Danke schön, Herr Dr. Reinhart, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Weshalb sollen wir als de mokratisch gewählte Partei diesen Geldern zustimmen, wenn genau das passiert, was hier im Parlament geschieht? Es wird gegen uns gehetzt.
Es werden Vorwürfe gemacht. Es ist unerträglich, mit welchen Vorurteilen wir in der Zwischenzeit belegt werden.
Vor Kurzem wurde ein Hersteller von Lebensmitteln boykot tiert: „Kauft nicht bei der AfD“. Ersetzen Sie mal „AfD“ durch „Juden“. Dann sehen Sie, wo wir in der Zwischenzeit wieder sind.
Herr Stein, wenn das jetzt Ihre Frage war, kann ich Ihnen insgesamt dazu nur Fol gendes sagen – schauen Sie, ich habe längst davon abgesehen, über jedes Stöckchen zu springen, das uns die AfD hinhält; ich glaube, das ist eine Grundsatzfrage; eines will ich Ihnen aber schon sagen –: Gerade für den Teil Ihrer Fraktion, wie übrigens bundesweit auch Ihrer Partei, hat mir eines gefehlt, nämlich dass Sie sich von all denen in Ihrer Partei, die mitt lerweile unbestritten und bekannt rechtsextrem oder rechtsra dikal sind, distanzieren. Distanzieren Sie sich von diesem Teil in dieser Partei! Dann sind Sie auch glaubwürdig.
Dazu haben Sie aber erneut keinen Satz gesagt – keinerlei Di stanzierung. Da liegt genau das Problem, das Sie auch heute wieder offenbart haben.
Mit Ablenkungsmanövern werden Sie nicht als Teil der de mokratischen Parteienlandschaft ernst genommen werden können.
(Beifall bei der CDU, den Grünen, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Stefan Räpple AfD: Was soll er denn machen? Soll er sich jetzt auf den Boden wer fen? – Gegenruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜ NE: Nein, Sie rausschmeißen! – Weitere Zurufe)
In der Tat geht es darum – der Kollege Stoch hat zu Recht da rauf hingewiesen –: Die Pogromnacht in diesem Land ist 81 Jahre her. Wir müssen doch über die Fragen, wo sich BadenWürttemberg befindet, wo es steht und vor allem, wohin es geht, ernsthaft sprechen.
Der Antisemitismus tritt die Menschenwürde mit Füßen. Das hat der Ministerpräsident vorhin hier ausgeführt. Genau dar um geht es – um nicht mehr und nicht weniger. Mit unserer Verfassung schützen wir seit 1949 auch die Religionsfreiheit, und zwar die Freiheit aller Religionen. Das ist ein Wesenszug gerade dieses Grundgesetzes, dem wir alle miteinander zuge wandt sind.
Hinzu kommt: Da ist Zivilcourage nötig. Wir wollen in der Tat die Begegnung von Mensch zu Mensch. Deshalb sind heu te auch die Vertreter anwesend.
Ich will Ihnen einige Fakten nennen. Die Zahl der antisemiti schen Straftaten in Baden-Württemberg ist im vergangenen Jahr wieder deutlich gestiegen, und zwar von 99 auf 136 Fäl le. Das muss uns erschüttern.
Das sind die Fakten. Auch unterhalb der strafrechtlichen Schwelle sind diese Übergriffe in Deutschland trauriger All tag. Mittlerweile berichten über 40 % der jüdischen Befrag ten von antisemitischen Belästigungen. Das darf uns nicht gleichgültig lassen. Das darf in diesem Land auch nicht sein. Das hat zugenommen, und jeder zweite jüdische Deutsche hat darüber nachgedacht, Deutschland zu verlassen.
Sigmount Königsberg von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin hat im „Tagesspiegel“ vor einigen Monaten in einem Inter view gesagt – Zitat –:
Bis in die 80er-Jahre saßen wir in Deutschland bildlich auf gepackten Koffern. Dann gab es Zeichen, die uns Si cherheit signalisierten. Doch inzwischen schauen man che wieder, wo die Koffer stehen.
