Gleichzeitig sind schon 209 Gemeinschaftsschulen völlig oh ne regionale Abstimmung eingerichtet worden,
bevor der Gesetzentwurf eingebracht wurde. Für die Einrich tung der Gemeinschaftsschulen hat man die demografische Not der einzelnen Kommunen ausgenutzt. Man hat also ge nau auf das Gegenteil von Abstimmung in einer Region ge
setzt. Im Grunde genommen hätte es andersherum sein müs sen: Ein Prozess der regionalen Schulentwicklung hätte statt finden müssen, bevor Sie mit dem Umgraben des Bildungs wesens begonnen haben, meine Damen und Herren.
Das ist Ihnen von Grün-Rot natürlich auch bewusst. Denn um vom eigenen Versagen abzulenken, wird schon beinahe wie in einem Ritual die ach so schlimme CDU-FDP/DVP-Vorgän gerregierung bemüht. In diesem Fall machen Sie geltend, die hätte ja auch keine regionale Schulentwicklung auf den Weg gebracht. Mag ja sein,
dass die damalige Landesregierung in diesem Fall zu zaghaft vorgegangen ist und die Bildungsregionen aus FDP/DVPSicht leider nicht konsequent genug ausgebaut wurden.
Aber in einem entscheidenden Punkt hat das grün-rote Ge schichtsbild einen Konstruktionsfehler: Die damalige CDUFDP/DVP-Landesregierung hatte eben auch keineswegs vor, das gesamte Bildungswesen in Baden-Württemberg auf den Kopf zu stellen, wie Grün-Rot dies seit drei Jahren tut, mei ne Damen und Herren.
Wenn dann noch das Argument mit der alten Landesregierung nichts mehr hergibt, dann muss schnell ein neuer Sündenbock her. Da fällt die Wahl dann meist auf die geschasste Kultus ministerin Warminski-Leitheußer. Man sei am Anfang der Le gislaturperiode in der Bildungspolitik wohl etwas zu schnell vorgegangen, räumt dann der grüne Ministerpräsident ein. Diese politische Argumentation ist an Scheinheiligkeit kaum noch zu überbieten, denn Frau Warminski-Leitheußer hat nichts anderes getan, als Ihre Politik in die Tat umzusetzen: möglichst schnell, möglichst viel vom grünen Projekt Ge meinschaftsschule, meine Damen und Herren.
Bereits für den Oktober 2012 hatten Sie, Herr Ministerpräsi dent, ein Konzept zur regionalen Schulentwicklung angekün digt. Am 23. Juli 2013 wurden die Eckpunkte für die regiona le Schulentwicklung verkündet. Erst heute, ein Dreivierteljahr später, legen Sie im Landtag einen Gesetzentwurf vor. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Herr Minister Stoch, die regionale Schulentwicklung hätte Ihr Meisterstück werden können. Das hätte aber mutiges, ent schlossenes Handeln erfordert. Sie hätten die zweite und drit te Tranche der Gemeinschaftsschulen zurückstellen müssen, wie es die FDP/DVP-Fraktion auch gefordert hat, und zu nächst eine regionale Schulentwicklung auf den Weg bringen müssen, die diesen Namen auch verdient. Die Deputate und Zuschüsse in Gestalt eines Budgets zur Verfügung stellen, Ganztagsbetreuung und Inklusion integrieren und den Verant wortlichen vor Ort die Entscheidung über das Schulangebot selbst überlassen – das wäre ein echter Paradigmenwechsel, ein echter Ansatz für einen Schulfrieden gewesen.
Was Sie aber abgeliefert haben, ist kein beherztes Meister stück, sondern ein halbherziger Tätigkeitsnachweis ohne jeg lichen Mehrwert, der nur zusätzlich Unruhe stiftet in einem Bildungswesen, das von Grün-Rot ohnehin schon sehr zu des sen Schaden in Unruhe versetzt worden ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aussprache ist damit beendet.
Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksache 15/5044 zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Kultus, Jugend und Sport zu überweisen. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Bevor wir in die Mittagspause eintreten, habe ich für die Mit glieder des Untersuchungsausschusses „EnBW-Deal“ noch folgenden Hinweis: Zehn Minuten nach Eintritt in die Mit tagspause, also um 12:30 Uhr, findet eine Sitzung dieses Un tersuchungsausschusses im Königin-Olga-Bau, Raum 433 im vierten Obergeschoss, statt.
Wir setzen unsere Sitzung nach der Mittagspause um 14:00 Uhr fort, weil der Untersuchungsausschuss so viel Zeit braucht. Bit te seien Sie alle um 14:00 Uhr wieder hier. Danke.
Antrag der Fraktion GRÜNE und der Fraktion der SPD – Einsetzung einer Enquetekommission „Konsequenzen aus der Mordserie des Nationalsozialistischen Unter grunds (NSU)/Entwicklung des Rechtsextremismus in Ba den-Württemberg – Handlungsempfehlungen für den Landtag und die Zivilgesellschaft“ – Drucksache 15/5131
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Be gründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion. Ich habe gerade vernommen, dass die Redezeit für die Begründung wohl aufgrund der letzten Debatte zwischen der Fraktion GRÜNE und der Fraktion der SPD geteilt wird.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol legen! Die Fraktion GRÜNE und die Fraktion der SPD rei chen gemeinsam diesen Antrag auf Einsetzung der Enquete kommission „Konsequenzen aus der Mordserie des National sozialistischen Untergrunds (NSU)/Entwicklung des Rechts extremismus in Baden-Württemberg – Handlungsempfehlun gen für den Landtag und die Zivilgesellschaft“ ein.
