Wir brauchen lebendige Gemeinden und das Miteinander von Juden und Nichtjuden unter Nachbarn, Kollegen und Freun
den. Denn direkte Begegnungen von Mensch zu Mensch sind der beste Weg, um Vorurteile zu überwinden, um Antisemitis mus gar nicht erst entstehen zu lassen.
Wie bereichernd der persönliche Kontakt und die unmittelba re Begegnung mit dem jüdischen Leben sind, erlebe ich jedes Mal aufs Neue, wenn ich an einem jüdischen Fest teilnehmen darf – etwa beim Entzünden des Chanukkaleuchters auf dem Schlossplatz in Stuttgart, bei der Eröffnung der Synagogen in Ulm und Rottweil, oder als ich in Jerusalem gemeinsam mit Vertretern der jüdischen Gemeinden eine Thorarolle in Emp fang genommen habe, die wir dann nach Baden gebracht ha ben.
Erst vor wenigen Wochen hatte ich die Freude, in Stuttgart ei nen Schabbatabend mit Freunden der jüdischen Gemeinde Württemberg zu feiern. Für mich ist es immer wieder faszi nierend, die vielfältigen biografischen und auch religiösen Verbindungen zwischen unseren Traditionen zu erleben und zu sehen, wie stark jüdisches Leben durch seine Feste geprägt ist – wie heute das Laubhüttenfest Sukkoth.
Gerade das macht die Tat von Halle besonders infam. Denn sie verbannt jüdische Feste hinter verschlossene Türen – Tü ren, die wir gemeinsam begonnen hatten zu öffnen; und von diesem Ziel sollten wir uns nicht abbringen lassen.
Wenn sich die Christen unter uns einmal vorstellen, dass wir die Kirchen während des Gottesdienstes von innen verriegeln müssten, dann merkt man, wie ungeheuerlich das eigentlich ist.
Wenn ich sage, wir müssen Begegnungen konkret ermögli chen, dann heißt das, wir müssen den Austausch und die Be gegnungsprogramme zwischen Juden und Nichtjuden fördern, etwa durch gemeinsame Projekte an unseren Schulen, wir müssen die Lehrerfortbildung an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg etablieren, damit Lehrer im Unterricht nicht nur über das Judentum sprechen, sondern auch mit jü dischen Experten in der Fortbildung zusammenarbeiten, und wir müssen uns intensiv um den Generationenübergang in der Erinnerungsarbeit kümmern; denn wenn die jungen Menschen nicht mehr wissen, wie es zum Holocaust kommen konnte, dann werden wir unserer Verantwortung nicht gerecht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn uns die deutsche Ge schichte eines lehrt, dann lautet diese Lehre: Nie wieder! Von Deutschland dürfen nie wieder Hass und Gewalt gegen Juden ausgehen. Lassen Sie uns deshalb mit all unserer Kraft den Antisemitismus bekämpfen und das Miteinander von Juden und Nichtjuden stärken. Lassen Sie uns das tun – nicht allein um unserer Vergangenheit willen, sondern auch, um unsere gemeinsame Zukunft zu gestalten.
Allen Jüdinnen und Juden in Baden-Württemberg verspreche ich: Wir stehen an Ihrer Seite. Wir werden Sie nie wieder im Stich lassen.
Meine Damen und Herren, nachdem Herr Ministerpräsident Kretschmann das Wort er griffen hat, löst dies nach § 82 Absatz 4 unserer Geschäftsord nung die sogenannte Fraktionsvorsitzendenrunde aus.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kretschmann hat sehr intensiv ausgeführt, was er von Toleranz und Intoleranz hält, und ich möchte erwidern: Herr Kretschmann, Sie haben doch am eigenen Leib in den Siebzigerjahren verspürt, was es bedeutet, wenn man seine ei gene Meinung – eine politisch andere Meinung – in diesem Land nicht mehr vertreten darf, und erfahren, dass man even tuell sogar mit Berufsverbot belegt werden kann.
Dagegen haben Sie jahrelang gekämpft. Aber die Erinnerung an diese fehlende Meinungsfreiheit in vielen Bereichen und die Akzeptanz des politisch Andersdenkenden müssten Sie ei gentlich mit in die heutige Zeit herübergenommen haben. Ich kann Sie nur bitten, in der einen oder anderen ruhigen Minu te noch einmal zurückzudenken und dies auf die heutige Zeit hin zu reflektieren.
Herr Schwarz, auch im Hinblick auf Ihre Ausführungen von heute Morgen: Wir tun nichts anderes, als Ihnen einen Spie gel vorzuhalten.
Zu den Dingen, die der Herr Ministerpräsident hier vorge bracht hat – wieder aus einem Kontext herausgerissene Wor te wie „Vogelschiss“ oder das berühmte „Denkmal der Schan de“ –, kann ich Ihnen nur sagen: Das haben wir jetzt hundert mal gehört,
und hundertmal wurde von den Menschen, die es geäußert ha ben, erklärt, in welchem Zusammenhang die Worte gebraucht wurden.
Zu dem Antrag in Nordrhein-Westfalen – Entfernung Stolper steine in Arnsberg – sage ich Ihnen nur so viel: In NordrheinWestfalen waren sicher nicht unbedingt alle Menschen in der ersten Reihe, als Intelligenz vergeben wurde. Dazu zählt viel leicht auch der eine oder andere AfD-Politiker.
(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das kann man wohl sagen! – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU)
Aber ganz vorn steht Ministerpräsident Laschet, der aktuell – dieser Tage oder gestern, glaube ich – zur AfD gesagt hat, es sei richtig, die AfD „bis aufs Messer“ zu bekämpfen.
(Zuruf von der AfD: Aha! – Abg. Daniel Andreas Le de Abal GRÜNE: Reden Sie doch mal zum Antise mitismus und nicht zur AfD!)
Meine Damen und Herren, das ist für einen Ministerpräsiden ten eine völlig unwürdige und unsägliche Aussage.
Man muss ihn wirklich fragen, ob er nicht zurücktreten und sein Amt zur Verfügung stellen will. Diese Aussage ist nichts anderes als ein Aufruf zur Gewalt.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Abg. Hans-Ul rich Sckerl GRÜNE: Alles nur Nebelkerzen! Sie wer fen Nebelkerzen!)
Vielen Dank, Bernd. – Nach dem alle anderen eine Zwischenfrage von mir ja abgelehnt ha ben, was ich sehr bedauerlich finde, nun meine Frage. Ich möchte vorwegschicken, dass es für mich unvorstellbar ist,
dass in der heutigen Zeit Synagogen polizeilich bewacht wer den müssen. Ich kann das einfach nicht verstehen.