In den zurückliegenden Debatten ist häufig die Formulierung gefallen, da würde nach Gutsherrenart regiert. Jüngst ist ins besondere von Ihrem Fraktionsvorsitzenden das Wort „Gesin nungsterrorismus“ gefallen. Ferner werfen Sie uns wiederum vor, dass wir bei bestimmten Themen, was ich in einer Demo kratie nur als normal empfinde, durchaus auch Diskussions bedarf haben.
(Abg. Karl Zimmermann CDU: Sagen Sie einmal et was zu der Aussage von Frau Sitzmann! Das war doch die Grundlage für diese Anfrage!)
Die Diskussion über die Aufstellung, die Finanzierung und die Positionierung des Verfassungsschutzes ist im Übrigen nicht neu. In den über 60 Jahren des Bestehens der Bundes
republik und unseres Landes hat es häufig – auch in diesem Parlament – Diskussionen darüber gegeben, ob der Verfas sungsschutz richtig aufgestellt ist, ob die Schwerpunkte rich tig gesetzt sind.
Es wurde von Vorrednern angesprochen: Wir haben uns auch in der zurückliegenden Legislaturperiode beispielsweise dar über unterhalten, wie auf terroristische Gefährdung reagiert wird. Es hat der damaligen Opposition von SPD und Grünen bedurft – um es einmal deutlich zu sagen –, Sie dazu zu be wegen, in diesem Bereich einen dritten Observationstrupp zu installieren. Das haben Sie dann gemacht – aller Ehren wert; das ist überhaupt keine Frage. Da waren wir uns auch einig. Aber es war unser Bestreben, dass dies gemacht wird.
Meine Damen und Herren, ja, es hat sich etwas verändert, und es verändert sich immer wieder etwas, beispielsweise was die Tätigkeitsfelder – im Grundsatz nicht, aber jeweils bezogen auch auf die Entwicklung in unserem Land –, die Sicherheits gefährdung und die gesellschaftspolitische Entwicklung in un serem Land anbelangt. Deshalb ist es mehr als normal, dass wir gerade in diesen Zeiten, in denen der NSU-Terrorismus neue Fragen aufgeworfen hat, versuchen, entsprechende Ant worten zu finden.
Im Übrigen befinden wir uns beispielsweise bei den Impul sen, die gegeben worden sind, Herr Zimmermann, was die Frage einer eventuellen Zentralisierung, die Frage der Neu ausrichtung der Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder anbelangt, in Baden-Württemberg nicht in einem iso lierten Raum. Das wurde und wird diskutiert durch den Bun destagsuntersuchungsausschuss, durch die Bund-LänderKommission Rechtsterrorismus, die wir eingesetzt haben. Das ist dieser Tage im Bundestag erneut thematisiert und disku tiert worden. Alle Fraktionen, die dort vertreten sind, waren der Auffassung, dass Handlungsbedarf besteht.
Nur: Bei der Frage „Wie, in welchem Umfang?“ befinden wir uns tatsächlich noch in der Diskussionsphase. Da gibt es in vielen Bereichen noch keine abschließenden Antworten.
Das heißt, die ganze Bundesrepublik diskutiert, sondiert Fra gen kontrovers, mit hoher Sorgfalt. Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass mit hoher Sorgfalt diskutiert wird, um ein Er gebnis nicht schon vorwegzunehmen, sondern sich diesen Fra gen jeweils ergebnisoffen zu stellen.
Das heißt aber nicht – das will ich ganz deutlich sagen –, dass ich bei bestimmten Positionen keine Meinung hätte. Die ha be ich schon; das will ich sagen. Wenn Sie mich heute nach meiner Meinung fragen – und das werden Sie, Herr Zimmer mann, nachher sicherlich noch tun –, will ich Ihnen sagen: Ich bin der Auffassung, dass Personaleinsparungen in der Grö ßenordnung von 50 % beim Verfassungsschutz, wie sie heu te diskutiert wurden, bei der derzeitigen gesetzlichen Aufga benverpflichtung, die wir haben, nicht leistbar sein werden. Das will ich an dieser Stelle deutlich sagen.