Bundesweit können bislang zehn Mordopfer mit dem NSU in Verbindung gebracht werden, darunter eine hier in BadenWürttemberg im Dienst ermordete Polizeibeamtin, Michèle Kiesewetter. Dazu kommt noch eine Reihe weiterer Taten.
Das wirft viele Fragen an die Politik und an die Sicherheits behörden auf. Diese Enquetekommission ist für uns und für die Öffentlichkeit ein erster parlamentarischer Schritt, die rechtsextremistische Szene und die rechtsextremistischen Ein stellungen in den Blick zu nehmen, an die der NSU hier in Ba den-Württemberg leider erfolgreich andocken konnte. Denn wir wissen, dass es in Baden-Württemberg Unterstützung gab, dass es Verbindungen gab und dass es auch heute eine gewalt bereite rechtsextremistische Szene in Baden-Württemberg gibt.
Wir wollen deshalb die rechtsextremen Strukturen in BadenWürttemberg, die Verbindungen zu Gruppierungen wie dem KKK, die Gewaltbereitschaft und die Waffenaffinität der rech ten Szene sowie die Vernetzung von Personen und Strukturen in Baden-Württemberg mit dem bundesweit agierenden Rechts extremismus genau untersuchen. Wir wollen aber auch unter suchen, wie wir es erreichen, dass unsere Sicherheitsbehör den sensibel auf rechtsextreme und rassistische Entwicklun gen und Motivlagen reagieren.
Wir wollen, dass dieses Parlament mit der Gesellschaft und mit der Wissenschaft in dieser Enquetekommission Hand lungsstrategien für Prävention, für Aufklärung und für die Stärkung einer aktiven und demokratischen Zivilgesellschaft erarbeitet. Das war lange überfällig und hat seit dem Aufflie gen des NSU eine neue Brisanz und eine hohe Dringlichkeit erhalten. Deshalb diese Enquetekommission, deshalb dieser Auftrag in der vorliegenden Form.
Dafür werben die Regierungsfraktionen von Grünen und SPD bei Ihnen noch einmal ausdrücklich um Zustimmung.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Ich glaube, es gibt kein Thema, das weniger für reine parteipolitische Auseinandersetzungen ge eignet ist als das Thema, das wir heute besprechen, nämlich die NSU-Verbrechen in Baden-Württemberg und darüber hi naus sowie ihre Aufarbeitung in Baden-Württemberg.
Gestern Abend wurde in der Pause des Champions-LeagueSpiels ein Banner mit der Aufschrift „Nein zu Rassismus“ ein geblendet. Ich bin dann ins Bett gegangen. Heute Morgen hör te ich auf der Fahrt zum Zug eine Radiomeldung: In BadenWürttemberg ist ein türkischer Junge aus rassistischen Grün den zusammengeschlagen worden und befindet sich jetzt im Krankenhaus.
Das heißt, wir haben ein Problem, und wir haben ein Prob lem, das wir lösen müssen. Denn wir, die Gesellschaft, haben
im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der NSU-Morde auch den Eindruck erweckt, als ob die Opfer Täter waren. Wir haben diese Mordserie schon bei der Bezeichnung der Arbeits gruppen, bei der Bezeichnung der Ermittlungsgruppen einem Milieu zugeordnet, und wir, die Gesellschaft insgesamt, ha ben letztlich, weil wir nicht wachsam genug waren, die Op fer kriminalisiert und ihnen einen schlimmen seelischen Scha den zugefügt. Das heißt, wir haben etwas gutzumachen.
Wir müssen uns auch verloren gegangenes Vertrauen wieder erarbeiten und müssen Vertrauen wiedergewinnen. Wir müs sen alles dafür tun, dass sich so etwas nicht mehr wiederholt.
Nachdem das Innenministerium mit der Ermittlungsgruppe „Umfeld“ wirklich vorbildlich herausgearbeitet hat, was noch an offenen Fragen aus dem Land Baden-Württemberg, aus Berlin übrig geblieben ist, vorbildlich jeden Stein noch ein mal umgedreht hat, haben wir, was die Rückschau angeht, Ma terial, mit dem wir arbeiten können. Jetzt geht es darum, nach vorn zu schauen. Denn auch das Gerichtsverfahren in Mün chen, der Untersuchungsausschuss des Bundestags und die Ermittlungsgruppe „Umfeld“ haben immer nur nach hinten geschaut. Aber das, was wir brauchen, um dieses Vertrauen in die Ermittlungstätigkeit wiederzugewinnen, ist, Handlungs empfehlungen für die Zukunft zu finden. Genau diesen Hand lungsauftrag werden wir aus München bekommen. Das Ge richt in München wird sein Urteil sprechen und wird die Ge sellschaft
in einem Auftrag dazu verpflichten, Vorkehrungen zu schaf fen, damit so etwas nicht wieder vorkommt.
Die Enquetekommission ist das richtige Instrument. Wir wer den uns mit Ihren Änderungsanträgen, wenn Sie sie begrün den würden, befassen.