Protocol of the Session on January 30, 2014

auf die Herausforderung, Inklusion zu verankern – und zwar als Strukturprinzip –, auf die Herausforderung, zieldifferent zu unterrichten, auf die Herausforderung, Kinder und Jugend liche mit unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten zum je weils besten Lernabschluss zu führen, und auf die Herausfor derung, Beruflichkeit fest zu verankern und stärker ins Zent rum zu stellen.

(Zuruf des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Die Gemeinschaftsschulkonzeption hat hierzu viele Antwor ten.

Vielleicht, Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, hätten Sie den Auftrag für Ihre Umfrage in der Weise erteilen sollen, dass bei den Gemeinschaftsschulen nachgefragt wor den wäre, ob sich z. B. Kinder mit Realschul- und Gymnasi alempfehlungen dort gut aufgehoben fühlen oder nicht,

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Das kann ich Ihnen so sagen!)

wie die neuen Lernformen dort ankommen oder wie Kinder ihre Eltern erleben. Das hätte einen tatsächlichen Erkenntnis gewinn gegeben, und zwar für alle.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Das hätte möglicherweise auch Folgendes gezeigt: Es wird – da bin ich mir sicher – in der zweiten Säule zu einer Konver genz kommen, weil sich alle Schulen den gleichen Herausfor derungen stellen müssen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Aber mit unter schiedlicher Ressourcenausstattung! Das ist der Grund!)

Es wird sich, wie ich meine, aus den bisher bestehenden Schu len eine stabile zweite Säule entwickeln mit einer Schule, die alle Abschlüsse ermöglicht und dann ein Denken in oben und unten, in Aufsteiger und Absteiger, unnötig macht.

Meine Damen und Herren, insbesondere von der CDU-Frak tion: Verschonen Sie bitte die Gemeinden und die Schulen mit Ihren rückwärtsgewandten, tendenziösen Interpretationen von fragwürdigen Umfragen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl Zimmermann CDU: Mein Gott!)

Transportieren Sie lieber ein bisschen von der Begeisterung über die Gemeinschaftsschulen, die Ihr Kollege Hauk erlebt hat.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Wer verkehrt fährt, für den fahren alle anderen rückwärts!)

Verzichten Sie bitte auf Stimmungsmache und Verunsiche rung bei den Eltern. Das wäre das Mindeste.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die Fraktion der FDP/ DVP erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Kern.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Kürzlich stellte der Verband Bildung und Erziehung, der u. a. auch Gemeinschaftsschullehrer ver tritt, in einer Pressemitteilung fest:

Dadurch, dass der Gemeinschaftsschule, politisch ge wollt, eine Aura des Fortschrittlichen verliehen wird, ge raten alle Sympathisanten der bisherigen Schularten au tomatisch in den Dunstkreis der Ewiggestrigen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Genau! So ist es!)

Damit spricht der VBE ein vernichtendes Urteil über die Bil dungspolitik der grün-roten Landesregierung. Nicht nur hat Ihre Bildungspolitik dazu geführt, die Schullandschaft in zwei Lager zu teilen – nämlich die Angesagten gegen die Ewiggest rigen –, sondern Sie haben diesen Zustand willentlich herbei geführt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)

Es ist Ihr Wille, dass die Schularten, die sich wahrlich bewährt und den Praxistest längst bestanden haben, eines Tages in ei ner Gemeinschaftsschule aufgehen sollen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Natürlich! Das ist der Punkt!)

Natürlich wollen Sie es sich mit den Schülern, Eltern und Leh rern an diesen Schularten nicht verderben und blasen deshalb ein wenig beruhigenden Rauch in den aufgebrachten Bienen schwarm, bevor Sie ihn in eine andere Kiste packen. Vielleicht sollten Sie sich aber einmal bei einem erfahrenen Imker er kundigen, wie lange sich Bienenvölker so etwas gefallen las sen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Schöner Ver gleich!)

Auch der Ministerpräsident versucht sich mit dem Halten von Bienenvölkern. Vielleicht sollte er sich einmal eingehender mit erfahrenen Imkern unterhalten. Wenn er nämlich einmal mit Blick auf das Wirken der Bienen die grüne Brille abneh men würde, würde er womöglich erstaunt feststellen, dass der Honig nicht deshalb zustande kommt, weil die Bienen so put zige Tierchen sind, sondern weil sie so fleißig arbeiten.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo!)

