Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Wahlen allein machen noch keine De mokratie, wusste Barack Obama. Und er hat recht. Demokra tie braucht vielmehr Demokraten, Demokratie braucht Enga gement, und Demokratie braucht täglichen Einsatz.
Entschuldigung, Herr Abg. Weinmann. Möchten Sie gleich zu Anfang eine Zwischenfra ge von Herrn Abg. Räpple zulassen?
Nein. Vielen Dank. – Das ist sicherlich eine der elementaren Botschaften des Forschungs projekts zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergan genheit der badischen und württembergischen Landesminis terien. Deutlich wird dabei, dass wir in den Landesministeri en, aber auch in der Landtagsverwaltung Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigen, die sich ihrer geschichtlichen Verant wortung bewusst sind und die umfassend auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen müssen.
Um dies zu fördern, liefert das Projekt wertvolle Materialien für die Gedenkstättenpädagogik und den Schulunterricht. Ge rade die Gedenkstättenarbeit erachten wir als einen wertvol len, ja geradezu unverzichtbaren Beitrag in der Auseinander setzung mit der NS-Vergangenheit.
Darüber hinaus liefert das Forschungsprojekt tiefe und span nende historische Einblicke in die Entwicklung der Landes ministerien, etwa während der NS-Zeit, Einblicke dahin ge hend, dass deren Kompetenzeinbußen oftmals überschätzt wurden, Einblicke in ihre Rolle und Beteiligung an politischen Säuberungen als Teil des nationalsozialistischen Repressions systems und Einblicke in personelle Kontinuitäten im Über gang von der Weimarer Republik, aber auch mit Anhaltspunk ten zum Übergang in die unmittelbare Nachkriegszeit.
Hier böte sich ein Anschlussprojekt an. Denn beispielsweise zeigt sich in der sogenannten Akte Rosenburg, dem Abschluss bericht einer unabhängigen wissenschaftlichen Kommission des Bundesjustizministeriums, die bedrückende personelle Kontinuität im Justizministerium. Dort wurde nach dem Zwei ten Weltkrieg eine Vielzahl von Nazijuristen bedenkenlos übernommen.
Auch im Land Baden-Württemberg dürfte der Befund nicht wesentlich anders ausfallen, obgleich sich der frühere Justiz
hinsichtlich der Wiedergutmachung und Aufklärung national sozialistischen Unrechts besonders hervorgetan hat.
Denn anders als in anderen Ländern oblag in Baden-Württem berg die Fachaufsicht über die Wiedergutmachungsämter dem Justizministerium.
Doch auch neben dem Forschungsprojekt wurden die Institu tionen ihrer Verantwortung gerecht. So zeigt beispielsweise die Dauerausstellung „NS-Justiz in Stuttgart“ im Landgericht Stuttgart – ein Gemeinschaftsprojekt von Haus der Geschich te, Oberlandesgericht und Landgericht Stuttgart – schonungs los, wie sich die insgesamt rechtsstaatliche Justiz der Kaiser zeit und der Weimarer Republik in wenigen Jahren zum wil ligen Werkzeug einer menschenverachtenden Diktatur ver wandelt hat.
Dies wird auch inhaltlich im Forschungsprojekt zur NS-Ver gangenheit der badischen und württembergischen Landesmi nisterien deutlich. Denn mit teils zurückhaltender, teils will fähriger, teils skrupelloser Mitwirkung zahlreicher Landesbe diensteten an der NS-Herrschaftspraxis wurden Durchsetzung und Ausgestaltung des Dritten Reiches vor Ort im sozialen und regionalen Nahbereich ermöglicht.
Die Mahnung des österreichisch-französischen Schriftstellers Manès Sperber sollten wir verinnerlichen:
Vor diesem Hintergrund lassen Sie uns nicht gleichgültig sein, sondern aufstehen, wenn es darauf ankommt.
Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren, Sonstige A bis Z! Der Einwurf zeigt das parlamentarische Ver ständnis der linken Szene und führt die ganzen Lippenbe kenntnisse, wie ernst Sie es mit der Vergangenheitsbewälti gung eigentlich meinen, ad absurdum.
Grundsätzlich ist es gut, dass man die Ergebnisse der For schung zur NS-Vergangenheit der badischen und der württem bergischen Landesministerien darstellt. Aber es nützt nichts, in der Vergangenheit zu schwelgen, Betroffenheitsbekundun gen abzugeben – so wie vor Kurzem in Grafeneck, wo man ganz betroffen in die Kameras schaute und mit einem trüben Blick die Vergangenheit „remembernd“ beschwor –, wenn man nicht Rücksicht auf die Situation nimmt, wie sie heute ist.
Mit den lebenden Juden haben die meisten nämlich ein Prob lem. Ich zitiere hier Henryk Broder, der in diesem Punkt wahr scheinlich unverdächtig ist: „Lang leben die toten Juden!“, sagte er in einer Überschrift:
Je länger das Dritte Reich zurückliegt, umso heftiger wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen.
Wenn Sie – Sie, die Sie hier in diesem Parlament sitzen – es wirklich ernst nehmen, dann stehen Sie auf, dann wehren Sie dem Unrecht, dann fördern Sie die Freiheit – auch die Frei heit des offenen Austauschs, der ja hier durch Reglementie rungen seitens des Präsidiums in vielfältiger Weise unterbun den wird. Dann treten Sie gegen eine ungesteuerte Zuwande rung von Aberhunderttausenden Menschen ein, die mit einem inhärent in ihnen wohnenden, kulturell verankerten Antisemi tismus in unser Land kommen.
Und dann setzen Sie sich auch für das ein, was gestern über die Medien ging, nämlich den Friedensplan von Donald Trump und Benjamin Netanjahu, der es endlich ermöglicht, dass der Staat Israel zusammen mit den Arabern in Frieden lebt.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Herr Fiechtner, der soge nannte Friedensplan von Herrn – –
(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Ihre Dia loge draußen führen! – Gegenrufe von der AfD, u. a. Abg. Rüdiger Klos: Oh, halt doch einfach den Mund!)
Der Friedensplan von Trump ist kein Friedensplan, sondern er gießt neues Öl ins Feuer des Nahen Ostens. Das nur neben bei.
Wir sprechen heute über Vergangenheitsbewältigung. Die deutsche Vergangenheitsbewältigung ist nicht angemessen; sie ist hochgradig pathologisch, meine Damen und Herren. Sie ist teilweise medizinisch behandlungspflichtig.
Wovon spreche ich? Ich spreche z. B. von einem Herrn Stein meier, der in Israel nicht mehr Deutsch spricht, sondern nur noch Hebräisch und Englisch,
(Beifall des Abg. Reinhold Gall SPD – Abg. Rein hold Gall SPD: Sehr gut hat er das gemacht! Lob al lenthalben!)
weil Deutsch – so der deutsche Bundespräsident – die Spra che der Täter ist. Meine Damen und Herren, wenn der deut
sche Bundespräsident nicht mehr Deutsch spricht, wird doch Erinnerungskultur zum Erinnerungszirkus. Wollen Sie das noch rechtfertigen? So etwas ist doch eine Lachnummer.
Die ständige Suche nach neuen Naziverbrechern – jetzt in den Ministerien da und dort – ist wahnhaft.
Herr Fiechtner hat zu Recht gesagt: „Je länger der Untergang der NS-Herrschaft zurückliegt, umso größer die Aktivitäten.“ Wenn diese Protagonisten gegen Braun das vor 75 Jahren ge macht hätten, hätte ich gesagt: Chapeau, Respekt! Aber heu te ist das Leichenfledderei.