Denn es ist nun einmal so: Nach der bestehenden gesetzlichen Grundlage müssen wir ein demokratisches Frühwarnsystem haben, das uns vor entsprechenden Entwicklungen warnt, und zwar lange bevor eine konkrete Gefährdung besteht.
Das ist unser Landesverfassungsschutzgesetz, das ist das Bun desverfassungsschutzgesetz, und das sind darüber hinaus ei ne ganze Reihe spezialgesetzlicher Regelungen, denen der Verfassungsschutz gerecht werden muss. Das ist beispielswei se das Sicherheitsüberprüfungsgesetz, das ist das Luftsicher heitsgesetz, das ist das Aufenthaltsgesetz. Allein in diesen Themenbereichen überprüft das Landesamt für Verfassungs schutz etwa 55 000 Personen pro Jahr, Personen, die in sicher heitsrelevanten Bereichen der Behörden oder der Wirtschaft arbeiten – beispielsweise auch am Flughafen in Stuttgart.
Meine Damen und Herren, ich will auch ausdrücklich sagen: Wäre Gewaltorientierung – das ist meine Meinung – das al lein entscheidende Kriterium, hätten wir schon erhebliche Pro bleme, beispielsweise die NPD zu beobachten. Ich glaube, niemand stellt heute infrage, dass wir dies tun sollten.
Ich will damit sagen: Wer früh erkennen will und wer vor al lem auch reagieren will, muss früh hinschauen, wo sich ent sprechende Strukturen bilden und wo sich Radikalisierungs prozesse anbahnen.
Aber es ist doch mehr als legitim – ich halte das für ausdrück lich erforderlich –, dass wir politisch darüber diskutieren: Wie früh müssen wir hinschauen, und wie tief müssen wir schau en? Da lohnt es sich, glaube ich, dass wir einen ernsthaften Diskurs, eine breite Debatte darüber führen.
Es liegt auf der Hand, dass gerade auch in diesem Themenbe reich Grüne und SPD nicht, wenn sie morgens aufwachen, grundsätzlich derselben Meinung sind. Da befinden wir uns übrigens in guter Gesellschaft mit Ihnen, weil Sie, insbeson dere die CDU-Fraktion, sich ja in vielen anderen Themenfel dern weder morgens noch abends richtig grün sind.
Das heißt, eine Debatte, die wir jetzt über die Grunderwartun gen führen müssen, die der Landtag von Baden-Württemberg und die die Regierung an die Sicherheitsbehörden unseres Landes haben – dazu lade ich Sie, Herr Zimmermann, sowie Ihre Kolleginnen und Kollegen gern ein –, muss am Ende ent schieden werden. Man darf nicht schon vorher mit einer Ent scheidung im Prinzip die Weichen stellen.
Wir müssen diesen Diskussionsprozess führen. Es gibt diver gierende Erwartungen, die das Spannungsfeld zwischen der Gewährleistung von Sicherheit und der eventuellen Einschrän kung von Freiheitsrechten betreffen. Wir müssen die Diskus sion breit und, wie ich finde, offen und ehrlich führen, ohne dass der Regierung sofort immer, wie Sie es heute versucht haben, unterstellt wird, bei ihr wäre das Thema Sicherheit in bestimmten Teilen nicht mit dem richtigen Stellenwert verse hen.
Es gilt dabei auch abzuwägen und daraus Konsequenzen zu ziehen, das heißt gesetzgeberisch zu handeln und Maßnahmen auch struktureller Art abzuleiten. Wir, die Landesregierung, haben uns in allen Bereichen zu eigen gemacht, bestehende Strukturen immer auch einer Evaluation zu unterziehen: Sind wir noch richtig aufgestellt, stimmen die Strukturen noch? Das haben wir bei der Polizeistrukturreform gemacht, und das wer den wir selbstverständlich auch beim Verfassungsschutz tun.
(Abg. Peter Hauk CDU: Hoffentlich mit besserem Er gebnis! – Abg. Thomas Blenke CDU: Das ist ja schon einmal schiefgegangen!)