Das ist die jetzige Situation, die wir ernst nehmen müssen. Es ist für uns nur schwer erträglich, dass in der heutigen Zeit da rüber nachgedacht werden muss.
Ich will abschließend auf den Vorhalt des Kollegen Stoch, der das Thema Sicherheit angesprochen hat, kurz eingehen. Es ist unbestritten, dass es in Deutschland eine Situation gibt, in der sich manche nicht trauen, mit der Kippa auf die Straße zu ge hen,
dass Synagogen und jüdische Einrichtungen Polizeischutz brauchen. Deshalb unterstützen wir, die Regierungsfraktio nen, den Vorschlag des Innenministers, für die Sicherheit hier 1 Million € zu etatisieren. Ich will auch deutlich sagen: Die jüdischen Gemeinden haben Anspruch auf die volle Solidari tät der gesamten Gesellschaft. Sie haben das unverbrüchliche Recht auf diesen besonderen Schutz durch den Staat. Deshalb hat der Innenminister dieses Landes als Reaktion auf den An schlag in Halle in Baden-Württemberg nochmals die Sicher heitsmaßnahmen verstärkt. Er kann dazu sicher Stellung neh men.
Die Polizei steht mit allen jüdischen Gemeinden in engem Austausch. Da geht es auch darum, die technische Sicherheit dieser Einrichtungen zu verbessern. Ja, das ist wichtig.
Der Bericht des Antisemitismusbeauftragten hebt das große Engagement und die große Sensibilität unserer Sicherheitsbe hörden gerade im Kampf gegen den Antisemitismus ausdrück lich hervor. Herr Dr. Blume, wir haben das sehr wohl zur
Kenntnis genommen. Der Bericht betont auch die Bedeutung des Kompetenzzentrums gegen Extremismus, konex – darü ber wurde auch in den Medien dieser Tage berichtet –, und bei den Generalstaatsanwaltschaften – der Justizminister befindet sich hier im Raum – wurden Schwerpunktbeauftragte für das Thema Antisemitismus benannt – auch auf den Vorschlag des Antisemitismusbeauftragten des Landes hin –, die das Justiz ministerium sofort und unmittelbar eingesetzt hat.
Wir haben das Polizeigesetz modernisiert, und es ist unser Ziel, dass unsere Polizei Terrorlagen wie in Halle im besten Fall im Vorhinein verhindern kann. Auch dieses Geschehen zeigt: Digitale Medien sind ein Tummelplatz und ein Inkuba tions- und Resonanzraum für extremistischen Terror. Deshalb brauchen wir zeitgemäße Mittel, um auch online Gefahren und Gefährder zu erkennen und sie rechtzeitig aus dem Ver kehr zu ziehen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen volle Wachsamkeit und entschlossenes Durchgreifen. Auch die heutige Debatte sollten wir zum Anlass nehmen, um den Geist unserer Verfas sung und gerade die Werte, die angesprochen wurden – Tole ranz, gerade auch gegenüber Andersdenkenden, gegenüber al len Religionsgemeinschaften –, im Auge zu behalten. Ich kann nur jedem empfehlen, „Nathan der Weise“ zu lesen; jeder Schüler hat das früher lesen müssen. Darin gibt es eine Pas sage, die „Ringparabel“ heißt und genau von dieser Toleranz in einer aufgeklärten Gesellschaft spricht. Darum muss es uns gehen.
(Beifall bei der CDU und den Grünen sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP – Abg. Klaus Dürr AfD: Ja, die brauchen wir!)
Meine Damen und Herren, be vor ich das Wort weiter erteile, möchte ich Ihnen bekannt ge ben, dass eine namentliche Abstimmung beantragt wurde. Sie wissen: Wir verfahren nach dem neuen System mit den Stimmkarten. – Vielen Dank.
Nun erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Strobl das Wort. – Ich bitte Sie um Ruhe und darum, jetzt nicht die Karten zu suchen. – Danke.
