Protocol of the Session on May 14, 2014

Wir schauen – das will ich auch ansprechen – natürlich nach vorn. Es ist gut, Bilanz zu ziehen; aber es gibt Bereiche, die für die Zukunft wichtig sind und bei denen wir eine differen zierte Wirtschafts- und Strukturpolitik in diesem Land ma chen müssen.

Der demografische Wandel ist bereits angesprochen worden. Es ist völlig klar, dass wir dem demografischen Wandel be gegnen müssen; denn gerade im ländlichen Raum muss man der Gefahr der Abwanderung gegenhalten.

Es darf im ländlichen Raum nicht sein wie in Frankreich: Dort ziehen die reichen Pariser alle in den Luberon. Das ist eine schöne Gegend. Dort ist alles prima. Aber dort findet nicht mehr das pralle Leben statt. Deswegen ist es wichtig, dass tat sächlich Menschen aller Generationen und aller Einkommens gruppen im ländlichen Raum vertreten sind. Darum muss man sich kümmern.

Der erste wichtige Punkt: die Fachkräfte. Wir haben eine In itiative, die regionale Fachkräfteallianzen schafft und die, lie be Kollegen Locherer und Lucha, in Ravensburg in der Regi on Bodensee/Oberschwaben mit einem Welcome Center ei nen tollen Start genommen hat.

(Abg. Paul Locherer CDU: Das ist zu loben!)

Wir müssen an das Thema Schulen herangehen. Es ist wich tig, dass die beruflichen Schulen in der Fläche Voraussetzun gen erfüllen; sie müssen Qualität bieten, aber auch präsent sein, nah an den Handwerksbetrieben sein. Es ist notwendig, in der beruflichen Schulentwicklung nach vorn zu schauen und hierfür zu sorgen.

Bei der ärztlichen Versorgung ist auch der Bund gefordert.

Hinsichtlich des Einzelhandels darf die Städtebauförderung nicht nur Stadtkulissen schaffen, sondern die Städte müssen belebt werden; da muss Servicequalität drin sein. Das hat das Wirtschaftsministerium zusammen mit dem Einzelhandels verband im Rahmen eines Wettbewerbs aufgegriffen.

Außerdem muss im Tourismus eine moderne Infrastruktur vorhanden sein. Der Kunde hat heutzutage bestimmte Ansprü che. Es darf nicht so sein wie früher, 1974 im Fußballtrai ningslager in Malente, als sich zwei WM-Spieler ein Bett tei len mussten.

(Abg. Walter Heiler SPD: Sparwasser! – Glocke der Präsidentin)

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Ich komme zum Ende. – Deswe gen sage ich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn es um Politik für den ländlichen Raum geht, geht es immer um gu te Politik für ganz Baden-Württemberg. Wir brauchen eine Politik für die Zukunft, die problemorientiert ist und sich nicht am Gießkannenprinzip orientiert.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die Fraktion der FDP/ DVP erteile ich Herrn Abg. Grimm das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir behandeln heute die Große Anfrage der Fraktion GRÜNE und die Antwort der Landesregierung unter dem Ti tel „Wertschöpfung und Arbeitsplätze im ländlichen Raum in Baden-Württemberg“. In der Wirtschaft nennt man so etwas eine Istanalyse. Immerhin haben Sie es nach drei Jahren ge schafft, nachzufragen, wie der ländliche Raum dasteht. Das sollte man bereits dann tun, wenn man eine Regierung über nimmt. Dann macht man eine Istanalyse und sieht sich diese Zahlen, die Sie heute präsentieren, an.

(Abg. Andrea Lindlohr GRÜNE: Das ist eine parla mentarische Anfrage! Das ist keine Regierungsana lyse! – Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Ich möchte ein bisschen differenzieren – Frau Kollegin Sitz mann hat das ein bisschen grob beschrieben –,

(Abg. Jörg Fritz GRÜNE: Das macht Frau Sitzmann nie!)

den Kehrschluss zu der Einschätzung, wie die Landesregie rung gestartet ist, ziehen, beschreiben, wie jetzt tatsächlich die Realitäten sind und ein bisschen die Augen öffnen. Es hat sich in der heutigen Diskussion bereits gezeigt, dass Sie den länd lichen Raum kennengelernt haben und dass Sie die Wertschät zung des ländlichen Raums in Zahlen dokumentieren.

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Der ländliche Raum umfasst 70 % der Fläche Baden-Würt tembergs. Dort lebt etwa ein Drittel der Bevölkerung; diese trägt etwa 30 % zur Bruttowertschöpfung bei. Im Jahr 2010 zählten die 160 000 Unternehmen im ländlichen Raum 1,05 Millionen Beschäftigte. 27,7 % der Erwerbstätigen arbeiten im ländlichen Raum. Davon arbeiteten im Jahr 2012 etwa 47 % im produzierenden Gewerbe; im Landesdurchschnitt waren es nur 38 %. 52 % arbeiteten im ländlichen Raum im Dienstleistungssektor; im Landesdurchschnitt waren es 62 %.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Das ist jetzt aber auch eine Istanalyse!)

Der Wandel zu mehr Dienstleistung verläuft im ländlichen Raum ähnlich stark wie im Landesdurchschnitt. Allerdings ist der Anteil des produzierenden Gewerbes im ländlichen Raum deutlich stabiler als im Landesdurchschnitt.

Die Herausforderungen des ländlichen Raums stellen der de mografische Faktor und die Abwanderung Hochqualifizierter in die Ballungsräume dar. Die forcierte und immer weiter stei gende Akademisierungsquote verstärkt diesen Effekt, da ein Hochschulstudium im Gegensatz zu einer dualen Ausbildung nicht in der Fläche im ländlichen Raum möglich ist.

