir müssen unseren Wirtschaftsstandort Deutschland und Baden-Württemberg im internationalen Wettbewerb weiter stärken. Wir müssen das tun – mit und ohne Corona. Wir kön nen uns nicht einfach darauf verlassen, dass bei wichtigen Standortvorhaben unter Abwägung aller Faktoren die Wahl schließlich auf Baden-Württemberg, auf Deutschland fällt. Dieses Thema wäre auch mal eine eigene Debatte wert.
Dasselbe gilt für das große Thema Transformation und unse re Bemühungen – die Bemühungen von Ministerpräsident Kretschmann und mir –, in Berlin und Brüssel Sensibilität da für zu wecken, dass auch ein an sich wirtschaftsstarkes Land, wie Baden-Württemberg es ist, einen spezifischen Unterstüt zungsbedarf hat.
Spielräume für eigene Förderprogramme müssen uns aufge tan werden, um Unternehmen und ganze Branchen auf dem Weg der Transformation begleiten zu können.
Aber lassen Sie mich jetzt aufgrund der aktuellen Entwick lung den Fokus auf den zweiten Teil des Titels der Aktuellen Debatte richten: „Krisenabwehrkräfte aktivieren“.
Einige Zahlen sollen die Lage noch einmal verdeutlichen. Gut jedes zweite Unternehmen in Baden-Württemberg spürt schon jetzt die Auswirkungen des Coronavirus auf seine Geschäfte. Eine Studie von LBBW Research prognostiziert – das wurde ja auch schon häufig genannt, aber für mich war das wirklich ein „wake-up call“, ein Weckruf – für Baden-Württemberg ei nen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,8 %. Auch für Deutschland insgesamt sehen führende Institute schon jetzt ein hohes Risiko für eine gesamtwirtschaftliche Rezession.
Mein Standpunkt ist ganz klar, dass wir rechtzeitig, bevor ei ne Rezession dann eintritt, gegenwirken und Maßnahmen ein leiten, auch finanzielle Maßnahmen, um unsere Wirtschaft zu unterstützen, und nicht erst, wenn wir mittendrin sind.
Die sich täglich mehrenden Fälle schwerwiegender wirtschaft licher Beeinträchtigungen lassen sich grob in drei Kategorien gliedern:
Erstens: Unternehmen, die unter wegbrechenden Absatzmärk ten leiden, vor allem in China, aber verstärkt auch in Italien.
Zweitens: Unternehmen, denen die Zulieferer wegbrechen, Unternehmen, deren Lieferketten unterbrochen werden. Ge rade Baden-Württemberg hat ganz starke Bezüge zu China und zu Norditalien. Viele der Zulieferer unserer Automobil unternehmen beziehen Teile aus Norditalien und auch aus Chi na, und das hat Auswirkungen. In China sind die Einschrän kungen durch Corona schon seit einiger Zeit in Kraft, seit Chi nese New Year. Deshalb spüren viele Unternehmen schon jetzt, dass ihnen Teile fehlen, dass sie ihre Produkte nicht fer tigstellen können, nicht ausliefern können, vor allem dann nicht fakturieren können. Sie können keine Rechnungen schreiben, das heißt, der Zahlungseingang fehlt dann auch. Das ist die logische Konsequenz.
Und der dritte Bereich – da wird die Not immer akuter – sind Unternehmen, die aufgrund von Absagen und Einschränkun gen hierzulande, aber auch darüber hinaus in ganz Deutsch land nachteilige Folgen erleiden. Baden-württembergische Unternehmen sind stark national und international aufgestellt. Durch Absagen springen ihnen immer mehr Kunden ab, oder Kunden bleiben auch ganz aus.
Einige Bundesländer haben Veranstaltungen mit über 1 000 Teilnehmern bereits untersagt, und auch in Baden-Württem berg wird dies so kommen. Herr Kollege Lucha hat es ange kündigt. Das hat natürlich konkrete Auswirkungen auf die Be teiligten. Wir bekommen im Ministerium zahlreiche Anrufe von Unternehmerinnen und Unternehmern im Messebau, in der Gastronomie. Es werden Aufträge storniert und vermut lich über Monate hinaus auch keine neuen Aufträge erteilt. Wir müssen wissen: Unternehmen, die im Bereich Messever anstaltungen aktiv sind, haben natürlich einen zeitlichen Vor lauf. Sie haben Partner, sie haben Subunternehmer. Sie sind hier schon vertragliche Verpflichtungen und auch finanzielle Verpflichtungen eingegangen. Deshalb ist hier aktuell die Not am größten: Tourismus, Gastronomie, Hotellerie, private Bus unternehmen, Messeveranstalter, Veranstaltungsunternehmen. Darauf müssen wir unser Augenmerk richten – natürlich ins gesamt, aber das ist im Moment ganz akut.
