Protocol of the Session on October 16, 2019

(Lachen bei der AfD)

Das ist im Grunde das, was Sie in Ihrem Antrag fordern.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD)

Herr Abg. Dr. Rülke, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dieser Antisemitis musbeauftragte ist zu schade, als dass er sich nur mit der AfD auseinandersetzen sollte.

(Abg. Carola Wolle AfD: Dann können Sie ja ruhig zustimmen!)

Deshalb werden wir das so nicht beschließen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD – Zuruf des Abg. Ste fan Räpple AfD)

Für die Landesregierung er teile ich Herrn Ministerpräsident Kretschmann das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Besonders begrüßen möchte ich zunächst Sie, liebe Frau Professorin Traub, lieber Herr Suliman, liebe Frau Katz und die anderen Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden, sowie Sie, verehrte Frau Steege vom Israelischen Generalkonsulat. Ich bin dankbar, dass Sie heute hier im Landtag sind. Ich sa ge Ihnen im Namen von uns allen zu, dass wir Ihr Vertrauen in den Rechtsstaat und in unsere demokratische Gesellschaft nicht enttäuschen werden.

Wir alle sind tief erschüttert von dem brutalen antisemitischen Akt in Halle. Die Ereignisse lassen einen erschaudern. Über 50 Mitglieder der jüdischen Gemeinde waren am vergange nen Mittwoch in der Synagoge von Halle zusammengekom men, um den Feiertag Jom Kippur zu begehen und gemein sam zu beten und zu feiern, als der schwerbewaffnete Atten täter versuchte, in das Gotteshaus einzudringen. Allein, weil das Eingangstor dem Angriff standgehalten hat, kam es zu kei nem Blutbad in der Synagoge. Stattdessen ermordete der At tentäter eine zufällig vorbeikommende Passantin und später in einem Dönerimbiss einen jungen Mann. Sein mörderisches Handeln filmte der Täter mit einer Helmkamera und übertrug es live im Internet.

Dieser brutale Terrorakt und seine zynische Zurschaustellung lassen uns fassungslos und beschämt zurück. Unsere Gedan ken sind bei den Ermordeten und Verletzten und ihren Ange hörigen; wir haben ihrer gedacht.

Ein Dreivierteljahrhundert nach dem Menschheitsverbrechen der Schoah müssen Juden in Deutschland wieder um ihr Le ben fürchten, weil sie sich in der Synagoge zum Gebet tref fen. Das ist unerträglich.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP sowie des Abg. Bernd Gögel AfD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns deshalb als Gesell schaft gemeinsam noch entschlossener uns dem Judenhass entgegenstellen. Denn der Antisemitismus zielt auf den Kern unserer Verfassungsordnung, auf den Kern dessen, woran wir als Demokraten glauben, nämlich die gleiche unantastbare Würde jedes einzelnen Menschen. Antisemitismus tritt die Menschenwürde mit Füßen, er verachtet, er spaltet, er zerstört den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.

Die Idee der Menschenwürde wurzelt in der biblischen Aus sage, dass Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat.

(Zuruf von der AfD)

Und schon der frühe Talmud betont entsprechend, dass menschliche Könige nur ihr eigenes Konterfei auf die Mün zen prägen, Gott sich aber in der Vielfalt jedes einzelnen Men schen zeige.

Deswegen gehen all jene fehl, die andere wegen ihrer Her kunft, ihres Glaubens oder anderer Kriterien ausgrenzen wol len. Wohin das führt, wissen wir alle aus den dunkelsten Ka piteln unserer Geschichte.

(Abg. Stefan Räpple AfD: Sagen Sie das mal der Grü nen Jugend!)

Deswegen hat der demokratische Rechtsstaat die Würde aller Menschen zu schützen, und deshalb gehört der Schutz der Jü dinnen und Juden, des jüdischen Lebens für uns in BadenWürttemberg zur Staatsräson.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der AfD)

Ich sage deshalb allen Jüdinnen und Juden im Land: Ihr seid ein wertvoller und unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft. Ihr gehört zu unserer Mitte. Wer euch diskriminiert, bedroht oder angreift, der greift uns alle an. Wir stehen fest an eurer Seite.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP, Abgeordneten der AfD sowie des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos])

Herr Ministerpräsident, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abg. Stefan Räpple zu?

Nein. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Anschlag von Halle ist bestür zend in seiner Brutalität. Wir sollten aber nicht glauben, die Tat sei ein isolierter Einzelfall. Das ist sie nicht. Denken Sie an den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, an die Anschlagspläne der mutmaßlichen Terrorgrup pe Revolution Chemnitz oder an die Mordserie des NSU.

(Zuruf von der AfD: Die nicht aufgeklärt ist!)

Der rechtsextremistische Terror findet einen wachsenden po litischen und gesellschaftlichen Nährboden, auf dem er gedei hen kann. Wir erleben eine Enthemmung der politischen De batten, die Verrohung der Sprache, Beleidigungen und Diskri minierung übelster Art bis hin zu offener Hetze, Hass und Ge waltfantasien. Am Ende müssen wir dann verblendete Täter erleben, die töten und morden.

Antisemitismus und Rassismus zeigen sich in Deutschland heute so offen wie lange nicht mehr. Sie sind sogar wieder in den Parlamenten angekommen, leider auch bei uns.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Sie wa ren nie draußen!)