Herr Hauk, ich wäre ein wenig vorsichtig mit diesen Zwi schenrufen. Das zeigt mir wiederum, dass Sie, was die Poli zeistrukturreform anbelangt, nun wirklich nicht im Bilde sind. Sonst hätten Sie vielleicht von den ersten Maßnahmen, die wir ergriffen haben – – Vor Kurzem habe ich jedenfalls so et was wie ein Lob – nicht von Ihnen, aber von den Mitgliedern Ihrer Fraktion im Innenausschuss – über die Maßnahme, die wir in diesem Zusammenhang schon ergriffen haben, gehört.
Ich erinnere an die Gemeinsame Informations- und Analyse stelle. Ich erinnere daran, dass wir das Informationssystem des Verfassungsschutzes ausgebaut haben, was NADIS anbe langt. Ich erinnere daran, dass wir einen Aktenvernichtungs stopp angeordnet haben.
Ich erinnere daran, Herr Dr. Goll, dass wir die Ersten gewe sen sind, die auf Bundesebene gefordert haben, dass es ein heitliche Standards gibt, beispielsweise für die Führung von V-Leuten. Und, Herr Hauk, wir haben beispielsweise – das haben Sie vermutlich noch gar nicht wahrgenommen – im Zu ge der neuen Polizeistrukturreform dem Staatsschutz in der Polizei wieder den Stellenwert eingeräumt, den Sie in den zu rückliegenden Jahrzehnten abgeschafft hatten.
(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Thomas Blenke CDU: Wie bitte? Nehmen Sie das zurück, bit te! Das darf nicht im Protokoll stehen bleiben!)
Das heißt, der Staatsschutz war ausschließlich beim Landes kriminalamt verortet, und das Thema Staatsschutz ist in die allgemeine Polizeiarbeit integriert gewesen. Wir haben dem Thema Staatsschutz durch eine eigene Inspektion unter dem Dach der Kriminaldirektion innerhalb der zwölf Polizeipräsi dien wieder einen Stellenwert gegeben.
Das heißt, wir haben reagiert, während Sie im Prinzip diesem Thema einen eher untergeordneten Stellenwert eingeräumt ha ben.
Deshalb ist es jetzt wirklich geboten, Herr Zimmermann, in den nächsten Monaten diese wichtigen Fragen vollumfäng lich zu diskutieren, insbesondere was die Bekämpfung des Rechtsextremismus anbelangt, und Antworten auf die Fragen
zu geben: Wie stellen wir uns auf? Welche Gewichtung ist richtig, was den Personaleinsatz und den Finanzmitteleinsatz anbelangt?
Im Zuge der Neuausrichtung des Verfassungsschutzes haben der parlamentarische Untersuchungsausschuss bzw. der Bun destag sowie die Bund-Länder-Kommission eine Reihe von Empfehlungen abgegeben. Ihre heutigen Äußerungen zeigen mir, dass Sie die Empfehlungen nicht zur Kenntnis genom men haben. Denn beispielsweise hat – Sie versuchen jetzt, das bei mir zu kritisieren – der neue Bundesinnenminister vor Ta gen eine höhere Zentralstellenfunktion für den Bund in be stimmten Bereichen gefordert. Deshalb weiß ich gar nicht, warum Sie da einen Meinungsumschwung konstatieren wol len, was meine Person anbelangt.
Ich habe gesagt, es lohnt sich, gerade im Bereich des interna tionalen Terrorismus darüber nachzudenken, bestimmte Auf gaben nicht völlig abzugeben, sondern die richtige Gewich tung zwischen den Aufgaben, die die Landesämter wahrneh men, und den Aufgaben, die der Bund wahrnimmt, zu finden.
Herr Minister, gestat ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. von Eyb und eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Blenke?
Herr Minister, für den Fall, dass ich vorhin richtig gehört habe, dass gesagt wurde, es müsse Schluss sein mit der „Schlapphutmentalität“, möch te ich Sie fragen, ob Sie diese Terminologie tragen.
Ich habe weder eine Pferde ranch noch irgendetwas anderes, Herr Bullinger. Die Zwi schenrufe waren auch schon besser. – Die Begrifflichkeit „Schlapphüte“ habe ich noch nie geteilt, weil ich solche Men schen, auf die diese Bezeichnung abzielt, nicht kenne