Einen Moment! Herr Minis ter, warten Sie bitte kurz. – Meine Damen und Herren, ich darf Sie alle um etwas Ruhe bitten. – Vielen Dank.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin, verehrte Da men und Herren Abgeordnete! Der Schutz jüdischer Men schen war, ist und bleibt unsere besondere Verantwortung. Dies gilt nicht erst seit dem feigen Anschlag auf eine Synago ge in Halle in der letzten Woche.
Unsere polizeilichen Schutzmaßnahmen in Baden-Württem berg für jüdische und israelitische Einrichtungen sind seit vie len Jahren auf einem hohen Niveau, und natürlich haben wir sie seit der vergangenen Woche bis zum heutigen Tag noch einmal intensiviert. Wir werden auch in Zukunft alles dafür tun, dass Menschen jüdischen Glaubens in Baden-Württem berg sicher leben können, dass sie ihren Glauben sicher prak tizieren können, dass sie in ihren Synagogen sicher beten kön nen, dass sie ihre Feste sicher feiern können und – das füge ich hinzu – dass sie sich dabei auch sicher fühlen. Deshalb sa ge ich ganz klar: Sie sind nicht allein. Dieser starke Rechts staat steht an Ihrer Seite,
und das, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht erst seit drei Tagen, sondern schon in den vergangenen drei Jah ren.
Vor ziemlich genau drei Wochen, am 23. September 2019, ha ben wir gemeinsam mit der Israelitischen Religionsgemein schaft Württembergs einen Antisemitismus-Fachtag veranstal tet. Die Überschrift lautete: „Antisemitismus – Jüdisches Le ben in Deutschland zwischen Sicherheit und Unsicherheit“. Mit diesem Thema haben wir uns einen ganzen Tag mit Poli zeiexperten, Wissenschaftlern und natürlich jüdischen Mit bürgerinnen und Mitbürgern beschäftigt – nicht vor drei Ta gen, sondern vor drei Wochen, exakt mit dem Thema, mit dem sich seit einer knappen Woche die ganze Republik beschäf tigt.
Ich bin sehr dankbar, dass Frau Professorin Traub uns am 23. September Gastfreundschaft gewährt hat. Ich habe den Worten von Herrn Suliman und auch von Herrn Dr. Blume sehr interessiert zugehört. Ich habe mich darüber gefreut, dass der Landtag von Baden-Württemberg prominent vertreten war: durch Landtagsvizepräsidentin Kurtz, den Kollegen Ha gel, den Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion. Und, Herr Dr. Rülke, wenn auch Sie sich interessiert hätten und zugegen gewesen wären – oder irgendein anderes Mitglied Ihrer Frak tion –,
(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das war nicht die Frage! Wir haben nach baulichen Maßnah men gefragt!)
dann hätte sich die eine oder andere Frage, die hier nicht oh ne Häme vorgetragen wurde, auch für Sie möglicherweise er übrigt.
(Beifall bei Abgeordneten der Grünen, der CDU und der AfD – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Beantworten Sie besser die Fragen, als sie zu beur teilen!)
All diejenigen, die diese Veranstaltung besucht haben, muss ten eine besonders gesicherte Sicherheitsschleuse passieren. Nur weil sie jüdischen Glaubens sind, ist das für viele unse rer Mitbürgerinnen und Mitbürger trauriger Alltag – traurig, weil sie darauf angewiesen sind, weil der irrationale Hass auf Jüdinnen und Juden von Fehlgeleiteten in Deutschland heute leider immer noch eine bittere Realität ist.
Der Vorsitzende des Oberrats der Israelitischen Religionsge meinschaft Baden, Rami Suliman, erklärte am 23. September – ich zitiere –, „dass Juden so empfindlich beim Thema Si cherheit sind“. Wer diese Worte am 23. September hier in Stuttgart nicht verstanden hat, muss sie nach dem letzten Mitt woch jedenfalls verstehen.