Das heißt, wir brauchen rasche, pragmatische Hilfen, um den Unternehmen über diese Durststrecke, diese Liquiditätspro blematik hinwegzuhelfen, damit sie Beschäftigung in ihren Betrieben sichern können.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen – Abg. Rainer Stickelberger SPD: Wie? Sagen Sie, wie! – Gegenruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Das weißt du doch! Du kennst doch das Inst rument!)
Da hilft auch der Blick auf Instrumente, die sich schon in der Krise 2008 und 2009 bewährt haben. Die aktuellen Instrumen te, die jetzt zur Verfügung gestellt werden, sind Kurzarbeit, Liquiditätshilfen, Bürgschaften. Was für Kurzarbeit am Sonn tag im Koalitionsausschuss beschlossen wurde, ist zu begrü ßen. Ich hätte mir allerdings noch weitere Vereinfachungen gewünscht. Insbesondere die vollständige Erstattung der So zialversicherungsbeiträge durch die Bundesanstalt für Arbeit ist eine ganz wichtige und notwendige Unterstützung und für die betroffenen Unternehmen wirklich eine große Hilfe, eine Hilfe zur Erhaltung der Liquidität und zur Sicherung der Be schäftigten. Das begrüße ich in besonderer Weise. Bereits im April sollen die Erleichterungen in Kraft treten.
Zum anderen ist natürlich der schnelle und unbürokratische Einsatz von Liquiditätshilfen gefragt. Hier sind wir im Land durch bereits vorhandene Programme der L-Bank und der Bürgschaftsbank Baden-Württemberg gut gerüstet. Ein paar Zahlen: Liquiditätskredite wurden 2019 von ca. 231 Unter nehmen im Volumen von 45 Millionen € in Anspruch genom men. 2009, im Nachgang zur Wirtschafts- und Finanzkrise, waren es ungefähr 690 Unternehmen, die 150 Millionen € in Anspruch genommen haben – nur um einmal eine Größenord nung in diesem Bereich zu benennen.
Ich kann nach den ersten Gesprächen Folgendes berichten: Auch bei einem sprunghaften Anstieg der Antragszahlen wer den die Förderinstitute sicherstellen, dass coronabedingte An träge bevorzugt, unbürokratisch und vor allem schnell bear beitet werden können.
Bei der L-Bank steht dafür jetzt eine eigens eingerichtete Hot line zur Verfügung, über die sich Unternehmen direkt infor mieren können.
Wir werden im Einvernehmen mit dem Finanzministerium auch dafür sorgen, dass das Instrument der Bürgschaften fle xibel und großzügig gehandhabt wird. Entsprechende Anträ ge auf Darlehen bzw. Bürgschaften werden natürlich über die jeweiligen Hausbanken gestellt; diese sollten wir in diesem Zusammenhang aber ebenfalls in die Pflicht nehmen.
In der letzten Woche – das ist dann der nächste Schritt, den wir gehen – hat das Land, hat die Landesregierung im Fall Co rona eine erweiterte Verwendung der Rücklagen beschlossen. Aktuell – aber die Entwicklung ist ja von einer enormen Dy namik geprägt – reichen die Mittel aus unserer Sicht aus. Sollte das aber nicht der Fall sein, brauchen wir weitere finanzielle Mittel für wirtschaftspolitische Maßnahmen aus den Rückla gen, um rechtzeitig gegensteuern zu können, um Beschäfti gung in Baden-Württemberg zu sichern.
Gestern hat Peter Altmaier zu einem Treffen eingeladen. Die Wirtschaftsminister des Bundes und der Länder gehen hier in ganz engem Schulterschluss – Seite an Seite – vor. Der Kon sens, über den wir bei diesem Treffen auch diskutiert haben: prioritär schnelle Liquiditätshilfen, Fokus auf Kurzarbeit und Bürgschaften.
Ferner haben wir auch über das Dreistufenprogramm disku tiert, das wir ebenfalls befürworten. Bei einer weiteren Ver schärfung der Situation wird die nächste Stufe sein, dass Kre dite ausgeweitet werden, dass es zu Steuerstundungen kommt, dass Steuerzahlungen gestundet – auch ich fordere das, wenn es notwendig wird – und auch Steuervorauszahlungen gestun det werden. In einigen Bundesländern wird das schon jetzt so gehandhabt. Und – das ist ganz wichtig und in der Diskussi on auch klar herausgekommen –: Das Ganze sollte zinsfrei passieren, denn eine Verzinsung von 6 % ist für die Unterneh men natürlich eine enorme Belastung.
Eine dritte Stufe im Dreistufenplan von Peter Altmaier sind Konjunkturprogramme. In diesem Zusammenhang begrüße ich es natürlich auch, dass auf EU-Ebene schnell gehandelt wurde, dass 25 Milliarden € zur Verfügung gestellt werden – für die Bekämpfung und Eindämmung von Corona, aber auch zur Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen.