Ein paar Sektoren, die den wirtschaftlichen Stabilitätsanker und das Rückgrat des ländlichen Raums in Baden-Württem berg darstellen, möchte ich herausgreifen:

Handel und Kfz-Gewerbe: 32 000 Betriebe mit ca. 190 000 Beschäftigten im Zeitraum von 2006 bis 2010; Umsatz ca. 51 Milliarden € im Jahr 2006 und 61 Milliarden € im Jahr 2010.

Verarbeitendes Gewerbe: 19 600 Unternehmen 2006; heute sind es 18 800 Unternehmen mit nach wie vor 440 000 Ar beitnehmern. Der Umsatz stieg von 80 Milliarden € im Jahr 2006 auf 88 Milliarden € im Jahr 2010.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Er wäre qualifiziert für das Statistische Landesamt!)

Baugewerbe: Die Zahl der Unternehmen im Baugewerbe liegt nach wie vor konstant bei 18 000. Die Beschäftigtenzahl liegt bei 73 000. Der Umsatz wurde in dem genannten Zeitraum von 11 Milliarden € auf 12 Milliarden € gesteigert.

Freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleis tungen: Die Zahl der Unternehmen stieg von 16 000 im Jahr 2006 auf 17 500 im Jahr 2010. Die Beschäftigtenzahl liegt bei 37 000. Aber diese Beschäftigten waren zum Teil auch vor 2011 schon hier tätig. Die Zahlen beziehen sich auf den Zeit raum von 2006 bis 2010.

Das, was Sie hier heute als Erfolg des ländlichen Raums dar gestellt haben, das ist nicht der Erfolg der jetzigen Landesre gierung, sondern das Ergebnis der Arbeit der Vorgängerregie rung. Das muss man hier ganz klar betonen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Was sagen uns diese Angaben? Die ideologische Stoßrichtung der Grünen, die erneuerbaren Energien und den Ökolandbau als Zukunftsbranchen des ländlichen Raums darzustellen, trägt nicht.

(Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Das ist keine Ideo logie! Das ist die Realität!)

Wer den ländlichen Raum auf die Rolle der Windkraftstellflä che und des Naturkostlieferanten reduziert, hat das wirtschaft liche Erfolgskonzept Baden-Württembergs nicht verstanden.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Daniel Renkonen GRÜNE)

In der Antwort der Landesregierung zur Großen Anfrage Drucksache 15/3942 heißt es – das ist bemerkenswert –:

Insgesamt hat der ländliche Raum bereits heute einen überdurchschnittlichen Anteil an der Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien. Der von der Landesregierung forcierte Ausbau der Windenergie steigert weiter die Be deutung des ländlichen Raumes für die Energieerzeugung. Damit verbunden kann ein Anstieg der regionalen Wert schöpfung erwartet werden.

Diese Wertschöpfung ist allerdings ohne Substanz. Sie baut allein auf der Zuweisung von Subventionen auf. Hierbei han delt es sich nicht um Wertschöpfung im ländlichen Raum, son dern um Kapitalabschöpfung aus dem ländlichen Raum.

Die wirtschaftliche Bedeutung der erneuerbaren Energien für den ländlichen Raum wird hier erstens überhöht und zweitens einseitig dargestellt.

Man muss hier auch einmal erwähnen: 2010 waren im Ener gieversorgungsbereich im ländlichen Raum gerade einmal 4 900 Arbeitnehmer beschäftigt. Selbst wenn man Teile des

Sektors „Technische Dienstleistungen“ hinzurechnet, bleibt die Bedeutung der erneuerbaren Energien mit Blick auf die Beschäftigungszahlen überschaubar.

(Zuruf des Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE)

Gleichzeitig werden die Belastungen, welche die erneuerba ren Energien für den ländlichen Raum mit sich bringen, in der Antwort der Landesregierung praktisch nicht erwähnt. Die Energiekosten steigen zulasten von Unternehmen und Verbrau chern. Ich will daran erinnern: Die Gesamtbelastung durch die EEG-Umlage ist von 2,2 Milliarden € im Jahr 2002 auf 23 Mil liarden € im Jahr 2013 gestiegen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Da haben doch Sie re giert! – Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Wer war dafür zuständig? – Gegenruf der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Schon vergessen! – Abg. Daniel Renkonen GRÜNE: Sehr vergesslich!)

Hier entsteht eine Ökoblase, deren Belastungswirkung von der Regierung nicht erwähnt wird. Durch den Bau von Wind rädern kommt es zu einer Wertminderung von mühsam erspar ten Eigenheimen – heute gibt es mehr Bürgerinitiativen ge gen Windkraftanlagen als Bürgergenossenschaften für deren Betrieb – und...

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, kom men Sie bitte zum Schluss.

... – ich bin gleich so weit – einer touristischen Entwertung attraktiver Landschaften.

Zudem stellt sich beim Bau von durchschnittlich elf neuen Windrädern pro Jahr unter Grün-Rot die Frage, wie dies zu einer nennenswerten Wertschöpfung im ländlichen Raum füh ren soll. Maßgeblich war hierbei auch die Verzögerung aller Maßnahmen um eineinhalb Jahre durch das neue Landespla nungsgesetz. Ich denke, der unter dem früheren Minister Ernst Pfister erstellte Windkraftatlas hätte dieser Landesregierung geholfen, schneller in die Windkraft einzusteigen, und die Ak zeptanz in der Bevölkerung wäre wahrscheinlich auch größer gewesen.