Da wird der Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ in unserer tausendjährigen Geschichte abgetan. Das Holocaust-Mahn mal wird als „Denkmal der Schande“ diffamiert. Da reden Ab geordnete aus diesem Hohen Haus von Erinnerungsdiktatur, fordern, die Stolpersteine aus unseren Städten zu entfernen, oder sprechen unserer Landtagspräsidentin Muhterem Aras ab, für die deutschen Bürgerinnen und Bürger sprechen zu dürfen – mit Begründungen, die völkisches Gedankengut in Reinform präsentieren.

Da wird behauptet, der Islam sei gar keine Religion, sondern eine Ideologie. Das verunglimpft nicht nur eine fast 1 500 Jah re alte Weltreligion, sondern da soll Muslimen ein hohes Ver fassungsgut geraubt werden, nämlich der Schutz der Religi onsfreiheit.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Glau bensfreiheit!)

Wer Ausgrenzung betreibt und gar Hass sät, wird Gewalt ern ten. So nehmen auch die antisemitischen Straftaten zu. Das zeigt der Bericht unseres Antisemitismusbeauftragten ein drücklich. Im Jahr 2018 gab es 136 judenfeindliche Strafta ten in Baden-Württemberg. Das sind 37 % mehr als im Vor jahr. Ich nenne beispielhaft die Angriffe auf die Synagogen in Ulm und in Freiburg.

Jeder vierte Jude in Deutschland berichtet, dass er im letzten Jahr verbal oder körperlich angegangen worden ist.

Herr Ministerpräsident, lassen Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Dr. Baum zu?

Nein. – Im In ternet sehen sich sogar vier von fünf Juden antisemitischer Diskriminierung ausgesetzt. Die Zahlen zeigen: Antisemitis mus ist für Jüdinnen und Juden leider immer mehr wieder ei ne alltägliche Erfahrung. Damit dürfen wir uns nicht abfin den.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der AfD)

Da sind wir alle, die gesamte Gesellschaft, gefordert. Jede und jeder von uns kann einen Beitrag leisten, indem wir nicht schweigen oder wegschauen, indem wir antisemitischen Äu ßerungen widersprechen, und zwar ohne Wenn und Aber, egal, von wem sie kommen, und egal, wo sie stattfinden – am Ar beitsplatz, in der Straßenbahn, am Stammtisch.

Mut und Zivilcourage gegen das Böse im Kleinen, das sind die wichtigsten Ressourcen im Kampf gegen den Judenhass.

(Beifall der Abg. Petra Häffner GRÜNE)

Dazu gehört auch der mühsame Kampf der Aufklärung gegen Verschwörungsmythen, eingefressene Vorurteile und Fake News. Wir als politisch Verantwortliche müssen zeigen, dass unsere Demokratie wehrhaft ist und den Angriffen der Demo kratieverächter nicht machtlos gegenübersteht. Wir haben ei nen starken Rechtsstaat, wir haben eine starke Bürgergesell schaft, und wir lassen uns unsere Demokratie und unsere viel fältige Gesellschaft nicht zerstören. Wir sind eine wehrhafte Demokratie. Wir begegnen den Feinden der Freiheit nicht mit Laisser-faire und den Feinden der Toleranz nicht mit Toleranz.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, entsprechend haben wir, die Landesregierung, auch bereits gehandelt. Nach Beschluss des Landtags haben wir im vergangenen Jahr als erste Landesre gierung in Deutschland einen Antisemitismusbeauftragten er nannt und ihm einen Expertenrat zur Seite gestellt.

Aber wir alle müssen ihn bei seiner Arbeit unterstützen. So lange wir den Antisemitismus nicht überwunden haben, müs sen wir uns auch entschlossen um die Sicherheit der jüdischen Bürgerinnen und Bürger kümmern. Deshalb haben wir die Si cherheit aller Synagogen im Land von der Polizei begutach ten und Vorschläge zur weiteren Verbesserung erstellen las sen. Jede Synagoge im Land hat einen speziellen Ansprech partner bei der Polizei erhalten.

Als uns am vergangenen Mittwoch die schrecklichen Nach richten aus Halle erreichten, hat unser Sicherheitskonzept so fort gegriffen. Polizei, aber auch Bürgerinnen und Bürger ha ben sich schützend vor unsere jüdischen Gemeinden gestellt. Dafür bin ich allen sehr dankbar.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der AfD)

Gestern hat das Kabinett ein Sofortprogramm für einen noch besseren Schutz jüdischer Einrichtungen beschlossen. Dazu wird Innenminister Strobl gleich ausführlicher berichten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte auch unserem Antisemitismusbeauftragten, Herrn Dr. Michael Blume, im Namen der ganzen Landesregierung für sein engagiertes Ein treten danken – dafür, dass er uns in seinem Bericht eine Viel zahl von Vorschlägen mit auf den Weg gibt, gerade auch Ideen, die über die Sicherheitsfrage hinausgehen. Denn wir dürfen nicht bei der Sicherheit stehen bleiben. Es reicht nicht aus, jüdisches Leben hinter hohen Mauern und unter strengs ten Sicherheitsvorkehrungen zu gewährleisten. Mir geht es vor allem darum, dass jüdisches Leben ein ganz selbstver ständlicher Teil unseres Alltags ist – auf Plätzen und Straßen, in Schulen und Vereinen.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP sowie des Abg. Daniel Rottmann AfD)