Meine Überzeugung ist, dass wir in diesem Zusammenhang auch steuerpolitisch etwas werden tun müssen. Das wird auf uns zukommen. Ich bedaure es sehr, dass es hinsichtlich des Solidaritätszuschlags noch zu keiner Einigung kam. Es wird ein wichtiges Signal für die Wirtschaft, aber auch für die Kon sumentinnen und Konsumenten, für die Bürgerinnen und Bür ger sein, wenn die Abschaffung des Solidaritätszuschlags vor gezogen wird und komplett erfolgt.
Auch die vom Bund jetzt angestoßenen Investitionsförde rungsprogramme und Planungsvereinfachungen begrüße ich sehr. Die müssen und die werden wir im Land auch mit be gleiten, umsetzen.
Geld wird in Zukunftstechnologien fließen – Stichworte sind Digitalisierung, Energiewende –, aber auch in Infrastruktur, in den Wohnungsbau, in den Städtebau. Da müssen auch wir, das Land, Akzente setzen.
Fakt ist aber auch: Es ist illusorisch, zu glauben, alle wirt schaftlichen Folgen der Coronakrise könnten staatlicherseits aufgefangen werden. Aber es ist realistisch, dass wir durch ef fektive und gut aufeinander abgestimmte Programme einen Großteil der Härten, denen die Unternehmen und die Beschäf tigten jetzt ausgesetzt sind, abfedern können.
Deshalb treffe ich mich am Freitag mit Spitzenvertretern der baden-württembergischen Wirtschaft, auch mit Vertretern al ler schwerpunktmäßig betroffenen Branchen, der Gewerk schaften sowie der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit. Wir brauchen diesen engen Kontakt, diesen direkten, intensiven Austausch, um zu einer gemeinsamen Lagebeur teilung zu kommen. Der DEHOGA wird dabei sein. Auch hier
werden wir natürlich steuerrechtliche Themen diskutieren. Ziel dieses Treffens ist es, dass wir konkret für Baden-Würt temberg Instrumente diskutieren, die den Bedürfnissen und Notwendigkeiten unseres Landes am besten gerecht werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, unser früherer Mi nisterpräsident Erwin Teufel hat viele seiner damaligen Re den mit folgendem Zitat begonnen: „Die Wirtschaft ist unser Schicksal.“ Das war in den Neunzigerjahren, als sich die He rausforderungen eines beschleunigten Strukturwandels mit zeitweilig ebenfalls schwierigen Konjunkturentwicklungen überlagerten. Wir leben aktuell in einer Zeit, in der diese Wor te einen neuen Bedeutungsgehalt bekommen.
Damals hat Baden-Württemberg die Herausforderungen im Endeffekt gut und erfolgreich bestanden. Es gibt aktuell kei nen Grund, weshalb es dieses Mal nicht so sein sollte. Dafür, dass wir das mit vereinten Kräften schaffen wollen, möchte ich mich bei dem überwiegenden Teil der Diskutanten in der heutigen Aktuellen Debatte bedanken. Wir müssen gemein sam die richtigen Entscheidungen treffen. Danke für den Rü ckenwind, den Sie mir heute verliehen haben.
Meine Damen und Her ren, ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Die Aktuelle De batte unter Punkt 2 der Tagesordnung ist erledigt.
Ich freue mich, dass die Fraktionen übereingekommen sind, diese Debatte zu führen. So können wir an den seit 1975 auf der ganzen Welt gefeierten Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden erinnern. Auf der Besu chertribüne darf ich die Vertretungen der frauenpolitischen Verbände herzlich begrüßen.
Das Präsidium hat für diese Debatte eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion festgelegt. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an diesen Zeitrahmen zu halten.
Sehr geehrte Frau Präsi dentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Am vergangenen Sonntag, dem 8. März, war wieder der Internationale Frauen tag – leider noch immer kein Grund zum Jubeln, auch wenn es mancherorts rote Rosen und Sekt gab. Im letzten Jahr ha ben wir „100 Jahre Frauenwahlrecht“ gefeiert – schön! –, aber in vielen Punkten müssen wir noch sehr aufholen. Zwar kön nen wir Frauen heute viel mehr erreichen, als es noch vor Jahr zehnten möglich war; allerdings sind Frauen sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik noch immer deutlich unter repräsentiert. Schauen Sie sich nur hier im Landtag um. Wir Grünen sind die einzige Fraktion, die mit einem Frauenanteil von rund 47 % praktisch paritätisch besetzt ist.
Auch beim Einkommen werden Frauen nach wie vor diskri miniert. Männer verdienen ca. 22 % mehr als Frauen, was sich bis an das Lebensende der Frauen auswirkt. Von Lohngerech tigkeit sind wir also noch weit entfernt. Hinzu kommt, dass Frauen im Vergleich mit Männern noch erheblich mehr unbe zahlte Familienarbeit und Arbeit bei der Versorgung von An gehörigen leisten. Auch hier sind wir von Gleichberechtigung noch weit entfernt.