In ähnlicher Weise, meine Damen und Herren von Grün-Rot, sollten Sie beim Betrachten der Schulwirklichkeit die grüne Brille einmal abnehmen und sich vergegenwärtigen, worin der Erfolg unseres baden-württembergischen Schulwesens be steht. Hierzu tragen die beruflichen Schulen in ganz erhebli chem Maß bei, indem sie durch Leistungsorientierung den so zialen Aufstieg bewirken. Nicht anders ist es zu erklären, dass etwa die Hälfte der Hochschulzugangsberechtigungen im Jahr 2010 an einer beruflichen Schule oder an einem Berufskolleg erworben wurden.

Jetzt stellt sich die Frage: Was hat sich die grün-rote Landes regierung bloß dabei gedacht, als sie die Gemeinschaftsschu le einführte und damit die Axt an die beruflichen Schulen an legte? Was haben Sie sich dabei gedacht, als Sie die Gemein schaftsschule in dieser Form und auf diese Weise einführten? Es hätte nichts dagegen gesprochen, eine neue Schulform – wo vor Ort gewünscht – den Praxistest machen zu lassen.

Schlimm ist aber zweierlei: Erstens treiben Sie die Gemein schaftsschulen mit aller Macht voran – daran hat auch das Ein geständnis des Ministerpräsidenten, man sei in der Schulpo litik etwas zu schnell vorgegangen, nichts geändert –, und zweitens überfrachten Sie die Gemeinschaftsschulen mit al len möglichen, geradezu heilbringerischen Erwartungen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Genau!)

Die Gemeinschaftsschule ist gleichzeitig Grundschule, Inklu sionsschule, Hochbegabtenschule, Werkrealschule, Realschu le, Gymnasium und berufliche Schule. Nur weil Sie sich nicht eingestehen wollen, dass es solch eine Schule vielleicht in Grün-Utopia, aber nicht in der Realität geben kann, zumin dest nicht ohne erhebliche Qualitätseinbußen, halten Sie ver bissen an einer gymnasialen Oberstufe für die Gemeinschafts schule fest.

Dabei wissen Sie sehr wohl – oder betreiben es gar bewusst, siehe VBE-Einschätzung –, dass die Gemeinschaftsschule die strukturelle Hauptrivalin der beruflichen Schulen sein wird. Dabei ist die gymnasiale Gemeinschaftsschuloberstufe völlig überflüssig,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

denn es gibt doch bereits das allgemeinbildende Gymnasium, die beruflichen Gymnasien, die Berufsoberschulen und Be rufskollegs. Jetzt haben Sie auch noch durch einen höchst pro blematischen politischen Kompromiss einen neunjährigen Gymnasialzug an 44 Standorten eingerichtet. Nun könnte man einwenden, Vielfalt sei doch qualitätsfördernd – zugegeben, das sehen wir Liberalen auch so –, aber wenn sich ein quali tätsfördernder Wettbewerb entwickeln soll, dann bedarf es auch gleicher Bedingungen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)

Wenn Sie von Grün-Rot nicht nur die beruflichen Schulen nicht mit den Ressourcen ausstatten, die entsprechend der ho hen Nachfrage notwendig wären, sondern auch die gymnasi ale Gemeinschaftsschuloberstufe als Regelform einführen, kann von einem fairen Wettbewerb keine Rede sein.

Die FDP/DVP-Fraktion fordert die Landesregierung auf: Ha ben Sie Mut zu Vielfalt und fairem Wettbewerb. Wer Vielfalt

und qualitätsfördernden Wettbewerb im Schulwesen will, muss nach unserer Auffassung für faire Bedingungen und Durchlässigkeit sorgen. Probieren Sie es doch einfach einmal aus. Wir sind davon überzeugt, dass man sozialen Aufstieg und Bildungserfolg nicht verordnen, aber durch ein differen ziertes, qualitativ ansprechendes, anspruchsvolles und durch lässiges Schulangebot ermöglichen kann und auch nur so be wirken wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Glocke der Präsidentin)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Nachfrage des Abg. Lehmann?

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist Ehrensa che!)

Vielen Dank, Herr Kol lege. – Ich habe einen Punkt nicht verstanden: Wenn Sie sich für den Wettbewerb aussprechen, warum wollen Sie dann ei ne Schulform, nämlich die Oberstufe für eine Gemeinschafts schule, verbieten?

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Das hat er doch er klärt!)

Das ist dann kein Wettbewerb mehr.

Ich erkläre es gern noch einmal, Herr Kollege Lehmann. Wir sind in der Tat für einen fairen Wettbewerb, das heißt für eine möglichst gleiche Res sourcenausstattung. Wir haben aber auch etwas gegen völlig unnötige doppelte Strukturen, denn so dick – das merkt man auch bei Ihrer Haushaltspolitik – haben wir es nun auch nicht, dass wir Parallelstrukturen aufrechterhalten könnten.

Vielen Dank.